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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Reminiscere, 12.03.2017

Das eine Zeichen
Predigt zu Matthäus 12:38-42, verfasst von Eberhard Busch

Der heutige Sonntag ist bestimmt als Gebetstag für bedrängte und verfolgte Christen. Wir denken an diesem Tag in der Passionszeit an solche, die wegen ihres Glaubens an den Heiland der Menschen zu leiden haben. Sie leben in besonderer Nähe dieses Einen, der gelitten hat für uns alle. Wissen wir, dass es auch uns etwas kosten kann, in der Nachfolge Jesu zu stehen? Wir können uns das nicht wünschen, aber wir dürfen auch nicht davor scheuen wie ein Reh, wenn uns dergleichen widerfährt. Der einstige Apotheker in Halle Christian Friedrich Richter hat ein Lied gedichtet, in dem es heißt: „Es kostet viel, ein Christ zu sein.“

Unser Predigttext redet zunächst von Leuten, auf die das freilich gar nicht zutrifft. Schriftgelehrte und Pharisäer werden sie genannt. Verurteilen wir sie nicht gleich. Es gibt bis zum heutigen Tag allzu viele Menschen vom gleichen Zuschnitt wie sie. Vielleicht gehören wir selbst unter diese Art von Gläubigen. Sie sitzen in einer Zuschauerloge, auf einem bequemen Sitzplatz und wollen erleben, wie ihnen ein Wunder vorgeführt wird, und sei es irgendein Hokuspokus. Sie haben an Jesus einen Wunsch: „Meister, wir wollen gern ein Zeichen von dir sehen.“ Mit dem möge er beweisen, dass er tatsächlich ein Meister ist, ein von Gott Gesandter, wie er behauptet. Und ob er das ist, das wollen sie dann beurteilen und feststellen. Das Recht und Vermögen dazu liegt ganz in ihrer Hand. Ja, sein Schicksal liegt dabei voll in ihre Ermessen. Ein Philosoph den bezeichnenden Satz formuliert: „Ein Zuschauer ist immer König und Souverän, ein Spieler immer Diener und Knecht.“

Aber Jesus entzieht sich dieser Herausforderung. Und gerade damit zeigt er, dass wahrhaftig er ein Meister ist, wohl ein Diener und Knecht, aber einer, der zugleich „König und Souverän“ ist. Er ist der, dessen Schicksal nicht in ihrer Hand, sondern deren Schicksal in seiner Hand liegt. Darum sagt ihr ihnen: Ihr wollt ein Zeichen sehen? Nur eines gibt es für euch. Und das ist kein Wunder nach eurem Wunsch und Geschmack. Das eine Zeichen, das ich euch gebe, ist ein Kreuz, an das ich, euer Meister, am Karfreitag gerate. Hier geht dann der Höchste selbst in die tiefste Tiefe, hier geht das ewge Licht ins Dunkel, hier geht der Gute in ein Meer von Bosheit, hier geht der Erbarmer in die Schrecken der Unbarmherzigkeit. Ihm begegnet keine Willkommenskultur, sondern Abweisung von seinem Volk

Seht nur das Wunder, wie tief sich der Höchste hier beuget“, hat der Liederdichter Gerhard Tersteegen angesichts dessen gesungen. Denn das ist das eine Wunder. Gekrönte Häupter pflegen heutzutage allenfalls winkend am Volk vorbeizuziehen. Das ist kein Wunder, denn sie sind auf den Beifall der Medien und der Leute angewiesen. Aber das ist das wahre und echte Wunder, dass er, dieser Höchste, in seiner Passion an die Seite derer getreten ist, die ihn abgewiesen haben, an die Seite derer, die ihn bis zum heutigen Tag ablehnen, an die Seite der Sünder, wie sie die Bibel nennt, derer, die abgewichen sind von ihrer Bestimmung zur Freiheit der Kinder Gottes. Und er hat das auf sich genommen, um sie herauszuführen aus ihrer Verkehrtheit und ihrem traurigen Dransein. Wer kann denn glücklich sein inmitten von soviel dunkler Schatten? Nein, Er hat vielmehr gelitten, hat geseufzt und gezittert. Aber Er hat das erduldet zu unser aller Wohl, um uns an Leib oder Seele Kranke, uns miserable Schwerenöter mit dem barmherzigen Gott und Vater in Verbindung zu bringen.

Wir stehen hier an dem Höhepunkt des Einsatzes Gottes zu unseren Gunsten. „Hier ist mehr als Jona“, heißt es. Aber was war denn los mit Jona, von dem uns im Alten Testament berichtet wird? Mit seinem Namen verbindet sich eine dramatische Geschichte. Er wollte vor Gott Reißaus nehmen, und das darum, weil er den schlimmen und üblen Menschen in der Stadt Ninive Gottes Gnadenangebot nicht ausrichten wollte. Auf seiner Flucht wurde er von einem Wal verschluckt, so erzählt die Sage. Und dieses Tier hat ihn nach drei Tagen wieder ans Festland ausgespuckt. Jetzt ging er doch nach Ninive und hielt seine Predigt so, dass die Menschen dort umkehrten von ihren bösen Wegen und vor dem ihnen drohenden Folgen ihres Tuns bewahrt wurden. Ein für uns vorbildlicher Bote Gottes!

Aber nun ist „hier mehr als Jona“, sagt Jesus. Und wir verstehen, was er sagt: diese alte Geschichte ist ein Gleichnis und Hinweis auf das Kreuz Christi, auf seinen, auf Gottes Einsatz zur Hilfe und Rettung und Heilung seiner Menschenkinder. Das ist im Dunkel des Karfreitags geschehen und am folgenden Ostertag ans Licht getreten. Da wird uns vor Augen gehalten, was uns in unsrer Bibel mitgeteilt wird: „Gott unser Heiland will, dass allen – allen! – Menschen geholfen wird und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen“ (1 Tim 2,4).

Und „hier ist mehr als Salomo“, fährt Jesus fort. Was ist nun damit gemeint? Da ist von einer Königin die Rede, die einst von weither sich auf den Weg machte, ja, vom „Ende der Erde“, heißt es. Wohin wollte sie denn so weit reisen? Warum gerade bis nach Jerusalem? Darum, um von der Weisheit des Königs Salomos zu hören mit offenem Ohr und Herz. Das nahm sie auf sich. In ihrer Lernbegierde ist auch sie ein schönes Vorbild für uns, und in ihrem Glauben, dass es in Jerusalem etwas zu lernen gibt. Sie nahm die weite Reise auf sich, während die dort wohnenden Nachbarn davon absahen und nicht interessiert waren, davon zu hören.

Und jetzt ist „hier mehr als Salomo“. Und wir verstehen, was das heißt. Die Geschichte vom Selbsteinsatz Gottes zur Rettung der Menschheit ist eine Frohbotschaft, das Evangelium für alle und jede. Der Apostel Paulus schrieb davon, er predige darum allen, die er nur erreichen kann in der Nähe und Ferne „Christus, göttliche Kraft und göttliche Weisheit“ (1 Kor 1,24). Und diese Botschaft von Christus erklingt nun über die Kontinente und erquickt und tröstet und ermutigt die Entferntesten, die weit weg von uns leben oder auch die, die weit weg vom kirchlichen Leben existieren. Sie erreicht dort mehr, als wir denken. Ich sah einen Koreaner in einer Vorortbahn in einer Bibel lesen und ich fragte ihn, wie er denn dazu komme. Er sagte: Weil das so interessant ist!

Doch wie ist es nun mit denen, die da nicht weit weg leben, sondern in unserer nächster Nähe? Mit denen, die da getauft und konfirmiert sind und deren Christlichkeit nun versiegt ist wie ein Bach im Sand? Wie steht es mit denen, die wie der Dichter Goethe sagen: „Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube“? Und mit denen, die gegen den Zuzug von Menschen anderen Glaubens protestieren im Namen des christlichen Abendlands und deren Christlichkeit dabei so gar nicht sichtbar wird? Wir erziehen Kinder dazu, dass sie für ein Geschenk „danke“ sagen. Aber sind wir Erwachsenen etwa solche, die vergessen, selber unseren tätigen Dank für Gottes Gnadengeschenk auszusprechen? Hoffentlich überhören wir es nicht, sondern geht uns das Strenge und Harte ins Herz, was Jesus nach Matthäus 12 gegen die ihm Nahestehenden sagt. Er liebt auch sie und doch verleugnen und verraten sie ihre Nähe zu ihm.

Kommen wir noch einmal zurück auf das Stichwort vom Anfang der Predigt: Heute ist auch Gebetstag für die verfolgten und bedrängten Christen in unserer gegenwärtigen Welt. Eine profane Zeitung schrieb dazu: „In vielen Ländern dieser Welt ist die Ausgrenzung, Diskriminierung und Verfolgung auch heute noch – oder wieder – gängige Praxis. Die Formen der Unterdrückung reichen von grausamen Gewalttaten wie Hinrichtungen und Folter über Inhaftierungen bis hin zu Diskriminierung zum Beispiel im Bildungsbereich oder auf dem Arbeitsmarkt.“ Ja, beten wir für sie! Denken wir an sie, heute, nicht nur heute! Setzen wir uns für sie ein, soweit und wie es uns möglich ist! Und lernen wir von ihnen, unseren christlichen Glauben zu bekennen!

Den Bekennern des christlichen Glaubens ist es klar: Sie haben nicht Christus in ihrer Hand und sie fordern ihn nicht heraus: „Meister, wir wollten gern ein Zeichen von dir sehen.“ Sondern sie sind Menschen in seiner Hand, sie sind bei ihm und er ist bei ihnen. So werden sie aus Zuschauern zu Nachfolgern Jesu. Sie gehören nicht sich selbst noch sonst wem, sie gehören ihm. Darum befindet er über sie. Sie machen uns das Wort Jesu groß und wichtig: „Wer mir will nachfolgen, der nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach“ (Lk 9,23).

Haben wir das vergessen, so mögen wir es neu lernen: Christsein heißt wesentlich Nachfolge Jesu. Nachfolge heißt, wie es Dietrich Bonhoeffer uns gelehrt hat: Bereitschaft, sich von Gott unterbrechen zu lassen. Wozu sollen wir uns unterbrechen lassen? Er antwortet mit einem Zitat aus den Psalmen: „Tu deinen Mund auf für die Stummen“. Also für die, die nicht zu Wort kommen, für die, die man überhört, die man am liebsten übersieht, für die, die unter die Räder geraten sind. Seien wir froh, dass Gott uns dazu Zeit lässt!



Prof. Dr. Eberhard Busch
Friedland
E-Mail: ebusch@gwdg.de

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