Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Advent, 11.12.2016

Predigt zu Matthäus 11:2-10(dänische Perikopenordnung), verfasst von Jens Torkild Bak

In dem Kreis von Erzählungen, wie wir sie bei den vier Evangelisten finden, spielt Johannes der Täufer die Rolle als derjenige, der Jesus auf die Weltbühne einführt. Um ihn geht es, er ist der Erlöser, auf den ihr gewartet habt. Auf ihn sollt ihr hören – nicht auf mich, sagt Johannes der Täufer immer wieder zu den Leuten.

Und dann kommen ihm schließlich offenbar dennoch Zweifel an Jesus. War er nun auch der rechte Mann, denkt er, und er sendet durch seine Jünger eine Botschaft an Jesus, um ihn direkt zu fragen. Selbst kann er nirgends hingehen, denn Herodes hat ihn ins Gefängnis geworfen.

Was soll Jesus auf so eine Frage antworten: Bist du der, auf den wir gewartet haben? Das muss ja letztlich eine Frage des Vertrauens sein. Ganz gleich mit wie vielen Worten Jesus den Zuhörern beteuern und versichern würde, wer er ist, würde das nicht den Zweifel bei den Zweifelnden entfernen, vielleicht eher im Gegenteil. Entweder glaubt man einander, oder man zweifelt an einander – so ist das Leben nun einmal zwischen Menschen.

Jesus macht denn auch nicht den mühsamen Versuch, sich zu rechtfertigen. Zum einen wäre das nutzlos, zum anderen ist es in Wirklichkeit nicht so wichtig, sagt er. Wichtiger sind nämlich die Dinge, die um ihn herum geschehen. Wichtiger als er als Person ist dies, dass das Leben tatsächlich um ihn herum aufblüht – dort, wo er einhergeht und hinkommt. Und darauf verweist er, und er tut dies mit einem leicht abgewandelten Zitat aus einem berühmten alttestamentlichen prophetischen Text: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt, sie sind ja die, die es brauchen! Und selig ist, der nicht Ärgernis nimmt an mir.

Mit anderen Worten: Wenn jemand mehr daran interessiert ist, mich als Person zu verdächtigen statt sich zu dem zu verhalten, was ich sage und tue, kann man daran nichts ändern.

Johannes hat demütig von sich selbst weggewiesen – und auf Jesus gezeigt. Jesus seinerseits verweist auf das Leben, das um ihn herum erwächst. Das muss für sich sprechen.

Nun ist es nicht nur Jesus, der zu Diskussionen Anlass gibt. Dasselbe tut jede neue Pisa-Untersuchung, man sehe z.B. die Botschaften auf der Titelseite der dänischen Zeitung Information vom 1. Dezember. Die vermehrte Konkurrenz, der Gebrauch von Tests und die Standardisierung der Schule haben keinen Effekt. Andere behaupten das Gegenteil. Mit anderen Worten: Man kommt nicht darum herum, selbst Stellung zu beziehen.

Die Frage nach der Wahrheit des Evangeliums, und darum geht es ja hier, kann auch nicht in einer objektiven Weise entschieden werden. Die Wahrheit des Evangeliums – auch wenn dies am bequemsten wäre – lässt sich nicht durch eine bestimmte Lehre, einer vorliegenden Kircheninstitution oder der Geistlichkeit bestätigen. Denn die Wahrheit, von der hier die Rede ist, wird nur durch das bestätigt, was sie bei Menschen bewirkt. Wenn deshalb das Evangelium von der Gnade und Liebe Gottes einen Menschen von Finsternis und Verzweiflung, Misstrauen und Hoffnungslosigkeit befreit, wenn es die Menschen mit Hoffnung und Glauben erfüllt und mit einer neuen Lust zum Leben trotz Sünde und Tod erfüllt, ja dann hat das Evangelium nicht nur ein gutes Werk vollbracht, sondern es ist auch im Leben eines Menschen „wahr“ geworden. Deshalb macht Jesus sich nicht daran, einen hoffnungslosen und deshalb auch gleichgültigen Beweis dafür zu liefern, wer er ist, sondern er verweist auf den neuen Lebensmut für die Menschen durch sein Wort. Das muss für sich sprechen – für die, die hören wollen.

In einem evangelischen Zusammenhang ist die Wahrheit also kein Buch oder eine andere objektive Größe, womit man Länder und Völker terrorisieren kann, oder ein Instrument, mit dem man sich die Erde unterwerfen kann in einem Kampf der Zivilisationen gegeneinander.

Die Wahrheit des Evangeliums ist vielmehr das Leben, das das Evangelium von der Gnade und Liebe Gottes uns selbst und unserem Mitmenschen gibt. Und ob es dann auch wahr ist, kann uns nicht anders bestätigt werden als durch unseren persönlichen Glauben und das Leben in diesem Glauben. Weder Johannes der Täufer noch Jesus konnten die Wahrheit beweisen, die sie antrieb – und sie wurden beide schließlich hingerichtet, ohne dass dies notwendigerweise die persönliche Wahrheit weniger wahr machte.

Ich fand neulich in einer Bücherkiste H.C. Andersens Märchen „Die wilden Schwäne“ mit einem Vorwort und Zeichnungen von Königin Margrethe. Das ist ein interessantes und lehrreiches Märchen. Es handelt kurz gesagt von einer Prinzessin, der von der guten Fee vom Wolkenschloss der Fata Morgana eine Arbeit angewiesen bekommt, die sie ausführen soll, wenn sie ihre elf hochgeliebten unter unglücklichen Umständen verhexten Prinzenbrüder erlösen will. Aber sobald sie sich an die Arbeit macht und bis zu dem Zeitpunkt, wo sie sie abgeschlossen hat, auch wenn es Jahre dauert, darf sie kein einziges Wort darüber sagen, was sie im Gange hat, wie man heue sagt. Ja, sie darf kein einziges Wort sagen. Denn dann wären ihre Brüder für ewig verloren. Das bedeutet, dass sie keine Chance hat, sich ihrer Umgebung zu erklären. Ohne sich verteidigen zu können muss sie ertragen, dass ihr Verhalten und ihr merkwürdiges Tun zu allerlei Spekulationen Anlass geben. Der Bischof des Ortes – er vor allen anderen – beginnt sie gar auszuspionieren, und er kommt schnell zu dem Ergebnis, dass sie eine Hexe ist.

Es endet glücklicherweise gut. Kurz bevor sie ins das Feuer des Scheiterhaufens geworfen wird, wird die Arbeit fertig, das Mysterium aufgeklärt, die elf Brüder werden wieder zu kecken Prinzen, und es sind Heiratsglocken in der Luft.

Das ist nur ein Märchen, mit allem, was dazu gehört, aber die existenzielle Pointe ist ganz deutlich: Christlich gesehen steht und fällt die Wahrheit damit, dass sie geglaubt und gelebt und von dem einzelnen Menschen bewahrt wird. Das Evangelium von der Gnade und Barmherzigkeit Gottes, von Glaube und Hoffnung muss von uns selbst getestet und gelebt werden. Es wäre bequemer, wenn wir uns damit begnügen könnten, anderen die Wahrheit aus der Nase zu ziehen oder die richtigen Meinungen als Grundlage für Kritik an anderen zu benutzen oder dazu, uns selbst zu erklären und zu verteidigen, so dass uns die anderen das Verständnis entgegenbringen, das wir so sehr brauchen. Dass die Frage danach, was in einem konkreten Fall wahr ist und was falsch ist und verkehrt, auf einer persönlichen Entscheidung beruht, bedeutet ja auch, dass man genötigt sein kann, persönlich Standfestigkeit zu zeigen und sich auf die Sache zu konzentrieren. Statt wetterwendisch zu sein und mehr an seiner Position zu denken und seine Haut zu retten.

Und dies war übrigens auch nach Jesus kennzeichnend für Johannes den Täufer. Er ist ein Mann, der zu dem steht, woran er glaubt – und das Ergebnis dieser Kompromisslosigkeit ist bekanntlich, dass König Herodes ihn enthaupten lässt wegen all seiner Kritik an der Macht, und sein Haupt wird bei einem Fest im königlichen Palast auf einem silbernen Tablett serviert.

Nein, Johannes der Täufer war bestimmt kein „Rohr, das im Winde hin und her weht“, oder ein Dandy, der das sagt, was die Leute gerne hören wollen, und sich deshalb in jeder feineren Gesellschaft gut machte. „Ein Rohr, das im Winde hin und her weht“, das ist in der Tat ein sehr böses Bild. Man denkt dabei leicht an das eine oder andere aktuelle Ereignis, aber das ist natürlich nicht der Sinn. Ein Rohr, das im Winde hin und her weht, das beutet ja nur eine Person, die morgens seine aufrichtige Meinung sagt und am Mittag genau das Gegenteil, weil die ursprüngliche Meinung nun dem persönlichen Fortkommen in der Welt entgegensteht.

Die Wahrheit ist oft eine schwierige Angelegenheit, besonders wenn man zu ihr stehen soll.

Doch ist die Wahrheit nicht immer gleich schwer. Manchmal kommt sie nur zu uns als ein reinen Glück, das sich für uns im Leben offenbart – z.B. wenn ein Kind getauft wird – und wir nicht daran zu zweifeln brauchen, was wir tun sollen, sagen sollen, lieben, aufpassen. Amen.

 



Domprobst Jens Torkild Bak
DK-6760 Ribe
E-Mail: jtb@km.dk

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