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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

2. Sonntag n. Epiphanias , 15.01.2017

Predigt zu Exodus (2. Buch Mose) 33:17-23, verfasst von Dietz Lange

Liebe Gemeinde!

Manche von Ihnen haben vielleicht einmal einen hohen Berg in den Alpen bestiegen, 2500 oder 3000 m hoch. Bei Menschen meines Alters ist das sehr lange her; ich könnte das längst nicht mehr. Aber die Erinnerung daran ist sehr lebendig: die Erinnerung an den Stolz, die anstrengende Klettertour geschafft zu haben. Vor allem aber: die Erinnerung an den phantastischen Blick auf die benachbarten Gipfel mit ihrem ewigen Schnee, und dann weit hinaus über das Tal da ganz unten. Wir nennen das ein erhebendes Gefühl, und wir sprechen von der majestätischen Bergwelt.

In solchen Ausdrücken steckt noch etwas von der Art, wie die Menschen in alter Zeit über die Berge gedacht haben, lange bevor es einen Bergtourismus gab, in der Zeit der Bibel. Damals freilich galt ein Berg nicht als etwas von Menschen zu Bezwingendes, sondern als bedrohlich. Da konnten ja Lawinen oder im Sommer Wassermassen herabstürzen, die unten die menschlichen Siedlungen zerstörten. Hohe Berge waren unheimlich. Aber in vielen Religionen waren sie zugleich heilig. Sie waren der Sitz der Götter, wie der Olymp in Griechenland. Bis heute gilt der Fujiyama in Japan als Sitz der göttlichen Naturkraft, von der das ganze Land abhängt. Ein Gott ist für jede Religion eine hoch erhabene Macht, die uns Menschen unendlich überlegen ist, eine Macht, die uns und das Dasein der ganzen Welt restlos in ihrer Gewalt hat. In unserem Gefühl, dass die Bergwelt der Alpen majestätisch ist, klingt noch ein wenig von dieser religiösen Bedeutung der Berge nach.

Ein heiliger Berg war auch der Sinai, denn auf ihn soll nach der Überlieferung Gott selbst hinabgestiegen sein, um Mose die 10 Gebote mitzuteilen, die nun der höchste Maßstab für das Leben des Volkes Israel sein sollten. Danach aber war Mose lange nicht wieder heruntergekommen. Da fühlte sich das Volk im Stich gelassen, nicht nur von Mose, auch von Gott selbst. Denn Israel war schon lange auf dem Marsch durch die Wüste, und das von Gott versprochene Land Kanaan, wo sie sicher leben sollten, war noch immer nicht in Sicht. Dann konnte dieser unsichtbare Gott wohl sein Versprechen nicht halten. Darum wollte man sich nach einem zuverlässigen Gott umgucken, den man sehen konnte. So gossen sie ein goldenes Kalb. Das sollte fortan ihr Gott sein, den sie anbeteten. Mose ist zornig darüber. Trotzdem besteigt er den Berg Sinai. Er will Gott um Vergebung für das Volk bitten. Dabei hat er insgeheim wohl sogar ein wenig Verständnis für dessen Ungeduld. Auch er möchte sicher gehen, dass sie alle auf dem richtigen Weg sind. Aber er ist kühner als das Volk: Er will den wahren Gott selbst sehen. Soweit der Zusammenhang der alten Erzählung.

Das ist zunächst einmal eine Überlieferung aus der grauen Vorzeit der Religionsgeschichte. Niemand von uns würde wohl auf die Idee kommen, einen Goldschmied mit der Herstellung eines goldenen Kalbes zu beauftragen, damit wir dann zu ihm beten können. Aber Vorsicht. Worum es da eigentlich geht, ist keineswegs so naiv und auch nicht so vorgestrig wie es auf den ersten Blick scheint. Wir müssen zwar nicht durch die Wüste der Sinaihalbinsel wandern und bei über 40 Grad fast verdursten. Aber in einem anderen Sinn kennen auch wir Durststrecken in unserem Leben. Da droht uns die Routine im beruflichen Alltag aufzufressen. Jeden Tag dieselbe Arbeit, jeden Tag dieselben beiden schlechtgelaunten Kollegen, keine Beförderung in Sicht. Jeden Tag dieselben Auseinandersetzungen in der Familie, kein Licht am Ende des Tunnels. Und wenn wir uns in Mose versetzen, der die ganze Zeit die Verantwortung zu tragen hatte: Kann man nicht verstehen, dass er sicher gehen wollte? Wie schön wäre es doch, wenn wir von höchster Stelle die Bestätigung bekämen, dass die schwere Entscheidung für eine heikle Investition richtig ist! Das Gleiche auf dem Gebiet der Theorie. Da haben zu allen Zeiten Philosophen versucht zu beweisen, dass es Gott gibt, um jedenfalls im Denken eine letzte Sicherheit zu haben. Ohne Erfolg.

Zu Mose spricht Gott immerhin: Ich will dir meine Gegenwart gewähren. Nur mich sehen, das kannst du nicht. Denn eine unmittelbare, direkte Begegnung mit Gott ist für den Menschen tödlich. Ich ziehe an dir vorüber, und währenddessen halte ich schützend meine Hand über dich. Du wirst aber hinterher merken, dass ich an dir vorübergezogen bin. Und dann wirst du verstehen, dass ich ein gnädiger Gott bin.

Das ist eine ungeheuer dichte und geballte Auskunft. Wir haben es heute schwer, sie zu begreifen. Ist Gott denn einer, der tödlichen Schrecken einflößt, der uns Angst macht? Ist er etwa der Kinderschreck, mit dem in früheren Zeiten manche Eltern ihre Kinder zur Räson zu bringen versuchten, damit sie ihnen gehorchten? Oder ist das einfach nur alttestamentlich, also durch Jesus Gott sei Dank ein für alle Mal überholt? Ist Gott nicht für uns Christen der „liebe gute Gott“? So stellen ihn sich ja viele Menschen, Christen wie Nichtchristen, heute vor: als eine Art unendlich gütigen Großvater, der uns niemals im Ernst böse sein kann. Ein Alter, der uns immer hilfreich zur Seite steht, wenn auch manchmal mit schwacher Kraft, wie das eben bei einem Großvater oder auch bei einer Großmutter so ist.

So hat Jesus nie von Gott geredet. Nicht zufällig hat auch er auf einem Berg gepredigt. Damit knüpft er an die alte Überlieferung vom Sinai an. Für ihn ist Gott erst einmal ebenfalls ein strenger Gott. Auch so etwas wie das goldene Kalb kommt bei ihm vor: „Ihr könnt nicht Gott und dem Mammon dienen!“ Mammon, das ist der Wohlstand, das ist das Bankkonto oder das teure Smartphone. Das sind die falschen Götter in unserer Zeit. Auch für sie gilt: Gott lässt es sich nicht bieten, dass wir dafür alles stehen und liegen lassen. Außerdem hat Jesus Gottes Anspruch an unsere Lebensführung in schwindelnde Höhen geschraubt, weit höher als das ganze Alte Testament: „Liebt eure Feinde, segnet, die euch verfluchen!“ Ja, das wäre eine tolle Lösung der Weltprobleme, wenn sich alle danach richten würden – aber wir wissen, dass wir das nicht hinkriegen. Trotzdem meint Gott das ernst. Er zieht uns zur Rechenschaft.

Entscheidend ist aber schon in der Geschichte vom Sinai die andere Seite. Da spricht Gott: „Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.“ Das ist derselbe Gott, der uns Menschen verbietet, andere Götter neben ihm zu haben. Es ist immer noch eine hoheitliche Rede. Sie klingt fast wie: Lass mich in Ruhe, Mose, mit deiner Bitte für dein Volk, ich mache das, wie ich will. Aber gemeint ist: Es ist Gottes freie Entscheidung, auf die eigentlich fällige Bestrafung für die Anbetung jenes scheußlichen Götzen zu verzichten. Gott will seinem Volk vergeben und ihm trotz allem treu bleiben. Jesus knüpft daran an, aber er weitet das unendlich aus: „Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden. Selig sind, die hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden.“

Vergeben tut man nicht leichthin. Das wissen wir vom menschlichen Umgang. Wenn ich einem Menschen vergebe, der mich hinterhältig bei anderen angeschwärzt hat, dann fällt mir das schwer, weil er mich wirklich verletzt hat. Vielleicht darf man es sich so vorstellen, dass auch Gott sich überwinden muss. Jedenfalls haben wir kein Recht auf seine Vergebung. Umso dankbarer müssen wir ihm sein.

Gott erbarmt sich seines Volkes auf eigenartige Weise. Er tut es im Vorübergehen, wir kriegen ihn nicht zu sehen oder zu fassen. Es bleibt vieles übrig, was nicht zu verstehen ist. In der Geschichte von damals: das Volk bekommt keine Erklärung dafür an die Hand, warum es sich so lange durch die Wüste quälen muss. Wir heute bekommen keine Erklärung für die Durststrecken, die es in unserem Leben gibt, und schon gar nicht für so manches Unglück, das uns trifft. Das werden wir erst im anderen Leben begreifen. Aber ansatzweise blitzt so ein Verstehen hier und da schon jetzt auf, nämlich hinterher. So konnte das Volk Israel damals im Nachhinein verstehen, wozu die Entbehrungen und die lange Zeit der Ungewissheit gut waren, als sie nämlich in Sicherheit waren. Die vielen Toten, die sie zurücklassen mussten, blieben allerdings unverstanden. Wir heute begreifen manchmal im Nachhinein, wozu ein harter Schicksalsschlag gut war, nämlich wenn wir dadurch reifer und nachsichtiger mit anderen Menschen geworden sind. Da nehmen wir nachträglich wahr, dass Gott uns die ganze Zeit getragen hat, während wir meinten, er habe uns im Stich gelassen. Das hilft. Freilich bleibt auch für uns manche bedrängende Frage bis ans Ende unbeantwortet.

Aber es gibt einen entscheidenden Unterschied zu den alten Israeliten. Den finden wir bei Jesus. In ihm ist Gott selbst mitten in unsere menschliche Geschichte gekommen. Er selbst hat in Jesus für uns gelitten, nicht nur uns Leiden geschickt. Das ist mehr als die Befreiung aus bestimmten, begrenzten Notlagen. Das ist mehr, als wir fassen können. Das können wir nur dankbar feiern. Das wollen wir das gleich im heiligen Abendmahl miteinander tun.

Amen.



Prof.Dr. Dietz Lange
Göttingen
E-Mail: dietzclange@online.de

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