Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Ewigkeitssonntag / Totensonntag, 20.11.2016

Predigt zu Matthäus 11:25-30(dänische Perikopenordnung), verfasst von Margrethe Dahlerup Koch

Es wird oft gesagt: ”Die Kirche muss mit der Zeit gehen”. Und noch öfter: „Die Kirche ist nicht zeitgemäß“. Alles geht einfach zu langsam hinter den dicken Mauern. Die sind da drin altmodisch. Der Gottesdienst ist merkwürdig unzeitgemäß.

Da ist ja etwas dran. Es geht hier nicht so schnell. Die Konfirmanden machen ab und zu darauf aufmerksam, dass man z.B. das Glaubensbekenntnis doppelt so schnell sprechen könnte, die Lieder könnte man schneller singen – und müssen es immer alle Strophen sein, wie man das in Dänemark tut? Könnte man nicht alles etwas effektiver und schneller gestalten? Ja, das könnte man wohl. Aber wenn wir es im Gottesdienst etwas langsamer angehen lassen, so liegt das einfach daran, dass das, was wir tun, wichtig ist. Wenn man auf der Straße geht und versucht, an etwas Wichtiges zu denken, geht man unwillkürlich langsamer. Vielleicht steht man sogar still, um ordentlich nachzudenken. Das Gespräch fördert das Verstehen. Langsamkeit hemmt das Vergessen. Weil wir Gottesdienst halten, um an das Wichtigste zu denken, den Ausgangspunkt und das Grundlegende, drosseln wir das Tempo hier drin, und die Zeit wird eine andere. Ruhiger, werden einige sagen, langweiliger, meinen andere.

Also nein, die Kirche soll nicht mit der Zeit gehen. Denn die Zeit hier im Haus soll besser sein – wir haben hier viel Zeit. Aber nicht nur deshalb. Die Kirche kann gar nicht mit der Zeit gehen, denn die Zeit der Kirche liegt immer vor uns. Wie langsam es auch hier drinnen zugeht, die Kirche bleibt nicht hinter der Zeit zurück, sie ist ihrer Zeit voraus.

Das wird heute deutlich. Es ist der letzte Sonntag im Kirchenjahr. Heute trennen sich Kirchenjahr und Kalenderjahr. Im Kalenderjahr sind es noch 6 Wochen, aber das Kirchenjahr endet jetzt und beginnt neu am nächsten Sonntag, dem ersten Advent.

In dieser Weise wird deutlich, dass der Gott, um den wir uns hier in der Kirche versammeln, um von ihm und über ihn zu hören, uns immer vorangeht. Die Finsternis, der Winter und die immer kürzeren Tage sind gerade der Horizont des Kalenders. Der Horizont des Kirchenjahres ist ein ganz anderer. Ein neuer Beginn, die Geburt, die sich ankündigt, die Freude, die zur Weihnacht geboren wurde. Dass das Kirchenjahr immer einen Schritt voraus ist vor unserem Kalenderjahr, macht deutlich, dass wir in unserem Alltag immer die Forderung Gottes vor uns haben, die Treue und die Barmherzigkeit Gottes gegenüber uns und vor uns. Dem gehen wir entgegen. Immer. Auch wenn sich die Dunkelheit um uns schließt.

Die Kirche kann nicht mit der Zeit gehen. Aber etwas anderes ist es, dass die Kirche in die Zeit sprechen soll. Denn hier in der Kirche soll vom dem Gott verkündigt werden, der Weihnachten in unsere Zeit ging, als Jesus geboren wurde. Die Kirche ist zwar ein altes Haus, aber sie ist kein Museum. Sie ist der Ort, wo der Gott zu uns spricht, der noch lebt. Zu uns spricht von dem Leben, das wir leben und von der Welt, in der wir leben. Jetzt.

Und das, was heute gesagt wird, ist genauso aktuell wie einst, als die Worte vor etwa 1930 Jahren niedergeschrieben wurden. „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken“. Alle, die die wir müde sind und schwere Lasten tragen, davon gibt es heute nicht weniger.

Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken“. Mit diesen Worten Jesu schließt das alte Kirchenjahr. Und wir wissen jeder für sich, worin die Lasten bestehen. Womit wir uns im Laufe des vergangenen Jahres herumgeschlagen haben. Einige der Lasten sind neu. Das letzte Jahr in dieser Zeit, wir haben nicht geahnt, dass wir die Trauer, die Scham, die Furcht zu tragen hatten.

Und einige der Lasten sind alt - davon werden sie nicht unbedingt leichter. Die Zeit heilt nicht alle Wunden, und die Zeit bewirkt auch nicht, dass alle Lasten leichter zu tragen sind. Alte Verwundungen, Schuld, von der nie gesprochen wurde, die Sehnsucht nach denen, die man längst verloren hat.

Und dann ist da all das, wofür man sich schämt. Die Furcht, dass man nicht gut genug ist. Die Furcht, dass das Geld nicht reicht. Der schwache Körper oder die Psyche. Die Trauer über das, was man nicht bekommen hat. Bitterkeit, die man nicht loswird.

Es kommt so viel auf einen zu. Und Jesus verspricht nicht, dass wie diese Lasten loswerden. Er verspricht nicht, dass wir sie ablegen können und ohne sie weitermachen können. Er verspricht nicht, die Lasten zu übernehmen. Er tut etwas anderes: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken“, sagt er. Aber er gibt uns nicht die Ruhe, die darin besteht, dass wir all das loswerden, was schwer und leidvoll ist. Nein, die Erquickung, von der Jesus spricht, besteht darin, dass wir sein Joch auf unsere Schultern nehmen. „Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir“, sagt er, „so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen“.

Statt unsere Lasten zu übernehmen, gibt er uns etwas anderes, das wir tragen sollen: Sein Joch.

Aus irgendeinem Grund verstehen wir in der Regel dies, dass uns sein Joch auferlegt wird, als etwas Negatives. Aber in Wirklichkeit verhält es sich ja um gekehrt. Ein Joch ist ein Mittel etwas zu tragen. Das Joch verteilt die Last auf den Schultern, so dass man die Last tragen kann, ohne unter ihr zusammenzubrechen. Das Joch macht es möglich zu tragen. Und deshalb ist das, ein Joch auferlegt zu bekommen, in Wirklichkeit Ausdruck für Hilfe und Kraft, das zu tragen, was man tragen soll.

Aber das Joch Jesu? Was gibt uns Jesus, das es uns ermöglicht, das zu ertragen, was wir tragen müssen? Das ist seine Art und Weise zu leben, zu sehen und zu glauben. Das Leben und die Sicht und der Glaube, die das Reich Gottes wiedererkennt – nicht als ein Ort im Blauen, sondern als eine Art und Weise, zusammen zu leben. Wo Barmherzigkeit erwiesen wird, wo es keine Gleichgültigkeit gibt. Wo die Verwandlung geschieht. Wo Hoffnung entsteht und Mut zum Leben langsam emporquillt. Wo der Weinende gehört wird, und der, der sich freut, seine Freude teilt.

Das Joch Jesu, seine Tragkraft – das ist der Blick dafür, dass das Reich Gottes nahe ist, so wie es in der allerstersten Predigt Jesu gesagt ist. Das Joch Jesu – das ist sein Glaube daran, dass das Reich Gottes hier ist und auf dem Wege, dass es uns entgegenkommt. Denn Gott ist immer vor uns. Gott verlässt nie einen Menschen, und er lässt uns niemals in Ruhe. Gott will uns. Und deshalb ist Gott eine ewige Störung. Ein Stein in den Schuhen, mit denen wir ansonsten gut meinen geradeaus gehen zu können. Ein Fleck auf unseren polierten Fassaden. Und eine Hand in der Finsternis und dem Zweifel, wo wir ganz allein sind und nur wir selbst.

Dein Reich komme“, beten wir in dem Gebet, das Jesus uns gelehrt hat, und das uns daran festhält, dass es etwas gibt, das kommt, das schon unterwegs ist und schon geschieht. Das Reich Gottes: Störung und Überraschung. Verwandlung und Erlösung für all die Unmündigen, Müden und Beladenen. Neue Forderungen und neue Kräfte. Wintersonne und frostklarer Morgen. Amen

 



Pastorin Margrethe Dahlerup Koch
DK-6950 Ringkøbing
E-Mail: mdkoch(at)mail.dk

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