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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

4. Advent, 18.12.2016

„Wie die Jungfrau das Gespräch mit dem Engel führte“
Predigt zu Lukas 1:26-38, verfasst von Manfred Mielke

Liebe Gemeinde,

am kommenden Samstag feiern wir den Heiligen Abend, dem das Weihnachtsfest folgt. Denn Jesus wird geboren, der „Ausnahmemensch“1, nachdem er Gottes Vaterschoß verlassen hatte. Das besingt Paul Gerhardt so: „Heute geht aus seiner Kammer Gottes Held, der die Welt reißt aus allem Jammer!“2 Heute, am letzten Adventssonntag, gehen wir in Gedanken ein paar Monate zurück und hören von der Ankündigung der Schwangerschaft, von der uns der Evangelist Lukas so berichtet:

Im sechsten Monat (der Schwangerschaft Johannes des Täufers) wurde der Engel Gabriel von Gott nach Nazareth gesandt zur Maria, einer Jungfrau, die vertraut war mit einem Josef vom Hause David. Der Engel kam zu ihr hinein und sprach: Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mit dir! Sie aber erschrak über die Rede und dachte: Welch ein Gruß ist das? Und der Engel sprach zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria, du hast Gnade bei Gott gefunden. Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, und du sollst ihm den Namen Jesus geben. Der wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden…! Maria erwiderte dem Engel: Wie soll das zugehen, da ich doch von keinem Mann weiß? Der Engel antwortete: Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, das geboren wird, Gottes Sohn genannt werden… Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich. Maria aber sprach: Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast. Und der Engel schied von ihr. (Lk 1, 26-38, i.A.)

 

Liebe Gemeinde,

ich teile mit anderen Männern, die Väter geworden sind, diesen Moment, als die ärztliche Bestätigung der Schwangerschaft kam. Ich war perplex, in meiner Vorfreude sagte ich mir aber auch: „Naja, sind ja noch ein paar Monate!“ - Das ist euch Frauen, die ihr Mütter wurdet, bestimmt ganz anders „durch und durch“ gegangen. Noch anders wird es der Maria ergangen sein, die nicht nur eine Schwangerschaft vorab angekündigt bekam, sondern für ihr Kind auch noch den Namen und ein heilsgeschichtliches Programm. Was für eine frühe Prägung!3 Und so geht der Glaubenssatz: „geboren von der Jungfrau Maria“ mit mir mit. Als Kind hat er mich verzaubert, als Pubertierender bezweifelte ich ihn. Als werdender Vater habe ich um die Geschichte einen Bogen gemacht, als Student hilfreiche Deutungen gehört.

 

Doch mittlerweile spüre ich ein neues Interesse. Denn wir sind die Generation, in der sich verwirrende Möglichkeiten auftun für unfruchtbare Paare und Leihmütter, für gleichgeschlechtliche Eltern und Designerbabies.4 Ebenso sind wir auch die Generation, ab der eine „Überschattung“ wie Maria sie erfuhr, als übergriffig5 gilt. Wir haben unser Gottesbild so verändert, dass wir Maria in Schutz nehmen müssten. Und doch entdecke ich Einzelheiten in der Geschichte, die mich aufhorchen lassen. Zum Beispiel, dass Maria und der Engel aufeinander eingehen. Zumal die gesamte Konzeption wunderbar alternativlos ist:

Gott beruft uns als seine Kinder bereits vor unserer Geburt, in seiner Nachfolge dem Weltenjammer an die Wurzeln zu gehen.

 

Liebe Gemeinde,

ich höre dem Lukasbericht neu zu. Dabei entdecke ich, dass der Engel nicht nur einen Sack voller Befehle über Maria ausschüttet, sondern dass sich ein „hin und her“ zwischen den beiden entwickelt. Zunächst fällt mir auf, dass der Engel zu Maria eintritt. Er überschreitet bewusst eine Schwelle; was ihn zu der respektvollen Anrede veranlasst: „Du Begnadete“. Dann sticht hervor, dass Maria über diesen Gruß erschrickt. Sie kennt die Redewendung: „Sei gegrüßt“, aber bisher nur als Ankündigung für die erste späte Schwangerschaft greiser Frauen. Doch sie ist ja dem Joseph an-verlobt, sie hatte bisher und für die nächsten Jahre keinen Intimverkehr zu erwarten. Deswegen reagiert sie perplex und fragt in sich hinein: „Welch ein Gruß ist das?“ Eine innerliche und kluge Frage, die der Engel spürt. Daraufhin begrüßt er sie namentlich mit „Maria“ und mit den Worten des Auferstandenen: „Fürchte dich nicht!“ Noch einmal schafft er es, sich kurz zu fassen: „Du hast Gnade gefunden bei Gott!“ Pure Gnade - sola gratia - würde Martin Luther beipflichten. Aber nicht als „Füllstandsanzeige“, als sei sie „voll der Gnaden“, sondern als verliehene Kraft, die ihr das Austragen dieses Kindes ermöglichen wird. Und wie geht der Dialog weiter?

 

Einmal angekommen, überfliegt der Engel die nächsten Monate bis hin zur Ewigkeit so: „Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, und du sollst ihm den Namen Jesus geben. Der wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben, und er wird König sein über das Haus Jakob in Ewigkeit, und sein Reich wird kein Ende haben!“ Wie aber reagiert Maria darauf? Sie sagt: „Stopp! Zurück zum Anfang! Von einer Zeugung bin ich weit entfernt, sintemal ich von keinem Manne weiß!“ - Dieses Überspringen zurück auf den Anfang ermutigt mich seit jeher, Zweifelsfragen stellen zu dürfen - auch aus dem Bauch heraus. Maria wurde mir darin zum Vorbild.

 

Auf ihren Realismus geht der Engel ein. Er drückt ihr keinen Kalender in die Hand, auf dem sie den nächsten 24. März6 als Zeugungstag einzuplanen habe, neun Monate vor unserem Weihnachtsfest! Vielmehr antwortet der Engel präzise auf ihre Frage nach dem Kindsvater. Er eröffnet ihr das Wunder der Vaterschaft Gottes, wenn er sagt: „Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, das geboren wird, Gottes Sohn genannt werden!“ Schatten entstehen doch durch Wolken; zB. als Gottes Geist über der Chaosflut schwebte bei der Erschaffung der Welt, wenn eine Wüste fruchtbar wird, bei der Himmelfahrt Jesu Christi. Wolken und Schatten erklären nicht biologistisch, wie Gott zum Vater wurde und Maria zur Mutter. Wolken und Schatten vergewissern Maria, dass sie „von Gottes Geist eingehüllt und von seiner Schöpferkraft erfüllt“7 am Projekt des „zweigestammten Heldes“8 mitarbeiten wird. Bis dahin, dass Sie ihrem Kind den Jesus-Namen verleihen darf. Wolken und Schatten - was für eine anmutige9 Ermutigung!

 

Im zweiten Antwortteil gibt der Engel ihr ein nachprüfbares Beispiel mit: „Siehe, Elisabeth, deine Verwandte, ist auch schwanger mit einem Sohn, in ihrem Alter, und ist jetzt im sechsten Monat, von der man sagt, dass sie unfruchtbar sei.“ Und Maria besucht sie, die mehr als 6 Monate Vorsprung in Sachen unerwarteter Schwangerschaft hat. Sie versichern sich gegenseitig eines Gottes, der vor keiner Überraschung zurückscheut. Mit einem Augenzwinkern fügt der Engel noch hinzu: „Du weißt ja, bei Gott ist kein Ding unmöglich!“ Zwar wusste Maria aus ihrer Kinderbibel, dass die Ahnfrau Sara dies in Frage gestellt hatte, bevor sie und der alte Abraham den Isaak bekamen. Aber jetzt stellt der Engel Maria ja einer Ahnfrau gleich, vorrangig vor der David-Dynastie, fast als Mutter einer neuen Schöpfung.

 

Diese mehrfachen Wertschätzungen quittiert Maria mit der Empfangsbescheinigung: „Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast!“ Nachdem sie mit stillen und lauten Fragen den Engel ins Wort locken konnte, redet sie ihn mit „Du“ an - als Verbündeten, den sie brauchen wird bei der Stallsuche, bei der Flucht nach Ägypten und als Mutter des gekreuzigten Jesus auf Golgatha. Woraufhin der Engel über die Schwelle zurücktritt - genauso unspektakulär, wie er kam. (Deswegen verehren wir den Gabriel gerne weiterhin als Schutzpatron der Briefmarkensammler, Post-Zusteller, Müllmänner, Diplomaten, Radiosprecher und der Fernmeldetruppe des deutschen Heeres.10 )

 

Liebe Gemeinde,

befinden wir uns eigentlich alle im sechsten Monat? Eine ungewöhnliche Frage, 5 Tage vor Heilig Abend. Der Text verleitete mich zu dieser Frage. Sind wir wie Elisabeth und Zacharias schon im 6. Monat nach einer unfassbar glücklich machenden Gebetserhörung? Wenn Gott mit seiner Schöpferkraft und seiner Rettergnade neues Leben in uns weckt, wie halten wir unser Glück wach über sechs, neun und weitere Monate?

 

Oder sind wir im 6. Monat unserer Planerfüllung wie der Erzengel Gabriel? Erst bewirkt er in der altersstarren Priesterkaste das Wunder einer Prophetengeburt. Nach 6 Monaten ermutigt er sensibel die Jungfrau Maria ebenso zu einer Prophetengeburt. Was brauchen wir, um frei zu werden zugunsten einer nächsten Generation von Christen, die als Priester und Propheten den weltweiten Jammer attackieren? Oder mit Engeln über die gemeinsame Auftragslage streiten lernen?

 

Und wenn ich weitere Monate in die Zukunft frage, was sang Maria in ihrer Wartezeit und in ihrer Mutterschaft? Sie sang: „Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes. Gott hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen…und hat große Dinge an mir getan… Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Er ist barmherzig zu uns, seinem Diener Israel und er ist treu seinen Kindern in Ewigkeit.“ (Lk 1, 46ff i.A.) Das ist auch unser Lied11, zu singen an Weihnachten und davor und danach. Uns kommt der Job zu, aus der Weihnacht hinauszutreten wie aus einer Kammer, um mit dem Gottesheld die Welt ihres Jammers zu entreißen. Maria gab ja an uns das genetische Programm dazu weiter. Amen

 

1 Wilfried Eckey: Lukaskommentar, 2004 S. 92

2 eg 36,2 Paul Gerhardt, 1653

3 vgl Hanna Wolff: Jesus der Mann, 1975 Kapitel „Vater-Mutterbindung Jesu?“ S.159ff

4 vgl Ulrich Beck: Die Metamorphose der Welt, 2016; Rezension im Spiegel 49/2016 S.144f

5 siehe Hildegunde Wöller: Vom Vater verwundet, 1992 S.14

6 lt Wikipedia war der 24.März bis 1970 katholischer Gedenktag für den Erzengel Gabriel

7 Wilfried Eckey: Lukaskommentar 2004, S. 91

8 eg 12, 2 Heinrich Held, 1658

9 vgl. Fulbert Steffensky: Der Schatz im Acker, 2010 S. 55

10 lt Wikipedia

11 Dorothee Sölle: Sympathie, 1978 S. 289, berichtet von einem Besuch in Vietnam. In den überfüllten Krankenhäusern hörte sie singende Schwesterngruppen. Auf Rückfragen sagten die Ärzte: „Wie sollen die Patienten sonst wieder gesund werden?... Wir wollen mit unseren Liedern die Detonationen der Bomben übertönen.“



Pfarrer Manfred Mielke
51580 Reichshof
E-Mail: Manfred.Mielke@ekir.de

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