Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

4. Sonntag nach Epiphanias, 29.01.2017

Predigt zu Matthäus 14:22-33, verfasst von Suse Guenther

Und bald trieb Jesus seine Jünger, in das Boot zu steigen und vor ihm hinüberzufahren, bis er das Volk gehen ließe. Und als er das Volk hatte gehen lassen, stieg er allein auf einen Berg, um zu beten. Und am Abend war er dort allein. Und das Boot war schon weit vom Land entfernt und kam in Not durch die Wellen, denn der Wind stand ihm entgegen.

Aber in der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen und ging auf dem See. Und als ihn die Jünger sahen auf dem See gehen, erschraken sie und riefen: Es ist ein Gespenst! und schrien vor Furcht. Aber sogleich redete Jesus mit ihnen und sprach: Seid getrost, fürchtet euch nicht, ich bin’s. Petrus aber antwortete ihm und sprach: Herr, bist Du es, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser. Und Jesus sprach: Komm her!

Da stieg Petrus aus dem Boot und ging auf dem Wasser auf Jesus zu. Als er aber den starken Wind sah, erschrak er und begann zu sinken und schrie: Herr, hilf mir. Jesus aber streckte sogleich die Hand aus und ergriff ihn und sprach zu ihm: Du Kleingläubiger, warum hast Du gezweifelt?

Und sie traten ins Boot und der Wind legte sich. Die aber im Boot waren, fielen vor ihm nieder und sprachen: Du bist wahrhaftig Gottes Sohn!

 

Gott, gib uns ein Herz für Dein Wort und nun ein Wort für unser Herz. AMEN

Liebe Gemeinde!

Vor einigen Jahren war ich mit meiner Kirchengemeinde in Israel. Zu dem Besuchsprogramm gehört natürlich auch ein Besuch am See Genezareth, kein ganz kleiner See, mit 166 qkm mehr als doppelt so groß wie der Chiemsee, da lohnt sich eine Schiffsfahrt. Der See ist von hohen Bergen umgeben. Und da es tagsüber in Israel sehr heiß ist, kann man dort regelmäßig am Abend, wenn es schnell abkühlt, das Phänomen erleben, das auch im Predigttext beschrieben wird: Durch die Luftabkühlung entstehen Fallwinde von den Bergen ringsumher. Urplötzlich kommt es zu hohen Wellen auf dem See, da kann ein kleines Boot durchaus in Seenot geraten.

Man könnte doch nun meinen, erfahrene Seeleute wie die Fischer am See Genezareth müssten mit diesem Phänomen vertraut gewesen sein und hätten sich nicht fürchten müssen. Aber erstens waren die Jünger ja durchaus nicht freiwillig zu dieser Uhrzeit auf dem Wasser, Jesus hatte sie, so sagt der Predigttext, dazu getrieben.

Und zweitens, was nützt es, wenn wir ein Phänomen kennen: Es kann uns trotzdem in Gefahr bringen. Wir wissen, wie Glatteis entsteht und dass es nach einer bestimmten Zeit verschwindet. Wir haben Auto fahren gelernt und Fahrzeuge, die immer besser reagieren. Und doch macht es uns zu recht Angst, bei Glatteis unterwegs zu sein.

Ein erfahrener Fischer am See hätte wahrscheinlich gesagt: Abends fahre ich nicht mit dem Boot raus, zu gefährlich. Aber was will man machen, wenn Jesus es befiehlt?

Wie kam es überhaupt zu diesem Befehl?

Unserem Predigttext voraus geht der Bericht von der Speisung der 5000

Diese berühmte Sache, als Jesus eine riesige Menschenmenge sattbekommen hatte durch Teilen.

Der biblische Bericht leitet diese Speisung mit folgenden Worten ein: Jesus fuhr von dort weg in einem Boot in eine einsame Gegend allein.

Und als das Volk das hörte, folgte es ihm zu Fuß aus den Städten: Und Jesus stieg aus und sah die große Menge, und sie jammerten ihn und er heilte ihre Kranken.

 

Sehr deutlich wird hier berichtet, dass Jesus sich zurückziehen will, dass er die Ruhe sucht, sich besinnen möchte, wohl auch weil er inzwischen so bekannt geworden ist, dass er gar nicht mehr zur Ruhe kommen kann. Der Versuch misslingt, die Leute folgen ihm in Mengen, er wird gefordert. Wieder ein Tag mit Großeinsatz. Und wieder ein Tag, am dem es spät wird. Und so sucht er wenigstens am Abend, als die Menge versorgt ist, die Einsamkeit.

Sie kennen das vielleicht von sich selbst: Nach einer so anstrengenden Zeit unter so vielen Menschen sind einem selbst die engsten Freunde zu viel.

Und so schickt Jesus die Jünger ins Boot und macht sich endlich, endlich, nicht auf den Weg aufs heimische Sofa. Aber doch wenigstens in die Berge.

Doch auch in diesem Rückzug behält Jesus die Seinen im Blick.

Denn das ist etwas, das sie sicher auch von sich selbst kennen: Nachts, vor allem dann gegen Morgen, erscheinen alle Probleme ganz besonders schwer. Um die vierte Nachtwache, also zwischen drei und sechs Uhr morgens, kommt Jesus auf die Jünger zu, so berichtet Matthäus. Mitten in der Nacht, da wo andere Leute schlafen, ist Jesus erreichbar und handelt. In ihrer Angst verspüren die Jünger allerdings zuerst keine Erleichterung. Alles erscheint ihnen so schrecklich, dass die Person, die da über das Wasser auf sie zukommt, die Angst nur noch vergrößert. Folglich sind sich die Jünger einig und schreien gemeinsam: Ein Gespenst.

Verständlich!

Immer wieder habe ich in meiner Tätigkeit als Krankenhausseelsorgerin mit Menschen zu tun, die in ihrem Haus nachts gefallen sind, nicht mehr hochkommen und dann schreckliche Angst haben, die umso schlimmer wird, je länger die Situation andauert.

Wenn dann plötzlich die Tür aufgeht, dann ist der erste Gedanke nicht: Hier kommt Hilfe (weil nämlich der Nachbar, der den Schlüssel hat, gesehen hat, dass die Rolläden nicht hochgehen) sondern: Ein Einbrecher. Schreckliche Angst ist die Folge. Wenn man dann aber Sekunden später feststellt: Hier kommt Hilfe, der Krankenwagen wird gerufen, dann ist alle Angst nicht nur wie weggeblasen, sondern schlägt sogar ins Gegenteil um: Das viele Adrenalin im Körper lässt die Schmerzen vergessen, der Mensch entwickelt ungeahnte Kräfte.

Und so schlägt auch bei Petrus, der ja immer sein Herz auf der Zunge trägt, die Angst sofort in Mut um:

„Jesus, Du bist das, befiehl auch mir über das Wasser zu Dir zu kommen“ Jesus ruft Petrus zu: Komm her!

Petrus läuft los. Übers Wasser.

Dann aber bemerkt Petrus, was er da eigentlich tut. Übers Wasser laufen, bei Wind und Wellen. Das kann nicht sein. Und sofort beginnt er zu sinken.

Das könnte nun das Ende der Geschichte sein. Wenn, ja wenn da nicht Jesus wäre. Der die Hand ausstreckt. Und seinen Petrus festhält. Und mit ihm gemeinsam die Strecke weitergeht bis zum Boot. Mit ihm ins Boot geht.

„Du Kleingläubiger“ – so sagt Jesus zu Petrus.

DA fühle ich mich dann angesprochen: Ich kenne mich als eine, die ins Zweifeln geraten kann. Die nicht sicher sein kann, ob der eigene Glaube stark genug ist, um durchzutragen. Immer wieder gibt es im eigenen Leben Situationen, wo Wind und Wellen so stark werden, dass man den Glauben verlieren kann. Wir wünschen uns solche Zeiten nicht herbei. Aber sie können durchaus für unsere Geschichte mit Jesus von großer Bedeutung sein. Die Erfahrung, die Petrus im Predigttext macht ist dann auch eine, die ihn ganz besonders eng mit Jesus verbindet:

Petrus stellt fest, dass von seinem persönlichen Glauben gar nicht seine Rettung abhängt. Letztlich gerettet wird Petrus nicht deshalb, weil er so fest glaubt. Sondern weil Jesus die Hand ausstreckt und ihn nicht untergehen lässt, als Petrus zweifelt.

Diese Erfahrung ist es, die Petrus dann aussprechen lässt, was vorher vielleicht mancher geahnt hat, aber nicht gewagt hat, zu sagen: „Du bist wahrhaftig Gottes Sohn“

Rückblickend lässt sich so manches verstehen. Aber wenn wir noch auf dem Wasser uns befinden, nicht Fuß fassen können, es einfach aushalten müssen, dass Wind und Wellen uns in Seenot bringen, da brauchen wir eine Gewissheit, die nicht in uns selbst begründet ist. Da brauchen wir Jesu Hand, die sich uns entgegenstreckt und uns ins Boot zieht. Jesus, der sich vielleicht manchmal zurückzieht, der uns aber im Blick behält, der sich herbeirufen lässt und sei es mitten in der Nacht. Er ist nicht so leicht zu identifizieren, auch für die Jünger nicht: Ein Gespenst?

 

Matthäus ist übrigens der einzige Evangelist, der von dieser Begebenheit berichtet. Er hat damit den verfolgten Christen seiner Zeit Mut zugesprochen: Habt keine Angst. Auch wenn Euer Boot ins Wanken gerät und Ihr ins Zweifeln: Jesus ist da und streckt die Hand aus nach Euch. Ihr seid nicht allein. Es sind trotzdem viele Christen getötet worden. Und werden auch in unseren Tagen in einigen Ländern getötet.

Ich kann es keinem verdenken, der in einer solchen Bedrohung dann nicht bekennt: Du bist Gottes Sohn. Sondern ganz still im Boot wartet, dass sich die Wellen vielleicht irgendwie legen.

Manchmal sind es aber gerade die, die mutig wie Petrus dann doch den Mund aufmachen, die für andere dann wieder den Glauben möglich machen. Und anderen dann in ihrem Zweifel die Hand ausstrecken. Eine weltweite Menschenkette, die sich gegenseitig hält und Jesus mittendrin. Dazu braucht es Menschen, die das aussprechen, was andere vielleicht nur hoffen oder ahnen: Wahrhaftig, Du bist Gottes Sohn.“!

Menschen, die sich das dann zusprechen lassen:

„Seid getrost, fürchtet Euch nicht, ich bin es“

Zu diesen Menschen möchte ich gehören in meiner Zeit. AMEN



Pastorin Suse Guenther
Zweibrücken
E-Mail: s.guenther@evkhzw.de

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