Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

4. Sonntag nach Epiphanias, 29.01.2017

Eine Nachtgeschichte
Predigt zu Matthäus 14:22-32, verfasst von Dieter Splinter

I.

Liebe Gemeinde!

Eine Nachtgeschichte erwartet Sie. Ob es eine Gute-Nacht-Geschichte ist, werden wir noch sehen. Jedenfalls endet sie im Morgengrauen mit einer Anbetung. Der Evangelist Matthäus berichtet diese Geschichte. Wäre diese Geschichte ein Film, hätte er sechs Szenen. Die erste Szene, der erste Schritt in dieser Geschichte hat diesen Inhalt:

 

II.

Und alsbald drängte Jesus die Jünger, in das Boot zu steigen und vor ihm ans andere Ufer zu fahren, bis er das Volk gehen ließe.

Der drängende Jesus. So lässt sich der erste Schritt dieser Geschichte überschreiben. Etwas Großartiges war gerade geschehen. Matthäus berichtet es am Ende der vorangehenden Geschichte so: „Die aber gegessen hatten, waren etwa fünftausend Männer, ohne Frauen und Kinder.“ Alle Anwesenden waren satt geworden. Keiner musste Hunger leiden. Endlich hatte es mit der Verteilungsgerechtigkeit geklappt. Nun, da alle satt sind, drängt Jesus die Jünger zu einem baldigen Aufbruch. Die Speisung der vielen war in der Nähe des Sees Genezareth geschehen. In einem Film würde man nun Jesus mit einem bestimmenden Gesichtsausdruck sehen – und zu den Jünger sagen hören: „Geht, macht euch auf den Weg! Steigt in das Boot und fahrt hinüber auf die andere Seite des Sees! Ich komme später nach! Ich muss das Volk noch nach Hause schicken!“ Im Film würde Petrus antworten: „Ja, Herr, wir tun, was du uns gesagt hast!“ Und zu den Gefährten gewandt: „Los, nehmt von den Körben, in denen wir das, was übrig geblieben gesammelt haben, zwei Stück. Wir brauchen Proviant für unterwegs! Den Rest verteilt unter die, die es besonders nötig haben!“ Gesagt getan – und schon sieht man wie die Jünger sich auf den Weg zum Strand machen, in das Boot steigen und zu rudern anfangen.

Der eine oder andere, der zu Hause am Fernseher den Film verfolgt, fragt sich: Was hat das nun alles mit mir zu tun? Er überlegt, ob er umschalten soll. Doch die Bilder sind schön. Langsam geht die Sonne unter. Sie taucht die ganze Szene in ein mildes Licht. Bei so viel Wärme will man bleiben. Und Jesus spricht vom Reicht Gottes. Er spricht davon, dass alle zu ihrem Recht kommen sollen. Er erinnert an das, was er schon einmal gesagt hat: „Selig sind, die da hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden!“ Am Ende gibt er allen – mit Blick auf die wunderbare Speisung – einen Satz aus einem Psalm mit: „Danket dem Herrn, denn er ist freundlich; seine Güte währet ewiglich!“

Schnitt. Denn im Film, in der Geschichte, geht es nun mit dieser Überschrift weiter: Der betende Jesus.

 

III.

Und als er das Volk hatte gehen lassen, stieg er auf einen Berg, um für sich zu sein und zu beten. Und am Abend war er dort allein.

Diese Szene ist kurz. Der Film zeigt Jesus in Großaufnahme. Jesus schöpft Kraft im Gebet. Der letzte Strahl der untergehenden Sonne trifft auf sein Gesicht. So wird die Innerlichkeit des Gebetes unterstrichen. Der Regisseur hat sich mächtig ins Zeug gelegt und lässt das Licht der Sonne auf Jesu Gesicht so langsam dunkler werden. So wird die innige Verbindung Jesu mit Gott ins Bild gesetzt. Manche sind davon ergriffen. Andere fragen sich, ob sie nicht doch lieber umschalten sollen. In zwei Minuten beginnt auf dem anderen Kanal ein Actionfilm. Schnell merken sie aber, dass das nicht nötig ist. Denn in einem Film kämen jetzt drei Actionszenen hintereinander. In der Geschichte sind es drei dramatische Höhepunkte, die aufeinander folgen. Der erste trägt die Überschrift: Boot in Not.

 

IV.

Das Boot aber war schon weit vom Land entfernt und kam in Not durch die Wellen; denn der Wind stand ihm entgegen.

Im Film käme jetzt dramatische Musik. Finstere Nacht. Heftige Böen, die von vorn blasen. Wellen, die ins Boot schlagen. Man würde die angstvollen Gesichter der Jünger sehen, die verzweifelt gegen Wind und Wellen ankämpfen, sich gegenseitig Kommandos zubrüllen. So manchem Betrachter kommen da die Nachrichten in den Sinn, die er kurz zuvor in einer Nachrichtensendung gesehen hat: Entkräftete Flüchtlinge, die irgendwo im Mittelmeer von Rettern aufgegriffen wurden. Und die Kunde von anderen, die es nicht geschafft haben...

 

V.

(Zweite Actionscene) Rettung naht. Doch die Furcht verschwindet nicht einfach. Jesus muss ihr entgegentreten

Aber in der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen und ging auf dem Meer. Und da ihn die Jünger sahen auf dem Meer gehen, erschraken sie und riefen: Es ist ein Gespenst!, und schrien vor Furcht. Aber sogleich redete Jesus mit ihnen und sprach: Seid getrost, ich bin's; fürchtet euch nicht!

Die vierte Nachtwache – das ist die Zeit zwischen drei Uhr nachts und sechs Uhr früh. Allmählich wird es heller, fahles Licht liegt auf dem tosenden See Genezareth. Bei dem Licht kann man schon einmal jemanden für ein Gespenst halten. In einem Fantasyfilm würde man nun eine schemenhafte Gestalt sehen, die unbeeindruckt von Wind und Wetter, auf dem Wasser voranschreitet und immer deutlicher zu erkennen ist. In einem Fantasyfilm würde man sich so eine auf dem Wasser wandelnde Gestalt gefallen lassen. Hollywood hat da schon ganz andere Fantasien in Filmen umgesetzt. Freilich wird so mancher auf der Ebene der Geschichte selber skeptischer sein; haben wir doch alle die Weisheit im Ohr: Wasser hat keine Balken. Aber gerade deshalb tut in schwierigen Zeiten die Botschaft gut: „Fürchtet euch nicht!“

 

VI.

(Dritte Actionszene) Petrus vertraut Jesus und muss doch von ihm gerettet werden

Petrus aber antwortete ihm und sprach: Herr, bist du es, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser. Und er sprach: Komm her! Und Petrus stieg aus dem Boot und ging auf dem Wasser und kam auf Jesus zu. Als er aber den starken Wind sah, erschrak er und begann zu sinken und schrie: Herr, rette mich! Jesus aber streckte zugleich die Hand aus und ergriff ihn und sprach zu ihm: Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?

In dieser Szene erreicht die Geschichte ihren dramatischen Höhepunkt. Im Film wäre die Musik entsprechend. Bei dem Dialog zwischen Petrus und Jesus würde der Regisseur die Großaufnahmen zwischen beiden hin und her wechseln lassen. Das gütige auffordernde Gesicht Jesu würde man sehen. Das Fragezeichen im Gesichtsausdruck des Petrus. Dann die tastenden Gehversuche des Petrus auf dem stürmischen Wasser. Die Überraschung – es geht ja. Dann aber die panische Angst des Petrus angesichts der wilden Wasser. Er versinkt. Schnell steht ihm das Wasser bis zum Hals. Im Film würde nun eine Großaufnahme kommen: die rettende Hand Jesu würde man sehen – und wie er Petrus aus dem Wasser zieht. Und deutlich würde man den Tadel hören: Warum hast du gezweifelt?

 

VII.

In der letzten Szene hat sich dann alles wieder beruhigt. Das Boot ist nicht mehr in Not:

Und sie stiegen in das Boot und der Wind legte sich. Die aber im Boot waren, fielen vor ihm nieder und sprachen: Du bist wahrhaft Gottes Sohn.

Zuletzt beten die Jünger Jesus an. Sie sehen in ihm den Sohn Gottes. In einem Film würde diese letzte Szene erweitert. Jesus würde aufrecht im Bug des Bootes stehen, den Blick zum Ufer gewandt. Und die Jünger würden frohgemut rudern – dem hellen Morgen entgegen.

 

VIII.

Wir haben Jesus und die Jünger in einer Nachtgeschichte begleitet: Über das Vorausschicken der Jünger, das Entlassen des Volkes, das Gebet Jesu bis hin zu den dramatischen Szenen auf dem Wasser. Schließlich das gute Ende. Aus dieser Geschichte ließe sich das Drehbuch für einen Film entwickeln. Wie bei vielen Hollywoodfilmen gibt es am Schluss ein Happy End. Mit einem ironischen Augenzwinkern könnten wir es nun dabei bewenden lassen. Doch geht es darin, ob nun Geschichte oder Film, um eine überaus ernste Sache. Zudem schreibt das Leben Geschichten, die sich kein Drehbuchautor ausdenken kann – vor allem dann, wenn es um das geht, was die Nachtgeschichte zum Thema hat. Sie fragt: Wie hängen Macht und Vertrauen zusammen? Da entfaltet sich gerade eine Geschichte, die viele fragen lässt, ob sie im falschen Film sind.

In der Politik hängen Vertrauen und Macht immer zusammen. Bei einer Wahl richten wir uns nicht bloß nach Inhalten. Wir orientieren uns an Personen und wählen die Person unseres Vertrauens. Donald Trump nun Präsident der USA. Nicht bloß den vielen Amerikanern, die ihn nicht gewählt haben, macht das Angst, denn sein Weg ins Amt wurde von zahlreichen Entgleisungen begleitet. Donald Trump hat jene in den USA angesprochen, die sich abgehängt fühlen; die sagen: mir steht das Wasser bis zum Hals. Er hat ihnen gewissermaßen versprochen: Wenn ihr mir vertraut und mir die Macht gebt, rette ich euch!

In unserer Nachtgeschichte ist das anders. Da ist Jesu Macht nicht von unserem Vertrauen abhängig: „Jesus aber streckte sogleich die Hand aus und ergriff ihn...“. Der Tadel kommt später: „Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?“ Der Macht Gottes, die uns in Jesus Christus begegnet, ist unserem Vertrauen immer vorgeordnet.

Von Berufs wegen habe ich es mit Prädikantinnen und Prädikanten zu tun. Sie kommen aus allen möglichen Berufen, leiten ehrenamtlich Gottesdienste und predigen. Häufig hat die Motivation zu diesem Ehrenamt damit zu tun, dass Erfahrungen von Rettung und Bewahrung gemacht wurden: eine schwere Krankheit wurde überstanden, über viele Irrungen und Wirrungen hinweg wurden sie wieder zum Glauben geführt. „Jesus aber streckte sogleich die Hand aus und ergriff ihn...“. Das ist eine Erfahrung, die viele gemacht haben. Da ist eine Macht da, die ist größer als unser Vertrauen. Da mag uns das Wasser auf die eine oder andere Weise bis zum Hals stehen, da mag sich zu allem Übel noch tiefste Nacht über alles legen und die Zeiten mögen, wie gerade jetzt, stürmisch sein, doch immer gilt das Wort Jesu: „Seid getrost … fürchtet euch nicht!“ Die Macht Gottes, die uns da begegnet, ist größer als die Macht aller Mächtigen. Kein Wunder, dass die Nachtgeschichte am frühen Morgen endet - und mit einer Anbetung: „Du bist wahrhaftig Gottes Sohn!“

 

Und so bewahre der Friede Gottes, welcher höher ist denn all unsere Vernunft, unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.

 

 



Pfarrer Dr. Dieter Splinter
Freiburg
E-Mail: dieter.splinter@ekiba.de)

(zurück zum Seitenanfang)