Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

4. Advent, 18.12.2016

Von der Jungfrau geboren
Predigt zu Lukas 1:26-38, verfasst von Bernd Giehl

Vorbemerkung: Vor dem Beginn der Predigt werden die drei Gedichte von Vera Sabine Winkler aus der Gottesdienstpraxis III/1 (1998, S.49) langsam und ruhig vorgelesen. Eventuell spielt die Orgel auch zwei meditative Stücke dazwischen. Die Predigt knüpft an dieses „Lesestück“ an.

 

gabriel

war’s

 

gott

war’s

maria

war’s

der mann

der starke

der bote

göttlicher kraft

der war’s

die heilige

das höchste

der geist

göttlicher liebe

war’s

die frau

die junge

die prophetin

göttlicher gnade

die war’s

 

kam ungebeten

kam unerwartet

mit honigworten

mit hoffnungssulz

kam er

zu einer

die jung war

und neugierig auch

wie das wohl wäre

als mutter und

gottesbraut

 

kam unverstellt

kam unverzerrt

mit engelszungen

mit königsschwur

kam

zu einer

die klug war

und mutig auch

daß es was wäre

als mutter und

gottesbraut

kam unwissend

kam unschuldig

mit herzklopfen

mit geisteskraft

kam sie

an einen

der klug war

und kundig

wie das wohl wäre

als mutter und

gottesbraut

da hatte er

leichtes spiel

mit seiner frommen

masche

ganz freiwillig

hat sie mitgemacht

ehrensache

sozusagen

 

da war

weiter raum

für ein zärtliches

feuer

ganz vorbehaltlos

hat sie mitgemacht

frauensache

sozusagen

 

da hatte er

große last

mit ihrem scharfen

verstand

ganz unwillig

hat sie mitgemacht

glaubenssache

sozusagen

gezahlt hat er

später wohl auch

nicht

zeugen gab es

später wohl auch

nicht

 

 

gezählt hat sie

später wohl auch

nicht

ja, ja

gabriel

war’s

ja, ja

gott

war’s

ja, ja

maria

war‘s

 

 

Ja, liebe Gemeinde,

so war das mit der Jungfrauengeburt. So hat es sich verhalten. Jetzt wissen Sie es ganz genau.

Was sagen Sie? Jetzt seien Sie immer noch nicht schlauer? Ja, wie kann das denn sein? Ach Sie meinen, das liege an der Form des Gedichts? Gedichte seien immer so schwierig? Da könnte etwas dran sein. Dass diese Dichter aber auch nie in klaren Worten sagen können, was sie meinen …

*

 

Aber gut. Spaß beiseite. Nicht ganz ungefährlich, das alles; am Ende spricht mich noch jemand darauf an, warum meine eigenen Gedichte nicht klarer formuliert seien. Also sage ich lieber schnell, ich mag diese Gedichte, weil sie mit etwas spielen, mit dem man eigentlich nicht spielen darf. Mit einem ernsten Thema nämlich, das uns manchmal ganz schön schwer im Magen liegt.

Nun könnte man natürlich gleich wieder anfangen zu diskutieren, ob man das denn darf: Mit einem Thema spielen, das so von Tabus umstellt ist oder war, wie das Thema der Geburt Jesu durch eine Jungfrau. Der Satz „geboren von der Jungfrau Maria“ hat es ja bis ins Glaubensbekenntnis geschafft, das wir vorhin wieder gesprochen haben. Es gibt Menschen, die sich an diesem Felsen den Kopf blutig stoßen. Es gibt andere, die um ihn herumgehen ohne sich groß etwas dabei zu denken. Und schließlich gibt es auch noch die dritten, die sagen: Du musst einfach daran glauben, dass Jesus von einer Jungfrau geboren wurde. Denn wenn du nicht daran glaubst, dann kannst du auch nicht daran glauben, dass Jesus der Sohn Gottes war. Und wenn du daran auch nicht glaubst, dann weiß ich nicht, woran du überhaupt noch glaubst. Ein Christ bist du dann jedenfalls nicht mehr.

Manche mag das verschrecken. Denn ihr Glauben ist ihnen wichtig. Damit sind sie aufgewachsen. Der war immer ein wichtiges Stück ihres eigenen Selbstverständnisses. Wenn sie ihren Glauben verlieren würden; wer wären sie dann noch? Aber muss man, wenn man Christ sein will, an etwas glauben, woran sonst kein Mensch mehr glaubt? Dass nämlich ein Kind geboren werden kann, ohne dass dabei ein männlicher Partner im Spiel war? Muss man also seinen Verstand an der Garderobe abgeben, wenn man Christ sein will? Oder bestimmte Dinge einfach abspalten und sagen: So ist es einfach, auch wenn es sich aller Erfahrung nach in der Welt, in der wir leben, anders verhält?

Irgendetwas kann da doch nicht stimmen.

 

*

 

Aber jetzt möchte ich mich ausnahmsweise auch mal auf die Seite der Traditionalisten stellen. Derer also, die sagen: man kann doch nicht alles in Frage stellen? Was bleibt denn dann noch, wenn Jesus nicht von einer Jungfrau geboren wurde. Wenn er womöglich auch keine Wunder getan hat? Dann war er am Ende doch gar nicht der Sohn Gottes. Dann ist Gott womöglich gar nicht in ihm erschienen. Dann bleibt noch ein bisschen Nächstenliebe. Einsatz für die Flüchtlinge. Das könnte man ja vielleicht noch stehen lassen. Aber sonst?

*

 

An dieser Stelle müssen wir wohl noch einmal auf die Sprache des Glaubens kommen. Glaube ist nicht Wissen, sagen die, die schon immer wussten, dass Menschen die glauben, nicht ganz dicht sind. An dieser Stelle haben sie Recht, wenn sie ansonsten auch einen eher beschränkten Horizont haben. Wissen lässt sich beweisen oder widerlegen; dafür braucht es die Naturwissenschaft. Aber schon in der Literatur ist es anders. Ob ein Roman so oder so auszulegen ist, darüber kann man endlos streiten und bei Gedichten ist es noch schwieriger. Nur würde kaum jemand auf die Idee kommen, ihnen den Bezug zur Realität abzusprechen.

So ähnlich ist es nun auch mit dem Glauben. Womöglich würde jeder Glaubende vermuten, es sei doch ganz klar, wen oder was er meine, wenn er „Gott“ sagt, aber in unserer multikulturellen Welt müsste man ihn fragen, ob er Allah meint, eine indische Gottheit, Jahwe, den Gott der Juden oder den Vater Jesu Christi.

Hinzu kommt aber noch etwas Anderes. „Niemand hat Gott je gesehen“, sagt nicht etwa ein Atheist, sondern ein Autor des Neuen Testaments, der Verfasser der drei Johannesbriefe und dann fügt er hinzu: „Gott ist die Liebe.“ Daraus könnte man schließen, dass Gott gar keine Person ist, wie die meisten ja wahrscheinlich annehmen, sondern eine Macht, die Macht des Guten, die Macht der Liebe.

Johannes hat das sicher nicht so gemeint, aber ein Philosoph des 19. Jahrhunderts, Ludwig Feuerbach hat den Gedanken aufgenommen und sogar umgedreht. „Die Liebe ist Gott“, hat er gemeint und damit die Theologen vor einige, nicht ganz unbedeutende Schwierigkeiten gestellt.

Nun möchte ich mich keinesfalls von der Vorstellung Gottes als Person verabschieden. Aber all diese Überlegungen zeigen zumindest eins: Es ist nicht so leicht von Gott zu reden. So einfach ist er nicht zu fassen. Das Verbot, sich ein Bild von ihm zu machen, das im Alten Testament ausgesprochen wurde, das ist nicht einfach vergangen, sondern es wirkt weiter. Gott lässt sich nicht so einfach festlegen. Er ist heilig. Er zieht als Wolken- und als Feuersäule vor dem Volk Israel her. Der Sinai ist in undurchdringliche Wolken gehüllt, als Mose hinaufsteigt, um die Gebote zu empfangen.

So leicht, wie wir uns das manchmal wünschen, ist er eben nicht festzulegen. Er ist größer als die Vorstellungen, die wir uns von ihm machen. Er ist eben Gott. Und von Gott kann man nicht sprechen, wie von jedem gewöhnlichen Menschen.

 

*

 

Aber wie steht es denn nun mit Jesus? An der Stelle wird es schwierig. Denn zumindest, wenn wir uns an die altkirchlichen Bekenntnisse halten, war Jesus ja beides. Gottes Sohn und Mensch. Mit zwei Naturen, einer göttlichen und einer menschlichen, von der aber nur die menschliche Natur am Kreuz gelitten hat. Ab dem 4. Jahrhundert, in dem das erstmals festgelegt wurde, wurden die Unterscheidungen zwischen göttlicher und menschlicher Natur immer genauer und immer luftiger, bis sie am Ende niemand mehr verstehen, geschweige denn nachvollziehen konnte. Vermutlich stimmte die ganze Richtung nicht mehr, weil sie sich immer mehr in Spekulationen um das Wesen Gottes und die Unterscheidung zwischen Gott und Mensch bewegten. Es ist leicht, das von heute aus zu verurteilen. Schwieriger ist es schon, eine Sprache zu finden, die das in Worte fassen konnten, was die Alten meinten, wenn sie von den zwei Naturen Christi sprachen oder eben davon, dass Jesus von einer Jungfrau geboren worden war.

Klar ist: Mit all diesen Begriffen wollten sie sagen, dass Jesus etwas Besonderes ist. Dass man ihn mit den normalen Kategorien, die wir sonst anwenden, nicht fassen kann. Jesus ist ein Vorbild, aber er ist noch mehr. Er war ein außergewöhnlicher Mensch; einer der zu seinem Wort stand, einer der sich nicht schützte, einer, der die Wahrheit sagte, auch wenn es gefährlich wurde, aber er war noch mehr. Aber wie kann man dieses „Mehr“ ausdrücken? Am ehesten wohl mit dem Titel „Gottes Sohn“. Schwierig wurde es erst, als man nicht mehr verstand, dass hier ein Bild gebraucht wurde. Schwierig wurde es, als man diesen Titel wörtlich verstand und nun definieren musste, wie die Verwandtschaft zwischen Jesus und Gott zustande gekommen war. Da konnte er ja wohl keinen menschlichen Vater mehr haben. Da musste eine Zeugung durch Gott konstruiert werden, auch wenn man dabei wenigstens noch diskret blieb. Da musste eine Jungfrau schwanger werden und ein paar Jahrhunderte später Jesus in zwei Naturen existieren.

Manchmal sollte man den Dingen ihr Geheimnis lassen. Wobei wir dann wieder bei den drei Gedichten wären, die ich am Anfang meiner Predigt zitiert habe. Natürlich kann man fragen, welche der drei Variationen denn nun die richtige sei. Aber ich glaube, wer so fragt, hat sie immer noch nicht verstanden.



Pfarrer Bernd Giehl

E-Mail: giehl-bernd@t-online.de

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