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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

4. Advent, 18.12.2016

Es weihnachtet sehr
Predigt zu Lukas 1:26-33.38, verfasst von Eberhard Busch

Wir stehen noch im Advent, aber es geht nicht mehr lange, dann kommt das Fest. Wir merken es in diesen Tagen, „es weihnachtet sehr“. Und nicht wahr, der verlesene Bibeltext, die Ankündigung der Geburt Jesu an Maria, ist schon voller Duft des bevorstehenden Weihnachten. Alles ist da ausgerichtet auf die Ankunft des Einen. So singen wir das ja auch jetzt in diesen Tagen: „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit, es kommt der Herr der Herrlichkeit.“ So sagt es bereits unser Predigttext: Der da kommt „wird groß sein und ein Sohn das Höchsten genannt werden“. Machen wir die Sache nur nicht zu niedlich! „Er wird ein König sein“, heißt es da vielmehr, einer auf dem Thron Davids: Ein Regent, ein Präsident, einer, der zu sagen hat, der die Fäden in der Hand hat und behält, einer, der unseren Respekt verdient. Gerade Du, sei willkommen bei uns! In einem Adventslied wird das mit einer mitreißenden Melodie von Georg Friedrich Händel aufgegriffen: „Tochter Zion, freue dich, ... Siehe, dein König kommt zu dir, ja, er kommt, der Friedefürst.“

Der Friedefürst! Dieser Beinamen macht uns darauf aufmerksam, dass es sich bei ihm um einen König der besonderen Art handelt, anders als die, die in alten und neuen Zeiten diesen oder einen ähnlichen Titel trugen oder tragen. Wer ist dieser Andere? „Du sollst ihm den Namen Jesus geben“, sagt der Gottesbote zu Maria, der Mutter des da Kommenden. Der einstige Bonner Theologe Karl Barth schrieb im Dezember 1934, als die evangelische Kirche weithin so gar nicht bei der Sache war: „Alles in der Kirche hängt an dem Namen Jesus.“ In der Tat, dieser Jesus ist nicht einer neben anderen Herrschern und nicht einer für die Andacht der Christen, während ihr Denken und Tun im öffentlichen Leben von Anderen regiert wird. Geschweige, dass sein Name austauschbar ist mit anderen Namen. Er ist der Eine über allen Anderen. Wenn man in der Kirche das Herz auch noch an Anderes hängt, dann ist sie nichts mehr wert. Sie mag dann immer noch da sein. Aber dann ist sie wie eine leere Konservendose, mit der man noch laut scheppern kann; doch die braucht es im Grunde nicht mehr. Ist sie Kirche Jesu, dann mag mit ihr passieren, was da will, doch dann steht und geht sie auf festen Füßen. Dann ist sie selbst am Abgrund großer Schwierigkeiten fest gehalten. Und mag sie noch so gering sein, dann braucht es sie und dann wird jedes Mitglied in ihr gebraucht. Wenn ihr nur klar ist: Sie ist dabei ganz und gar auf ihn angewiesen!

Eben von diesem Jesus wird uns gesagt: „Er wird ein König, ein Friedefürst sein über das Haus Jakob ewiglich.“ Um diese wunderliche Aussage zu verstehen, müssen wir genau hinhören auf das, was gemeint ist mit dem „Haus Jakob“, also mit den Verwandten und Nachkommen dieses Vaters Jakob in grauer Urzeit. Bei den alttestamentlichen Propheten wird Erschreckendes dazu bemerkt. Wir hören da, Gott habe das Haus Jakob verstoßen (Jes. 2,6). Gott habe sein Angesicht vor ihm verborgen (Jes. 8,17). Es sollen diesem Haus seine Sünden (Jes. 5,1) und es soll ihm des Gericht Gottes (Am. 3,11) verkündet werden. Das tönt ja gar nicht gut. Jedoch mit einem Mal glimmt im Blick auf dieses kümmerliche Haus Jakobs ein Hoffnungsfunken auf: Gott wolle den Rest, die Überbleibsel dieses Hauses stützen (Jes. 20,20). Nein, er wolle es nicht gänzlich vernichtet haben (Am. 9,8). Wie wenn dieses Haus hinfällig geworden wäre, redet der Prophet zwar auf einmal bloß noch von dem armseligen Würmlein Jakob (Jes. 41,14), jedoch ausgerechnet dem richtet er aus: „Fürchte dich nicht, ich helfe dir, spricht der Herr“, dein Erlöser, dein Friedensfürst. Denn wie es in jenem Lied heißt: „Siehe, dein König kommt zu dir“, nicht über unseren Kopf hin weg zu wem auch immer, sondern kommt zu gerade zu dir und zu dir.

Und mehr noch, viel mehr: In der Ankündigung jenes Boten an Maria wird erklärt, dass der kommende König und Friedensfürst seine Hand über das Haus Jakobs geradezu in Ewigkeit halten wird. Man denke, was Großes uns damit mitgeteilt wird! Tatsächlich uns – in unserer Verbundenheit mit den Juden auch uns. Ihnen und uns sei er ewig zugewandt! Wie das? Wir sehen heute Kriege und hören Kriegsgeschrei, wir vernehmen von Waffenproduktion und Waffen-Anwendung noch und noch. Es wird gehasst, es wird zerstört, es wird getötet massenweise. Wir haben heute vor Augen Unmengen von Menschen auf der Flucht, auf der Flucht vor der auch hierzulande gebauten Tötungsmaschinerie, die in ihrer Heimat funktioniert, Menschen an den bei uns errichteten Grenzzäunen und Menschen, die im Mittelmeer ertrunken sind. Und unsere Politiker sinnen darüber nach, wie sie diese Menschen zurückhalten können in der Ferne ihrer Länder. Und wie viel Leid, wie viel Traurigkeit, wie viel allzu schwere Lasten, wie viel Einsamkeit gibt es bei uns auch im Privaten, im Verborgenen!

Doch nun wird uns zugesagt und fest versprochen: Der da Eintretende wird der Friedensfürst sein, Er der Anführer – gar nicht zuerst derer, die jetzt in den Medien so im Vordergrund stehen, und nicht derer, die da sinnlos herumbomben. Vielmehr, ausgerechnet über dieses Haus Jakob wird er seine Hand halten, und zwar ohne Ende. Also gerade mit den fälschlich Verachteten, gerade mit den Bedrängten und den Geringen, mit den tödlich Bedrohten, mit den hilflosen Frauen und Kindern in Aleppo, mit denen, die keine Beachtung und keine Stimme haben, mit denen, die unter ihrer Last fast zerbrechen, mit ihnen verbündet sich Gott. Denen ist er vor allen Anderen zugewandt. Denen verheißt er ewige Partnerschaft, wohingegen die Starken und Mächtigen, die, die sich so vordrängeln, einmal zurücktreten müssen. So singt es im Echo darauf dann auch Maria, die Mutter Jesu (V52): Er stößt die Gewaltigen von den Thronen und erhöht die Niedrigen. Das hat Maria verstanden. Mögen doch auch wir das begreifen und darauf hoffen!

Der Name Jesus heißt auf Deutsch soviel wie: Gott ist der Erretter, der Befreier, nämlich eben derer, die zu den Verlorenen zählen. Und um sie erretten, hat er etwas ganz und gar Außerordentliches getan. Er, der Hohe und Erhabene hat sich voll an die Seite der Verlorenen gestellt. Er ist dabei selbst wie ein Verlorener geworden. „Sehet doch da, Gott will so freundlich, so nah / zu den Verlornen sich kehren“, heißt es in einem Lied von Gerhard Tersteegen. Und der Theologe Thomas Müntzer in der Reformationszeit, der nachmals hingerichtet wurde, weil er Partei ergriff für die Unterdrückten, der sagt in einem Adventslied, das im evangelischen Gesangbuch steht: „Gott, heilger Schöpfer aller Stern, / erleucht uns, die wir sind so fern, / dass wir erkennen Jesus Christ, / der für uns Mensch geworden ist. / Denn es ging dir zu Herzen sehr, / da wir gefangen waren schwer / und sollten gar des Todes sein, / drum nahm er auf sich Schuld und Pein.“ Denken wir an ihn, so sollten wir ihn vor uns sehen in seiner gänzlichen Verbundenheit mit allen so sehr Bedrohten und – so auch mit uns.

Und dieser derart Erniedrigte namens Jesus ist der ewige König, er, der Bestand hat, auch wenn alles, was jetzt so hervortritt, zurückgetreten sein wird. Der Liederdichter Johann Heermann geht noch am Karfreitag auf die Knie gerade vor dem, der da „gegeißelt und mit Dorn gekrönt“ wird, und bekennt: „Ach, großer König, groß zu allen Zeiten“. Wir können darin nie auslernen, dass gerade von ihm das gilt, was der Gottesbote der Maria sagt: Er, der als ein schwaches, verletzliches Kind in die Welt tritt, „der wird groß sein und ein Sohn des Höchsten genannt werden, und er wird König sein über das Haus Jakob ewiglich und seines Königreichs wird kein Ende sein.“ Kein Anderer darf das auf sich beziehen. Aber von ihm gilt es – und gilt das, was Johann Sebastian Bach in seiner Johannespassion von Jesus in dessen Todesstunde singen lässt: „Der Held aus Juda siegt mit Macht, es ist vollbracht.“

Und nun ist all dies eben der Maria gesagt, der Mutter dieses Jesus. Es ist nicht nur ihr gesagt. Es ist auch uns gesagt. Aber es ist auch uns gesagt, nachdem es zuerst ihr gesagt ist. Sie geht uns voraus als ein Vorbild. Sie ist es uns darin, wie sie die Botschaft entgegennimmt, weder stolz geschmeichelt noch in sich gekrümmt. Sie sagt Ja, offen und klar Ja dazu, was Gott mit ihr vorhat. Sie wirft sich nicht auf als Himmelskönigin und sie unterwirft sich nicht einem blinden Schicksal. Sie ist bereit, Gott zu dienen. Sie sagt zu dem Gottesboten: „Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast.“ Mägde pflegen keine Krone zu tragen, aber sie haben doch eine Stimme, auf die man hören muss. Manche rätseln und deuteln bis heute daran herum, was da auf Maria zukommt. So wunderlich das ist, sie lässt sich darauf ein und erklärt ihr Einverständnis.

Schon vor der Reformation hat Matthias Grünewald ein tiefsinniges Bild gemalt. Es ist ein Teil des Isenheimer Altars, der im elsässischen Colmar aufgestellt ist. Es wird dort links eben das dargestellt, wovon unsere heutiger Predigttext handelt: die Verkündung des Engels an Maria, dass sie zur Mutter Jesu ausersehen ist – gemäß der Ankündigung in der Bibel, die aufgeschlagen vor ihr liegt: „Sie wird einen Sohn gebären, den wird sie heißen Immanuel“, das heißt: Gott mit uns; und rechts auf dem Altarbild sehen wir den vom Tode Auferstandenen, von hellem Licht umstrahlt, während die Grabeshüter wie tot am Boden liegen, offenbar ein Hinweis darauf, dass er der ewige König ist, den der Tod nicht festhalten, nicht vernichten kann. Und in der Mitte zeigt sich Weihnachten. Hoch über dem Kind geht von dem Vater im Himmel ein Lichtstrahl aus, hin zu dem Kind, und nur das Kind sieht den Strahl. Das deutet die einzigartige, die einmalige Verbindung des Gottessohns mit seinem himmlischen Vater an. Seine Mutter ist Mensch wie wir, sie steht nicht in solcher unmittelbaren Verbindung mit dem Vater im Himmel wie er. Aber darin ist sie uns ein großes Vorbild, wie sie auf dem Bild unverwandt auf das Kind blickt. Denn durch diesen Jesus ist auch sie mit dem himmlischen Vater verbunden. So ermuntert sie uns in einzigartiger Weise, uns das gesagt sein zu lassen: In der Tat, „alles in der Kirche hängt an dem Namen Jesus“. Er ist der Fels, auf dem sie steht. Er ist die Quelle, aus der sie Trost und Kraft schöpft. Er ist der Grund, aus dem sie guten Mutes vorwärts gehen darf. Sind wir bereit, so wie Maria, ihn bei uns willkommen zu heißen?



Prof. Dr. Eberhard Busch
Friedland
E-Mail: ebusch@gwdg.de

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