Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Altjahrsabend (Silvester), 31.12.2007

Predigt zu Hebräer 13:8-9b, verfasst von Thomas Ammermann

Liebe Gemeinde!

Der Jahreswechsel ist eine Zeit der Glückwünsche (na schön!), aber auch der guten Vorsätze (na ja!) und vor allem: der guten Ratschläge (na denn Prosit...)! Denn gleich eimerweise werden die Nervensysteme geduldiger Medienkonsumenten zum Jahresende mit „nützlichen Informationen" für alle Lebenslagen überschwemmt - auf dass es einer zukünftig bloß besser mache als bisher..., auf dass es ihm besser gehe..., er vor anderen eine noch bessere Figur machen (oder bekommen), sich gar selbst verbessern möge...!

Am schlimmsten, finde ich, sind Tipps zur „richtigen" Ernährung: „Was wir essen dürfen... - mit dem Schlank-und-fit-Rezeptkalender gesund durchs Jahr 2008!" usw... Grauenhaft, diese „Du darfts"-Angebote zur allgemeinen Un-Mündigkeit (im Wortsinn). Geradezu abgeschmackt! Als könnte einen die, zudem meist kostspielige, Kostverächtung wirklich auch nur ein Deut freier, schöner oder gescheiter machen...

Da lobe ich mir doch den guten alten Hebräerbrief. Zugegeben, auch das ist eine eher magere Kost - im Jargon Luthers wohl eine „stroherne Epistel" zu nennen - doch unverkennbar Gottes Wort und für „hungrige Esel" wie uns zum Jahresschluss wahrhaftig kein übler Happen! Hören Sie deshalb aus Hebräer 13, die Verse 8-9, unseren heutigen Predigttext:
„Jesus Christus gestern und heute", heißt es da, „und derselbe auch in Ewigkeit. Lasst euch nicht durch mancherlei und fremde Lehren umtreiben, denn es ist ein köstlich Ding, dass das Herz fest werde, welches geschieht durch Gnade, nicht durch Speisegebote, von denen keinen Nutzen haben, die damit umgehen."

So, liebe Gemeinde, lautet also Gottes ultimativer Ernährungstipp: Besser ein festes Herz, als einen fe(i)sten Bauch! Alles andere bringt keinen Nutzen denen, „die damit umgehen".
Und das „geschieht durch Gnade"!

Entsprechend dürfte uns im Zusammenhang der nahe liegenden Frage, was es bedeutet: „dass das Herz fest werde" und wie wir diese „kordiale Köstlichkeit" hinbekommen können, vor allem die Beschäftigung mit der Gnade an dasselbe gelegt sein. Was also, frage ich daher zunächst, bedeutet Gnade?

Nun, im juristischen Sinne ist "Gnade" vor allem das Gegenteil von Recht. Eine Art moralisch legitimierter Rechtsbruch. Man sagt wohl: "Der Richter hat Gnade vor Recht ergehen lassen" und meint damit: Eigentlich hätte das Gesetz in seiner ganzen Härte zur Anwendung kommen müssen, aber ausnahmsweise wurde darauf verzichtet - aus Barmherzigkeit.
"Barmherzig ist der Herr, geduldig und von großer Güte", jubelt denn auch unser heutiger Wochenspruch aus Psalm 103 (Vers 8).

So auch im Falle unserer, der Menschen, Rechtfertigung vor Gott: Eigentlich wäre es damit  nämlich nicht weit her gewesen wenn dieser stramm „nach Kerbholz" abgerechnet hätte. Zu schwer wogen und wiegen die diversen Fehlhandlungen und -haltungen des „koronal-evolutionär" offenbar nicht ganz ausgereiften Prototyps jener mit der Fähigkeit zur Selbststeuerung ausgestatteten Luxus-Tierart, die sich selbst so herzhaft als „Menschheit" bezeichnet.
Unsere typisch westlichen Probleme mit dem leidigen Übergewicht im Verhältnis  zum Problem der Unterernährung in der so genannten „Dritten Welt", stellen da nur ein Symptom für die schuldhafte Schieflage der rechtsmündigen Menschheit unserer Tage dar. Ein globales. Denn bis in die intimsten persönlichen Bereiche hinein setzt sich dieser fatale Trend fort. „Ich weiß," resümiert Paulus im Römerbrief (Röm. 7, 18f), „dass in mir, das heißt in meinem Fleisch, nichts Gutes wohnt. Wollen habe ich wohl, aber das Gute vollbringen kann ich nicht. Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich."

Was dieser Befund in Blick auf die Gesetzmäßigkeit des Lebens in dieser Welt - auf das Überleben des Planeten selbst - für Auswirkungen zeitigt, fügt der Apostel gleich zwei Verse weiter an: „So finde ich nun das Gesetz, dass mir, der ich das Gute tun will, das Böse anhängt" (Röm. 7, 21).

Mit anderen Worten: Wenn es wirklich (nur) auf uns selbst ankäme, hätten wir, fehlerhaft wie wir sind, in dieser Welt wohl keine Chance - wie die Saurier: Zum Aussterben verdammt...! Und doch gibt es uns immer noch... - Mal ehrlich, liebe Gemeinde, ist das - nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Terror- und Katastrophenjahres 2007 - nicht so etwas wie ein Wunder...?!

 

Christen glauben indes, dass die Tatsache, dass wir Menschen uns - allen Gesetzmäßigkeiten der biologischen Vernunft zum Trotz - noch immer nicht gegenseitig ausgerottet, die Umwelt restlos zerstört und das Leben vollends zur Hölle gemacht haben, mit dem Kommen jenes Menschen zu tun hat, dessen Geburt vor ca. 2007 Jahren wir vor wenigen Tagen erst wieder gefeiert haben. In Jesus Christus, seinem Leben und Wirken, seiner Fürbitte und seiner Botschaft für die Menschen, erwies Gott uns seine Barmherzigkeit. Der Richter ließ Gnade vor Recht ergehen.

Dahinter steckt nicht weniger als eine göttliche Einsicht, die nämlich, dass es mit der Rechtmäßigkeit unserer menschlichen Existenz wohl recht mäßig bestellt wäre, wenn es allein auf diese ankäme. Natürlich verlangt das Gesetz dieser  Gott-gesetzten Welt, nach dem einer die Konsequenzen des eigenen Tuns und Lassens (seiner Taten und Un-Taten) auch ertragen muss, zurecht auch im moralischen Sinne Beachtung - im Wortsinn: zu Recht! Doch ohne Beachtung derer, die dem dennoch nie ganz entsprechen können, bliebe auch Gottes Gesetz zur Gerechtigkeit in der Welt ohne Entfaltungskraft und verlöre am Ende die Wahrhaftigkeit seiner Geltung. So hängt denn, mehr noch als an unserer Rechtschaffenheit, alles an der moralischen Flexibilität dessen, der diese Welt geschaffen und jenen, die sie bevölkern - im umfassenden Sinne - ihr Recht gegeben hat.

Und tatsächlich zeigte Gott sich nicht prüde - alles andere als ein Prinzipienreiter. Er sandte seinen Sohn... - „Jesus Christus gestern und heute, und derselbe auch in Ewigkeit", heißt es in unserem Predigttext - und bewies damit, dass ihm als einem guten Vater jene, die Er selbst in die Welt gesetzt hat, mehr gelten, als das „Welt-Gesetz" der Vergeltung... Oder anders: Inmitten der beinharten, Rechts-gültigen und damit ja letztlich un-Mensch-lichen, Realität dieser Welt etablierte Gott ein anderes als das kalte Prinzip einer Rechtschaffenheit „ohne Ansehen der Person"... Nämlich das Gnadenrecht Seiner Liebe. Gott sieht Seine Menschen, wie sie eben sind, liebend an! (...Zur Nachahmung empfohlen!)
In diesem Sinne kann tatsächlich als eine mal wirklich „nützliche Information" verstanden werden, was uns der Autor des Hebräerbriefes rät:

Lasst euch nicht durch mancherlei und fremde Lehren umtreiben, denn es ist ein köstlich Ding, dass das Herz fest werde, welches geschieht durch Gnade...
Konkret heißt das: Keine Diät in Herzensdingen, sondern „volles" Vertrauen auf die Liebe Gottes!
Gnade ist, wenn Gott „du darfst" sagt. Das ist nämlich kein Quark und nicht zu vergleichen mit all dem sonstigen Käse aus dem Kühlregal zwischenmenschlicher Geschäftigkeiten. Im Gegensatz zu jenen geht es beim Thema „Gottes Gnade" um eine wahrhaftig „gehaltvolle" Köstlichkeit. Gott sagt: „Du darfst... - dich aufs neue Jahr freuen ohne ängstlich mit deiner Vergangenheit rechnen zu müssen... - es wagen, einfach glücklich zu werden, ohne dich schuldig zu fühlen für das, was du alles nicht zustande bringst... - dich ändern, ohne dich aufzugeben... - fatale Fehler machen und daraus lernen... - meinetwegen auch ein paar Pfunde zuviel haben und trotzdem vor Gott und dir selbst eine gute Figur machen...!

Kurz: du darfst gerade so sein, wie du bist, ohne zugleich versprechen (oder dir vornehmen) zu müssen, dass du dich änderst!"

Ein im Sinne des Hebräerbriefes „voll-festes Herz" zu haben, bedeutet somit das genaue Gegenteil all jener Abhängigkeiten, in die wir geraten, oder uns begeben können, wenn wir auf die wohlmeinenden (oder auch bloß wohlfeilen) Ratschläge anderer hören, auf die „nützlichen Informationen" um dies oder jenes, vor allem aber etwas ganz Großes, Wichtiges und Sinnvolles aus unserem Leben zu machen, uns selbst das Glück zu verdienen... - die Welt zu erlösen! All das brauchen wir jetzt nicht mehr!
Jenseits der Abhängigkeit von solchen Vorgaben (und Vorhaben) zur Steigerung der eigenen Bedeutsamkeit, heißt dagegen „es ... geschieht durch Gnade": Du hast ein Recht auf Dein Leben, wie es ist. - Aber das ist dir geschenkt!

 

Soviel also zu den Grundrechten, dem „Grund-Gesetz" unseres Lebens aus dem Glauben an Jesus Christus.

Doch das Weihnachtsfest liegt hinter uns, von nun an (das hat sogar der Einzelhandel schon begriffen) geht es wieder auf Ostern zu - mit allem, was dazu gehört: Für Christen ist dies vor allem die Einsicht, dass der Geburt Jesu seine Passion folgen muss, dem „Herzensfest der Liebe" die „Festigung der Herzen" für den Gang dieser Welt...
„...es ist ein köstlich Ding, dass das Herz fest werde...", sagt „der Hebräer"... Konkret heißt das: Unser Wissen um die bedingungslose Liebe Gottes will mehr sein, als eine „weihnachts-windel-weiche" Idee, sondern feste Gestalt gewinnen, vor allem in unseren Herzen. Denn ein „festes Herz" braucht jeder, der in dieser harten Welt selbst fest zupacken können, sein eigenes Leben in Griff kriegen will. Und darum geht's.
Wohl gemerkt, am Anfang steht das Geschenk der Liebe Gottes „...welches geschieht durch Gnade...!" - Gnade ist, wenn Gott „du darfst" sagt. Doch etwas mit ihr anzufangen (in doppelter Hinsicht) ist unsere Sache!

In diesem Sinne bedeutet „Gnade" auch: Du darfst dich zukünftig deiner gewohnten Gehässigkeiten und Gemeinheiten enthalten, denn du brauchst sie nicht mehr, um deinen Platz in der Welt zu verteidigen... Du darfst deine alten Ängste und Neurosen getrost überwinden, denn Gott schenkt dir Sicherheit im Leben... Du darfst so frei sein, auf ihn zu vertrauen und dann auch auf andere zuzugehen, dich dem Leben selbst neu zuzuwenden...
Ein festes Herz haben heißt nämlich nichts anderes als: fest mit Gottes Gnade zu rechnen und entsprechend zu leben! Dass dazu nicht zuletzt gehört, gegen unser westliches „Problem mit dem Übergewicht" mehr zu tun, als den Anweisungen des „Schlank-und-fit-Diätkalenders für 2008" zu folgen, nämlich ein gutes Maß eigener Bewegung, um die Welt zu verändern, versteht sich von selbst. 

 

Liebe Gemeinde!

Das Jahresende ist eine Zeit des Rückblicks - der „Rücksicht" auch im übertragenen Sinne - und der guten Vorsätze. Am Ende auch für uns! Daher wollen wir uns jetzt - rückblickend auf die Gnade Gottes in „Jesus Christus gestern und heute, und ... in Ewigkeit" - fest vornehmen, „....dass" unser Herz fest werde"! Mit allem, was dazu gehört. Wir wissen ja: Gott sieht seine Menschen, wie sie eben sind, liebend an! Wir dürfen uns seine Sicht zur Nachahmung empfohlen sein lassen!

Amen.

 



Pfarrer Thomas Ammermann
Bad Mergentheim
E-Mail: ev_pfarramt2_mgh@yahoo.de

(zurück zum Seitenanfang)