Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

2. Advent, 04.12.2016

Predigt zu Lukas 21:25-36 (dänische Perikopenodnung), verfasst von Margrethe Dahlerup Koch

Das ist ja nicht richtig. „Dies Geschlecht wird nicht vergehen, ehe die Erde untergeht, der Menschensohn gekommen ist und das Reich Gottes in all seinem Glanz und seiner Herrlichkeit angebrochen ist“. Lukas schreibt, dass Jesus dies gesagt hat. Aber das war ja schon falsch, als es Lukas niederschrieb. Denn Lukas gehörte der Generation nach Jesus an. Er hatte ja mit den eigenen Augen gesehen, wie „dieses Geschlecht“, die Zeitgenossen Jesu, starben. Und Jesus war nicht wiedergekommen. Und die Welt war nicht untergegangen. Aber warum schrieb der Mann dies? Ja weil er wohl meinte, dass es trotzdem wahr ist. Weil er meinte, auch wenn es keine welthistorische Wahrheit war, so war es dennoch wahr. Weil es eine persönliche Wahrheit für jeden Menschen ist.

Der Untergang der Welt steht nahe bevor. Wenn wir es wagen, nachzudenken. Es handelt nicht von einem entgegenkommenden Fahrzeug, das auf unsere Seite wechselt. Es kann in vielen anderen Weisen geschehen, dass das Bekannte und Vertraute zerbricht. „Du bist leider einer von denen, die wir entlassen müssen“. „Die Proben zeigten, dass es bösartig ist“. „Ich habe einen anderen gefunden“. „Wir können dir keinen Kredit geben“. Das sind ja so gesehen ganz gewöhnliche alltägliche Worte, aber zu mir persönlich gesprochen, machen sie einen großen Unterschied. Ehe sie gesprochen wurden, bestand meine Welt. Danach war sie untergegangen.

Man kann sich unterschiedlich zu der Erkenntnis verhalten, dass wir immer am Rande des Abgrundes leben. Da ist das Modell des „lebe, solange zu lebst“, das in unserer modernen Ausgabe sehr leicht zu einem atemlosen, hektischen Konsum ohne Rücksicht auf andere wird. Denn die anderen können es ja genauso machen. Ich bin selbst verantwortlich dafür, mir ein Leben zu schaffen, das so gut und glücklich wie möglich ist. Und so beschweren wir unsere Herzen – nicht nur durch Fressen und Saufen, wovon das Evangelium spricht, sondern sogar auch durch etwas so allgemein Verbreitetes wie Gier. Eine Gier, der wir uns hingeben auf Kosten anderer Menschen in unserem panischen Schrecken davor, etwas zu versäumen. „Ich habe nur dieses eine Leben“, sagen wir, wenn wir unser rücksichtsloses Verhalten rechtfertigen.

Aber man kann sich auch in einer anderen Weise zu der Erkenntnis verhalten, dass weder die Welt, die Zeit oder wir ewig existieren. Man kann auch die Erkenntnis seiner eigenen Begrenztheit anders verwenden als dazu, alles an sich zu raffen, solange es Zeit ist. Man kann die Erkenntnis auch dazu verwenden, sich brauchen zu lassen, die anderen anzunehmen, solange es Zeit ist. Das versuchte ein Mann im Jahre 1588 seinen Zeitgenossen beizubringen. Der Mann hieß Hans Christensen Sthen, er war Pastor in Malmø, das damals zu Dänemark gehörte. Vor einigen Jahren, 2012, war da jemand, der zu wissen meinte, dass die Welt am 21. Dezember dieses Jahres untergehen werde, weil ein alter mayaindianischer Kalender auslief. Im Jahre 1588 waren viele Menschen davon überzeugt, dass die Welt eben in diesem Jahre untergehen würde. Das war im Mittelalter prophezeit worden, und 1551 hatte jemand die alte Prophetie gefunden. In den Jahren bis 1588 wurde von vielen wunderlichen Ereignissen in ganz Europa berichtet – einige hatten Christus auf goldenen Wolken über Stockholm gesehen, in Norwegen hatte man einen Hering gefangen, auf dem merkwürdige Zeichen und Buchstaben zu sehen waren – kluge Leute meinten, der Hering kündige den Tod des Königs an. Und König Frederik II starb denn auch 1588. In Spanien rüstete König Philipp seine spanische Armada auf, eine riesige Flotte, die nach England zog, ermuntert durch die Prophetie, dass ein großes Weltreich 1588 untergehen werde. Und dieser Teil der Prophetie ging denn auch in Erfüllung. Das Imperium, das gerade in diesem Jahr zusammenbrach, war allerdings Philipps spanisches Imperium und nicht das englische, als die Armada bei einem Sturm im englischen Kanal unterging.

   In dieser ganzen Untergangsstimmung von Furcht, Hysterie, Krieg und „rette sich, wer kann“, setzt sich Sthen an seinen Schreibtisch und dichtet das Lied „Herr Jesu Christ, mein Heil du bist“. Ein Lied, das Strophe für Strophe ruhig und eindringlich Vertrauen darauf predigt, dass unser und der Welt Untergang in Gottes guten Händen ist. Der Gott, den Jesus uns gezeigt hat. Er, der uns tröstet, d.h. das erhitzte und überhitzte Gemüt kühlt, das dabei ist wie eine überhitzte Batterie zu schmelzen. Ja, Stress kannte man auch schon im 16. Jahrhundert. Und dann schließt Sthen mit einem Gebet darum, dass wir so mit Christus und mit einander leben können, dass es die Freude Gottes ist und nicht unsere eigene Angst und Sorge, in der wir sein und leben sollen. „Verleih, o Gott, dass auf dein Wort wir leben so zusammen, dass wir auch dich im Himmelreich mögn allzugleich anschaun mit Freuden! Amen“.

   Die Erkenntnis, am Rand des Abgrundes zu leben, soll uns nicht dazu verleiten, hektisch, ängstlich und gierig das Leben, die Zeit und die anderen an uns zu reißen. Im Gegenteil. Sie soll und so einem ruhigen Ernst und einer tiefen Freude darüber anleiten, dass wir leben und das Leben mit anderen teilen. Das predigt Sthen für sich selbst und uns in seinem Lied.

   Und er hat diese Predigt von unserem Herrn selbst. Jesus fordert zum selben Ernst und zur selben Freude auf, wenn er im Evangelium zur Wachsamkeit aufruft. „Seid allezeit wachsam“, sagt er. Wachsamkeit, das heißt aufmerksam sein und gegenwärtig im Augenblick. Und der, der wachsam ist und gegenwärtig, ist dies für andere. Das weiß ein jeder, der bei einem Kranken gewacht hat. Man hört, sieht und merkt in einer ganz besonderen Weise, wenn man wacht. Die Aufmerksamkeit konzentriert sich auf den anderen, den man unterstützen und dem man helfen will. So aufmerksam und gegenwärtig - sagt Jesus - soll das Leben gelebt werden.

Und – fügt er hinzu – „freut euch übrigens dann darüber, dass alles ein Ende hat“. Das ist eine tief provozierende Einstellung, die Jesus hier zeigt. Der Untergang ist nicht nur Ende und Tod. Er ist auch ein neuer Beginn, voll von Freude. „Wenn dieses anfängt zu geschehen, so sehet auf und erhebet eure Häupter darum, dass sich eure Erlösung naht“. Erlösung, davon sprechen wir ja sonst bei einer Geburt. Das ist und bleibt eine provozierend sorglose Art und Weise, vom Untergang zu reden. Nicht zuletzt für uns, die wir uns des Lebens freuen und uns nicht vorstellen können, wie wir es ertragen könnten, wenn etwas – oder jemand – von dem, was wir lieben aus unseren Dasein verschwinden würde.

   Ja, ja, wir wissen ja sehr wohl, dass das geschehen kann, dass ein Bruch notwendig ist, und dass dies mit der Zeit auch sein Gutes haben wird. Wir kennen die guten Geschichten von Menschen, deren Leben zerstört wurde, die aber in wundersamer Weise den Mut und den Willen zum Leben und die Liebe wiederfanden. Aber wir kennen auch abschreckende Beispiele für das Gegenteil. Menschen, die es nicht ertragen konnten. Menschen, deren Trauer und Verzweiflung immer tiefer werden, ohne dass dies sich jemals zu ändern scheint.

   So – verschreckt – klammern wir uns an das, was wir kennen und haben.

   Und doch können nicht anders als auf das zu hören, was Menschen 1.900 Jahre lang gehört haben. Dennoch können wir die eigenartigen Worte nicht abschütteln: Wenn dieses anfängt zu geschehen, so sehet auf und erhebet eure Häupter darum, dass sich eure Erlösung naht“.

   Wenn unsere Welt untergeht, ist Gott nahe, um uns mit etwas Neuem und Freudigem entgegenzugehen. Das ist noch immer eine Provokation. Aber man denke daran, ob dies nicht auch das einzige ist, an das wir in der Situation glauben können und worauf wir hoffen können.

Wir haben immer das Beste noch vor uns. Etwas Neues und Frohes wartet immer auf uns. Das ist der Kern in der Verkündigung des Christentums von dem Untergang und dem Tod der Welt und der Zeit und von uns.

   Denn er, der letzten Sonntag kam, reitend auf einem Esel, er kommt wieder. Wenn die Welt untergeht – jetzt und hier in unserem Leben mit einander – und dann, wenn der Tod uns einholt – dann gehen wir nicht der Finsternis entgegen, sondern Christus.

  Das hat er versprochen, und daran sollen wir uns selbst und einander festhalten und auch Gott, wenn die Untergänge unserer persönlichen Welt so alles zerstörend scheint, dass wir uns davon nicht mehr selbst erheben können.

Als Gott zur Weihnacht die Erde zu seiner Heimat machte, machte er auch seinen Himmel zu unserem Himmel. Wir sind Kinder der Erde und des allmächtigen Gottes, der da war und ist und der da kommt. Damit wir zusammen leben und an seiner Freude teilhaben können. Amen.



Pastorin Margrethe Dahlerup Koch
Ringkøbing
E-Mail: mdkoch(at)mail.dk

(zurück zum Seitenanfang)