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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Neujahrstag, 01.01.2008

Predigt zu Philipper 4:10-13, verfasst von Gunda Schneider-Flume

Freude, liebe Gemeinde, ist ein kostbares Gut, ein Lebenselixier, wenn sie einen erfasst. Gelegentlich packt sie Menschen und bringt sie in Bewegung. Denken Sie an die Berichte vom Silvester 1989/90 am Brandenburger Tor in Berlin. Da konnte man die Freude übergreifen sehen. Schillers Ode übertreibt da nicht: Seid umschlungen Millionen. Ein Gefühl von Gemeinsamkeit und Solidarität verbindet Menschen, die sich vorher fremd waren. Ein Götterfunke, sagt man, springt über. Man kann das nicht willentlich produzieren. Freude überkommt Menschen. Nicht selten äußert sich das in Freudensprüngen. Aber wie kommt es zu Freude, liebe Gemeinde, echter bleibender Freude? Freude, die nicht morgen verflogen ist?

Freude ereignet sich viel tausendfach bei Silvesterfeiern weltweit. Vielleicht haben einige von Ihnen gestern Abend Beethovens 9. Sinfonie gehört, und die Stimmung der Hymne an die Freude schwingt in Ihnen.

 

Auch heute am Neujahrsmorgen ist noch etwas von der Freude lebendig, Freude, dass ein Jahr zu Ende ist, Freude, dass ein neues Jahr hoffnungsvoll vor uns liegt. Ein neues Jahr. „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne..." Offen und unverbraucht, voller Möglichkeiten liegt das Neue Jahr vor uns. So offen und unverbraucht wie das Leben eines neugeborenen Kindes, angesichts dessen Freude und Hoffnung aufleben. Von der Freude im Stall von Bethlehem wird das erzählt. Auf den Gesichtern der Hirten spiegelte sich das. Bei der Geburt eines jeden Kindes können wir das erleben.

 

Silvesterfeiern verabschieden Altes. Manches lässt man gerne hinter sich, die Misserfolge und Enttäuschungen, die Krankheiten und Schmerzen. Anderes ist geglückt, berufliche Erfolge, neue Freunde und gelungene Beziehungen. Manches würde man lieber nicht hinter sich wissen, den schmerzlichen Verlust geliebter Menschen, der im Herzen brennt. Die Trauer geht mit und die Erinnerung. - Doch nun ist das alte Jahr vergangen, ein neues tut sich auf, und wieder wollen wir hoffen. Es ist, als ob mit jedem Silvesterböller etwas von der Freude, dem Jubel und der Hoffnung laut geworden ist, die unser Leben machtvoll neu in Bewegung bringen.

 

Gewiss steckt in manchem Böller auch etwas von dem Willen, böse Ahnungen und böse Geister zu vertreiben und keine Angst aufkommen zu lassen. Die Freude soll ungetrübte Freude sein, und sie möge dauern über Silvester und den Neujahrstag hinaus. Nicht nur ein kurzes Aufleuchten wie bei einem Feuerwerk wünschen wir uns, sondern eine Freude, die bleibt, die nicht gleich wieder vergeht, sondern die uns alle Tage im Neuen Jahr belebt.

 

Aber ist das realistisch, liebe Gemeinde? Ist das nicht wirklichkeitsfremd? Momente von Freude sind flüchtig, sie verweilen nicht lange. Weihnachten ist nun vorbei, und gelegentlich ist der Absturz nach der Freude in das Grau der Freudlosigkeit des Alltags jäh. Aber wir wünschen ein gutes Neues Jahr. Wir erhoffen mit all unseren Neujahrswünschen ein Jahr, das freudig bleibt, nicht nur heute am Neujahrstag, sondern möglichst alle Tage ohne Absturz in Trauer und Trostlosigkeit. Wir wünschen das auch da, wo nichts von gutem Leben sichtbar zu sein scheint, wo Menschen die Freude vergangen ist, weil sich ihre Pläne und Vorhaben nicht erfüllt haben, da, wo Beziehungen in die Brüche gegangen sind, und da, wo Menschen selbst ihr Leben und ihre Beziehungen zerstört haben. Und da, wo Leben gewaltsam ausgelöscht wird, wo Menschen getötet werden in Kriegen weltweit, wo Menschen misshandelt werden, erniedrigt und geschlagen, wo Kindern Gewalt angetan wird, reichen auch dahin unsere Wünsche zum guten Neuen Jahr? Ein gutes Neues Jahr, ein Gnadenjahr, erhoffen wir auch überall da. Wie müsste die Welt dann aussehen, strahlend im Glanz von Freundlichkeit, Wohlwollen und Güte! Etwas von der Weihnachtsfreude, dass Gott mit uns ist auf Erden, wünschen wir weltweit für das Neue Jahr.

 

Der Predigttext zum heutigen Neujahrstag spricht von dem Wunder aufbrechender Freude im Gefängnis. Eingesperrt in einer Zelle, Prozessausgang ungewiss, spricht der Apostel Paulus von Freude. Er ist gefangen, vermutlich in Ephesus, und schreibt an die Gemeinde in Philippi, die ihm Gaben hat zukommen lassen.

 

Ich lese den Text Philipper 4,10-13:

„Ich bin aber hocherfreut in dem Herrn, dass ihr wieder eifrig geworden seid, für mich zu sorgen; ihr wart zwar immer darauf bedacht, aber die Zeit hat's nicht zugelassen. Ich sage das nicht, weil ich Mangel leide, denn ich habe gelernt, mir genügen zu lassen, wie's mir auch geht. Ich kann niedrig sein und kann hoch sein, mir ist alles und jedes vertraut: beides, satt sein und hungern, beides, Überfluss haben und Mangel leiden; ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht."

 

Der Apostel spricht von Freude in einer nicht gerade erfreulichen Situation. Aber ein etwas merkwürdiger Dankesbrief für empfangene Gaben ist das schon. Paulus erhält Gaben von der Gemeinde in Philippi, die wohl seinen mehr als spärlichen Lebensunterhalt, seine Hungermahlzeiten im Gefängnis aufbessern sollen, und er antwortet: Ich bin hoch erfreut, ich habe große Freude, und diese Freude greift über, es ist Freude in Jesus Christus, die mich mit Christus und seiner Gemeinde verbindet. Und dann fährt der Apostel fort: Aber wirklich nötig habe ich die Gaben nicht, denn ich habe gelernt, genügsam zu sein, autark, unabhängig. Ein merkwürdiger Dankesbrief! Und was für eine Freude ist das?

 

Wer autark ist, steht ganz auf sich selbst und braucht nichts und niemanden und schon gar nicht Hilfe von anderen. Das würde einen ja nur abhängig machen. Er lebt nach dem Motto: Selbst ist der Mann und die Frau natürlich, so sagen wir heute, sowieso. Selbstgenügsamkeit oder Autarkie war eine hoch geschätzte und intensiv trainierte Tugend zur Zeit des Paulus. Der Apostel kannte das. Die stoischen Moralphilosophen lehrten das Training für diese Tugend, die zusammen mit der Unerschütterlichkeit und der Unabhängigkeit von Leiden geübt wurde. Man malte sich Situationen des Mangels oder der Bedrohung, Situationen von Hunger und Krankheit, ja sogar Situationen  der Todesbedrohung anschaulich vor Augen und zwang sich, alles ohne Gemütsbewegung auszuhalten. Ein Persönlichkeitstraining ganz eigener Art war das. So wie Extremsportler üben, Schmerzen zu ertragen und darüber hinwegzugehen, so wurde Selbstgenügsamkeit trainiert, hart gegen sich selbst und ohne Rücksicht auf die anderen, die einen aber gar nicht erschüttern können, denn sie gehen den, der wirklich ganz auf sich selbst steht, nichts an. Autarkie heißt nach der stoischen Devise: Härte gegen sich selbst und Unabhängigkeit von allen anderen. Was gehen mich die anderen an? Ich stehe auf mir selbst, die anderen müssen mir gleichgültig sein. Meine Freude ist deshalb nur die Freude über die eigene Festigkeit. Ich freue mich über mich selbst.

 

Sollte das unsere Maxime für 2008 sein, liebe Gemeinde: Selbstgenügsamkeit, Autarkie, Unabhängigkeit? Die Selbstdisziplin der stoischen Tugendlehrer hat immer beeindruckt. Deutsche Soldaten zogen mit dem Handbüchlein des stoischen Philosophen Epiktet im Tornister in den ersten Weltkrieg, um Mut und Unerschütterlichkeit in den Schützengräben zu bewahren. Sollte diese Tugendlehre nicht auch für uns bedeutsam sein, um unabhängig zu werden von den Zwängen der modernen Gesellschaft, dem Konsumzwang, dem Zwang auszusehen, wie die Mode es vorschreibt, dem Zwang zu Jugendlichkeit auch im fortgeschrittenen Alter? Frei von dem Zwang, haben zu müssen, was der andere hat, der mehr hat als ich? Etwas Selbstgenügsamkeit stände uns allen gut an. Das wäre schon eine Befreiung. 

 

Autarkie gilt in Zeiten der Globalisierung für viele als Ideal. Die Vernetzung der Weltwirtschaft und der internationalen Märkte erscheint bedrohlich und macht Angst. Sollten auch deshalb Selbstgenügsamkeit und Autarkie unsere Ideale für das Neue Jahr sein? Aber können Menschen denn überhaupt autark auf sich selbst stehen? Selbstgenügsam, unabhängig, ich nur mit mir, allein auf mir stehend oder auf mir abfahrend? Selbst wenn man Gleichgültigkeit trainiert: Was gehen mich die anderen an, der überarbeitete Arbeitskollege, die vereinsamte Nachbarin, der Freund, der nicht mit sich zurecht kommt? - Und was geht uns die Armut in Afrika an, die Ausbeutung der Kaffeebauern in Äthiopien und der Hungerlohn der Arbeiter in Asien, die die Billigwaren für uns herstellen?

 

Die Tugend der Selbstgenügsamkeit beruht auf bewundernswerter Selbstdisziplin, aber Selbstdisziplin, die nur das eigene Selbst im Blick hat, hat Scheuklappen und kann unerschüttert Menschen um sich herum straucheln und Welten in Brüche gehen sehen. Eine Selbstgenügsamkeit, die nur um das eigene Selbst kreist, macht Menschen beschränkt und schneidet ab von der Welt und der Fülle des Lebens. Und ich selbst? Worauf stehe ich? „Was geht mich das an?" war die Devise der alten Philosophen. „Was geht mich das an?" ist eine allzu beliebte Devise heute für alle, die Scheuklappen brauchen, um der ängstigenden Umwelt standzuhalten.

 

Der Apostel spricht von einer anderen Selbstgenügsamkeit. „Ich vermag alles durch den, der mich ermächtigt." Autark, weil mich jemand dazu ermächtigt. Das ist wahrhaft eine Umkehrung aller Autarkie. Selbstgenügsamkeit, weil man gerade nicht nur auf sich selbst steht. Es steht mir jemand im Rücken, der mich bestärkt, mir den Rücken frei hält. Geschenkte Autarkie, das klingt wie ein Widerspruch in sich selbst. Dahinter steht eine andere Erfahrung. Von sich selbst aus sind Menschen gar nicht autark. Wenn sie allein auf sich selbst stehen müssen, stehen sie oft unsicher und verkrampft, vor allem aber geht ihnen etwas ab, was nur aus Beziehungen zu anderen Menschen kommt: Anerkennung, Zuneigung und Liebe.

 

Die vielen Selbstfindungsseminare geben Zeugnis von der Not sich selbst suchender Menschen. Wenn auf ein menschliches Selbst nicht vom ersten Lebenstage an eine Fülle von Zuwendung gekommen ist, wird aus dem Selbst gar nichts. Und wo nichts geworden ist, kann man auch nichts finden. Wie viele Menschen leiden darunter! Wir wissen das nicht nur von Kindern. Der arme bedürftige Mensch muss sich auf eine Fülle von Zuwendung verlassen können, bevor er ein Selbst wird, zur Selbstgenügsamkeit ermächtigt. Wie viel Liebe und Fürsorge braucht ein Menschenkind, bis es erst einmal auf die eigenen Füße kommt. Aber wenn ihm die Liebe zuverlässig zukommt, dann vermag es auch erstaunlich selbstständig zu stehen. „Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst?" Eine uralte biblische Weisheit. Das Menschlein ist noch fast nichts, aber durch das fürsorgliche Gedenken wird es stark und selbstständig. Eine uralte biblische Glaubenserfahrung. Gott ist der Name dafür, dass eine Fülle von liebevollem Gedenken das menschliche Leben trägt und bewegt. Das erweist sich immer wieder trotz vieler widersprechender Erfahrungen. 

 

Gott, das bedeutet ein unerschöpfliches Reservoir von wohlwollender Fürsorge, mit der Menschen ein Leben lang umgeben sind. Liebe Gemeinde, ist das vorstellbar: Fürsorge, die niemals endet und deren Reservoir niemals leer wird? Wir wissen, dass auch die größte Fürsorge bei uns Menschen einmal erschöpft ist, weil die Kraft am Ende ist oder weil der Geduldsfaden reißt. Anders ist das mit der Fürsorge des allmächtigen Gottes, sie reißt nicht ab. Wir leben davon, all Morgen neu, auch wenn wir es oft vergessen. Gottes Fürsorge reicht auch dahin, wo Menschen mit ihrer Fürsorge am Ende sind, und sie reicht dahin, wo Menschen an Lieblosigkeit leiden und daran, dass sie vergessen sind. Gottes Fürsorge reißt nicht ab. Du bist nicht vergessen. Du bist ein über alles geliebter Mensch.

 

„Ich habe dir geboten, dass du getrost und unverzagt seist." Das haben wir in der alttestamentlichen Lesung aus dem Buch Josua gehört. Ein guter Leitsatz für das neue Jahr ist das: getrost und unverzagt. Aber auf Kommando gibt es keinen Mut. Vor der Aufforderung zum Mut steht der Zuspruch: Ich bin mit dir, die unerschöpfliche Fürsorge, geschenkte Autarkie.

 

Liebe Gemeinde, kennen Sie das? Wenn einen der Mut verlässt, weil die Angst einen überkommt, dann fasst man sich, wenn jemand neben einem ist, an der Hand. Im Dunklen ist das so und in schweren Stunden. Eine Hand hält. Wo solches Miteinander ist, solche Fürsorge, da ist Gott nicht fern. Da entsteht etwas von der geschenkten Autarkie, dem zugesprochenen Mut, weil jemand mit einem ist, weil man nicht allein ist. Immanuel, Gott mit uns.

   

Das Vertrauen auf das Wohlwollen im Rücken gibt dem Apostel sein erstaunliches Selbstbewusstsein. Um die Verlässlichkeit seines Selbst und seines Lebens muss er sich nicht sorgen. Dafür ist gesorgt. Er ist ermächtigt. Deshalb leidet er keinen Mangel, wie viel oder wie wenig er auch hat. Fürsorge und Gedenken das ist die Grundgewissheit seines Lebens, sogar im Gefängnis. 

 

Deshalb spürt er in der Unterstützungssendung der Gemeinde aus Philippi  die Fürsorge, die wieder aufgeblüht ist, wie er sagt. Das ist es, was ihn freut, er spürt die Verbundenheit mit der Gemeinde, die Solidarität. Sie haben mich nicht vergessen, sie halten zu mir, selbst hier im Gefängnis. Das ist wie eine Verbindung zu der Geschichte unseres Lebensgrundes, das bestärkt.

 

Sie kennen das, liebe Gemeinde: Ein Geschenk, ein Päckchen, ein Brief oder ein Anruf, ja sogar ein Blick, wenn nicht vorbeigesehen wird, sie lösen eine weit greifende Erfahrung und Freude aus. „Ich bin hoch erfreut." Jemand denkt an mich, ich bin nicht vergessen und nicht allein. Gewiss will ich unabhängig sein, aber so ein Zeichen der Verbundenheit, der Fürsorge, der Solidarität freut mich. Es mag eine Blume sein, eine Rose als Zeichen der Zuwendung. Mag die Rose längst verblüht sein, die Erinnerung an die Zuwendung bleibt und bestärkt. Zuwendung verändert die Wirklichkeit. Menschen müssen nicht nur autark, unabhängig und möglichst unerschütterlich nebeneinander her leben. Es gibt Solidarität, einer kann den anderen ansehen, auch den Bettler auf der Straße. Fürsorge blüht auf, Verbundenheit durch Geben und Nehmen. Das schafft Freude, bleibende Freude.

 

Und doch spricht die Wirklichkeit an vielen Stellen in unserem Leben, in unserer Gesellschaft und in der ganzen Welt der zuvorkommenden Fülle der Fürsorge Hohn. Wie viele Menschen sind abgeschnitten von liebevoller Fürsorge, weil sie sich selbst abgeschnitten haben oder weil andere sie abgeschnitten haben? Wo ist die Fürsorge für die, die übersehen werden? Wo ist die Zuwendung für die vereinsamten Kinder, die den ganzen Tag sich selbst überlassen sind? Wo ist die Fürsorge für Menschen, die den Mut verloren haben, weil sie in der Leistungsgesellschaft keine Anerkennung finden? Wo ist die Fürsorge für die Hungernden weltweit? Wie viele andere Beispiele können wir anfügen?

 

Aber wir können wissen, dass Gott aus dem unerschöpflichen Reservoir seiner Fürsorge dennoch die Fülle schenkt, wenn Menschen sich nur dem solidarischen Kreislauf von Geben und Nehmen nicht zerstörerisch in den Weg stellen. Die Bibel nennt das Zerstören dieses Kreislaufes der Solidarität, das Abschneiden der Fürsorge Sünde. Da werden die Beziehungen zwischen Gott und Menschen und zwischen Menschen untereinander zerstört, und Menschen stehen ganz allein auf sich selbst, oder sie sind ganz allein mit ihrer Angst und Verzweiflung. Aber Gott gibt sich selbst hinein in den Riss, der entsteht, wenn Menschen Fürsorge abreißen lassen und Leben zerstören. Wir können wissen, dass der, der sich hingegeben hat aus Liebe für alle Menschen, mitten unter ihnen ist, neben einem jeden und sie bestärkt: Du vermagst alles durch den, der dich mächtig macht. Er steht auch neben dir. Er leidet mit dir und gibt neue Kraft. Und er bittet, dass Menschen sich auf Solidarität und Fürsorge einlassen. Der allmächtige Gott bittet. Und so wie sein Tod am Kreuz Leben geschaffen hat, verwandelt seine Bitte Herzen und Welten.

 

Da erfahren vermeintlich ganz autarke Menschen, dass sie sich etwas schenken lassen können, und ihre Welt verändert sich. Sie sind hineingestellt in den Kreislauf von Geben und Nehmen, in das Geschehen fürsorglichen Gedenkens, in dem sie beschenkt werden und selbst schenken können und in dem sich auch Abhängigkeit ertragen lässt. Menschen, die niemals abhängig sein wollten und meinten, niemals abhängig sein zu können, erfahren, dass Fürsorge für sie auch wohltuend sein kann. Nicht Abhängigkeit an sich ist bedrohlich, sondern nur erzwungene, erniedrigende und ausbeuterische Abhängigkeit von Einzelnen, von Gruppen oder von Staaten.

 

Liebe Gemeinde, Globalisierung lässt sich nicht rückgängig machen, und sie darf nicht rückgängig gemacht werden, aber sie muss um Gottes Willen menschlich gestaltet werden. Menschen, Unternehmen und Staaten können sehr wohl einander zu geschenkter Autarkie verhelfen. Auch unter Völkern und Staaten darf es angesichts von Hunger, Krankheit und Leiden nicht das „Was geht uns das an?" geben.

  

Fürsorge, die aus liebevollem Gedenken kommt, richtet auf, ermutigt und bestärkt. Ich denke an dich, weil ich dich schätze. Wir denken an Eure Not, weil wir an ihr teilnehmen und sie lindern wollen. Das ist die Wirkung göttlicher Fürsorge, die Freude bringt, große Freude immer wieder, alle Tage.

 

Da hat Schiller nicht übertrieben: Seid umschlungen Millionen. Das ist nicht nur ein abendlicher Gefühlsausbruch. Die unerschöpfliche Fürsorge und die Solidarität wirken Freude. Es heißt, Freude sei Gabe des Geistes. Sie ist Gabe Gottes, die überspringt und ein ganzes Jahr lang immer wieder auflebt. Amen.



Prof. Dr. Gunda Schneider-Flume
Leipzig
E-Mail: dr.gunda.schneider@t-online.de

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