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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Buß- und Bettag, 16.11.2016

Nicht auftrumpfen. Sondern: sich ändern
Predigt zu Römer 2:1-11, verfasst von Wolfgang Petrak

Darum, o Mensch, kannst du dich nicht entschuldigen, wer du auch bist, der du richtest. Denn worin du den andern richtest, verdammst du dich selbst, weil du ebendasselbe tust, was du richtest. Wir wissen aber, dass Gottes Urteil recht ist über die, die solches tun. Denkst du aber, o Mensch, der du die richtest, die solches tun, und tust auch dasselbe, dass du dem Urteil Gottes entrinnen wirst? Oder verachtest du den Reichtum seiner Güte, Geduld und Langmut? Weißt du nicht, dass dich Gottes Güte zur Buße leitet? Du aber mit deinem verstockten und unbußfertigen Herzen häufst dir selbst Zorn an auf den Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes, der einem jeden geben wird nach seinen Werken: ewiges Leben denen, die in aller Geduld mit guten Werken trachten nach Herrlichkeit, Ehre und unvergänglichem Leben; Ungnade und Zorn aber denen, die streitsüchtig sind und der Wahrheit nicht gehorchen, gehorchen aber der Ungerechtigkeit; Trübsal und Angst über alle Seelen der Menschen, die Böses tun, zuerst der Juden und ebenso der Griechen; Herrlichkeit aber und Ehre und Frieden allen denen, die Gutes tun, zuerst den Juden und ebenso den Griechen. Denn es ist kein Ansehen der Person vor Gott

 

Liebe Gemeinde,

Heute ist Donnerstag. Der Tag danach. So viele Analysen und Erklärungen, obwohl keiner weiß, wie es werden wird. Unsere Zeit: Unberechenbarer ist sie geworden, abgründiger, gefährlicher. „Wenn er gewählt wird“, sagte gestern Morgen um eins in der Talkshow ein Filmschauspieler, „was Gott verhüten möge, dann wird alles...“. Donald Trump aber ist gewählt worden. „Eine Revolution“, kommentierte Sonia Mikich gestern Abend in der ARD.

Wenn ich in diesem zeitlichen Fokus versuche, die Zusammenhänge zu bedenken,, die wir gehört und gesehen habe, dann brechen Fragen auf, immer wieder: nach ihm, dem anderen, den ich nur aus den Berichten über seinen Wahlkampf kenne und von dem, was er dabei gesagt hat. Und die Frage nach mir selbst, wie ich mich bei den Berichten und bei der Nachricht, gestern am frühen morgen, selbst frage und mich wiedererkenne in Appellen, gelassen zu bleiben und abzuwarten, zu akzeptieren, natürlich und die Hintergründe zu verstehen: Dass es so viele Menschen gibt, die sich ausgegrenzt und abgehängt sehen, so dass sie denken müssen, es denen da oben mal zeigen müssen. Gestern, dieser Tag, an dem wir uns daran erinnerten, wie die 1938 an diesem Tag die Synagogen gebrannt haben, und nichts war verhindert und verhütet worden. „Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen“, hatte Bonhoeffer gesagt, lässt fragen, wer schreit für andere und lässt das Glaubenslied Wahrheit werden. „Nun danket alle Gott“: das hatten wir an diesem Tag. wie und wo auch immer auch gesungen, weil wir uns zugleich daran erinnert haben, wie am 9.11. 1989 die Mauer in Berlin gefallen und darauf in unserem Land die Zäune gefallen sind: behütet sind wir gewesen. Und dankbar. Und den Mut und die Entschlossenheit deren bewundernd, die darauf bestanden hatten: „Wir sind das Volk“. Immer werde ich diese Sprechchöre, diese Rufe hören. Und auch das Lied des Glaubens.„Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte“(Ps. 103,8).

Vielleicht hatte Paulus dies Lied aus alter Zeit im Stillen gehört, als er zu seiner Zeit den Seinen, Juden und Griechen, gegensätzlich zumal, in Rom geschrieben hatte, worum es geht, am Ende der Zeit, in allem Ernst: „ O Mensch, kannst du dich nicht entschuldigen, wer du auch bist“. Oooo. So unmittelbar ansprechend und herausfordernd, so sehr sich auch abschwächend und im Lauf der Zeit verlierend diese Verlautung Oooo ist, so unmittelbar richtet sie das Wort an mich. Ausflüchte sind unmöglich. Ich kann den, der mir in meiner Zeit gegenüber tritt, nicht mit meinen Worten benennen. Muss bei mir bleiben, wenn mich der ndere in den Gedanken, in in der Verwirrung der Wut und der Angst heute einholen will.

Weiß eigentlich gar nichts von ihm, nur das, was man so gelesen und gehört und in Aufzeichnungen gesehen hat. Seinen Weg kenne ich aus dem Internet, nicht gerade aus einer einfachen Familie, sondern aus der eines Immobilienbesitzers, seine ökonomischen Erfolge, die nicht nur zu einem goldverglasten Skyliner in Manhattan führten, zu Immobilien weltweit und zu erfolgreichem reality-tv,- shows: strahlend starker Blick auf Dschungelcamps. Holt mich hier raus. Seine Worte aus dem Fernsehen und aus der Zeitung: die Forderung der Mauer gegen Mexiko, auf der Veranstaltung in rhythmischer, dreimaliger Wiederholung erhoben (wie war es bei uns gewesen mit dieser Parole von einem Volk und Reich usw.), und seine Frage, wer es bezahlt- die unter ihm begeistert im Chor : „Mexiko“- die anderen also (wie war es in der Zeit meiner Eltern gewesen, bei solchen Redenß); wie er geredet hat über Frauen und von Männergesprächen in der Umkleidekabine, wie er geredet hat über Behinderte, und über die, die nicht so sind wie er, also weiß. Wie der Staat zu mehr Geld kommen soll, indem die Steuern aller, also auch und vor allem der Reichen gesenkt und der Handel abgeschottet werden soll. Wie er rechtsgültige Verträge aufkündigen will. Wie Atomwaffen weitergegeben werden können. Wie jeder das Recht haben soll, eine Waffe zu tragen . „Make America great again“. Das ist die Erzählung des Wilden Westens. Die Landnahme durch Vertreibung der Ureinwohner und schrankenlose Ausbeutung der Natur.

Und der ist nun gewählt.

Unsere Bundeskanzlerin hat deshalb gestern Morgen erklärt: „Wer dieses große Land regiert, mit seiner gewaltigen wirtschaftlichen Stärke, seinem militärischen Potential, seiner kulturellen Prägekraft, der trägt Verantwortung, die beinahe überall auf der Welt zu spüren ist. Die Amerikanerinnen und Amerikaner haben entschieden, dass diese Verantwortung in den nächsten vier Jahren Donald Trump tragen soll. Deutschland und Amerika sind durch Werte verbunden: Demokratie, Freiheit, den Respekt vor dem Recht und der Würde des Menschen, unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion, Geschlecht, sexueller Orientierung oder politischer Einstellung“. Es ist gut, dass sie dieses so gesagt hat. Öffentlich und und offiziell. Denn es geht in der Zeit um Grundeinstellungen, die sich nicht hinterfragen lassen dürfen. Schaffen wir das?

Deshalb greift Paulus auf das zurück, was bereits vor ihm allen gesagt worden ist: Wie der Herr bei dem Auszug aus der Sklaverei seinem Volk sich sich selbst, seine Gnade, seine Geduld und sein Recht zu erkennen gegeben hat(Ex 34,6ff). Wie der Mensch aus dem, was ihm gesagt worden ist, erkennen kann, was gut ist und was der Herr fordert (Micha 5,8). Wie der Mensch verantwortlich ist für die Folgen seines Tuns (Ps62,13). Also: „Weißt du nicht, dass dich Gottes Güte zur Buße leitet“ (Röm.2,4)?

Also: Was weiß ich noch aus der Zeit, in der ich in Hannover, ausgestattet mit Knallplätzchen-Pistole, und selbstgeschnitzen Pfeil und Bogen, auf Trümmergrundstücken zum Spielen gegangen war, natürlich Cowboy und Indianer? „Iß, dass du groß und stark wirst“, hatte die Mutter gesagt. Auf dem Tisch in der Stube war das geöffnete Care-Paket. „Das kommt aus Amerika“. „Kennen die uns“? „Nein. Aber sie helfen uns“. In dieser Zeit wurde in Darmstadt dieses öffentlich bekannt: „Wir sind in die Irre gegangen, als wir meinten, eine Front der Guten gegen die Bösen, des Lichts gegen die Finsternis, der Gerechten gegen die Ungerechten im politischen Leben und mit politischen Mitteln bilden zu müssen. Damit haben wir das freie Angebot der Gnade Gottes an alle durch eine politische, soziale und weltanschauliche Frontenbildung verfälscht und die Welt ihrer Selbstrechtfertigung überlassen“.

 

Nochmals: Also. Wenn ich in diesen Tagen in den Gedanken hin und her auf den anderen fixiert bin, auf den, den ich zu kennen glaube, aber nicht kenne - ; dann wird es die Aufgabe sein, bei mir selbst zu bleiben, sich nicht auf der holzschnittartigen Selbstgewissheit von Gut und Böse, Weiß und Schwarz auszuruhen, sondern an mir zu arbeiten und zu erkennen, wie die geheime, narzistische Sehnsucht, selbst groß zu sein und die anderen zu bestimmen, mich beherrscht. Dieses beifällige Lächeln, wenn ein Herrenwitz erzählt wird: Kommt eine Frau zum Arzt... Diese Selbstverständlichkeit, mit der sich der Bekanntenkreis zusammensetzt, die Frage aber, warum die Freundschaft mit dem Studenten aus Afrika abgebrochen ist, sich nicht einstellen will. Diese Sehnsucht, von möglichst vielen, ja eigentlich von allen gesehen und gehört zu werden, um zu zeigen, wo es lang geht, mithin die Sehnsucht nach einem Podium, nach großer Bühne oder steiler Kanzel; ja auch der eigene Gedankenflug, der gerne zu vorgerückter Zeit aufsteigt und die gerade in Deutschland erzählte Idee vom absoluten Ich aufnimmt, das einem Freiheitsraum der Selbstverwirklichung enden möchte ohne die Annahme eines anderen, der größer ist und der mir Grenzen setzen könnte. Denn das würde ja kränken.

Aber: Der ist da, mit seinem Willen und Gebot. Und nicht nur meinem Wunsch, er möge Schlimmes verhüten. Er ist der Andere, der mir gegenübertritt und mir ins Gesicht sagt, dass ich herunterkommen muss. Nicht auftrumpfen. Sondern: sich ändern.

Es liegt Zeit vor uns. Der Sonntag wird kommen. Der Mittwoch, der Bußtag, auch. Und der Advent. Können wir unsere Zeit nutzen, uns in diese in diese Geschichte einzutragen, in der erzählt wird, wie der, der anders ist, unten auf der Straße einher kommt. Zachäus aber, er könnte auch Donald heißen, denn er war sehr reich, oder auch Wolfgang, will nach oben, sitzt auf hohem Ast. Jesus aber holt ihn herunter, um mit ihm, gerade mit ihm, dem Sünder, zu essen. Keiner wird je erfahren, was in dem geschlossenen Raum der Begegnung gesagt worden ist. Es ist die Begegnung mit dem Anderen, die ihn verändert. Er sagt, das er die Hälfte seines Besitzes den Armen gibt denen, die er betrogen hat, das Vierfache zurück.

Ja, ist möglich, anders zu werden.. Mit der Armut unserer Zeit sind wir konfrontiert. Denn wir stehen ihm immer gegenüber. Er will uns leiten, frei geben zu können, statt zu klammern. Aus Güte, aus seiner Güte zu leben: Das ist der Weg, der zusammenführt.

Amen

 

 



Pastor Wolfgang Petrak
Göttingen
E-Mail: w.petrak@gmx.de

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