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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Letzter Sonntag nach Epiphanias, 05.02.2017

Der Name Gottes: Ich werde mit euch sein!
Predigt zu Exodus (2. Buch Mose) 3:1-14, verfasst von Gert-Axel Reuss

Liebe Gemeinde,

ich möchte Sie heute Morgen zu einer Zeitreise „verführen“.

500 Jahre Reformation – auch wenn wir „lutherisch“ heißen, bleibt dieses Datum einigermaßen abstrakt. Die Kirchen erinnern an die damalige Zeitenwende. Es ist u. a. die Rede von der Entdeckung des Individuums.

„Wie kriege ich einen gnädigen Gott?“ – Mein Augenmerk richtet sich heute Morgen weniger auf die Gnade Gottes als vielmehr auf das „Ich“.

Den wenigsten ist bewusst, von welch kostbarem Gut sie zehren. Dass sich in anderen Kulturen (z. B. in China) das Schicksal der/des Einzelnen anderen Interessen unterzuordnen hat , dass dort die Menschenrechte ganz anders verstanden werden als in den westlichen Zivilisationen, löst bestenfalls Kopfschütteln und Unverständnis aus.

Es gibt keine kollektive Erinnerung an das Ende der Bevormundung. Denn – so müssen wir in den lutherischen Kirchen selbstkritisch feststellen – Luthers „Zwei-Reiche-Lehre“ hat die Selbstverantwortung des Menschen auf die Sphäre des Religiös-Privaten beschränkt. Der obrigkeitliche Staat mit seinen Gehorsamsforderungen blieb für Jahrhunderte bestehen.

Also „reise“ ich weiter zurück, durchquere das Mittelalter und die Christianisierung Europas, bis wir schließlich in der Zeit der Bibel ankommen. Ein Wort des Apostel Paulus in seinem Brief an die Gemeinde in Korinth – wir haben es vorhin gehört – hat die dunkle Welt des Altertums erhellt. Aber heute soll auch nicht das Leben und die Mission Jesu im Mittelpunkt meiner Predigt stehen, sondern ‚ich spule meinen Film noch einmal 1.000 Jahre zurück‘ an den Anfang der Geschichte Gottes mit den Menschen.

Wenn wir das erste Buch Mose als eine Art ‚Vorgeschichte‘ verstehen, dann liegen die Anfänge unserer Religion auf dem Sinai. Unserer Religion?

Zuerst und vor allen anderen natürlich der jüdischen Religion, in deren Wurzelgrund wir wachsen. Diese Besonderheit gilt es wahrzunehmen – auch deshalb, weil sie uns in ihrer Fremdartigkeit die Augen öffnen kann für Aspekte unseres Glaubens, die wir gelegentlich vernachlässigen

Für den Glauben Israels ist es von elementarer Bedeutung, dass Gott in diese Welt hinein wirkt und handelt. Israel versteht seine Geschichte als die Geschichte Gottes mit seinem Volk:

„Ich habe das Elend meines Volks in Ägypten gesehen, und ihr Geschrei über ihre Bedränger habe ich gehört; ich habe ihre Leiden erkannt. Und ich bin herniedergefahren, dass ich sie errette aus der Ägypter Hand und sie aus diesem Lande hinaufführe in ein gutes und weites Land, in ein Land, darin Milch und Honig fließt … .“

Es ist diese sehr konkrete geschichtliche Erfahrung, die einmünden wird in einen Bundesschluss zwischen Gott und seinem Volk. „Ich bin der HErr, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft, geführt habe. (Ex 20, 2)

Für Israel sind die 10 Gebote so viel mehr als die Allgemeinen Menschenrechte oder die berühmte Goldene Regel, weil sie an ein konkretes, geschichtliches Ereignis gebunden sind: „Gott hat das Schreien seines Volkes gehört. Er hat sein Elend gesehen. Und er hat gehandelt!“

„Gott hat uns befreit!“ Das ist das zentrale Glaubensbekenntnis Israels, das nicht nur erinnert, sondern vergegenwärtigt werden will. „Er hat uns aus der Sklaverei in Ägypten herausgeführt. Er wird es auch in Zukunft tun!“

Hier wird nicht nur die Geschichte, hier wird Gott lebendig! Weil Menschen ihre Geschichte, ihre eigene Geschichte mit Gott in Verbindung bringen und bekennen: „Gott schenkt mir Freiheit!“

 

Liebe Gemeinde,

das war ein langer Anlauf zu einer der ganz großen Geschichten der Bibel, der Geschichte vom brennenden Dornbusch.

 

[Textlesung, wenn Ex 3 noch nicht im Gottesdienst gelesen wurde.

Ich lese die Versauswahl nach dem Vorschlag der Perikopenrevision,

also die VV 1 - 8a. 10. 13 – 14.]

 

Mich berührt an dieser einzigartigen Geschichte besonders, dass Gott sich hier zu erkennen gibt. Auch wenn Mose Gott nicht sehen kann, sondern das Feuer im Strauch ihn gewissermaßen verhüllt, so gibt sich Gott einen Namen. Das bedeutet doch: Gott ist kein namenloses, unbegreifliches Wesen. Kein bloß abstrakter philosophischer Gedanke, sondern Gott sieht und hört und lässt mit sich reden.

Allerdings liegen die Ereignisse, die Befreiung aus der Knechtschaft in Ägypten, für Mose noch in der Zukunft. Er wird in dieser Geschichte ja erst beauftragt. Und deshalb fragt er: „Wie kann ich mich legitimieren? Was soll ich sagen, wenn mein Auftrag in Zweifel gezogen wird? Wer bist du, Gott? Was ist dein Name?“

Nur an dieser Schlüsselstelle der alttestamentlichen Bibel gibt es außer dem Gottesnamen, der im Hebräischen JHWH [Jahwe] heißt und von Luther mit „HErr“ übersetzt wurde („Ich bin der HErr, dein Gott …“ – s.o.], auch eine Deutung des Namens: Gott sprach zu Mose: ‚Ich werde sein, der ich sein werde.‘ Und sprach: ‚„Ich werde sein“, der hat mich zu euch gesandt.‘

In der theologischen Wissenschaft geht man heute mehrheitlich davon aus, dass diese Deutung des Gottesnamens erst nachträglich in den Text gekommen ist. In der ursprünglichen Überlieferung der Geschichte sei der Name Gottes nur ein Eigenname (JHWH) gewesen.

Wenn diese Überlegung richtig ist, dann sehen und lesen wir hier keinen Rückzug Gottes ins Undeutliche und Abstrakte, sondern die israelitischen Theologen/Theologinnen reflektieren hier eine ganz andere, neue Gotteserfahrung:

Auf der einen Seite die Befreiung aus Ägypten. Ein konkretes, geschichtliches Ereignis der Vergangenheit.

Auf der andere Seite die Zusage: „Auch in Zukunft werde ich mit euch sein!“

Für unsere christlichen Ohren klingt das ganz ähnlich wie: „Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ (Mt 28, 20)

So, wie wir auf die Zusage Jesu Christi vertrauen – gebunden an eine konkrete geschichtliche Erfahrung, nämlich an das Leben, Predigen und Handeln Jesu – so vertrauen Jüdinnen und Juden der Treue Gottes, der sie selbst aus Ägyptenland geführt hat.

So, wie wir uns der Gegenwart Jesu Christi im Abendmahl vergewissern und dadurch ein in der Vergangenheit liegendes Ereignis vergegenwärtigen und daraus Kraft schöpfen für die Zukunft, so feiern Jüdinnen und Juden jedes Jahr wieder Pessach/Passa ungefähr dann, wenn wir Ostern feiern. Sie erinnern sich nicht nur an die Befreiung aus der Knechtschaft in Ägypten. Sie bekennen: „Gott hat uns aus der Knechtschaft in Ägypten befreit!“ Die historische Erfahrung wird zu ihrer eigenen Erfahrung, aus der sie Kraft schöpfen für die Zukunft.

Bevor wir wieder aufsteigen aus dem tiefen Brunnen der Vergangenheit noch ein letzter Gedanke: Neben das Christuswort aus dem Matthäusevangelium tritt ein Wort aus Hebräerbrief: „Jesus Christus gestern, heute und derselbe auch in Ewigkeit.“ (Hebr 13, 8)

Genau dieser Gedanke ist in der Deutung des Gottesnamens JHWH auch enthalten. Das Hebräische kennt andere Zeitformen als das Deutsche. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft können in bestimmten Satzkonstruktionen sozusagen ineinander übergehen.

Man kann den Gottesnamen – „Ich werde sein, der ich sein werde.“ – nämlich auch ganz anders übersetzen. Neben diese Deutung treten gleichberechtigt genauso „Ich bin, der ich bin.“ und „Ich war, der ich war.“ Genaugenommen könnte man sich auch für die Übersetzung „Ich werde sein, der ich war.“ entscheiden.

Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind umschlossen von dem einen Gott. So wie er denen, die vor uns gewesen sind, beigestanden hat, so leitet er uns auch heute mit seiner Barmherzigkeit und Liebe. Und wird dies auch in Zukunft tun!

Was bedeutet das alles für uns heute? Gut 500 Jahre nach Luthers Entdeckung: „Gott ist mir gnädig!“?

 

Drei Ausblicke.

Ich glaube, dass wir uns die Geschichte Gottes mit uns Menschen immer wieder vergegenwärtigen müssen, um daraus Kraft zu schöpfen für unser Leben und Handeln jetzt.

Gott ist treu. Er hat sich uns gezeigt als ein zugewandter, als ein mitfühlender, als ein barmherziger Gott.

Das gilt doch auch für unsere eigene Lebensgeschichte!

Dabei ist die Geschichte, ist die Kirchengeschichte, ja nicht einmal die biblische Geschichte nie frei von Irrtümern und Abwegen. Darum schauen wir im Jahr des großen Reformationsjubiläums auch kritisch (als Lutheraner: selbstkritisch) auf die Reformatoren. Denn es stehen ja nicht historische Persönlichkeiten, sondern deren bahnbrechende, befreiende Glaubenseinsichten im Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit.

Ich glaube, dass wir in einer Zeit, in viele beunruhigt in die Zukunft schauen – und es gibt gute Gründe, sich Sorgen zu machen: über die scheinbare Attraktivität der einfachen Lösungen, über das fehlende Mitgefühl mit denen, die in Not sind (Wir können sie doch nicht einfach draußen halten!), über Präsidenten, die vor dem Gebrauch längst überwunden geglaubter Propaganda nicht zurückschrecken, wenn sie ihren Interessen dient – keine Angst haben müssen, sondern darauf vertrauen können, dass auch die Zukunft Gott gehört.

 

Ich glaube, dass Gott uns heute beisteht und braucht.

Er hat uns mit offenen Augen und Händen begabt.

Er schenkt uns den Mut, den Lügen zu widerstehen.

Er schenkt uns die Kraft, der Spur seiner Liebe zu folgen und Not-wendendes zu tun.

 

Amen.



Domprobst Gert-Axel Reuss
Ratzeburg
E-Mail: reuss@ratzeburgerdom.de

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