Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Septuagesimae, 12.02.2017

Küchenmaschinen und Freiheit
Predigt zu Lukas 17:7-10, verfasst von Wolfgang Vögele

Friedensgruß

Der Predigttext für den Sonntag Septuagesimae steht Lk 17,7-10:

„Wer unter euch hat einen Knecht, der pflügt oder das Vieh weidet, und sagt ihm, wenn der vom Feld heimkommt: Komm gleich her und setz dich zu Tisch? Wird er nicht vielmehr zu ihm sagen: Bereite mir das Abendessen, schürze dich und diene mir, bis ich gegessen und getrunken habe; und danach sollst du essen und trinken? Dankt er etwa dem Knecht, dass er getan hat, was befohlen war? So auch ihr! Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist, so sprecht: Wir sind unnütze Knechte; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren.“

Liebe Schwestern und Brüder,

herzlich lachen würde der Sachbearbeiter der Arbeitsagentur. Er ist ja so manches gewohnt, aber jetzt fragt er sich, ob er sich verhört hat. Hat dieser ältere Arbeitssuchende wirklich gesagt, er könne sich eine Arbeit als Knecht vorstellen? Bestimmte Berufe des Dienens sind aus dem Arbeitsleben verschwunden, oder sie haben neue aufregendere, glänzendere Namen bekommen. Der Hausmeister heißt plötzlich Facility Manager und die Putzfrau Reinigungskraft. Mägde und Haustöchter, Butler und Zugehfrauen, Holz-, Haus- und Landsknechte dagegen sind in der Gegenwart als abhängige und demütigende Beschäftigungsverhältnisse undenkbar geworden, den Gewerkschaften sei Dank.

Einfache, dienende und untergeordnete Arbeit wird zunehmend von Maschinen erledigt. Ein guter Freund, mit dem ich gelegentlich telefoniere, erzählte mir, er habe an einer technischen Universität ein Institut für Roboter besuchen können. Die Wissenschaftler haben ihm einen menschlich aussehendes Wesen, mit einer weißen Kochmütze, vorgeführt. Die Ingenieure hatten dem Metall-Klops mühsam beigebracht, Kochzutaten aus dem Schrank und dem Kühlschrank zu holen und mit den benutzten Tellern die Spülmaschine zu befüllen und anzustellen. Der mechanische Küchenknecht konnte die Spülmaschine auch ausräumen. Aber der Typ mit der Mütze war nur ein unbezahlbarer Prototyp. Bis zur Serienreife werden noch Jahrzehnte vergehen.

Vorläufig müssen sich die kochenden Menschen mit einer Küchenmaschine à la Thermomix zufriedengeben. Aber schon diese Maschine kann wiegen, mischen, zerkleinern, erhitzen, mahlen, rühren, kneten. Die Küchenmaschine ist ein dienstbarer und hilfreicher Knecht.

Knechte gehören in die Erinnerung an alte Zeiten. Weihnachten ist gerade vorbei, aber der Nikolaus wird in der Regel vom Knecht Ruprecht mit der Rute begleitet. Die Rute kommt nur noch selten zum Einsatz, Knecht Ruprecht steht bei der Bescherung meist nur unnütz herum, weil kein Kind der Drohung mit Schlägen Glauben schenkt.

Selbstverständlich, in den wunderbaren Büchern über den blonden Michel aus Lönneberga von Astrid Lindgren kommt der etwas einfältige Knecht Alfred vor. Mit ihm führt Michel vertrauliche Gespräche. Auf Katthult helfen sie sich gegenseitig, dann, wenn Michel wieder einmal zur Strafe in den Schuppen muß oder wenn Alfred sich nicht traut, der verliebten Magd Lina zu sagen, daß er mit dem Heiraten noch warten will.

Und noch wichtiger ist der Knecht Sancho Pansa mit dem Esel aus dem Roman „Don Quichotte“ von Miguel de Cervantes. Dieser Knecht und Diener sorgt mit Vernunft und gesundem Menschenverstand dafür, daß sein dürrer ritterlicher Herr sich nicht in spinnerten Ideen verliert. Sancho Pansa muß Don Quichotte zu wiederholten Malen aus der Phantasie in die Wirklichkeit zurückholen, zum Beispiel wenn er die Windmühlen mit der Lanze attackiert. Bei diesem Verhältnis von Herr und Knecht dämmert es dem Leser, daß die Abhängigkeit zwischen beiden vielleicht nicht so einseitig zu beschreiben ist, wie es auf den ersten Blick den Anschein hat. Im apokryphen Buch Jesus Sirach heißt es: „Einem weisen Knechte muß der Herr dienen, und ein vernünftiger Herr murret nicht darum.“ (Jesus Sirach 10,28)

Damit sind wir, liebe Schwestern und Brüder, mit ein wenig Anlauf aus der Gegenwart, der die Knechte fremd geworden sind, im Lukasevangelium angelangt. Jesus spricht über Knechte und Herren. Beide sind nicht gleichberechtigt und begegnen einander nicht auf Augenhöhe. Der Knecht soll dienen und nicht mit dem Herrn gleichzeitig seine Mahlzeit einnehmen. Liest man genauer, was Jesus sagt, so bemerkt der Hörer schnell einen Bruch in der Geschichte. Am Anfang spricht Jesus die Jünger als Herren an, wobei die Jünger zumeist arme Fischer waren, die sich sicher keinen Knecht im Haus leisten konnten. Nach der Mitte aber dreht Jesus die Perspektive plötzlich um. Die Jünger werden nun als Knechte angesprochen. Was denn nun? Sind sie Herren, denen gedient wird, oder Hausarbeiter, die selbst dienen und dem Herrn gehorchen müssen?

Dieser Bruch in der Geschichte des Lukas fällt sehr ins Auge. Etwas Zweites kommt hinzu. Die Herr-und-Knecht-Geschichte kommt vollständig ohne theologischen Bezug aus: keine Rede von Gott, keine Rede von Gnade und Barmherzigkeit, keine Rede von Heil und Reich Gottes. Bei näherem Hinsehen verschwindet alle Klarheit aus der Geschichte, und die Zuhörer stehen vor einem Rätsel, selbst dann, wenn sie die alte Rede von der Arbeit der Knechte noch kennen. Und dennoch sollte Jesu Rede über Knechte und Herren nicht einfach unter den Tisch der Gegenwart fallen, als sei das unnützer biblischer Müll, den man erst einmal wegkehren muß, um zur Wahrheit von Gnade und Liebe vorzudringen. Manchmal finden sich Gnade und Liebe gerade im Rätselhaften, Widerständigen und Unverständlichen.

Dabei hilft im Jubiläumsjahr 2017 niemand anderes als der Reformator Martin Luther, der die Bibel als einer der ersten in menschennahes verständliches Deutsch übersetzt und theologisch wie nur wenige durchdrungen hat. Eine der berühmtesten Schriften Luthers, Von der Freiheit eines Christenmenschen aus dem Jahr 1521, beginnt mit einer berühmten Doppelthese: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan.“ Und sofort die Gegenthese: „Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“ Kann ein glaubender Christ seine Freiheit ausleben, wenn er anderen Menschen untertan ist und ihnen dient? Kann er zugleich ein Herr und ein Knecht sein?

Ja, das ist möglich. Luther spricht von der Doppelnatur des Menschen. Auf der einen Seite übt der Mensch Zwang auf sich selbst aus, um eigene Ziele und Wünsche zu verwirklichen. Auf der anderen Seite wird ihm in Gnade Freiheit geschenkt. Luther sagt auch, diesen Gedanken könne man auf die doppelte Natur des Menschen beziehen. Nach dem Wittenberger Reformator ist der Mensch geistlich und leiblich zugleich. Und diesen Gedanken kann man für die Gegenwart aufnehmen: Der Mensch ist Herr und Knecht zugleich. Es geht nicht mehr um prekäre Arbeitsverhältnisse, schlechte Entlohnung oder Arbeitszeitbegrenzung. Im Bild vom Herrn und vom Knecht geht es um den Ort des Menschen in der Welt, gegenüber sich selbst und gegenüber Gott.

Wer in der Gegenwart nach Knechtschaft sucht, der findet das Phänomen der Selbstverknechtung, nur daß das heute anders, schöner und täuschender benannt wird, nämlich Selbstoptimierung. Der Coach, die Trainerin, der Berater und der Ratgeber vereinen sich zum Chor der Verpflichtungen: Du mußt dein Leben ändern! Du mußt dich verbessern! Du darfst dich nicht auf die faule Haut legen! Du mußt. Du sollst. Du arbeitest. Und in einer Mischung aus Zögerlichkeit und Schuldbewußtsein fängt der verknechtete Mensch an, jeden Tag 10000 Schritte zu gehen, genau bewacht von einem elektronischen Schrittzähler. Er joggt dreimal in der Woche vierzig Minuten durch den Wald in der Nähe, er ernährt sich fettfrei und kohlehydratarm, er verzichtet auf Milchschokolade, Speiseeis und zuckerhaltige Getränke. Er baut Netzwerke auf, um Karriere zu machen. Er kleidet sich neu ein, damit die anderen ihn als einen freundlichen und gewinnenden Menschen schätzen. In der Marketingsprache der Personal Coaches heißt das: Du bist verpflichtet zur Selbst-Optimierung. Optimierung klingt optimistisch und positiv. Wenn du dich anstrengst, dann schaffst du es. Und dennoch verbirgt sich in diesem Optimismus eine besondere Form der Knechtschaft. Wer sagt: Anstrengung bringt Erfolg, der sagt auch: Wo der Erfolg ausbleibt, hat sich jemand nicht genug angestrengt. Optimierung führt zu Anstrengung, und Anstrengung kann zu Überforderung führen. Wer joggt, der kennt bei Überanstrengung Wadenkrampf, Muskelkater und eine überreizte Achillessehne. Wer abnehmen will, für den wird die Waage zur Plage. Und wer Gott gefallen will, der muß das tun, was der Reformator Martin Luther gute Werke genannt hat, egal ob er ein Herr oder ein Knecht ist. Denn vor Gott sind die sozialen Unterschiede von Herrn und Knecht, heute würden wir sagen: von Milieus, aufgehoben.

Es war Luthers entscheidende Glaubenserkenntnis, daß er sagen konnte: Niemand kann bestehen, wenn er einmal vor das letzte Gericht Gottes tritt. Er mag noch so viele gute Werke getan haben, die Sünde wird immer schwerer wiegen. Denn der Mensch wird sich stets selbst unter Zwang stellen. Er verknechtet sich selbst, weil er ein Sünder ist.

Darum gilt: Wenn ein Mensch vor Gott tritt, kann er mit seinen Werken nicht bestehen, denn er ist ein Knecht seiner Sünde und keineswegs ein Herr. Vor Gott sind die Menschen darum auf Glauben und Gnade angewiesen. Vor ihm bestehen sie nicht durch Leistungen. Ihre guten Werke werden in keine Rangliste eingetragen. Der Sünder verfällt dem Irrtum, daß er Leistungen erbringen muß, um vor Gott zu bestehen. Der Glaubende hat erkannt, daß er sich allein auf Gottes Gnade verlassen kann. Er kann seine Vorläufigkeit und seine Unvollkommen annehmen. Er kann sein Leben als Geschenk Gottes begreifen. Leben als Geschenk heißt Freiheit von Zwängen, von Diätzwängen, Leistungszwängen, Karrierezwängen., von allen anderen Zwängen.

Leben als Geschenk heißt: Ich gehe behutsam mit anderen Menschen um. Ich gehe behutsam mit mir selbst um. Ich muß nicht als Knecht von Schlankheits- und Erfolgsidealen herumlaufen. Ich bin – in aller Unvollkommenheit – frei. Das heißt nicht, ich kann machen, was ich will, das wäre Anarchie. Es heißt: Ich kann in aller Freiheit auf meine Nächsten schauen, auf die Menschen um mich herum. Ich kann ihnen helfen, wenn sie Hilfe benötigen. Ich mache nicht andere Menschen zu meinen Knechten, und ich werde von anderen selbst nicht zum Knecht gemacht. Wenn Gott der Herr ist, so können sich alle Menschen und Glaubenden als gleiche betrachten. Knechtschaft ist dann aufgehoben.

Merkwürdigerweise kommt im Predigttext des Lukasevangelium das Wort Gott gar nicht vor. Jesus scheint über soziale Beziehungen zwischen Herr und Knecht zu reden, ohne Gott mit einzubeziehen. Aber wer tiefer blickt, der kann doch sehen, daß es sich anders verhält. Denn der Glaube an Gottes Gnade sorgt dafür, daß sich die Menschen aus allen möglichen Arten der Knechtschaft befreien. Das ist das eine.

Das andere besteht darin: Im Glauben erkennen die Menschen Gott als barmherzigen Herrn. Sie tun das nur wegen der Person, die diese Geschichte über Herrschaft und Knechtschaft erzählt. Gottes Gnade kommt uns Menschen in Jesus Christus entgegen. Das zeigt sich in seinem Leiden, über das wir in der bevorstehenden Passionszeit nachdenken werden. Das zeigt sich in Jesu Auferstehung, mit der Gott sich über den Tod erhoben hat.

Und der Friede Gottes, der Herrschaft und Knechtschaft unter Menschen überwindet, bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.



 



(zurück zum Seitenanfang)