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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Advent, 11.12.2016

Wüste, Wasser, Weisungen
Predigt zu Lukas 3:1-14 (15-20), verfasst von Dörte Gebhard

Gnade sei mit Euch von dem, der da ist, der da war und der da kommt. Amen.

 

Liebe Gemeinde

Johannes, der Täufer.

Ein herausfordernder Mensch.

Ein bewegtes Leben.

Hören Sie den Nachruf auf Johannes den Täufer, wie er von Lukas im 3. Kapitel seines Evangeliums verfasst wurde:

1 Im fünfzehnten Jahr der Herrschaft des Kaisers Tiberius, als Pontius Pilatus Statthalter in Judäa war und Herodes Landesfürst von Galiläa und sein Bruder Philippus Landesfürst von Ituräa und der Landschaft Trachonitis und Lysanias Landesfürst von Abilene, 2 als Hannas und Kaiphas Hohepriester waren, da geschah das Wort Gottes zu Johannes, dem Sohn des Zacharias, in der Wüste. 3 Und er kam in die ganze Gegend um den Jordan und predigte die Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden, 4 wie geschrieben steht im Buch der Worte des Propheten Jesaja (Jesaja 40,3-5): »Es ist eine Stimme eines Predigers in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn, macht seine Steige eben! 5 Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden; und was krumm ist, soll gerade werden, und was uneben ist, soll ebener Weg werden, 6 und alles Fleisch wird das Heil Gottes sehen.«

7 Da sprach Johannes zu der Menge, die hinausging, um sich von ihm taufen zu lassen: Ihr Otterngezücht, wer hat euch gewiss gemacht, dass ihr dem künftigen Zorn entrinnen werdet? 8 Seht zu, bringt rechtschaffene Früchte der Buße; und nehmt euch nicht vor zu sagen: Wir haben Abraham zum Vater. Denn ich sage euch: Gott kann dem Abraham aus diesen Steinen Kinder erwecken. 9 Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt; jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen.

10 Und die Menge fragte ihn und sprach: Was sollen wir nun tun? 11 Er antwortete aber und sprach zu ihnen: Wer zwei Hemden hat, der gebe dem, der keines hat; und wer Speise hat, tue ebenso. 12 Es kamen aber auch Zöllner, um sich taufen zu lassen, und sprachen zu ihm: Meister, was sollen denn wir tun? 13 Er sprach zu ihnen: Fordert nicht mehr, als euch vorgeschrieben ist! 14 Da fragten ihn auch Soldaten und sprachen: Was sollen denn wir tun? Und er sprach zu ihnen: Tut niemandem Gewalt noch Unrecht und lasst euch genügen an eurem Sold!

15 Als aber das Volk voll Erwartung war und alle dachten in ihren Herzen, ob Johannes vielleicht der Christus wäre, 16 antwortete Johannes und sprach zu allen: Ich taufe euch mit Wasser; es kommt aber der, der stärker ist als ich; ich bin nicht wert, dass ich ihm die Riemen seiner Schuhe löse; der wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen. 17 In seiner Hand ist die Worfschaufel, und er wird die Spreu vom Weizen trennen und den Weizen in seine Scheune sammeln, die Spreu aber wird er mit unauslöschlichem Feuer verbrennen. 18 Und mit vielem andern mehr ermahnte er das Volk und predigte ihm.

19 Herodes aber, der Landesfürst, der von Johannes zurechtgewiesen wurde wegen Herodias, der Frau seines Bruders, und wegen all des Bösen, das er getan hatte, 20 fügte zu dem allen noch dies hinzu: Er warf Johannes ins Gefängnis.                                                                         (Übersetzung: Lutherbibel 2017)

 

Liebe Gemeinde

Ein grossartiger Mann?

Kein Leben für ein Bilderbuch!

Übrigens schon lange vor seinem Tod nicht, lange bevor sein Kopf der Legende nach auf einem Präsentierteller von den Damen herumgereicht wurde.

Meine Ohren werden sogleich wund beim Hören. Muss ich mich beleidigen lassen, ich gehöre zur „Schlangenbrut“?  So heisst es in fast allen Übersetzungen! Oder, nicht herzlicher: Muss ich mich zum „Otterngezücht“ zählen lassen, wie es in der allerneuesten Lutherübersetzung 2017 widergegeben wird?!

Meine Ohren und Augen sind eigentlich längst und schon ziemlich lange wund: von den pausenlosen Nachrichten mehr oder weniger selbsternannter Heilsbringer, angejubelter Gernegrosse.

Ist unsere gegenwärtige Welt nicht erfüllt von schreienden, mächtigen Männern (und nicht weit von hier leider auch Frauen), die sich im Wesentlichen dadurch hervortun, dass sie möglichst viele andere beschimpfen, beleidigen und verunglimpfen? Es gibt sie unterdessen in West und Ost, in Süd und Nord, diesseits und jenseits der Ozeane:

- solche, die nicht nur glauben, den grössten Trumpf in der Hand zu haben, sondern es selbst zu sein,

- solche, denen vormalige Grenzen nichts bedeuten und Menschenleben dafür noch weniger,

- solche, die unter ‚Pressefreiheit’ eher die persönliche Freiheit zur Erpressung aller verstehen,

- solche, die das Schüren von Ängsten aller Art für das lukrativste Geschäft aller Zeiten halten,

- solche sogar, die den gemachten Ängsten Taten folgen lassen, die man in den schlimmsten Horrorfilmen nicht ansehen muss.

Die Liste ist schon zu lang, aber sehr unvollständig.

Sie krakeelen laut und schamlos gegen alles Bisherige. Als sei alles schon viel zu lange so, wie es gerade jetzt ist. Alles soll sofort und unbedingt aufhören, anders werden. Aber was kommen soll? Nichts Genaues weiss man nicht. Und gleichzeitig soll alles wieder so werden, wie es früher einmal war. Soll man das wirklich hoffen? Ich glaube, das ist ein Irrtum.

Echte Rücksicht-nahme fällt schwer, aber ein kurzer Blick in die Menschheitsgeschichte könnte es lehren, könnte aus den Fehlern zu lernen geben.

Die gegenwärtigen Potentaten unterscheiden nicht gross zwischen Fremden und Feinden, und sie sind leider auch nicht sehr wählerisch bei ihren Freunden.

 

Haben wir am 3. Advent 2016 nun noch zusätzlich einen wie Johannes, den Täufer, nötig? Mit seiner schroffen Erscheinung, seinem herben Tonfall?

Können wir unsere Kinder nicht ohne ihn taufen? Ohne seine Warnungen?

Mag er doch noch so lange schon der „vorauseilende Nachfolger“ (Christfried Böttrich) Jesu Christi sein!

Kurz: Muss er immer noch sein? Muss er auch noch sein?

 

Johannes, der Täufer, ist notwendiger als zuvor. Die Unterschiede offenbaren sich nicht einfach und nicht von selbst, aber sofort – bei näherem Hinsehen.

Johannes predigt und tauft in der Wüste. Er hat wahrscheinlich nicht nur wunde Ohren. Er hat wohl auch noch wunde Füsse, brennende Augen, vor allem aber ein wehes Herz.

Mehr noch: Er selbst lebt in der Wüste.

Wüste ist dort, wo eigentlich kein Mensch existieren kann, aber wo doch immer Menschen waren und manchmal lange blieben. In der Wüste hielten sich Menschen auf, die sich dem Zusammenleben in der Gemeinschaft entziehen mussten oder wollten. Sie war Zuflucht für Verfolgte und Flüchtlinge, Aufenthaltsort für von Ausgestoßene, Rebellen, Räuber und Nomaden. Auch ihnen begegnete man seinerzeit meist mit Misstrauen, Distanz und Verachtung.

Die Wüste ist überdies der Ort der rasch wechselnden Extreme: Kälte und Hitze, Hunger und Durst, völlige Verlassenheit und wilde Tiere ohne Zahl, der weite Horizont und die totale Aussichtslosigkeit, die Täuschung der Sinne und die Aufbietung aller verfügbaren, menschlichen Intelligenz, um zu überleben.

Johannes lebt schon im Diesseits auch jenseits. Jenseits der Zivilisation, jenseits des irdischen Strebens nach allem, was wir uns diesseits als wichtig einreden. Das kann nur mit Gottes Hilfe geschehen, kein Mensch kann das allein.

Johannes posiert nicht in unbequemen, goldenen Sesseln hoch über New York. Er kann erhobenen Hauptes dastehen. Er ist nicht von übermässigem Reichtum umstellt, beengt und bedrückt.

Er hat sich auch keinen gigantischen Tausend-Zimmer-Palast ins Naturschutzgebiet vor Ankara bauen lassen.

Er hält kein rotes Backsteingemäuer mit 20 Türmen für die goldene und einzige Mitte der Welt, die ihm allein gehört, wie schon unzählige Zaren vor ihm dauerhaft, aber vergeblich behauptet hatten ...

Er hält sich nicht für unsterblich, nicht für unersetzlich. Johannes beschreibt das Ende seiner Amtszeit auf eigenwillige, auf gottgegebene Weise:

Ich taufe euch mit Wasser; es kommt aber der, der stärker ist als ich; ich bin nicht wert, dass ich ihm die Riemen seiner Schuhe löse; der wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen.

 

Johannes ist anders.

Johannes lebt in der Wüste, und er zeigt, was das einzig Wichtige und Wesentliche, Notwendige dort ist: Wasser.

Wasserkraft, sicher nicht Atomkraft, wenn es sie damals schon gegeben hätte.

Er hat auch sonst nichts von dem,

was Menschen nicht beherrschen,

nicht auf lange Sicht beherrschen können,

nicht beherrschen können können – und bauen sie auch noch so geschwungene Sarkophage in ihre selbstgemachten Wüsten.

 

Wasser gibt es dort, nicht Angst aller vor allen, obwohl gerade das in der Wüste naheliegend wäre.

Wasser, auch nicht - noch mehr - Waffen.

Wasser, nicht neue Mauern und höhere Zäune. Die uralte Verheissung des Propheten Jesaja ist wahrer als die Baupläne im 21. Jahrhundert; damit Gott kommen kann, müssen Wege gebaut und geebnet werden.

 

Es ist eine Stimme eines Predigers in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn, macht seine Steige eben! 5 Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden; und was krumm ist, soll gerade werden, und was uneben ist, soll ebener Weg werden ...

Ein schlichter, aber ungewöhnlicher Gedanke: für Begegnung braucht es Wege.

Auf ebene Wege kommt es an, weder auf Mauern, noch auf Türme, noch auf Paläste. Selbstverständlich schon gar nicht auf Schützengräben, einsturzgefährdete Kriegsruinen, strahlende, aber gigantisch überwölbte Kraftwerksreste noch auf irgendetwas anderes,

was Menschen im Wege stehen könnte,

was Menschen in den Weg stellen könnten.

Ohne Wege auf der Welt wären wir Menschen bald einmal alle weg.

 

Liebe Gemeinde

Allmählich kommen wir Johannes auf die Spur, reihen wir uns ein in die Menge derer, die hinausziehen, um den Täufer zu hören. Die Wege sind offenbar geebnet! Das kann nur mit Gottes Hilfe geschehen, kein Mensch kann das allein.

Dort draussen ermahnt Johannes alle Damaligen und uns Heutige.

Streng und unerbittlich werden wir zurechtgewiesen. Wir sollen auf unsere Wurzeln und Früchte achten.

Wenn Wasser in der Wüste fliesst, kann man Wurzeln schlagen, können gute Früchte gedeihen.

Ermahnt werden alle, nicht nur die wenigen oben Geschilderten.

 

10 Und die Menge fragte ihn und sprach: Was sollen wir nun tun?

Ob wir unsere wesentlichen Fragen finden? Solche Fragen, die bei den Anfängen, bei der Wurzel beginnen und die Früchte, die Konsequenzen auch bedenken?

 

11 Er antwortete aber und sprach zu ihnen: Wer zwei Hemden hat, der gebe dem, der keines hat; und wer Speise hat, tue ebenso.

Ich nehme an, keiner weiss hier vom anderen exakt, wie viele Hemden er hat. Das ist gut so. Vielleicht weiss niemand von uns genau, wie viele Hemden er oder Blusen sie selbst besitzt. Das ist schon ein Zeichen von Reichtum, nicht erst goldene Möbel und Paläste aller Art! Die weiteren Berechnungen muss nun jeder selbst anstellen.

Johannes tritt gerade nicht auf und verspricht, dass er alles allein machen, schaffen, lösen, bessern und vollenden wird, sondern dass jeder bei sich selbst beginnen muss.

Johannes ist anders. 

Er verändert Menschen.

Aber das kann nur mit Gottes Hilfe geschehen, kein Mensch kann das allein.

 

 12 Es kamen aber auch Zöllner, um sich taufen zu lassen, und sprachen zu ihm: Meister, was sollen denn wir tun? 13 Er sprach zu ihnen: Fordert nicht mehr, als euch vorgeschrieben ist!

Die Hinweise des Johannes werden nur scheinbar immer simpler. Einfache, populistische Lösungen sind seine Sache nicht. 

Meidet das Mehr und das Immer-Mehr! Dann wird euch nichts mangeln.

Erkennt das vorgegebene, menschenfreundliche Maß! Strebt nicht nach unendlichem Mehr!

Der Mann, der täglich und nächtlich den Extremen der Wüste trotzt, verlangt gerade nicht, dass alle in der Wüste leben, im Gegenteil. Daran sind wahre Propheten zu erkennen: Auch wenn sie Unheil androhen müssen und es kommen sehen, leuchtet die Menschenfreundlichkeit dennoch zwischen den Zeilen heller als jeder Buchstabe schwarz auf weiss.

 

14 Da fragten ihn auch Soldaten und sprachen: Was sollen denn wir tun? Und er sprach zu ihnen: Tut niemandem Gewalt noch Unrecht und lasst euch genügen an eurem Sold!

Soldaten sollen wachen, um Gewalt zu verhindern. Und sie werden vorgestellt als mögliche Vorbilder für Genügsamkeit.

Genügsamkeit ist etwas aus der Mode gekommen, dass es wahrlich prophetisch ist, damit wieder von vorn anzufangen. Gerade jenseits der Wüste, im Diesseits der Welt.

Die Wege sind durch Johannes’ Weisungen geebnet.

Wir sind getauft und wissen, dass es auf das Wasser des lebendigen Gottes ankommt – in allen Wüsten dieser Welt.

Wir werden nicht sogleich und allesamt Heuschrecken zu Mittag knuspern, aber doch, wenn wir das nächste Mal Honig schlecken, an Johannes, den Täufer denken und die Verheissung inmitten all seiner Mahnungen nicht überhören:

 

Und alles Fleisch wird das Heil Gottes sehen.

Dem ist nichts hinzuzufügen.

So wird es nach Gottes Verheissung sein.

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, der stärke und bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus,                                 Amen.

 



Pfarrerin PD Dr. Dörte Gebhard
CH-5742 Kölliken/Aargau
E-Mail: doerte.gebhard@web.de

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