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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Sonntag nach Epiphanias, 08.01.2017

Gott ist mit dieser Welt: Wir sind dran!
Predigt zu Matthäus 4:12-17, verfasst von Christian Wolff

Weihnachten ist nicht nur Idylle. Das erfahren wir in jedem Jahr von neuem am Widerspruch zwischen unserer auf Harmonie eingestellten Stimmungslage an den Festtagen und dem, was dann tatsächlich geschieht an Terror, Unglück, Verbrechen, Sterben. Auch die Begleitumstände der Geburt Jesu zeugen von diesen Widersprüchen: der mühsame Weg nach Bethlehem, die vergebliche Suche nach einer Herberge, die Flucht der heiligen Familie vor dem Kindermörder Herodes – das sind deutliche Kontraste zur Krippenidylle in unseren Wohnzimmern. Doch diese Gegensätzlichkeit spiegelt sich in dem wider, was wir an Weihnachten gefeiert haben: Jesus, das Licht der Welt, wurde in dunkler Nacht geboren. Dieser Gegensatz von Licht und Finsternis prägt auch die Berichte in den Evangelien über den Beginn der Tätigkeit Jesu. Das gilt auch für den Predigttext aus dem Matthäusevangelium:

Als Jesus hörte, dass Johannes im Gefängnis war, zog er sich nach Galiläa zurück, verließ Nazareth und ging nach Kapernaum, das nah am See liegt, im Gebiet von Sebulon und Naphtali. Dort wohnte er, und so ging das Wort in Erfüllung, das der Prophet Jesaja gesagt hat:

Land Sebulon und Land Naphtali

am Meerweg, jenseits des Jordans,

Galiläa, Land der Heiden:

das Volk, in der Finsternis wohnend,

erkannte das Licht.

Groß ging es auf.

Im Schattenland

des Todes

leuchtete es.

Von dieser Zeit an begann Jesus zu predigen und die Botschaft zu verkünden: „Ändert euch! Tut Buße! Das Reich Gottes ist nah, und nah seine Herrschaft!“

Matthäus 4,12-17 (Übersetzung nach Walter Jens)

Die Szenerie ist alles andere als leuchtend. Da steht am Anfang der Tätigkeit Jesu nicht die pompöse Inthronisation des Gottessohnes, sondern der erzwungene, wenig ruhmreiche Abtritt seines Vorgängers: Johannes der Täufer. Er wird von den Schergen des Herodes verhaftet und wenig später hingerichtet. Für Jesus ist das aber nicht Anlass, sich an die Spitze der Bewegung des Johannes zu setzen. Er geht nicht an den Jordanfluss - dorthin, wo Johannes die Massen mit seinen Aufrufen bewegt hatte, Hunderte Menschen taufte (darunter auch Jesus selbst) und mit neuer Hoffnung erfüllte. Jesus geht auch nicht nach Jerusalem, um dort die Machtfrage im von den Römern besetzten und von Herodes grausam regierten Israel zu stellen. Die Herrschaft Gottes, von deren Nähe Jesus die Menschen überzeugen wollte, zieht er nicht auf die Ebene machtpolitischer Auseinandersetzungen. Im Gegenteil: Als Jesus hört, dass Johannes im Gefängnis einsitzt, zieht er sich zurück.

Doch mit diesem Rückzug verbindet Jesus den Aufbruch in ein neues Land: Galiläa, in das Gebiet von Naphtali und Sebulon. Uns sagen die Namen heute wenig. Aber ein Blick auf eine alte Israelkarte hilft uns weiter: Galiläa, das war der arme Norden Israels, preisgegeben fremden und gewalttätigen Übergriffen. Provinz im übelsten Sinne, ohne Kulturdenkmäler und Heiligtümer. Die Menschen lebten dort ohne Nationalstolz und Vaterlandsliebe und ohne große religiöse Traditionen. Land der Heiden - da, wo die Gottlosigkeit mit den Händen zu greifen war. Galiläa - das war der Inbegriff für Verlorenheit (und das nicht erst zurzeit Jesu). Schon der Prophet Jesaja wähnte 700 Jahre zuvor die Galiläer in der Finsternis wohnend und spricht vom Schattenland des Todes. Eine Welt ohne Gott. Und das heißt: abgeschnitten von der lebendigen, hellen, heilsamen, ordnenden und erleuchtenden Gegenwart Gottes, weit ab gelegen vom zentralen Heiligtum, dem Tempel in Jerusalem. Und doch wurde von den Menschen in diesem Land eines nie ganz vergessen: die Verheißung eines großen Lichtes, das aufstrahlt gerade über denen, die im Dunkel sitzen. Dahin bricht Jesus auf und lässt alles andere zurück:

Jesus lässt dies alles hinter sich, um ins Schattenland des Todes zu gehen.

Am Anfang des Wirkens Jesu steht also der Gang in die Dunkelheit, in die Welt ohne Gott. Das hat seinen tiefen Grund. Für uns ist dies der Ursprung aller Hoffnung, das Evangelium in Kurzform: Gott will mit dieser Welt sein, denn er gibt sie nicht auf und lässt die Menschen nicht allein. Man kann sich zwar eine Welt ohne Gott vorstellen (und wir erleben diese Welt ohne Gott sehr real an jedem Tag in unserer Stadt), aber Gott ohne unsere Welt, ohne Zuwendung zu den Menschen - das ist seit Jesus Christus zu unserem Glück nicht mehr vorstellbar. So bleibt Jesus dem Zeichen des Sterns über Bethlehem, den Zeichen von Krippe und Stall, treu. Jesus legt sich nicht ins gemachte Bett religiöser Traditionen. Er geht nicht in den Jerusalemer Tempel, um sich dort von den frommen Juden als der verheißene Messias offiziell anerkennen zu lassen. Jesus bricht in Neuland auf, dorthin, wo nur noch Finsternis regiert. Dort verkündet er die Botschaft von Gottes neuer Welt und ruft die Menschen auf, sich durch diese Botschaft aus Niedergeschlagenheit aufrichten zu lassen und umzukehren.

Nun ist die Frage: Wo liegt unser Galiläa, das Land der Heiden, das Gebiet von Sebulon und Naphtali? Wo nehmen heute die Menschen ihre Schatten nur noch als Zeichen des Todes wahr? Wohin haben wir aufzubrechen? Wo haben wir heute die Botschaft weiterzugeben: Gott ist mit dieser Welt, denn er will in ihr seine Herrschaft aufrichten? Wir müssen ja nicht weit gehen. Die Welt ohne Gott liegt vor unserer Kirchentür. Sie beginnt mitten unter uns. Die Menschen können von uns so angesprochen werden, wie dies vor 2700 Jahren Jesaja getan hat:

Du Land von 80 Millionen Menschen,

Du Stadt mit 580.000 Einwohnern,

25 Jahre nach einem Glückmoment in der Geschichte,

damals friedlich „Keine Gewalt!“,

heute wieder hochgerüstet

für Kriege,

die wir eigentlich nie mehr führen wollten.

Immer noch aufgesplittet

in so viele Gruppen,

sozial und kulturell,

ethnisch und politisch.

Jetzt mit so vielen Fremden.

Ausgeliefert dem grenzenlosen Markt.

Viele wieder verarmt an Leib und Seele,

wenige reich und trotzdem Seelenkrüppel -

Menschen,

an den Rand gedrängt und

mitten in der Masse vereinsamend,

werden ein großes Licht sehen.

Und auch denen,

die im Wohlstand wohnen,

geborgen, sorglos,

rücksichtslos und übersatt,

wird ein Licht aufgehen.

Denn Gott ist trotz

Anbetung der Götzen

Sicherheit und Gleichgültigkeit

nicht aus diesem Land ausgezogen.

Auch denen,

die allen Glauben verloren

und ihre Hoffnung begraben haben,

scheint das Licht hell.

 

Uns, die wir zu dieser Welt ohne Gott gehören, aber gleichzeitig von dem Gott, der mit dieser Welt ist, wissen, die wir von den Visionen des Friedens auf Erden zehren, also vom Vorsprung des Glaubens leben können, gilt der Auftrag, den ich einmal so formuliert vorfand:

Es ist Zeit,

hat Jesus gesagt,

die Gleichgültigen und Friedlosen zu wecken,

die Mächtigen und Ohnmächtigen zu lehren,

die Gefangenen und Traurigen zu trösten.

Ohne Zweifel, jetzt sind wir dran.

Kurt Wolff

Ja, wir sind dran. Wir sind dran, die Botschaft von Gottes neuer Welt weiterzugeben:

Kehrt um! Ändert euch! Das Reich Gottes ist nah, und nah seine Herrschaft.

Wir sind dran, der Welt ohne Gott diese gute Nachricht nicht vorzuenthalten. Denn bei aller Kritik, die wir an den Kirchen in den vergangenen 2000 Jahren haben üben können und müssen: Ohne Gott sind wir nicht besser dran. Das ist jedenfalls auch eine Schlussfolgerung aus 40 Jahren verordnetem Staatsatheismus in der DDR. Ja, es stimmt: Ohne Gott gehen uns nicht nur die Maßstäbe des Lebens verloren, ohne Gott werden wir auch unsere Gesellschaft kaum zusammenhalten können. Die Marginalisierung der Kirchen hat nicht nur dramatische Folgen für diese, sondern wirkt sich in allen Verästelungen unserer Gesellschaft nicht zum Besten aus. Wir sind also dran, den Menschen zu sagen: Gottes Herrschaft ist uns ganz nahe gekommen:

Von dieser Nähe möchten wir künden – mit ganz viel Überzeugung, aber ohne jede apokalyptische Drohgebärde. Diese hat wenig zu tun mit dem Gott, der uns zur Umkehr einlädt, mit dem Gott, der sich uns mit Jesus von neuem zuwendet. Die Herrschaft Gottes hat nichts zu tun mit den Zerstörungskräften, die uns Menschen innewohnen, und die wir mit immer neuen technischen Raffinessen mobilisieren.

Wo immer zerstörerisches Handeln religiös gerechtfertigt wird oder vorschnell als Ausdruck von Gottes Gericht gedeutet wird, sollten wir uns an die Grunddaten des Evangeliums erinnern: Gottes Herrschaft ist uns ganz nahe gekommen in Jesus Christus, seine Liebe, sein Licht, sein heilendes Handeln. Wir können nun in der Gewissheit leben: Gott ist mit dieser Welt. Darum ändern sich schon jetzt alle Lebensbedingungen grundsätzlich. Darum ist Jesus zuerst nach Galiläa gegangen, weil dort ein tiefes, verborgenes Warten war auf diesen Umbruch – wie wir auch in vielen sozialen Eruptionen in den vernachlässigten Bezirken unserer Städte, denen wir oft so verständnislos gegenüberstehen, ein solches Sehnen erkennen sollten. In Jerusalem, bei Herodes, gab es ein solches Warten auf Veränderung nicht. Deswegen auch keine Bereitschaft zur Umkehr, zur neuen Praxis der Liebe. Dort hatte man seinen Frieden geschlossen mit der Welt der Gewalt und Lieblosigkeit.

Bei der Umkehr geht es aber um eine neue Praxis, um die neue Welt Gottes, um eine neue Vernunft, von der wir in der Epistellesung gehört haben:

Stellt euch nicht der Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene.

Römer 12,3

schreibt der Apostel Paulus an die Gemeinde in Rom. Auch da sind wir dran.

Sind wir aber wirklich dran an dieser neuen Praxis der Liebe, die Licht und Wärme bringen soll den Menschen, die im Schatten des Todes leben? Lassen wir uns ein auf die neue Vernunft, mit der wir uns eben nicht gleichmachen mit der Welt ohne Gott, die ja eine sehr unvernünftige Welt ist – wenn wir allein an die kriegerische Gewalt denken, die trotz aller Logistik Ausdruck zerstörten Geistes ist? Oder wenn wir daran denken, wie unvernünftig es ist, Menschen in Armut zu belassen und Reichtum Weniger zu vermehren, anstatt soziale Gräben zu überwinden, wie unvernünftig es ist, Menschen ungebildet zu lassen, anstatt sie durch Glauben zu bilden, wie unvernünftig es ist, politische Scheindebatte über Obergrenzen zu führen anstatt kräftig in die Integrationsarbeit zu investieren? Haben wir hier die Kraft zur Umkehr? Verstehen wir unser Christenleben als Zeugnis einer Welt, die von Gott nicht allein gelassen wird – auch wenn militante Atheisten zehn Mal fordern, nicht mit Gott belästigt zu werden? Das sind die Fragen, mit denen wir aus diesem Gottesdienst entlassen werden. Es sind die Fragen, die sich jedem getauften Christen stellen. Es sind Fragen, durch die jedes Alltagsproblem schon verändert wird. Es sind die Fragen, durch die uns die Welt in einem anderen Licht, im Licht Jesu Christi erscheinen möchte. Sicher: Fragen allein reicht nicht aus. Auch Antworten müssen her. Klar und unmissverständlich, lebensnah und überzeugend – unsere tägliche Aufgabe im Kleinen wie im Großen.

Von bedeutenden Schriftsteller und Lyriker Jochen Klepper – er lebte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts - stammt der schöne Vers:

Ohne Gott bin ich ein Fisch am Strand,

Ohne Gott ein Tropfen in der Glut,

Ohne Gott bin ich ein Gras im Sand

Und ein Vogel, dessen Schwinge ruht.

Wenn mich Gott bei meinem Namen ruft,

Bin ich Wasser, Feuer, Erde, Luft.

Eine gute Antwort, eine gute Nachricht: Wenn Gott mich in meinem Galiläa aufsucht, wenn er mich aus meiner Welt ohne Gott heraus ruft,

 

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.



Pfarrer Christian Wolff
Leipzig
E-Mail: info@wolff-christian.de

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