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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Letzter Sonntag nach Epiphanias, 05.02.2017

Feuer, das nicht verbrennt – Freiheit, die nicht vernichtet
Predigt zu Exodus (2. Buch Mose) 3:1-10, verfasst von Christian Wolff

Mose aber hütete die Schafe Jitros, seines Schwiegervaters, des Priesters in Midian

So alltäglich, so menschlich beginnt der Predigttext für den heutigen Sonntag – ein Abschnitt aus dem 2. Buch Mose. Was dieser Bemerkung aber vorausgeht, liest sich wie ein Roman. Als ausgesetztes Kind israelitischer Eltern war Mose eines Tages von der Pharaonentochter, die am Nilufer badete, gefunden worden. Diese nahm ihn mit in den Palast des Pharao. Während seine Landsleute als Sklaven unter unsäglichen Qualen dem ägyptischen Pharao zu Diensten stehen mussten, um dessen großmannsüchtigen Baupläne zu verwirklichen und Residenzen aus dem Boden zu stampfen, genoss Mose in behüteter Umgebung eine höfische Erziehung. Wie ein junger Prinz geht Mose eines Tages unter den Sklaven spazieren und erschlägt – empört über die Unterdrückung seines Volkes - einen ägyptischen Aufseher, der sich an einem der Israeliten vergriffen hatte. Dafür erntet er aber sogar bei seinen eigenen Leuten nur Misstrauen und muss in die Weiten der östlichen Steppengebiete flüchten. An einer Oase, auf die er stößt, kommt es dann zu einer heftigen Radauszene: sieben Mädchen wollen am Brunnen Wasser für das Vieh ihres Vaters holen, werden aber von Hirten verdrängt. Da springt Mose den Mädchen bei. Nun folgt der dramatischen Jugend- und Fluchtgeschichte eine Liebesromanze. Der Vater der Mädchen wundert sich, dass seine Töchter so früh nach Hause kommen. Er erfährt von dem Mann, der ihnen geholfen hatte, und lässt Mose zum Essen holen. Da Mose nichts Besseres vorhat, bleibt er im Haus des Jitros und heiratet eine seiner Töchter, die Zippora.

 

Das ist die Vorgeschichte, die man kennen muss, um den Anfang des Predigttextes zu verstehen:

Mose aber hütete die Schafe Jitros, seines Schwiegervaters, des Priesters in Midian

Mose – ein einfacher Hirte, der tagein, tagaus seiner Arbeit nachgeht; Mose, der nach bewegten Jugendjahren sich in die Normalität des Alltags gefügt und sich mit den Verhältnissen arrangiert hat, die, wie wir wissen, alles andere als erfreulich für das Volk Israel im fremden Land Ägypten waren; Mose, einst am Hof des Pharao, dann ein Flüchtling, der einen Mord hinter sich hat; dieser Mose dringt eines Tages mit seiner Schafherde bis hinter die Wüste vor:

Mose ... trieb die Schafe über die Steppe hinaus und kam an den Berg Gottes, den Horeb.

So lesen wir im Predigttext weiter. Mit dieser Bemerkung beginnt eine Geschichte, in der nichts mehr alltäglich ist. Denn schon mit dieser Bemerkung wird angedeutet, dass Mose nicht aus eigenem Antrieb an den Gottesberg geriet. Eigentlich suchte er hinter der Steppe nur neues Weideland für seine Herde. Doch er fand dort – wie sich zeigen wird – vor allem geistige Nahrung für sich. So wie der Mann, der an Weihnachten orientierungslos die Thomaskirche aufsuchte und sich dort wie vor einem Gottesberg stehend wiederfand und in seiner Verzweiflung auf wundersame Weise durch einen Choral getröstet wurde.

 

Dort am Gottesberg hatte Mose dann eine Erscheinung, die im weiteren Verlauf des Predigttextes geschildert wird:

2 Und der Engel des HERRN erschien ihm in einer feurigen Flamme aus dem Dornbusch. Und er sah, dass der Busch im Feuer brannte und doch nicht verzehrt wurde. 3 Da sprach er: Ich will hingehen und diese wundersame Erscheinung besehen, warum der Busch nicht verbrennt. 4 Als aber der HERR sah, dass er hinging, um zu sehen, rief Gott ihn aus dem Busch und sprach: Mose, Mose! Er antwortete: Hier bin ich. 5 Er sprach: Tritt nicht herzu, zieh deine Schuhe von deinen Füßen; denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land! 6 Und er sprach weiter: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Und Mose verhüllte sein Angesicht; denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen. 7 Und der HERR sprach: Ich habe das Elend meines Volks in Ägypten gesehen, und ihr Geschrei über ihre Bedränger habe ich gehört; ich habe ihre Leiden erkannt. 8 Und ich bin herniedergefahren, dass ich sie errette aus der Ägypter Hand und sie aus diesem Lande hinaufführe in ein gutes und weites Land, in ein Land, darin Milch und Honig fließt, in das Gebiet der Kanaaniter, Hetiter, Amoriter, Perisiter, Hiwiter und Jebusiter. 9 Weil denn nun das Geschrei der Israeliten vor mich gekommen ist und ich dazu ihre Drangsal gesehen habe, wie die Ägypter sie bedrängen, 10 so geh nun hin, ich will dich zum Pharao senden, damit du mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten führst.

2. Mose 3,1-10

 

Mose ganz allein vor Gott – ohne Schafherde, ohne Familie, ohne Volk, ohne Pharao, ohne jede Sicherheit. Nur noch der brennende Dornbusch, Feuer. Nur noch die Stimme Gottes. Nur noch dieser Gott, der einen Schafhirten mit bewegter Vergangenheit anruft und ihn mit einer großen politischen Aufgabe beauftragt. So konzentriert beginnt die Veränderung im Leben des Mose, die zur Befreiung des Volkes Israels führen soll. Und so konkret. Zum Tyrannen, dem Pharao, soll er gehen und die Freigabe seiner Landsleute verlangen, die in Ägypten am Sklavendienst zugrunde zu gehen drohen. Er, Mose, soll mit dem Volk aufbrechen aus Ägypten und es in ein Land führen, das er noch nie gesehen hat, ein Land hinter der Wüste.

 

Doch so weit ist es noch nicht. Denn zunächst muss Mose ans Feuer treten.

Ich will hingehen und diese wundersame Erscheinung besehen

fordert Mose sich selbst auf, um dem sonderbaren Naturschauspiel auf den Grund zu gehen. Wörtlich bedeutet das hebräische Wort für „hingehen“: vom Weg abbiegen. Mose lässt sich vom einmal eingeschlagenen Weg abbringen und steht allein vor dem Feuer - fasziniert davon, dass es den verdorrten Busch nicht verzehrt. Feuer, das verbrennt, wäre auch für Mose Anlass gewesen, auf dem vorgegebenen Weg schnell weiterzulaufen. Denn die Gefährlichkeit des Feuers kannte er: den Steppenbrand, der das Vieh bedroht; ebenso die züngelnden Flammen der Knechtung, denen sein Volk in Ägypten wehrlos ausgesetzt war und die auch die letzten Reste des Widerstands aufzuzehren drohten. Auch wir kennen Feuer, das verbrennt: Flammen, die eine Wohnung, ein Haus oder wertvolle Kulturgüter zerstören, wie in den Kriegsgebieten Syriens nach den Bombardierungen. Flammen, die nach Selbstmordattentaten auflodern und Leben vernichten – und mit ihnen Hoffnungen und Sehnsüchte, Sinn und Vertrauen. Zurück bleiben Trümmer und Asche. Doch solches Feuer, solche Flammen machen uns nicht neugierig. Sie lassen uns nicht abbiegen, sondern eher in panischer Angst fliehen.

 

Mose aber sieht ein Feuer am Berg Gottes, das nicht davon lebt, etwas unwiederbringlich zu zerstören. Er entdeckt ein Feuer, das nicht einen Aschehaufen zurücklässt, selbst dann nicht, wenn es einen knorrigen und verdorrten Busch umschließt. Dieses Feuer widerspricht allen natürlichen Gesetzmäßigkeiten. Es hat sich selbst entzündet und es verbrennt nichts - ebenso wie auch die Existenz, die Gegenwart und das Wirken Gottes allen natürlichen Gesetzmäßigkeiten widersprechen und Leben erhalten. Deswegen brauchen wir uns nicht darüber wundern, dass Mose Gottes Stimme aus dem Busch vernehmen kann. Gott existiert aus sich selbst heraus und Gottes Feuer ist nicht davon abhängig, dass es ausgedorrte Dornbüsche als Nahrung erhält. Gotteserscheinungen sind keine Strohfeuer, wie wir sie von religiösen Massenveranstaltungen kennen. Hier am Gottesberg werden die auch in Moses Kopf herum schwirrenden Gottesbilder korrigiert: Gott ist eben kein Gott, der Gefallen daran hat, dass Menschen an ihm zerbrechen. Gott ist kein Gott, der für sich Menschen im Feuer verbrennen lässt. Nein, auch ein noch so ausgetrockneter, verdorrter, stacheliger Busch, wie wir oft genug selbst sind als einzelne und als Gemeinde, wird vom Feuer umschlossen - nicht um zu verbrennen, sondern um unsere Neugier, unsere Hoffnung zu entzünden. Gottes Feuer erneuert und bewahrt. Gottes Revolution bedeutet nie Zerstörung, sondern Aufbruch.

 

Und auch das gilt: Das Feuer verlischt nicht mit denen, die es befallen hat. Es ist nicht verloschen nach dem Tod des Mose. Es ist nicht verloschen mit dem Ende all der Menschen, die die Neugier zum Gottesberg, zum brennenden Dornbusch, später zum Kreuz Christi getrieben hat. Auch ist die Kraft des Feuers nicht abhängig von Erfolg und Misserfolg des Mose, vom Gelingen und Scheitern der Kirche. Es flackert auch nicht auf mit unserer Leidenschaft und fällt zusammen, wenn sich unsere Glaubenskraft verzehrt hat. Es hält jedem Löschversuch stand. Warum? Weil es sich beim Feuer um Gott selbst handelt. Es ist derselbe Gott, der Jesus in die Welt gesandt hat, um ein Feuer anzuzünden, um Licht in die Finsternis zu bringen. Es ist der Gott, der nicht zugelassen hat, dass dieses Feuer durch die Kreuzigung Jesu aufhört zu brennen, sondern der das Kreuz zum Symbol unvergänglichen Lebens gemacht hat.

 

Und nun lässt Gott seine Stimme aus dem brennenden Busch erschallen:

Mose, Mose!

ruft er. Mose spürt: Ich bin gemeint, und antwortet:

Hier bin ich.

So ist das, wenn Gott einen Menschen anredet: Er wartet auf eine Antwort. Er überrumpelt nicht, er drängt sich nicht auf. Er weckt Neugier, indem er uns ein Licht, ein Feuer in den Weg stellt – aber was wir damit machen, das ist unsere Sache. Wir können weglaufen, vorbeigehen oder stehenbleiben. Wir können hören oder unsere Ohren verschließen. Wir Menschen beklagen uns immer wieder über das Schweigen Gottes. Aber hat dies nicht auch seine Ursache darin, dass wir eben nicht zur Antwort des Mose finden:

Hier bin ich.

Dass wir zwar Sonntag für Sonntag uns Gedanken über Gott und die Welt machen, dass wir uns darüber die Köpfe heiß reden, was christlicher Glaube für das Leben bedeuten kann, dass wir uns aber im entscheidenden Moment Gott nicht stellen, dass wir die drei Worte nicht über unsere Lippen bringen:

Hier bin ich.

Dass wir uns eben nicht konkret beauftragen lassen wie Mose. Dass wir vielleicht auf das besondere Gotteserlebnis, die Erleuchtung, warten, aber nicht sehen, dass das Feuer schon längst sichtbar brennt – wir aber nur den verdorrten Strauch des eigenen Lebens, der Kirche, dieser Welt sehen.

 

Mose jedenfalls sieht das Feuer, er biegt vom Weg ab. Das befähigt ihn, Gottes Wort zu hören. Sein

Hier bin ich

ist wie das Anschalten eines Hörgerätes. Dadurch gewinnt er eine neue Aufmerksamkeit für Gottes Botschaft. Diese besteht in einem Dreifachen:

 

1 Warnung

Tritt nicht herzu, zieh deine Schuhe von deinen Füßen; denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land!

Bedurfte es noch eines Hinweises, mit wem es Mose am Gottesberg zu tun bekommt, hier ist er. Mose wird warnend bedeutet: das Land, auf dem du stehst, ist heiliges Land. Hier gelten andere Gesetze und Richtlinien als bei euch Menschen. Hier herrscht weder das Naturrecht noch religiöse oder politische Gesetzmäßigkeiten. Hier hat der Mensch zu schweigen, weil Gott redet. Hier, auf diesem Gelände geschieht nicht das, was der Mensch will, sondern was Gott mit uns Menschen vorhat. Hier, auf diesem Boden fallen auch alle Schranken zwischen den Menschen. Hier steht Mose neben Pharao, Israelit neben Ägypter, Deutscher neben Türken, Straßenkinder neben der Heilsarmee. Hier auf diesem Gelände erlischt alles verzehrende Feuer und alle zerstörerischen Flammen fallen in sich zusammen. Darum ist der Boden heilig. Darum soll Mose seine Schuhe ausziehen. Dahinter verbirgt sich mehr als eine religiöse Sitte. Im Buch Ruth wird ein israelitisches Gewohnheitsrecht beschrieben, wonach einer, der auf einen Besitz Erb- und Vorkaufsrecht hat und darauf verzichtet, zur Bestätigung seines Verzichts seinen Schuh auszieht und dem anderen gibt. Wenn Mose sich also seiner Schuhe entledigt, dann erkennt er damit Gott als den Besitzer der Schöpfung an, erkennt an, dass Gott etwas von ihm will. Mose erkennt an, dass es nicht um seine Selbstverwirklichung allein geht, sondern dass es im Leben Wichtigeres gibt als den eigenen Willen. Indem Mose seinen Schuh auszieht, streift er auch alle ausgetretenen Ideen und Gedanken, alle abgelaufenen Hoffnungen und ausgelatschten Sehnsüchte ab, übergibt sie mit dem Staub und Schmutz der eigenen Unzulänglichkeit Gott und hört auf, sich selbst zu rechtfertigen.

 

2 Enttarnung

Nun gibt sich Gott zu erkennen, enttarnt sich, damit bei Mose nicht das Gefühl zurückbleibt: hier bin ich einer geheimnisvollen, geschichtslosen, namenlosen Geistermacht ausgeliefert. Gott existiert auch nicht erst seit den Tagen des Mose.

Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs.

sagt Gott zu Mose. Später, als Mose Gott nach seinem Namen fragt, antwortet dieser weit über die vergangene Geschichte Israels hinausreichend:

Ich werde sein, der ich sein werde.

So wie Gott schon lange vor Mose Menschen begegnet ist, sie angerufen und beauftragt hat, so macht er es bis zum heutigen Tag – auch mit uns. Er ist der Gott des Mose, des Elia, der Gott des Franz von Assisi, des Martin Luther, des Albert Schweitzer, des Martin Niemöller und Martin Luther Kings. Er wird auch der Gott all derer sein, die sich mit ihrem Namen von ihm anrufen lassen und die antworten:

Hier bin ich.

 

3 Beauftragung

Und dann kommt es zur Beauftragung:

Weil denn nun das Geschrei der Israeliten vor mich gekommen ist und ich dazu ihre Not gesehen habe, wie die Ägypter sie bedrängen, so geh nun hin, ich will dich zum Pharao senden, damit du mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten führst.

Das ist es, worauf alles Glauben, alles Hoffen zielt: die Befreiung aus der Knechtschaft. Das ist das Feuer, das brennt, aber nicht verzehrt: die Freiheit des Menschen. Nun wissen wir aber, dass schon immer im Namen dieser Freiheit von uns Menschen Feuer entzündet wurden, die Leben vernichten. Davon zeugt auch der Auszug des Volkes Israel aus Ägypten. In diesem Elend landen allzu viele Freiheitsbewegungen. Auch die Reformation wurde nicht vor dieser Erfahrung verschont, wenn wir an die Gewalt und die Kriege denken, von denen sie begleitet wurden. Darum gehört zu der Freiheit notwendig der dazu, der sie uns schenkt: Gott. Ohne die Bindung an ihn keine Befreiung. Ohne die Achtung seiner Gebote weiter Knechtschaft statt Freiheit, weiter Gewalt statt Versöhnung. Das wurde zur bitteren Erfahrung des Mose auf der langen Wüstenwanderung. Dieser Zusammenhang kommt auch im ersten der 10 Gebote zum Ausdruck:

Ich bin der HERR, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft, befreit habe. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.

2. Mose 20,2f

Was sich anhört wie ein autoritäres, religiös-arrogantes Verdikt, ist nichts anderes als die Bedingung von Freiheit – Befreiung von einer Freiheit ohne Bindung, Befreiung von ganz konkreter Knechtschaft, Rettung aus dem Feuer, das nur verbrannte Erde hinterlässt. Diese Freiheit müssen nicht wir neu schaffen, aber wir müssen sie immer wieder neu verantworten, indem wir uns zu ihr berufen lassen; wir zum brennenden Dornbusch, zum Kreuz Christi abbiegen, auf die Stimme Gottes hören und uns dem Auftrag Gottes stellen.

 

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.



Pfarrer i.R. Christian Wolff
Leipzig
E-Mail: info@wolff-christian.de – www.wolff-christian.de

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