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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Reminiscere, 12.03.2017

Das Schneidbrettchen – ein unverzichtbares Utensil für das christliche Leben
Predigt zu Matthäus 12:1-12, verfasst von Christine Hubka

Taufe AsylbewerberInnen

 

Auf die Kanzel ein Küchenbrett mitnehmen: ελεος = Barmherzigkeit heißt in der Grundbedeutung „Küchenbrett, Schneiden. Übertragen: Das Herz aufschneiden.(Gemoll S.264).

 

Zu der Zeit ging Jesus am Sabbat durch die Kornfelder; und seine Jünger waren hungrig und fingen an, Ähren auszuraufen und zu essen.

2 Da das die Pharisäer sahen, sprachen sie zu ihm: Siehe, deine Jünger tun, was am Sabbat nicht erlaubt ist.

3 Er aber sprach zu ihnen: Habt ihr nicht gelesen, was David tat, als ihn und die mit ihm waren, hungerte:

4 Wie er in das Haus Gottes ging und aß die Schaubrote, die doch weder er noch die mit ihm waren, essen durften, sondern allein die Priester?

5 Oder habt ihr nicht gelesen im Gesetz, dass die Priester am Sabbat im Tempel den Sabbat brechen und sind doch ohne Schuld?

6 Ich sage euch aber: Hier ist Größeres als der Tempel.

7 Wenn ihr aber wüsstet, was das heißt (Hosea 6,6): »Barmherzigkeit will ich und nicht Opfer«, dann hättet ihr die Unschuldigen nicht verdammt.

8 Denn der Menschensohn ist Herr über den Sabbat.

9 Und er ging von dort weiter und kam in ihre Synagoge.

10 Und siehe, da war ein Mensch, der hatte eine verdorrte Hand. Und sie fragten ihn und sprachen: Ist's erlaubt, am Sabbat zu heilen?, damit sie ihn verklagen könnten.

11 Aber er sprach zu ihnen: Wer ist unter euch, der sein einziges Schaf, wenn es am Sabbat in eine Grube fällt, nicht ergreift und es heraufhebt?

12 Wie viel mehr ist nun ein Mensch als ein Schaf! Darum ist es erlaubt, am Sabbat Gutes zu tun.

13 Da sprach er zu dem Menschen: Strecke deine Hand aus! Und er streckte sie aus; und sie wurde wieder gesund wie die andere.

14 Da gingen die Pharisäer hinaus und hielten Rat über ihn, dass sie ihn umbrächten.

Mt 12, 1-12

 

Mit einer weltanschaulichen Wertedebatte beginnt es.

Mit Mordplänen endet es.

 

Das erste, was ich aus dieser Geschichte lerne ist: Reden hilft nicht immer.

Durchs Reden kommen die Leute nicht immer zusammen.

Man kann sich auch auseinander reden.

Beim Reden werden die Fronten deutlicher. Das, was uns trennt wird klarer.

Der Ton wird schärfer.

Nicht nur, wenn Jesus mit den Gelehrten seiner Zeit diskutiert, was am Sabbat erlaubt ist, und was man am Sabbat nicht tun darf.

 

In dieser Wertedebatte haben alle Seiten Recht, das ist das Dramatische an dieser Geschichte und an vielen ähnlichen:

Gott hat den Menschen Ruhezeiten geschenkt,

damit sie nicht zu Sklaven der Arbeit werden.

Wer das bewahren will, will nichts Böses.

Wer das Recht von Menschen verteidigt, den Hunger zu stillen, auch nicht.

Und wer einen Kranken heilt, erst recht nicht.

 

Die Schärfe kommt in die Debatte,

weil diese guten und richtigen Werte auf einmal gegeneinander gestellt werden.

Was ist wichtiger: Das Ruhegebot am Sabbat oder der Hunger eines Menschen?

Die Pharisäer meinen, das eine ist wichtiger als das andere,

und begeben sich damit in die Entweder-oder Falle.

 

Wie kommt man, wie kommen wir aus dieser Entweder-oder Falle wieder heraus.

Denn dass polarisierte Positionen zu nicht Gutem führen, wissen wir aus Erfahrung.

Das Ende dieser Episode zeigt es ganz drastisch.

Da gingen die Pharisäer hinaus und hielten Rat über ihn, dass sie ihn umbrächten,

erzählt Matthäus.

 

Das Zauberwort, das den Entweder-oder Knoten löst ist Barmherzigkeit.

Kyrie eleison singen wir zu Beginn des Gottesdienstes.

Herr sei barmherzig!

 

Was wir von Gott erbitten, sollen wir selber auch machen, sagt Jesus:

Wenn ihr aber wüsstet, was das heißt (Hosea 6,6): »Barmherzigkeit will ich und nicht Opfer«, dann hättet ihr die Unschuldigen nicht verdammt.

 

Barmherzigkeit ist also etwas, was Gott und Menschen gemeinsam haben.

Oder vielmehr haben könnten.

Barmherzigkeit ist etwas, was wir Menschen von Gott lernen können.

Wer meint, dass Barmherzigkeit doch ein sehr abstrakter Begriff ist,

den kann ich beruhigen. Es gibt kaum etwas Handfesteres, Konkreteres.

 

Denn wenn wir singen: Kyrie eleison bitten wir Gott auf Deutsch:

Herr, verwende doch bitte ein Schneidbrettchen.

Schneidbrett zeigen.

 

Ja, die Grundform dieses griechischen Wortes bedeutet Schneidbrett oder auch Schneiden (Subjekt).

Was bitten wir Gott, wenn wir ihn bitten, sein Schneidbrettchen zu verwenden?

 

Schneide die verhärteten Stellen aus deinem Herzen – das ist es, was wir bitten.

Dass es im Herzen Gottes verhärtete Stellen geben kann,

erzählen viele Geschichte der Bibel.

Wenn die Menschen Gott wieder einmal durch ihr Verhalten, ihre Gemeinheiten,

ihren Rechtsbruch und ihre Treulosigkeit verletzt und enttäuscht haben.

Dann – so erzählt die Bibel – kostet es Gott allerhand Überwindung und Anstrengung,

sich von den harten Reaktionen, von den harten Stellen in seinem Herz loszulösen.

Sie quasi wegzuschneiden, barmherzig, also menschenfreundlich zu bleiben.

 

Was wird geschnitten, aufgeschnitten, zerschnitten, wenn sich die Fronten der Richtigkeiten verhärten?

Schneidet den Entweder-oder Konten durch, das ist es, was Jesus fordert.

Denn so ein verknotetes Herz nimmt nur noch Teile der Realität wahr.

Die Realität ist:

Es gibt Menschen, die müssen in ihrem Bedürfnis nach Pausen gestärkt und unterstützt werden. Sonst gehen sie kaputt und brennen aus.

Es gibt andere Menschen, die brauchen das nicht – ihre große Not ist der ständige Hunger.

Und andere brauchen keine Pausen und haben genug zu Essen. Sie leiden an ihrer Krankheit und den Einschränkungen, die sie mit sich bringt.

 

Zum Glück gibt es Menschen, die sich dafür einsetzen, dass Arbeitende genug Ruhezeiten haben. Zum Glück gibt es Menschen, die alles in ihrer Macht stehende tun, um den Hunger in der Welt zu bekämpfen. Zum Glück gibt es Menschen, sich für Kranke engagieren, damit sie möglichst ungehindert leben können.

Gemeinsam könnten wir jetzt diese Liste verlängern mit Themen, die dem einen oder der anderen hier unter den Nägeln brennen. Vom Tierschutz bis zum Straßenverkehr. Und alles Mögliche dazwischen.

 

So vieles ist wichtig. So vieles müsste getan werden. Meine Kräfte, unsere Kräfte sind begrenzt. Die finanziellen Mittel sind es auch.

Wie also kann man entscheiden, ohne sich in diesen Entweder-oder Knoten zu verwurschteln?

 

Schaun wir uns die Episode zwischen Jesus und den Pharisäern noch einmal an:

 

Grundsätzlich ist die Sabbatruhe wichtig. Unverzichtbar.

Akut ist der Hunger der Jünger. Diese Situation braucht schnelle Abhilfe. Danach können sie auch wieder fröhlich den Sabbat genießen.

Die Regel, die hier hilft ist noch recht einfach: Akute Situationen haben Vorrang vor Grundsätzen. Ist die akute Not vorbei, gilt wieder der gute Grundsatz.

Ein wenig schwieriger scheint die Sache mit der geheilten Hand zu sein.

Die Frage, ob das nicht bis morgen warten kann,

wird in einer anderen Episode, wo Jesus am Sabbat heilt, gestellt.

Jesus löst den Knoten, indem er Gutes tun und arbeiten unterscheidet.

Wenn jemand meint, auch am Sabbat weiter machen zu müssen, um seinen Vermögen zu vermehren, bricht diese Person das Sabbatgebot.

Wer einem anderen etwas Gutes tut, bricht es nicht.

Nur als Fußnote merke ich an: Zuweilen brauchen auch Menschen eine Pause, die anderen helfen. Zuweilen geraten sie in die Not der Erschöpfung, weil sie das Sabbatgebot zu weit weg geschoben haben. Dann muss und soll und darf die Pause vor dem Helfen kommen.

 

Ihr seht, wir sehen, die Dinge sind nicht einfach.

Es gibt keine schnellen und für immer gültigen Lösungen.

Und hier kommt wieder das Schneidbrettchen ins Spiel.

Der Sitz des Verstandes ist für die Menschen in biblischer Zeit das Herz.

Ein Verstand, der sich von Verknotungen ideologischer Art mit Hilfe des Schneidbrettchens befreit, wird flexibel und situationsgerecht hier und jetzt entscheiden.

Im Sinne Jesu und in seiner Nachfolge.

 

Dass mir und uns allen immer so ein Schneidbrettchen der Barmherzigkeit zur Hand ist,

das gebe Gott.

 



Dr. Christine Hubka
Wien
E-Mail: christine.hubka@gmx.at

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