Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Sonntag nach dem Christfest, 30.12.2007

Predigt zu Jesaja 49:13-16, verfasst von Paul Kluge

Jauchzet, ihr Himmel, und frohlocke, du Erde! Brecht in Jubel aus, ihr Berge! Denn der Herr tröstet sein Volk, und seiner Elenden erbarmt er sich.
Zion sprach: „Verlassen hat mich Gott, der Herr hat meiner vergessen."
Wird auch ein Weib ihres Kindleins vergessen, dass sie sich nicht erbarmte über den Sohn ihres Leibes? Und ob sie gleich seiner vergäße, so will ich doch dein nicht vergessen.
Siehe, auf meine Hände habe ich dich gezeichnet; deine Mauern habe ich immerdar vor Augen.

Liebe Geschwister,

wieder ging ein Jahr zuende, und wieder hatte sich nichts geändert. Die aus ihrer Heimat Verschleppten saßen an den gottverlassenen Flüssen Babylons und weinten. So jedenfalls hatte ein Dichter gesungen. Hatte damit das Lebensgefühl vieler getroffen: An früher dachten sie, von früher redeten sie. Je mehr sie an früher dachten und davon redeten, um so schwerer empfanden sie ihre Gegenwart, um so leerer empfanden sie die Zukunft.  Schwere und Leere nahmen von Jahr zu Jahr zu. Und wieder ging ein Jahr zuende, und wieder hatte sich nichts geändert. Sie lebten in einem Jammertal und gruben es mit ihrem Jammern und Klagen immer tiefer.

Anderen war es gelungen, sich im fremden Land zurecht zu finden, sich mit den Verhältnissen abzufinden. Auch sie litten unter den Lebensbedingungen, unter der schweren und entwürdigenden Arbeit. Schimpften auf die Politiker, die ihnen dieses Leben eingebrockt hatten. Doch sie schluckten die Brocken, um nicht zu verhungern. Freuten sich über kleine Blumen am Wegesrand, genossen einen Schluck Wasser, wo sie früher guten Wein getrunken hatten. Auch ihrer waren viele, und weil sie in der Gegenwart lebten, rechneten sie mit einer Zukunft.

Dabei half ihnen ein Prophet. Seinen Namen kannte keiner, vielleicht wollte er sich durch Anonymität schützen. Denn was er zu sagen hatte, stieß bei denen im Jammertal auf Unverständnis und Widerspruch: Der Stadt Babylon Bestes sollten sie suchen, hatte er ihnen empfohlen; sie hatten das als Zumutung, ja, geradezu als Hohn empfunden, als Verrat auch an der eigenen Vergangenheit. Jetzt lief er herum und sang Jubellieder auf die Zukunft - wessen Lieder sang er, wessen Brot aß er eigentlich? Nein, die aus dem Jammertal wollten nicht auf ihn hören, ihn überhaupt nicht hören.

Die es aber geschafft hatten, in der Gegenwart zu leben, scharten sich um ihn, hörten gern auf seine Worte. Denn sie schufen und stärkten Hoffnung, machten Mut und gaben Zuversicht; es waren tröstliche Predigten. Doch auch seinen Anhängern gab der Prophet sich nicht zu erkennen. Knecht sei er unter Knechten, antwortete er auf gelegentliche Fragen, und dass er in höherem Auftrag rede, im Auftrag Jahves. Dass er das Volk Gottes trösten solle, ihm ein Ziel, eine Perspektive geben, die Perspektive Jahves.

Und schon predigte er wieder und ließ die Frage nach seiner Identität unbeantwortet.  Predigte von vorübergehendem Leid und vom Ende der Knechtung, predigte aufrechten Gang den Gebeugten, fröhliches Singen den Weinenden und den Erkalteten neues Feuer. Predigte so überzeugend, dass keiner an seiner Überzeugung zweifelte. So säte er Hoffnung in die Hoffnungslosen, Zuversicht in die Mutlosen, und die Saat ging auf.

Doch wenn dann wieder ein Jahr zuende ging und sich wieder nichts geändert hatte, wenn dann Menschen aus ihren gequälten Gesichtern in fragend, auch flehend ansahen, wenn andere ihn verspotteten und noch andere ihn beschimpften und bedrohten, dann kamen ihm bisweilen selber Zweifel, dann wollte sein Mut sinken, seine Zuversicht ihn verlassen.

Er ging dann nicht unter die Leute, ging stattdessen in sich und mit sich zu Rate. Zog Bilanz seines Tuns im vergehenden Jahr, sah sich seine Erfolge an und suchte nach Gründen seiner Misserfolge. Überprüfte, wo er seinem Auftrag gerecht geworden und wo er hinter seinen Möglichkeiten zurückgeblieben war. Stellte sich auch den Fragen, ob er mit seinem Predigen hauptsächlich sich selber ermutige und ob er womöglich den Menschen etwas vormache.

Doch wenn auch schon wieder ein Jahr zuende ging und sich wieder nichts geändert hatte, fand er immer wieder die Gewissheit, dass die schwere, dunkle Zeit zeitlich begrenzt war. Wo die Grenzen waren, wusste er nicht, und auch nicht, wann sie erreicht würden. Doch er war sicher: Sie sind da. Und sie werden fallen. Diese Not wird ein Ende haben, ein gutes Ende. Jahve wird sein Volk aus diesem Elend erlösen, wie er es immer getan hat. Wird es aus jedem Elend erlösen, und es wird ihm dafür danken mit einem Leben nach seinen Geboten. Hat nicht Jahve einen ewigen Bund mit seinem Volk geschlossen und diesen Bund treu gehalten? Ist nicht das der einzige Trost, auf den wir uns im Leben und im Sterben verlassen können? Dafür allerdings ist Geduld nötig, lang anhaltendes Vertrauen: Wenn manche den Fall der Grenzen vielleicht auch nicht mehr erleben: Sie werden fallen. 

So zog der Prophet Bilanz, wenn wieder ein Jahr zuende ging und sich wieder nichts geändert hatte. Ging dann wieder unter Menschen und predigte unverdrossen weiter. Sein Predigen baute die Menschen auf. Jedenfalls die, die sich nicht ins Jammertal zurückgezogen und dort eingerichtet hatten.

Sein Predigen zermürbte auch. Die Unterdrücker nämlich, die Peiniger, die Quälgeister. Wenn der Prophet und seine Anhänger nach einer Predigt etwa aus einem Psalm sangen:

Das Weltmeer brause aller Enden,
jauchzt, Erde, Menschen, jauchzt vereint.
Die Ströme klatschen wie mit Händen,
ihr Berge hüpft - der Herr erscheint.
Er kommt, er naht sich, dass er richte
den Erdkreis in Gerechtigkeit
und zwischen Recht und Unrecht schlichte,
des sich die Unschuld ewig freut.*

Oder wenn sie bei und trotz ihrer schweren Arbeit die Melodie summten oder pfiffen. Dann spürten die Aufseher und Sklaventreiber, dass die Verschleppten etwas hatten, das stärker war als ihre Schlepper. Dass die über ihre Arbeit Gebeugten einen unbeugsamen Glauben an einen Gott hatten, der nicht an einen Tempel gebunden, sondern auch in der Fremde, im Elend bei seinem Volk war. Manchmal fragten die Aufseher dann die Gefangenen, wer ihnen diese Kraft gäbe, und hörten als Antwort nur: Ein Knecht unseres Gottes.

Auch der Prophet, wenn er gefragt wurde, gab diese Antwort. Sie schützte ihn und seinen Auftrag. Und als Knecht Jahves erlebte er sich, als Bote des Königs aller Königreiche. Das machte ihn stark, die anderen in ihrem Elend zu stärken. Sie würden erlöst werden. Amen

* aus Psalm 98 in der Bereimung von Matthias Jorissen (EG 286,4)



Diakoniepfarrer i. R. Paul Kluge
Magdeburg
E-Mail: Paul-Kluge@t-online.de

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