Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres / Volkstrauertag, 13.11.2016

Predigt zu Römer 8:18-23, verfasst von Thomas-Michael Robscheit

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder,

wie stellen Sie sich das Paradies vor? Was gibt es dort, wie sieht es aus?

Die Antwort ist gar nicht so einfach. Alles ist schön, und wir sehen unsere Lieben wieder. - das ist die gängige Vorstellung. Alles ist klasse. Gibt es eigentlich Hobbys im Paradies? Modelleisenbahnanlagen? Bücher? Oder nur Musik? Und wen treffen wir dann wieder? Jesus war eine ähnliche Frage gestellt worden: mit wem ist eine Frau, die siebenmal verheiratet war, dann im Himmel eigentlich leiert? Oder wie ist das mit der Schwägerin, die wir nie leiden konnten? Sie und unsere Frau waren aber richtig dicke miteinander. Die wollen sich im Paradies ganz bestimmt wieder sehen & wir unsere Frau auch! Müssen wir das ewige Genörgel der Schwägerin dann bis in alle Ewigkeit ertragen? Ein einfacher logischer Dreisatz!

Sie merken, liebe Gemeinde, dass wir mit dieser Vorstellung von Jenseits und Paradies alles schnell ad absurdum führen. Mit unserer Logik können wir Ewigkeit und Paradies nicht begreifen. Um etwas einordnen zu können brauchen wir scheinbar das Negativ als Hintergrund. Wir können nicht dauernd glücklich sein, wir brauchen die Endlichkeit um den Moment wertzuschätzen. Wir müssen Not kennen um Wohlstand zu schätzen. Anders ist es ja kaum erklärbar, dass es allenthalben Unzufriedenheit in unserem Land gibt; peinlich ist das angesichts des Elends wenige hundert oder tausend Kilometer entfernt. In den Nachrichten erfahren wir von unhaltbaren Zuständen, wir nehmen sie zur Kenntnis, aber in den seltensten fällen nehmen wir sie uns zu Herzen; wir spüren echte Not nicht und dann leiden wir auf hohem Niveau: anderen in unserer Nachbarschaft geht es besser, das ist für uns ungerecht; nicht dass wir genügend zu Essen haben und ein warmes zu Hause während in Syrien Menschen den anbrechenden Winter in nassen Zelten überfüllter Flüchtlingscamps erleiden müssen.

Das Gute können wir in diesem irdischen Leben ohne den negativen Hintergrund nicht erkennen, leider. Es gelingt uns besser zu sagen, was alles nicht im Paradies sein wird: kein Leiden, kein Geschrei, kein Schmerz wird mehr sein und keine Vergänglichkeit; vor allem das nicht! Bereits jedem Anfang wohnt, wie Hermann Hesse schreibt, nicht nur ein Zauber inne, sondern auch das Ende. Für Paulus verbindet sich mit dieser Endlichkeit eine tiefe Sehnsucht nach deren Überwindung. Dabei stechen zwei Gedanken besonders hervor.

Zum ersten die Aussage, mit der er alles irdische Leid relativiert angesichts der himmlischen Herrlichkeit. Diese Aussage mag inhaltlich vielleicht berechtigt sein, in ein Handbuch für Seelsorge gehört sie definitiv nicht! So eine Antwort hilft einem Menschen im Schmerz nicht und spendet auch keinen Trost. Ich betone, das hier extra, liebe Schwestern und Brüder, weil wir immer wieder auch mit dem Elend konfrontiert werden und uns schnell genötigt sehen, etwas „Tröstliches“ zu sagen. Das bitte nicht! Wenn es darum geht einem Menschen beizustehen, dem das Leben übel mitgespielt hat, hilft diese Aussage des Paulus nicht! Sie ist wie Hohn, wenn der Tod eines Kindes den Boden wegreißt und unfassbar riesige Fragezeichen alles beherrschen.
Paulus schreibt seine ganz persönliche Glaubenswahrheit auf, schreibt sie auf als ein Mensch, der unter körperlichen Gebrechen zu leiden hatte, der angefeindet und aus Glaubensgründen ins Gefängnis gesperrt worden ist. Verständlicher wäre der Satz, wenn Paulus geschrieben hätte: „Wenn ich auf all das Leiden und die Unzulänglichkeiten meines Lebens schaue, bin ich mir dennoch ganz sicher, dass dies alles aufgewogen werden und wie nichts sein wird angesichts der Herrlichkeit, die ich schauen werde!“

Der andere Gedanke, der sich beim Lesen gleich festsetzt ist das ängstliche Harren der Kreatur. Unter der Endlichkeit leiden alle, obwohl wir die Begrenztheit und Unzulänglichkeit brauchen. Vielleicht ist dies das eigentliche Dilemma aller irdischen Existenz: Sehnsucht nach Vollkommenheit, dem Guten, dem Schalom, deren bruchstückhaftes Vorkommen auf dieser Erde wir aber nur wegen dieser Bruchstückartigkeit überhaupt wahrnehmen und schätzen können. Gott hat die Ewigkeit in unser Herz gelegt. Wir Menschen tragen diese Sehnsucht in uns, ganz gleich ob wir Christen, Juden, Muslime oder Atheisten sind, aber nicht jeder spürt auch das Ziel dieser Sehnsucht. Jeder von uns kennt Menschen, die wie getrieben und dabei orientierungslos sind. Wir alle sind jenen schon begegnet, die scheinbar ständig in Sorge sind, etwas Wichtiges könnten sie verpassen. Wir sehen täglich die falschen Werbeversprechen, die diese Sehnsucht auf irdischen Besitz, Gesundheit oder Jugend richten. „Ihr Christen“, so hätte Paulus auch schreiben können, „Ihr Christen kennt das Ziel unserer Sehnsucht, Ihr habt deswegen auch Verantwortung!“ Die Kreatur harrt nicht nur darauf, dass Vergänglichkeit weicht, vor allem warten die meisten unserer Mitmenschen darauf zu erfahren, welche Hoffnung durch die Vergänglichkeit hindurch trägt.

Unsere Hoffnung, liebe Gemeinde, unsere Hoffnung!!! Das braucht nicht erklärt, dass muss gelebt werden! Dann ist sie erkennbar, verändert die Welt und ist Orientierung für die Rastlosen und Suchenden.

Der Friede Gottes, der größer ist als unsere begrenzte menschliche Vorstellungskraft bewahre Eure Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

 



Pfarrer Thomas-Michael Robscheit
Apolda&Kapellendorf
E-Mail: robscheit.de

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