Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Sonntag nach Epiphanias, 08.01.2017

Predigt zu Lukas 2:41-52(dänische Perikpenordnung), verfasst von Marianne Frank Larsen

Hör auf mit all den Fragen, sagt der Sohn, ich kann sie nicht ertragen. Kurz danach ist er auf dem Weg fort vom Auto, wo die Mutter sitzt und versucht, das Gespräch in Gang zu halten. In einer der Novelle von Ida Jessen sind Mutter und Sohn zusammen auf dem Weg zum Friedhof, wo die Großeltern begraben sind, und sie ist glücklich, dass er mit dabei ist. Als sie sagt, dass sie ihn zu einem Mittagessen im Gasthaus einladen will, verlässt er das Auto, um Zigaretten zu kaufen. Sie kann ruhig vorangehen und bestellen. Als sie fragt, was er gerne essen möchte und wie hungrig er ist, wenig oder viel oder etwas dazwischen, sagt er dies: Hör auf mit all den Fragen, und dann sieht sie ihren zwanzigjährigen Sohn über den Parkplatz gehen, weg vom Auto, wie immer mit einem Willen, den er nicht zähmen kann, steht er da, ihr zugewandt und abgewandt. Um ihn steht ein Licht, das so klar brennt, dass selbst ein feuchtkalter Tag auf einem flachen Parkplatz wie ein Liebesabenteuer wirkt, schreibt die Autorin und bringt damit eine verbreitete Elternerfahrung zum Ausdruck. Auf der einen Seite das eigene Herz, das das klare Licht um das Kind sieht, das man liebt und nach dem man sich sehnt. Auf der anderen Seite der Wille des Kindes, das von einem loskommen will, längst bevor es zwanzig ist, es will von einem weggehen. Wenn man nur wüsste, wann es wiederkommt.

Das wissen Maria und Joseph nicht, als sie scheinbar dasselbe tun, eine allgemeine Elternerfahrung im heutigen Evangelium. Drei Tage lang haben sie nach ihrem Jungen gesucht, nach ihm überall gesehen und nach ihm gerufen auf den Straßen und Plätzen in Jerusalem, da wir können bestimmt ahnen, wie ihr Schrecken stündlich zugenommen hat. Das ist der Alptraum aller Eltern – dass das Kind verschwunden ist und dass man es nie wiedersieht. Und nun finden sie ihn dort, wo sie es am wenigsten erwartet haben. Wahrlich, von allen Orten befindet der Junge sich im Tempel! Und er hat sich nicht in eine Ecke versteckt, er ist nicht auf einer Bank eingeschlafen. Er sitzt mitten in dem großen Raum, umgeben von all den gelehrten Priestern, völlig im Gespräch mit ihnen versunken. Um ihn steht zweifellos ein Licht, das so klar brennt, dass selbst ein nasskalter Tag in Jerusalem wirkt wie ein Liebesabenteuer. Das ist nicht der arme Junge, der verschwunden ist. Das ist offenbar ein Junge, der selbst gerade dorthin gegangen ist, wo er hinwollte. Kein Wunder, dass Maria die Worte entfuhren: Mein Kind, warum hast du uns das angetan? Mitten in der unbeschreiblichen Erleichterung darüber, dass er wohlbehalten und am Leben ist, geht ihr der Mund über mit all ihrem angestauten Entsetzen, das zu Zorn wird, Trauer und Anklagen. Wie kann er das tun? Viele von uns hätten wohl auch so gesprochen.

Aber wir hätten nicht dieselbe Antwort erhalten. Warum habt ihr nach mir gesucht? Fragt der Junge und wendet so gesehen die Anklage gegen die Eltern, als müssten sie es besser wissen. Und mit diesen Worten sind wir über allgemeine Elternerfahrungen hinaus. Warum habt Ihr nach mir gesucht? Als wären Joseph und Maria nicht die Eltern, die ihn getragen haben und ernährt haben und ihm in den 12 Jahren gefolgt sind, die er gelebt hat. Sollen sie nicht nach ihm suchen? Sollen sie einfach nach Hause gehen, als sei nichts geschehen? Er wird fremd für sie, wenn er so fragt. Er klingt einfach so, als komme er aus einer anderen Welt. Aber mit der nächsten Frage sagt er dann, dass dies auch der Fall ist. Wusstet ihr nicht, dass ich bei meinem Vater sein soll? Fragt er, und die Worte sind erschütternd, denn er meint offenbar nicht Joseph. Er meint offenbar den Vater, bei dem er unter den hohen Gewölben des Tempels ist.

Das ist das erste Mal, dass er sagt, wer er ist. In den Weihnachtsgeschichten haben wir die Engel gehört und die Hirten und die Weisen, die sagten, wer der ist, der da geboren wurde, in Windeln gewickelt in einer Krippe liegend. Heute am ersten Sonntag nach den Heiligen drei Königen, ergreift er nunmehr selbst das Wort und erzählt Maria und Joseph und uns anderen, wer er auch ist. Nicht nur ihr Junge, sondern Gottes Sohn. Nicht allein an Maria und Joseph und ihren Willen gebunden, sondern gebunden an Gott und seinen Willen. Nicht allein zuhause bei ihnen in Nazareth, sondern zuhause in einer anderen Welt, bei dem Gott, den er seinen Vater im Himmel nennt. So eng verbunden mit ihm, dass die Loyalität gegenüber seinem irdischen Vater weichen musste.

Die irdischen Eltern verstehen nicht, was der Junge sagt, erzählt Lukas. Maria und wir anderen haben es aber doch vom Engel erfahren, der ihr erzählt hat, dass sie Gotts Sohn gebären würde. Und von den Hirten und den Weisen und dem alten Simeon, als das Kind geboren war. So gesehen sollte es sie nicht überraschen, dass ihr Junge Gott im Himmel seinen Vater nennt. Wenn es Maria und Joseph dennoch ganz unbegreiflich vorkommt, was der Junge da sagt, so natürlich deshalb, weil es ein Geheimnis ist und bleibt, dass Gottes Sohn in ihrem Schoß gelegen hat, von ihr auf den Armen getragen worden ist und in ihrem Haus wie ein ganz gewöhnlicher Junge aufgewachsen ist. Dass dieser zwölfjährige Junge, der allen anderen zwölfjährigen Jungen gleicht, Gott und Mensch ist – im Himmel wie auf Erden zuhause ist – sowohl Joseph als auch Gott zum Vater hat, das ist schwer zu begreifen. Auch für uns. Das zu verstehen, und was das bedeutet, damit werden wir vielleicht nie fertig. Mit seiner Ankündigung greift Jesus heute dem vor, was er tun wird, wenn er erwachsen wird: Im Namen des Gottes reden und handeln, den er seinen Vater nennt. Auch dann wird er nicht gleich von allen verstanden und akzeptiert werden. Im Gegenteil. Denn es ist ein großes Geheimnis, dass wir in diesem konkreten Menschen Gott begegnen. Vielleicht geschieht es erst am Ostermorgen, wenn sein Vater im Himmel in die irdische Geschichte eingreift und ihn von den Toten auferweckt, dass Maria wirklich versteht, dass der Mann, dessen Mutter sie ist, wirklich der Sohn Gottes war und dass er deshalb so redete und handelte, wie er es tat.

Denn das Schöne ist ja, dass er bei seinem Vater bleibt. Wusstet ihr nicht, dass ich bei meinem Vater sein sollte? Sagt er zu Maria und Joseph – um kurz darauf den Tempel zusammen mit ihnen zu verlassen und nach Nazareth zurückzukehren und dort aufzuwachsen. Er ist also nicht allein bei seinem Vater, wenn er im zentralen Heiligtum im Tempel in Jerusalem ist. Er ist auch bei seinem Vater dort in dem kleinen Ort in der Provinz, von dem niemand gehört hätte, wenn es nicht der Ort gewesen wäre, aus dem Maria stammt. Überall hört er auf seinen Vater und tut den Willen seines Vaters. Überall zeigt er uns in dieser Weise, wer sein Vater ist, überall trägt er seinen Vater und seine Macht und Liebe in unser Dasein hinein. Er ist bei seinem Vater zuhause bei Joseph und Maria, während er aufwächst, und er ist bei seinem Vater in allem, was er sagt und tut für Menschen, und schließlich ist er bei seinem Vater, als er am Kreuz hängt und stirbt. Überall, wo wir auch hinkommen, im Zentrum oder ganz weit weg in der Peripherie, macht er seinen Vater gegenwärtig. Selbst im Grabe und im Reich des Todes.

Und deshalb muss es Maria ertragen, dass der Junge, der wie ein Licht in ihren Augen dasteht, nicht nur ihr Junge ist. Damit er bei uns sein kann mit seinem himmlischen Vater. Das ist er immer und überall, wo wir sind. Aber wenn wir wissen wollen, wer er ist und wie sein Vater ist und wie wir selbst in dem Lichte sind, dann können wir in Gottes Haus gehen. Hier können wir singen du die Worte hören, die uns an das erinnern, was uns selbst und unseren Kindern gesagt wurde, als wir getauft wurden. Dass wir nicht nur einander gehören. Dass unsere Kinder nicht nur unsere Kinder sind; dass sie in erster Linie Kinder des himmlischen Vaters sind und in der Wirklichkeit zuhause sind, die unendlich größer ist als unsere Stuben. Dass wir sie deshalb weder umklammern oder auf sie treten dürfen, sondern für sie sorgen und ihnen die besten Lieder und Geschichten geben sollen, die wir kennen, damit sie wachsen können an Weisheit, solange sie uns anvertraut sind. Aber auch dass wir deshalb nicht allein sind, wenn wir ihnen folgen und das Licht sehen, dass so deutlich um sie herum scheint. Da ist auch ein anderer, der sieht. Selbst wenn das Furchtbare geschehen sollte, dass wir uns aus den Augen verlieren, so sind wir deshalb noch immer Kinder des Vaters, der uns nie loslässt, sondern seinen toten Sohn lebendig machte am Ostermorgen und die Freude wieder neu machte. Amen.

 



Pastorin Marianne Frank Larsen
DK 8000 Aarhus C
E-Mail: mfl(at)km.dk

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