Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

4. Sonntag nach Epiphanias, 29.01.2017

Predigt zu Matthäus 8:23-27 (dänische Perikopenordnung), verfasst von Anne-Marie Nybo Mehlsen

Wer ist er? Sturm und Meer, Wind und Wellen, Untergang und Chaos gehorchen ihm.

Soll man das als eine symbolische Erzählung deuten, die uns heute helfen kann, wenn die Stürme in unserem Leben – im übertragenen Sinne also – über unsere kleinen existenziellen „Boote“ hinwegfegen und uns dem Untergang näherbringen? Wir, die wir sicher im Schiff der Kirche sitzen, im Bauch eines großen Waals, der Kirche heißt, eine gemütliche Institution, in der wir umsorgt und versorgt werden – und zuweilen auch unterhalten werden.

Ja, du hast aufgehorcht, als ich die Stürme in unserem Leben nannte. Gab es in deinem Leben Stürme? Furcht vor dem Untergang? War es auch deine Erfahrung, dass Gott schlief? Dass er abwesend war – oder passiv zugegen? Ganz so wie Jesus, der mit im Boot ist, als sie fürchteten, dass es in den Wogen des Sturms unterging. Aber er schläft, als sei nichts geschehen, als würde nichts passieren.

Ja, ich sehe deine Frage, sehe sie in deinem Blick, in deiner ganz kleinen unruhigen Bewegung auf deiner sicheren Kirchenbank, die einen Augenblick wackelte.

Ich glaube, du bist da gewesen – am Ort des Zweifels. Ich glaube, wir kennen den Sturm gleich gut – jeder in seiner Weise. Da klingt ein Echo einer Klage, ein Rest einer Anklage: Wer bist du eigentlich, Gott? Sag mir, schläfst du?

SOS“, das internationale Notsignal im Mors-code – gewählt wegen seines signifikanten Rhythmus – keine Abkürzung – als solches bedeutet es nichts. Aber es bedeutet alles, wenn es gehört, erkannt und beantwortet wird. “Erlöse uns, rette uns, wir gehen unter!“ Es ist das Gebet in der Not, am Rande des Unterganges, auf Wogen, die sich nicht beherrschen lassen, tiefes Wasser. Die Ohnmacht. Dort wo es alles bedeutet, dass wir nicht allein sind, nicht uns selbst und den eigenen Kräften überlassen. Dort, wo es alles bedeutet, ob unser Ruf gehört, erkannt und beantwortet wird.

Dort, wo Gott – hören wir – auf die Idee kommen kann, sich schlafen zu legen, schwer, müde, tief!

Lasst uns nur gemeinsam verwundern, unseren angeborenen Drang nach Antworten und Lösungen bekämpfen, alles selbst auf die einfache Art richten zu wollen, als handele es sich um Fertiggerichte.

Warum?“ – hast du vielleicht gerufen draußen über dem Abgrund des Chaos. Ich habe es auch. Aber das war keine Antwort, die ich hören wollte, und schon gar keine Erklärung.

So will ich denn uns beiden den Dienst erweisen, keine Erklärung zu versuchen. Ich will stattdessen einige Gedankensplitter, Assoziationen mit dir teilen, die mir draußen vor dem Abgrund kamen.

Gott hat alles geschaffen, ist noch immer der Schöpfer – also ist Gott auch der Schöpfer von Wind und Wetter und Chaos, von Finsternis und schlaflosen Nächten, Erdbeben und Flutwellen, die physischen und die abstrakten. Jesus redet zum Sturm, er droht ihm. Jesus droht der Schöpfermacht im Chaos – er droht, wie er Dämonen und Krankheiten droht: Fort mit dir! Leg dich nieder! Als handele es sich um einen großen Hund. Gottes Sohn droht … Gott?

Der Sturm legte sich! Gott änderte sich, als er Mensch wurde, durch menschliche Erfahrung. Gott verändert sich vor unseren Augen, ist nicht unerschütterlich, nicht unveränderlich, nicht unbeweglich. Es nützt also zu beten, zu beharren, zu klagen, zu drohen, zu rufen.

Draußen liegt die Erde nackt, unfruchtbar – es ist Winter. Das Licht hat etwas hervorgelockt, ein Winterling, unmöglich gelb. Sie kündet von der Möglichkeit der Veränderung. Auch wenn ich gerade jetzt keinen Arm bewegen kann, kaum denken will, kann ich unmöglich diesen Ruf überhören, dass nicht so ist, wie es zu sein scheint. Da war jemand, der von einem Samenkorn sprach, sich als ein Samen fallen lassen und sich verändern, um zum Leben für viele zu werden. Sprach davon und ließ es geschehen – genauso selbstverständlich wie sich in einem Bott schlafen zu legen, mitten in einem Sturm, dem Untergang nahe.

Nichts ist so, wie es zu sein scheint. Der Sturm ist nicht gefährlich, Chaos ist fas Rohmaterial der Stille, der Ruhe, Quelle des Friedens, ist Ursprung. Seht, der solide Taufstein, der steht da aus Granit wie ein Felsen, ein Berg der Ruhe, unverrückbar. Seht, das Wasser in ihm ist so still ohne Kräuselung, so fern vom Untergang, wie man nur denken kann.

Aber nichts ist so, wie es zu sein scheint: Dies Wasser ist ein Ort des Unterganges! Chaos, Veränderung! Dort ertrinken wir, gehen wir unter. Nicht nur als kleine Kinder, die wir sicher im Arm halten, während es geschieht, und keine Gefahr droht von drei Händevoll Wasser. Nein, du und ich gehen täglich unter in diesem Wasser – nur um dann herausgezogen zu werden, herausgeholt zu einem ganz anderen Leben: Christusleben, Auferstehungsleben, Winterlingleben. Seht, der unverrückbare Granitstein ist ein großer Ort der Veränderung, ein Verwandlungsstein. Der stumme Stein spricht, ruft genauso laut wie ein Winterling, dass es möglich ist, etwas ganz anderes zu werden als das, was wir sind, was wir zu sein meinen. Nichts ist so, wie es zu sein scheint. Gott verändert sich vor unseren Augen, nun begibt er sich in unser Leben. Er nimmt täglich an ihm teil, auch an den Alltagen, die sich nicht voneinander unterscheiden lassen mit ihren gleichen Forderungen, seinen Platz auszufüllen, aufzustehen und etwas im Nebeldunst des Januars auszurichten.

Alle Tage! Sagte Jesus. Er sagte nicht: „Solange du glaubst“.

Er sagte nicht: „Solange du lebst!“ oder: „wenn du betest“. Jesus sagte: „Bis ans Ende der Welt“.

Ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt! Selbst im Untergang ist Jesus mit uns, Gott steigt mit uns in die Tiefe, geht unter mit uns. So sehr hat er sich verändert, als er Mensch wurde, so sehr hat er sich mit uns vereint. Inkarniert ist Gott, heißt es auf Lateinisch. „Fleisch geworden“, heißt es in unserer Sprache. Nicht besonders poetisch – aber eine Neuschöpfung.

Man muss schon sagen, jetzt ruft alles nach Gott, nirgends kann man Ruhe finden. Schon gar nicht in Chaos und Untergang, wenn es so scheint, als schlafe Gott, habe sich zurückgezogen, sei gleichgültig.

Wer ist er, der sich in den Sturm begibt, das Chaos – und in den lachenden (ja du darfst gerne denken lächerlichen) Jubelchor der kleinen Dinge? Du darfst gerne lächeln und dich auf das Wasser begeben. Lass das Segel deines kleinen Bootes von dem wilden Schöpferwillen füllen und dich weit hinaus auf die Tiefen des Taufwassers führen – denn siehe, alles ist Wunder und nichts ist so, wie es zu sein scheint. Sturm und Meer gehorchen, Winterlinge rufen, und der Nebeldunst des Januars kann nicht verbergen, dass Gott selbst sich eingefunden hat, stattfindet, Tag und Nacht Platz nimmt, im Schlaf und in der Nachtwache, in Leben und Ton, in Untergang, Chaos. Er verlässt uns nicht. Nur unsere Sünden, unsere Kleingläubigkeit, unser Misstrauensvotum verlässt er – und damit verlässt die Verzweiflung uns. Er verlässt mich nicht. Ich verlasse mich – und dich – auf ihn. Wir überlassen uns ihm – vereint bis ans Ende der Welt, wenn alles beginnt. Amen.



Pastorin Anne-Marie Nybo Mehlsen
DK-4100 Ringsted
E-Mail: amnm(a)km.dk

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