Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Estomihi, 26.02.2017

Predigt zu Lukas 10:38-42, verfasst von Rainer Stahl

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus,

die Liebe Gottes

und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes

sei mit Euch allen!“

 

 

Liebe Leserin, lieber Leser!

Liebe Schwestern und Brüder!

 

Wir leben in einer großartigen Zeit. Es werden wichtige Versuche unternommen, dass Eltern Familie und Beruf, Kinder und Arbeit möglichst gemeinsam meistern können. Das Angebot an Kinderkrippen und Kindertagesbetreuung spielt dabei eine große Rolle. Diese Möglichkeiten sollen dazu helfen, Arbeit und Kindererziehung zusammen zu schaffen. Hierzu gehört auch das Angebot, dass die Väter – nicht nur die Mütter – Elternzeit in Anspruch nehmen können und eine gewisse Zeit lang ganz zu Hause bleiben, aber den Arbeitsplatz nicht verlieren. Und für die Mütter gibt es hierfür gesetzlich klare Regelungen, die zur Planungssicherheit helfen.

 

Gewiss könnte vielleicht alles noch günstiger geregelt werden. Aber das Grundproblem – die Investition für Arbeit und damit für Verdienst und spätere Rente oder Pension und die Investition in eine neue Generation in ein positives Verhältnis zu setzen – wird doch wahrgenommen und möglichst austariert. Trotzdem – so dämmert uns gewiss bei diesem Gedankengang – bleibt die Notwendigkeit zur Entscheidung. Gerade im Alltag, in den so genannten kleinen Dingen, lässt sich nicht immer beides parallel durchhalten, müssen doch immer wieder Alternativentscheidungen getroffen werden. So ist das Leben.

 

Unsere biblische Geschichte vom Besuch Jesu im Haus von Martha und Maria öffnet uns nun die Augen dafür, dass es nicht nur im Leben so zugeht – sondern auch im Glauben. Auch hier gibt es die Herausforderung zur Entscheidung. Martha entscheidet sich für die Pflichten und Aufgaben des Lebens, genauer: für die Herausforderungen, die uns Gott durch die Notwendigkeiten des Lebens vorlegt. Maria entscheidet sich für Chancen des Glaubens, genauer: für die direkte In-Anspruch-Nahme durch Gott. Beide tun das eher unreflektiert, eher spontan. Wir sollen aber verstehen, worum es jeweils geht. Und wir sollen uns bewusst entscheiden!

 

Für Martha ist klar, dass die Pflichten der Gastfreundschaft im Vordergrund stehen. Vor allem natürlich für sie als Frau – die traditionelle Rolle derjenigen, die die Mahlzeit zubereitet und dem Gast auf diese Weise zeigt, dass er willkommen ist.

 

Maria übernimmt eine ganz andere Rolle. Diejenige der Person, die durch Aufmerksamkeit, durch Zuhören, durch Lernbereitschaft dem Gast Anerkennung, Verehrung zollt. Ist das die Rolle des männlichen Familienmitglieds, des Hausherrn?

 

Vergleichen wir unsere Gastszene mit einer anderen berühmten, derjenigen des Besuchs der drei Männer bei Abraham im Hain Mamre (Genesis 18):

 

Da sieht Abraham die Gäste kommen, eilt ihnen entgegen, lädt sie ein – und arbeitet für sie nur insofern, als er die nötigen Anweisungen gibt und die nötigen Entscheidungen trifft. Seine Frau weist er an, Brot zu backen. Er wählt zwar das Kalb für das Gastmahl aus, weist dann aber seinen Knecht an, zu schlachten und zuzubereiten. Frau und Knecht erfüllen also die Herausforderungen, die Gott in dieser Situation der Betreuung der Gäste durch die Regeln des Lebens auferlegt. Und – ganz entscheidend – auch Abraham entspricht dem, indem er die fertige Mahlzeit seinen Gästen auftischt. Dann aber – und hier erfolgt der entscheidende Rollenwechsel – bleibt er vor den Gästen stehen, isst nicht mit, sondern ist bereit, Informationen, Aussagen, Anweisungen seitens der Gäste anzunehmen – er bleibt also offen für die direkte In-Anspruch-Nahme durch Gott, für die Chancen des Glaubens.

 

Das also lernen wir:

 

Maria erfüllt einen Teil der Rolle des Hausherrn. Sie nimmt sich Zeit für die Informationen, für die Aussagen, für die Anweisungen, die der Gast aussprechen will. Sie lässt alles Technische, alles Handwerkliche, alles irdisch Notwendige beiseite und öffnet sich ausschließlich dem Göttlichen, der direkten In-Anspruch-Nahme durch Gott, den Chancen des Glaubens.

 

Martha bleibt ganz auf der Seite der indirekten In-Anspruch-Nahme durch Gott. Sie reagiert auf die Notwendigkeiten des Lebens, hinter denen gleichwohl auch Gott steht und durch die er zu uns spricht. Martha ist also nicht fern von Gott. Aber, sie erkennt nicht genau das Besondere dieser unverwechselbaren Situation, die so nicht wiederkommen wird...

 

Liebe Schwestern und Brüder!

 

Das ist die entscheidende Zielaussage unserer biblischen Geschichte: Es kann möglich sein, dass uns Gott begegnet. Dann sollen wir uns die Freiheit nehmen, alles Gewohnte und Übliche ein Stück weit zurückzustellen und uns ganz auf Gott zu konzentrieren. Dann sollen wir uns die Freiheit nehmen, die selbstverständlichen Pflichten beiseite zu lassen und diese besondere Chance zu nutzen.

 

Nicht immer ist es möglich, alles zu schaffen – Beruf und Familie, Arbeit und Kinder, Alltag und Sonntag. Sondern sehr häufig und in der Regel haben Beruf, Arbeit und Alltag das größere Gewicht, haben die Macht, uns zu bestimmen. So, wie sich in unserer Geschichte Martha verhält. Sie gehorcht diesen Kräften und Zwängen. Sie erfüllt die Herausforderungen des „normalen“ Lebens, durch die uns Gott anspricht.

 

Dagegen aber sollen auch Familie, Kinder und Sonntag ihre Chance bekommen. Wir sollen immer wieder zu Maria werden. Sie hat sich dem „besonderen“ Leben geöffnet, durch das Gott unmittelbar auf uns zukommt. Werden auch wir dazu bereit!

 

Liebe Schwestern und Brüder!

 

Vielleicht empfinden Sie den Mangel unserer biblischen Geschichte genauso wie ich. An keiner Stelle wird erwähnt, was Jesus denn gesagt hat. Lässt sich aber doch noch ein Hinweis darauf finden, was hier wichtig ist? Eine göttliche Erkenntnis, die unser alltägliches Leben übersteigt – es zugleich trägt und überwindet?

 

Da ist es hilfreich, im Lukasevangelium weiterzulesen. Dann wird zwar die Situation im Haus der beiden Frauen verlassen und wieder eine Gesprächssituation zwischen Jesus und seinen Jüngern in den Mittelpunkt gerückt. Aber es wird ein Thema aufgenommen, das ich mir auch sehr gut zwischen Jesus und den beiden Frauen vorstellen kann, ein Thema, das uns alle angeht: nämlich das Thema „Gebet“ und an seinem Anfang das „Vaterunser“!

 

Dieses Gebet nun setzt Alltag und Sonntag in das richtige Verhältnis: Erst die Heiligung des Namens Gottes, erst die Bitte um das Reich Gottes – und dann die Bitte um das tägliche Brot und dann die Bitte um die Vergebung von Schuld, sowohl für uns, als auch von uns aus für die anderen.

 

Entspricht das nicht ganz der Schwerpunktsetzung Jesu gegenüber Martha? Maria habe das gute Teil gewählt, das ihr bleiben werde, sagt er – nämlich die Verehrung Gottes, die Freude über seine Nähe. Martha aber hat die Sorge um das tägliche Brot, um die Aufarbeitung von Schuld zu ihrer Aufgabe gemacht – und ist damit genauso unter dem Kraftstrom Gottes, genauso Dienerin seines Willens.

 

Lassen wir uns durch diesen Gottesdienst sensibel machen für diese Entscheidungssituation: Werden wir innerlich bereit, immer wieder einmal die alltäglichen Pflichten, die mittelbaren Herausforderungen Gottes, hinter uns zu lassen und uns den direkten Herausforderungen Gottes zu öffnen: „Dein Name werde geheiligt.

Dein Reich komme.“ Amen.

 

 

Und der Friede Gottes,

der höher ist als unsere Vernunft,

bewahre Eure Herzen und Sinne bei Christus Jesus, unserem Herrn!“



Pfarrer i.R. Dr. Rainer Stahl
Erlangen
E-Mail: rainer.stahl.1@gmx.de

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