Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

2. Advent, 04.12.2016

Auf dem Weg zu einem neuen Himmel und einer neuen Erde
Predigt zu Matthäus 24:1-14, verfasst von Dieter Splinter

Und Jesus ging aus dem Tempel fort, und seine Jünger traten zu ihm und zeigten ihm die Gebäude des Tempels. Er aber sprach zu ihnen: Seht ihr nicht das alles? Wahrlich, ich sage euch: Es wird hier nicht ein Stein auf dem anderen bleiben, der nicht zerbrochen werde.

Und als er auf dem Ölberg saß, traten seine Jünger zu ihm und sprachen als sie allein waren: Sage uns, wann wird das geschehen? Und was wird das Zeichen sein für dein Kommen und für das Ende der Welt? Jesus aber antwortete und sprach zu ihnen: Seht zu, dass euch nicht jemand verführe. Denn es werden viele kommen unter meinem Namen und sagen: Ich bin der Christus, und sie werden viele verführen. Ihr werdet hören von Kriegen und Kriegsgeschrei; seht zu und erschreckt nicht. Denn das muss so geschehen; aber es ist noch nicht das Ende da. Denn es wird sich ein Volk gegen das andere erheben und ein Königreich gegen das andere; und es werden Hungersnöte sein und Erdbeben hier und dort. Das aber ist der Anfang der Wehen. Dann werden sie euch der Bedrängnis preisgeben und euch töten. Und ihr werdet gehasst werden um meines Namens willen von allen Völkern. Dann werden viele abfallen und werden sich untereinander verraten und werden sich untereinander hassen. Und es werden sich viele falsche Propheten erheben und werden viele verführen. Und weil die Ungerechtigkeit überhandnehmen wird, wird die Liebe in vielen erkalten. Wer aber beharrt bis ans Ende, der wird gerettet werden. Und es wird gepredigt werden dies Evangelium vom Reich in der ganzen Welt zum Zeugnis für alle Völker, und dann wird das Ende kommen.

 

I.

Liebe Gemeinde!

Eine Gedenktafel an der Habsburgerstraße, Ecke Rheinstraße, vermeldet: „Ehemaliger Standort des ersten eigenen Kirchenbaus der seit 1806 in Freiburg entstandenen evang. Gemeinde. Die Ludwigskirche, benannt nach dem badischen Großherzog Ludwig, wurde 1944 beim großen Luftangriff auf Freiburg zerstört...“.  Das geschah damals am 27. November. Der Angriff dauerte etwa zwanzig Minuten. Danach lagen große Teile der Freiburger Innenstadt in Schutt und Asche. Auch die einstige Ludwigskirche war völlig zerstört. Kein Stein stand mehr auf dem anderen.

„Und Jesus ging aus dem Tempel fort, und seine Jünger traten zu ihm und zeigten ihm die Gebäude des Tempels. Er aber sprach zu ihnen: Seht ihr nicht das alles? Wahrlich, ich sage euch: Es wird hier nicht ein Stein auf dem anderen bleiben, der nicht zerbrochen werde.“

Lange vor dieser Ankündigung war es anders gewesen. Nicht bloß was den Tempel zu Jerusalem anbelangt, auf den sich die Worte Jesu ursprünglich beziehen. In Freiburg etwa hatten viele zusammen geholfen, damit der Bau des ersten evangelischen Gotteshauses in dieser Stadt möglich wurde: die Bürgerschaft, darunter auch Katholiken, und der Großherzog selber. Bei der Einweihung der ersten, der alten Ludwigskirche am 26. Juni 1839 war eine Delegation des Domkapitels des Freiburger Münsters im Gottesdienst anwesend. Die Herren des Domkapitels hörten, was der damalige Pfarrer (Eisenlohr hieß er) ihnen und der Gemeinde sagte:  „Nein, wir vergessen es nicht, daß die christliche Bruderliebe es war, welche zur Erbauung dieses Tempels... den ersten Grund gelegt hat. Wir vergessen es nicht, daß  er auch in seiner erneuerten Gestalt das, was er früher war, ein Tempel der Liebe und der Eintracht, eine Pflanzstätte wahren christlichen Sinnes ein soll!“ (Pfarrer Eisenlohr erinnerte mit diesen Worten daran, dass die erste Ludwigskirche mit Steinen aus der ehemaligen Klosterkirche Tennenbach, östlich von Freiamt gelegen, errichtet worden war.)

Hundert Jahre später - 1939 - war Vieles vergessen.  Die Ungerechtigkeit hatte überhand genommen. Die Liebe war in vielen erkaltet. Viele falsche Propheten hatten sich erhoben und viele verführt. Einer war gar wie ein Messias aufgetreten, hatte „das Heil“ versprochen und es mit seinem Namen verbunden. Was dann kam war unendliches Unheil. Und zuletzt ein Ende mit vielen Schrecken.

II.

Die Worte, die der Evangelist Matthäus überliefert, waren in dieser Stadt und in unserem Land einmal erschreckend aktuell. Anderswo sind sie es heutzutage wieder.  Wir „hören von Kriegen und Kriegsgeschrei“ in Aleppo und Mossul. Wir hören von Hungersnöten in Kriegsgebieten, von Unterversorgung in Flüchtlingslagern. Wir erfahren von Erdbeben wie jenen in jüngst auf Neuseeland oder in Italien. Christen werden anderswo bedrängt und  verfolgt oder gar von Islamisten ermordet. Und ja, es treten etliche politische Propheten auf, die das Heil in der Rückkehr zum Nationalismus sehen. Viele lassen sich erneut von ihnen verführen. Andere sind ratlos. Etliche voller Angst. So manche religiöse Gruppierung geht mit der Angst vor dem Weltuntergang auf Mitgliederfang.

Längst hat sich die Filmindustrie des Themas angenommen. Da bewirkt dann eine Klimakatastrophe eine neue Eiszeit. Da wird der Fortbestand der Menschheit von Außerirdischen bedroht. Da rast ein riesiger Meteorit auf die Erde zu. Wenn er einschlägt, wird die Welt untergehen. In der Regel gibt es in diesen Filmen dann einen oder mehrere Helden, der oder die den Untergang abwenden. Sind die Worte Jesu, die Matthäus überliefert, ähnlich optimistisch?

III.

Zunächst empfehlen die Worte, die wir hier miteinander bedenken, nüchtern zu sein und es zu bleiben. Macht Euch über Euer  Dasein keine Illusionen!  Dazu raten diese Worte. Wir Menschen sterben noch den Kriegstod, den Hungertod, den Verkehrstod, den Krebstod, den Infarkttod, den Tod in einer Naturkatastrophe. Wir schreien noch. Wir weinen noch. Wir hoffen noch auf Erlösung. Die Orte wechseln, die Schrecken bleiben.

Keine Illusionen zu haben, ist aber noch lange kein Trost. Der kommt anders auf. Der Text spricht davon, dass die Schrecken dieser Welt wie Wehen einer Geburt sind.  Das ist ein kühnes Bild. Ich habe eine Reihe von Frauen, die alle mehrere Kinder geboren haben, nach ihrer Erfahrungen bei ihren Geburten gefragt. Alle sprachen davon wie schmerzhaft das Gebären gewesen sei. Eine sagte: „Wenn das einmal mit den Wehen angefangen hat, dann gibt es kein zurück mehr. Am Ende ist man froh, wenn alles vorbei ist und man endlich das Kind im Arm hat.“ Eine andere Frau, Mutter von vier Kindern, meinte: „Ich wusste nach einer Wehe: die ist jetzt vorbei und hat mich näher zum Kind gebracht.“   Alle Frauen sagten wie überglücklich sie gewesen seien dann endlich das Neugeborene im Arm zu halten. Eine Frau fasste es in diese Worte: „Ich wusste vor lauter Freude nicht, ob ich zuerst weinen oder lachen sollte.“

„Denn es wird sich ein Volk gegen das andere erheben und ein Königreich gegen das andere; und es werden Hungersnöte sein und Erdbeben hier und dort. Das aber ist der Anfang der Wehen.“

Das ist ein kühnes, ja schier unglaubliches Bild: Erdbeben, Hungersnöte, kriegerische Auseinandersetzungen mit Wehen, mit der Geburt einer neuen Welt in Verbindung zu bringen. Wer sich inmitten von Schrecken findet, kann das wohl kaum nachvollziehen.  Manchem mag so das Bild von den Wehen vielleicht sogar reichlich zynisch vorkommen. Gleichwohl hält das Neue Testament daran fest, dass wir unterwegs sind zu einem neuen Himmel und einer neuen Erde. - Und Gott einmal abwischen wird alle Tränen und der  Tod nicht mehr sein wird, noch Leid, noch Geschrei, noch Schmerz. Die Evangelien nennen diesen neuen Himmel und diese neue Erde Reich Gottes.

Dieses Reich Gottes können wir nicht selber machen. Doch wir können Zeichen setzen für einen neuen Himmel und eine neue Erde: mit „Brot für die Welt“ den Hunger bekämpfen, mit Spenden den Menschen helfen, die von Naturkatastrophen - wie jüngst auf  Haiti - betroffen sind. Und vor allem können wir ein Zeichen dadurch setzen, dass wir den vermeintlichen Heilspropheten nicht auf den Leim gehen.

IV.

„Und weil die Ungerechtigkeit überhandnehmen wird, wird die Liebe in vielen erkalten. Wer aber beharrt bis ans Ende, der wird gerettet werden. Und es wird gepredigt werden dies Evangelium vom Reich in der ganzen Welt zum Zeugnis für alle Völker, und dann wird das Ende kommen.“

So enden die Worte Jesu. Wenn die Ungerechtigkeit überhand nimmt, erkaltet die Liebe in vielen. Aber sie erkaltet nie in allen. Wer beharrlich in der Liebe bleibt, der wird auch erleben, dass die Schrecken ein Ende haben. Wer in der Liebe bleibt, der kann erleben, dass neues Leben entsteht.

Die alte Ludwigskirche steht nicht mehr.  Sie wurde zerstört. Kaum ein  Stein blieb auf dem anderen. Die Liebe war in vielen erkaltet. Aber nicht in allen. Und auch damals wurde das Evangelium verkündet, dass Gott einmal abwischen wird alle Tränen und er selbst aus  bösen Taten Gutes erwachsen lassen kann. Auf stumme Weise und doch sehr beredt erinnert diese Kirche daran.  In das Mauerwerk dieser Kirche sind Steine aus der alten Ludwigskirche eingelassen worden. Und der Sockel der Kanzel, auf der ich stehe, war schon als Teil einer Säule in der alten Ludwigskirche vorhanden.

So lange wir uns als christliche Gemeinde in dieser Kirche zum Gottesdienst versammeln, so lange auf dieser Kanzel jemand steht, um das Evangelium zu verkünden, wird die Liebe unter uns nicht erkalten. Und so lange wird auch die Kunde laut werden, dass Gott dabei ist, für uns Menschen einen neuen Himmel und eine neue Erde in diese Welt zu bringen. Und so bewahre sein Friede, welcher höher ist denn all unsere Vernunft, unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus, unserem Herrn  - jetzt und allezeit. Amen.



Pfarrer Dr. Dieter Splinter
Freiburg i.Br.
E-Mail: dieter.splinter@ekiba.de

(zurück zum Seitenanfang)