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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Altjahresabend, 31.12.2016

Kein Unkraut jäten
Predigt zu Matthäus 13:24-30, verfasst von Dietz Lange

Liebe Gemeinde!

Dies ist offenkundig eine Geschichte aus der Zeit, als man noch nicht mit chemischen Pflanzenschutzmitteln die Umwelt vergiftete. Sie handelt noch von guten alten natürlichen Giften in den Pflanzen selber. Ohne Scherz: Der Taumellolch, heute so gut wie ausgestorben, war ein Unkraut, das oft in großen Mengen auf Getreidefeldern wuchs. Er sah anfangs dem Weizen ähnlich, war aber hochgiftig und führte beim Menschen zu rauschähnlichen Zuständen, also zum Taumeln, und manchmal sogar zum Tode. Selbstverständlich achteten die Bauern genau darauf und rissen das Zeug aus, sobald es vom Weizen zu unterscheiden war, oft auch in mehreren Aktionen nacheinander. Der Landwirt im Gleichnis aber will das Korn und das Unkraut bis zur Ernte stehen lassen und erst dann trennen. Das ist zumindest merkwürdig. Und dann heißt es noch, ein böser Mensch habe das Unkraut heimlich ausgesät. Aber wenn so einer den Bauern ärgern wollte, dann hätte er das doch viel einfacher haben können, indem er einfach das Feld in Brand setzte.

Solche Sonderbarkeiten sollen uns als Hörer oder Leser darauf aufmerksam machen, dass das Reich Gottes ganz anders ist, als unsere Lebensregeln es vermuten lassen. Wenn es trotzdem heißt, dass es mit den eigentümlichen Ansichten dieses Landwirts vergleichbar sei, dann steckt darin eine gute Portion Ironie. Die Zuhörer damals, die in einer größtenteils agrarischen Gesellschaft lebten, werden das sofort begriffen haben.

Das Gleichnis stammt in dieser Form wohl nicht von Jesus, sondern vom Evangelisten Matthäus. Das erkennt man daran, dass diese merkwürdigen Züge den Hörer oder den Ausleger geradezu auffordern, alle Einzelheiten, also den Bauern, den Weizen, das Unkraut, den bösen Menschen, der es ausgesät hat, je für sich auszudeuten, also das Gleichnis (anders als bei Jesus selbst) allegorisch auszulegen. Der Bauer repräsentiert Gott, der Weizen steht für die ihm gehorsamen Menschen, das Unkraut für solche, die der Gemeinde schaden, usw.

So weit, so einfach. Aber damit fangen sogleich die Schwierigkeiten an. Muss denn nicht eine christliche Gemeinde solche Mitglieder, die ständig Obstruktion betreiben, die vielleicht sogar Gott lästern und durch ihren Lebenswandel alle guten Christen kompromittieren, eben doch hinauswerfen? Macht sie sich sonst nicht unglaubwürdig? So haben Kirchenbehörden, auch protestantische, zu allen Zeiten gedacht. Sie haben freilich nicht nur exkommuniziert, sondern die so genannten Ketzer auch verfolgt, nicht selten sogar zu Tode gebracht, alles im Namen der Ehre des Reiches Gottes. Unser Gleichnis haben sie entweder ignoriert oder umgedeutet. Aber wenn man von den Exzessen der Ketzerverfolgung einmal absieht: Haben die Kirchen nicht Recht? Sollen sie die Schädigung ihres Rufes durch ihre schwarzen Schafe auf sich sitzen lassen? Überhaupt: Muss die Kirche nicht vor Gott Rechenschaft ablegen, wie sie mit seinem Evangelium umgegangen ist? Dazu gehören auch regelmäßige Zwischenbilanzen. Nicht zufällig ist unser Gleichnis gerade für den heutigen Tag als Predigttext vorgeschlagen worden. Silvester fordert dazu auf, Rechenschaft über das vergangene Jahr abzulegen, in der ganzen Gesellschaft. Das geschieht durch Regierungsansprachen, durch die Inventur bei allen Betrieben im Land gleich übermorgen, am 2. Januar, und durchaus auch in der Kirche. Sollen wir also wirklich kein Unkraut jäten?

Es hilft uns nicht weiter, wenn wir sagen, das Gleichnis stamme ja von Matthäus, und Jesus habe es bestimmt ganz anders gemeint. Jesus hat zwar noch nicht die Kirche im Sinn gehabt; er hat ja keine Kirche gegründet. Er hat ganz umfassend von Menschen gesprochen, die seine Botschaft vom Reich Gottes für sich angenommen haben und solchen, die das nicht taten. Auf die Menschen bezogen, die nicht an ihn glauben, gilt: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet!“ Genau darum geht es auch in unserem Gleichnis. Das Unkraut ausreißen, das bedeutet: ein Verdammungsurteil über Menschen auszusprechen, die nach unserer Meinung im Reich Gottes nichts zu suchen haben. Das steht uns nicht zu. Ein endgültiges Urteil über einen Menschen kann nur Gott sprechen. Versucht unsereiner das, so setzt er sich an die Stelle Gottes. Größer kann kein Frevel sein. Wer das Gericht Gottes in die eigenen Hände nimmt, ist schon gerichtet. Da reicht schon üble Nachrede, da reicht Kirchentratsch.

Damit ist gewiss nicht gesagt, dass wir die Dinge einfach laufen lassen sollen. Glauben ist ja etwas ganz anderes als ein paar religiöse Sätze in seinem Kopf für richtig zu halten. Glauben heißt sich für die Sache Jesu mit Leib und Seele einzusetzen und dafür auch etwas zu riskieren. Wir werden also Menschen, die eine ganz andere Auffassung vom Evangelium haben als wir, darauf ansprechen, und jemanden, der unserer Meinung nach den Ruf der Christenheit schädigt, zur Rede stellen. Aber zugleich müssen wir uns dessen bewusst sein, dass auch wir selbst im Unrecht sein können. Niemand hat die Wahrheit Gottes für sich gepachtet, auch die Christen nicht. Es ist darum durchaus sinnvoll, eine Volkskirche zu haben, in der viele unterschiedliche Meinungen über den christlichen Glauben nebeneinander bestehen können, solange es darüber lebendige und engagierte Gespräche gibt und solange ein gemeinsamer praktischer Einsatz für Menschen in Not dabei möglich ist. Nur in dem extremen Fall, dass jemand durch gehässige antichristliche Propaganda die Verkündigung unmöglich macht, kann man sich einen Ausschluss aus der Kirche vorstellen; das kommt mit Recht nur selten vor. Und wenn, dann muss es jederzeit möglich sein, diese Entscheidung zu revidieren.      

Nun werden freilich nicht wenige Christen gegen das, was ich da gerade gesagt habe, einwenden, ich hätte unter der Hand die Gemeinschaft der ernsthaft Gläubigen durch die permissive liberale Gesellschaft der Gegenwart ausgetauscht. In dem Gleichnis steht doch nicht einfach alles Mögliche, Christliches und Halb- und Viertelchristliches, nebeneinander, sondern ganz klar der Weizen und das Unkraut, also lebendiger christlicher Glaube und wuchernde Christenfeindschaft. Wenn das Gleichnis also dazu anhält, in Geduld auszuharren, bis beides einst von Gott selbst auseinanderdividiert wird, dann ist damit nicht eine Allerwelts-Toleranz gemeint, leben und leben lassen. Vielmehr geht es um einen scharfen Gegensatz, der über jeden, der seinen Glauben ernst nimmt, schmerzhaftes Leiden bringt. Wir sehnen uns doch danach, dass unser Glaube ganz unzweideutig vor aller Augen steht, ohne ständige Angriffe und ohne den Schatten eines Zweifels.

Daran ist etwas Richtiges. So gewiss unser Glaube eine feste Überzeugung einschließt, so sehr kann ihn die offene Feindschaft in Gefahr bringen, Zweifel und Anfechtung hervorrufen. Nur leider entspricht die klare Gegenüberstellung von christlicher Wahrheit und unchristlichem Irrtum nicht der Wirklichkeit. Die Lebensweisheit des Gleichnisses ist daran zu erkennen, dass es von einer undurchdringlichen Verflechtung des Wurzelwerks von Weizen und Unkraut spricht. Eben deshalb kann es ja so leicht passieren, dass man beim Jäten des Unkrauts den Weizen gleich mit ausreißt. Wir sind gerade dabei, auf ganz anderem Gebiet mit wachsender Unruhe zu erleben, wie die Verbreitung von fake news sich mit seriösen Nachrichten immer öfter zu einem kaum entwirrbaren Knäuel verwickelt.

Es ist also für unsere Glaubensgewissheit gar nicht leicht, die volle Offenbarung der Wahrheit, an die wir glauben und für die wir leben, wirklich Gott allein zu überlassen und nicht mal eben schnell ein eigenes Machtwort zu sprechen. Ja, wir leiden in der Tat darunter, wenn wir sehen, wie nach unserem redlichen Urteil die Wahrheit des Glaubens auch unter uns, in unserer Kirche, banalisiert, verkitscht, verfälscht wird. Aber wir sollten diesen Sachverhalt trotzdem eher von seiner positiven Kehrseite sehen. Im Gleichnis kommt die Ernte, die Klarheit bringen wird, mit Sicherheit. Gott verheißt uns, dass er auf jeden Fall die Verwirrung, die uns jetzt zu schaffen macht, auflösen wird. Bis dahin werden wir ihm weiterhin Zwischenbilanzen vorlegen müssen, in der lebendigen Hingabe des Gebets zu ihm, und das nicht nur zu Silvester. Aber die Hoffnung auf endgültige Klarheit bleibt. Sie trägt uns durch die Wirrnis, mit der unser Glaube jetzt noch täglich zu kämpfen hat. Das Gleichnis läuft eben nicht nur auf eine Warnung vor der eigenmächtigen Ausübung des göttlichen Gerichts und die Androhung eben dieses Gerichts über uns selber hinaus. Sondern darin steckt zugleich das Versprechen, uns die Kraft für die Geduld zu geben und für ein konstruktives Ertragen der Widersprüche, in die uns das christliche Leben verwickelt.                                                                                                                              Amen.



Prof.Dr. Dietz Lange
Göttingen
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