Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Septuagesimae, 12.02.2017

Predigt zu Matthäus 20:1-16(dänische Perikopenordnung), verfasst von Eva Tøjner Götke

Mit der Frage: ”Was wäre, wenn …“ ist eine neue Schule in der Geschichtsschreibung entstanden.

Was, wenn dieses und jenes nicht geschehen wäre, was wäre dann wohl geschehen?

Was, wenn Hitler nicht in die Kunstakademie aufgenommen worden wäre, wie würde die Welt dann heute aussehen?

Was, wenn dieser oder jener nicht dieses oder jenes getan hätte, wie sähe es dann wohl heute aus?

So könnte man fortfahren.

Und lasst uns das tun.

 

Denn was wäre, wenn die Arbeiter im Weinberg ihren Lohn nicht gleichzeitig erhalten hätten?

 

Was nun, wenn die Arbeiter, die wahrlich die Last und die Hitze des Tages getragen hatten – des ganzen Tages, den Tageslohn erhalten hätten, der verabredet war, und nicht damit konfrontiert worden wären, dass die anderen, die dort nur eine Stunde gearbeitet hatten, dasselbe bekamen, was hätten sie dann gesagt?

 

Sie hätten wohl ihren Lohn empfangen und wären nach Hause gegangen.

Eigentlich ganz zufrieden, dass sie eine Arbeit gefunden hatten.

Sogar als die ersten am Morgen.

Ohne dass sie arbeitslos dort auf dem Markt stehen mussten und die Zeit vergeudeten und sich überflüssig fühlten.

 

Vielleicht wären sie sogar dankbar gewesen.

Ja froh nach Hause gegangen.

Und am nächsten Morgen voller Hoffnung aufgestanden.

Bereit für neue Aufgaben.

 

Das Problem besteht also darin, dass die anderen denselben Lohn bekommen – für nur eine Stunde Arbeit.

Da kommt Neid auf.

Das Problem sind die anderen.

Dass sie sich mit den anderen vergleichen können.

 

Das hat man ja auf modernen Arbeitsplätzen beachtet.

Weshalb es vielerorts verboten ist, über den Lohn zu reden.

Denn dann gibt es Krieg zwischen den Mitarbeitern.

Und ein schlechtes Klima am Arbeitsplatz.

 

Denn die meisten von uns kennen es nur allzu gut.

Den Neid.

Der entsteht, wenn wir anfangen zu vergleichen.

Denn dann fangen wir an zu messen.

Wir sehen die Ungerechtigkeiten und Unzumutbarkeiten.

 

Und wir leben in einer Zeit, wo wir immer vergleichen können.

Die Medien spielen dabei eine große Rolle.

Die Menschen aus der früheren DDR konnten über das Westfernsehen beobachten, wie man im Westen im Reichtum schwelgte, drüben auf der anderen Seite der Mauer.

 

Dieses Vergleichen kann natürlich zu einem gesunden Streben führen.

Und Fortschritt schaffen.

Aber wo der Neid weh tut, das ist dort, wo das, worüber man eigentlich froh war, plötzlich nichts mehr wert ist.

Dann wendet sich der Neid sowohl gegen den anderen als auch gegen einen selbst.

 

Verhält es sich wirklich so im Himmelreich?

Will das Gleichnis dies sagen?

Dass der Krieg dort weitergeht.

Der Neid.

Das Gefühl, betrogen zu werden.

Weil die anderen mehr bekommen als sie nach unserer Meinung verdient haben?

 

Nein, von Anfang an wird betont, dass das Himmelreich einem Weinbergbesitzer gleicht, der Arbeiter in seinen Weinberg holt.

Wir sollen nicht den Weinberg mit dem Himmelreich vergleichen.

Das Himmelreich ist kein Arbeitsplatz.

 

Der Weibergbesitzer ruft die Leute auf dem Markt – immer wieder – und er bezahlt also denselben Lohn an alle – er steht im Mittelpunkt.

Seine Art zu handeln ist das Himmelreich.

Und das Gleichnis berichtet dann von unserer Reaktion.

Wie ungerecht wir das finden – nach unseren Maßstäben beurteilt.

 

Das Himmelreich ist nicht, dass du da auf dem Markt stehst und herumglotzt. Das Himmelreich ist, dass du gebraucht wirst.

Auch wenn du da ganz allein stehst – und alle sind mit ihren Dingen beschäftigt, und du dich überflüssig fühlst.

Das Himmelreich ist, dass da jemand ist, der weiß, dass du etwas tun kannst.

Auch wenn das nur wenig zu sein scheint.

 

Das Himmelreich ist – leben zu können, ohne daran zu denken, was man dafür bekommt.

Die letzten gingen ja bloß mit.

Die unterschrieben nicht erst einen Vertrag.

 

Ja, das Himmelreich ist das Gefühl, dass du mit dabei sein kannst.

Eine Dankbarkeit.

Weil es ja auch sehr wohl hätte anders kommen können.

 

Was, wenn der Weinbergbesitzer nicht gekommen wäre?

Stünden sie da nicht noch immer – und warteten?

 

Nun kamen sie mit – alle zusammen – und sie erhielten sogar Lohn ausbezahlt, alle einen ganzen Tageslohn.

 

Es ist eigentlich merkwürdig, dass wir nichts von der Reaktion der letzten hören.

Die müssen wohl Freudensprünge gemacht haben.

Ein ganzer Tageslohn für eine Stunde Arbeit!

 

Aber davon steht da nichts.

Auch nicht, dass sie auf die Knie gefallen wären und zutiefst gedankt hätten.

Das haben wir ja gar nicht verdient“.

 

Nein, die Pointe des Gleichnisses ist es, uns zu entlarven, wenn wir die Gerechtigkeit des Himmelreichs erfahren.

Und die ersten sind die letzten.

Und dass wir keinen Lohn nach Verdienst bekommen.

Und dass es da nicht nach allgemeinen menschlichen Maßstäben der Gerechtigkeit zugeht.

Sondern alle bekommen dasselbe.

Alle sind gleich gestellt.

 

Das Gleichnis erzählt uns, dass wir uns schwer tun.

Uns beklagen.

Es ungerecht finden.

Es ist ungerecht. Nach unseren Maßstäben.

Das Leben ist ungerecht. Nach unseren Maßstäben.

Die Dinge sind nicht in Ordnung. Nach unseren Prinzipien.

Manchmal passiert es, dass ein stark er Raucher uralt wird.

Aber der Sportler stirbt mit 50 Jahren an einem Herzinfarkt.

Das ist so ungerecht, sagen wir dann.

 

Aber wann wäre es gerecht?

Wenn das Unglück den Nachbarn trifft, nicht mich selbst?

 

Das Himmelreich ist, sich selbst von diesem Nutzdenken zu befreien.

Und mit Nutzen meine ich nicht das notwendige Geld.

Sondern dass man die Dinge vergleichen kann, indem sie misst und wiegt.

Der Gedanke, dass die Dinge wie eine Gleichung aufgehen müssen.

 

Das Himmelreich ist, mit der Ungerechtigkeit leben zu können.

Und glauben.

Daran glauben, dass die Güter und die Sorgen des Lebens nicht nach Verdienst verteilt sind.

Daran glauben, dass wir alle als Menschen gleich gestellt sind – und gleich viel wert sind.

 

Das zu glauben ist das Himmelreich.

 

Da, wo wir nicht daran denken, uns mit den anderen zu vergleichen.

Sondern leben. Im Jetzt.

Weil wir wissen, dass für uns gesorgt ist.

Wir haben alle das bekommen, was wir brauchen.

Gewissheit, dass wir Menschen sind – vor Gott, trotz aller unserer Unterschiede.

 

Wenn wir das glauben können – oder wenn wir in diesem Glauben ruhen, dann haben wir das Himmelreich hier auf Erden.

Und dann würden wir den Umfang des Wortes ‚Gnade‘ verstehen.

 

Dann würden wir fröhlich springen.

Jeden Tag genießen.

Und damit etwas haben, mit dem wir den allgegenwärtigen Neid zügeln können.

Eine tiefe Freude

Amen.



Pfarrerin Eva Tøjner Götke
DK-5230 Odense M
E-Mail: Etg(at)km.dk

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