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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Septuagesimae, 12.02.2017

Der bedürftige Gott
Predigt zu Lukas 17:7-10, verfasst von Rudolf Rengstorf

Liebe Gemeinde!

Wenn wir vor der Predigt das Evangelium dieses Sonntags (Matthäus 20,1-16a) gehört haben, kommt man so schnell davon nicht wieder los. Denn das Evangelium wird hier nicht definiert oder erklärt. Es wird anschaulich erzählt. Und zwar im Rahmen des Alltags, wie ihn damals jeder kannte und wie man sich das ohne Mühe auch heute gut vorstellen kann. Wie bei jeder guten Erzählung wird eine Spannung aufgebaut: Wie geht es weiter, wie wird es enden? Und dann das Ende mit der unglaublichen Großzügigkeit des Weinbergbesitzers. Auch wer nur einen Bruchteil des Tages bei ihm arbeiten konnte, bekommt den ganzen Tagelohn, bekommt das, was er mit seiner Familie zum Leben braucht. So großzügig geht Gott mit Menschen um. Seine Gerechtigkeit besteht nicht darin, dass jeder bekommt, was er verdient, sondern er gibt jedem, was er braucht. Und ich würde dem jetzt gerne nachgehen, wie sich diese Alltagsgeschichte auch im Alltag unserer so genannten Leistungsgesellschaft auswirkt: in der Schule, beim Sport, in der Geschäftswelt, auch im Leben einer Kirchengemeinde. Doch die Ordnung, an die die Prediger sich halten sollen, sieht etwas anderes vor. Da ist dieser Abschnitt aus dem 17. Kapitel des Lukasevangeliums dran:

 

Jesus sprach:

Wer unter euch hat einen Knecht, der pflügt oder das Vieh weidet,

und sagt ihm, wenn der vom Feld heimkommt:

Komm gleich her und setz dich zu Tisch?

Wird er nicht vielmehr zu ihm sagen:

Bereite mir das Abendessen, schürze dich und diene mir,

bis ich gegessen und getrunken habe;

danach sollst du auch essen und trinken?

Dankt er etwa dem Knecht, dass er getan hat, was befohlen war?

So auch ihr! Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist, so sprecht:

Wir sind unnütze Knechte; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren

(Lukas 17,7-10).

 

So anregend ich die erste Geschichte von den Tagelöhnern empfinde, so sehr sie mir das Herz öffnet und mich auf die Spur setzt, ihr in unseren Alltag hinein zu folgen, so sehr stößt diese Geschichte mich ab. Und zwar von Anfang bis Ende. Nein, ich möchte nicht mit einem Sklaven verglichen werden, einem Menschen, der keine Rechte und keine Würde hat, sondern der seinem Herrn gehört mit Haut und Haaren. Ich will nicht ein Mensch sein, über den ein anderer verfügen kann wie über ein Ding oder ein Stück Vieh. Und ich will auch nicht, dass Gott so über mich verfügt.

Und um Jesu willen brauche ich das auch nicht anzunehmen. Denn wo Jesus sonst von Gott spricht, ist nichts zu erkennen von einem Sklavenhalter, sondern von einem liebevollen Vater, der sich um seine Töchter und Söhne sorgt; dem es wehtut, wenn sie nichts mehr von ihm wissen wollen und der sich nicht lassen kann vor Freude, wenn sie zurückkommen.

Und ich will auch nichts wissen von einer Arbeit oder einem Dienst, in dem alles selbstverständlich ist und wo Dank und Anerkennung unbekannt sind. Ich finde eine Kultur - und sei sie noch so norddeutsch - erbärmlich, in der es als höchstes Lob gilt, nicht getadelt zu werden. Das macht Menschen freudlos und lässt sie vertrocknen und erfrieren, wenn ihnen nicht gesagt wird, was sie mit ihrer Anwesenheit, mit ihrer Arbeit, mit ihren Fähigkeiten und Gaben an Gutem und Erfreulichen bewirken. Und noch erbärmlicher finde ich es, wenn ausgerechnet in der Kirche des Evangeliums, in der Kirche, die von einer guten wohltuenden Nachricht lebt, von guten wohltuenden Worten und Taten, wenn in dieser Kirche das Loben und Danken, das Anerkennen und Wertschätzen zur Mangelware geworden ist.

 

Gott sei Dank sind wir dabei, umzulernen und in der Kirche nicht mehr alles als selbstverständlich hinzunehmen und noch eine Tugend daraus zu machen nach dem Motto: Gott allein die Ehre! Ganz allmählich wird auch schon mal Beifall in der Kirche laut, erfahren Menschen, die hier ihr Bestes geben, dass die Gemeinde dankbar dafür ist und es zu schätzen weiß. Und Gott wird dadurch gar nichts genommen - im Gegenteil: In der Kirche, im Gottesdienst zumal, geben Menschen mit ihrem Engagement und ihrem Können ausdrücklich Gott die Ehre. Darin kann man sie doch nur unterstützen und bestärken! Und endlich spielen Anerkennung und Wertschätzung auch im Verhältnis von Vorgesetzten und Mitarbeitenden eine Rolle. Die neu eingeführten Jahresgespräche haben nicht zuletzt die Aufgabe, den Mitarbeitenden ausdrücklich zu sagen, was wir an ihrer Arbeit schätzen und wofür wir dankbar sind. Viele hören das zum ersten Mal in ihrem Leben, und ich kenne sie kaum wieder, wie sie dabei aufblühen!

 

Nein, das kann nicht der Sinn dieser Sklavengeschichte sein, uns zu einem freudlosen Dienst zu drängen, in dem alles selbstverständlich ist. Dazu spielen Liebe und Wertschätzung im Leben Jesu eine viel zu große, ja die entscheidende Rolle. Aber welche Absicht verfolgt er dann mit dieser Geschichte? Ich glaube, er will deutlich machen, wie sehr Gott auf uns angewiesen ist. Ja, er auf uns. In der Regel werden wir im Gottesdienst ja darauf gestoßen, wie sehr wir auf ihn angewiesen sind, auf das Leben, das er uns mit jedem Atemzug von neuem schenkt, auf die Güte, die uns das Leben offen hält. Ebenso aber ist er darauf angewiesen, auf Erden Menschen zu haben, die ihm bedingungslos die Treue halten - so wie man das damals am Dienst eines Sklaven vor Augen hatte.

 

Die Sklaverei ist Gott sei Dank abgeschafft. Kein Mensch gehört mehr zwangsweise einem anderen. Aber auch bei uns gibt es so etwas wie bedingungslosen Dienst, der völlig selbstverständlich ist und von Dank und Anerkennung gar nichts wissen will. Ich denke dabei an den Dienst von Feuerwehrleuten und Sanitätern, die an einen Unfallort gerufen werden. Bis zum Umfallen sind sie bei ihrer Sache - unentgeltlich, hochkonzentriert. Das einzige, worauf sie aus sind, ist dies: Menschen in ihrer Not zu helfen und sie herauszuholen aus der Gefahr. Oder ich denke daran, wie wir uns selber einsetzen, wenn ein Mensch, den wir lieb haben - ein Kind, der Ehe- oder Lebenspartner, ein guter Freund - in Not gerät. Wie wir alles stehen und liegen lassen und nicht im Traum daran denken: Was bekomme ich dafür? oder: Jetzt bin ich erstmal dran!. Nein, wir rasten und ruhen in solchen Fällen nicht, bis die größte Not gebannt ist.

 

Solche Selbstlosigkeit setzt bei uns reflexartig ein, wo es um die Not von Menschen, geht, die uns anvertraut sind, für die wir uns verantwortlich wissen. Und wir brauchten gar nicht weiter darüber zu reden, weil es ja selbstverständlich ist, wenn Jesus nicht gemeint hätte: So verhaltet euch bitte auch gegenüber Gott.

Und warum? Offenbar weil – so unglaublich das klingt - auch er in Not gerät und auf Hilfe und Treue angewiesen ist. So haben wir ihn hier doch ständig vor Augen - den Mann am Kreuz, in dem Gott vor allem anderen erkannt und wahrgenommen werden will. Der den Menschen nachgehende, mit ihnen leidende, mit ihnen sterbende Gott ist angewiesen darauf, dass wir uns seiner nicht schämen, weil wir ihn - wie die anderen auch - lieber anders hätten: mächtiger, überzeugender, eindeutiger.

Bei ihm bleiben, beim Gott in der Tiefe - auch wenn alle Welt sich wundert oder gar höhnt, dass er dort oben nichts tut und nicht eingreift.

Bei ihm bleiben im Gebet und im Tun des Rechten - auch wenn ich selbst hart getroffen werde und unwillkürlich frage: Warum ich, warum mutet er mir das zu?

In seinem Dienst bleiben. Ist das nicht selbstverständlich, wenn doch alles daran hängt, dass ich bei dem, was am Kreuz geschieht, mitgenommen werde?

Ja, ein Herz, das treu zu ihm steht, das schenke uns Gott. Amen.

 

 



Superintendent i.R. Rudolf Rengstorf
Hildesheim
E-Mail: Rudolf.Rengstorf@online.de

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