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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Reminiscere, 12.03.2017

Flagge zeigen?
Predigt zu Matthäus 12:38-42, verfasst von Wolfgang Petrak

Liebe Gemeinde,

Da antworteten etliche unter den Schriftgelehrten und Pharisäern und sprachen: Meister, wir wollten gern ein Zeichen von dir sehen. 39 Und er antwortete und sprach zu ihnen: Die böse und ehebrecherische Art sucht ein Zeichen; und es wird ihr kein Zeichen gegeben werden denn das Zeichen des Propheten Jona. 40 Denn gleichwie Jona war drei Tage und drei Nächte in des Walfisches Bauch, also wird des Menschen Sohn drei Tage und drei Nächte mitten in der Erde sein.
  
41 Die Leute von Ninive werden auftreten am Jüngsten Gericht mit diesem Geschlecht und werden es verdammen; denn sie taten Buße nach der Predigt des Jona. Und siehe, hier ist mehr denn Jona. 42 Die Königin von Mittag wird auftreten am Jüngsten Gericht mit diesem Geschlecht und wird es verdammen; denn sie kam vom Ende der Erde, Salomons Weisheit zu hören. Und siehe, hier ist mehr denn Salomo.



Liebe Gemeinde,

Und das habt zum Zeichen. Ihr werdet finden...“. Ihr? Erinnern wir uns?

Ja, wir. Die wir täglich Zeichen der Zeit sehen und fragen, was werden wird. Gestern, am Sonntag auf dem Marktplatz unserer Stadt, wie in vielen anderen Städten auch: Menschen mit blauen Luftballons in der Hand, mit jeweils zwölf goldenen Sternen darauf. Was diese zwölf Sterne genau bezeichnen sollen, konnte mir niemand sagen. Wusste ich selbst ja auch nicht, hat doch die EU hat zur Zeit 28 Mitgliedsstaaten. Aber wofür wir alle auf dem Platz standen, war deutlich: Für ein für ein freies Europa ohne Abgrenzungen, ohne Ausgrenzungen. Dafür gilt es jetzt Flagge zu zeigen. Am gleichen Abend jedoch waren wieder Fahnen im Fernsehen zu sehen. Die Türkische Flagge neben der Deutschen. Doch was man hören musste und kaum ertragen konnte, war die Meinung des türkischen Staatspräsidenten, jetzt die Deutschen mit den Nazis vergleichen zu müssen. Weil unsere Regierung die Freilassung des inhaftierten Journalisten Yücel und, ganz grundsätzlich, die Meinungsfreiheit in der Türkei fordert. Kurz danach, wirklich nur ganz kurz, Sterne und Streifen zu sehen. Und Neues vom amerikanischen Präsidenten zu hören, der im Twitter seinen Vorgänger für krank erklärt und ihn der Bespitzelung beschuldigt hat. Ein Zeichen dafür, wie Behauptungen erfunden und scheinbare Tatsachen in eine virtuelle Welt gesetzt werden, ohne sie je belegen zu wollen. Fakes werden zur Wahrheit erklärt und erweitern abermals den künstlichen Raum alternativer Fakten, die zwar keine sind, umso mehr aber verdeutlichen, wie diese Zeichen unsere Wirklichkeit gefährden können. Die Zeichen der Zeit stehen auf Sturm. Und Verwirrung.

Wir wissen wohl, dass es ohne Zeichen grundsätzlich nicht geht. Wir brauchen sie, um Gemeintes deutlich zu machen. Wir kennen Künste und Kulturen, um Zeichen zu deuten und zu entschlüsseln. Lassen den Kniff zu, das Zeichen selbst als Wahrheit zu verstehen und diese auf bloße Eindeutigkeit zu reduzieren. Ahnen gleichwohl immer den Unterschied zwischen dem vordergründig Erkennbaren und dem, was dahinter liegt und sich dem unmittelbaren Zugriff entzieht, wissen um Unterschied zwischen dem, was man schon immer kennt, und dem Gemeinten, das niemals in dem Zeichen selbst aufgeht, sich nicht fixieren lässt und deshalb selbst frei bleibt. „Und das habt zum Zeichen. Ihr werdet finden“. Und so hören wir von der Gewissheit, die letztgültig sagen lässt: „Hier ist mehr denn Jona und Salomo“. Was hatten sie alles schon damals in ihren Zeiten für Zeichen gekannt, um dann auch noch von von dem Mann aus Nazareth ein Zeichen zum Beleg der Wahrheit einzufordern. Zum Beispiel hatte es um das Jahr 36, also ungefähr zu leichen Zeit, einen geheimnisvollen Propheten gegeben, der der die seit Jahrhunderten verschollenen heiligen Tempelgeräte auf dem Garizim wiederzufinden versprochen hatte; oder da war ein gewisser Theudas, der nach dem Bericht des Geschichtsschreibers Josephus (Jüdische Altertümer 20,5,1) eine ungeheure Menschenmenge bewogen hatte, ihm unter Mitnahme ihrer gesamten Habe an den Jordan zu folgen. Er gab sich für einen Propheten aus und behauptete, „er könne durch sein Machtwort die Fluten des Jordan teilen und seinem Gefolge einen bequemen Durchgang ermöglichen“: also ein Zeichen wie das des Moses oder Elia: also eine messianische Utopie, die in der Realität nichts weiter als eine Bereicherung an der Verelendung verarmter Massen meinte. Oder jener geheimnisvolle Ägypter, der ebenfalls zur Zeit Jesu 3000 Menschen in der Wüste versammelt hatte, um sie - wie Moses - in die Freiheit zur führen: so waren sie unter seiner Führung nach Jerusalem gezogen. Zum Zeichen der Befreiung wollte er mit einer Axt die Mauern des Tempels einreißen, bis dann das römische Militär auf den Plan trat und ihm, übrigens mit Unterstützung der Bevölkerung zeigte, wer der Herr im Hause war: also das Feldzeichen senatus populusque romanus. Und das gab dann vor, den zu schützen, dessen Name höher ist als alle Namen und der nie in einem Bild noch Zeichen sich fassen ließe: in was für Widersprüche diese Zeichenwelt geraten kann. Jesu Urteil ist deshalb eindeutig: „Die böse und ehebrecherische Art sucht ein Zeichen und es wird ihr kein Zeichen gegeben werden“. Der, der der Grund des Glaubens ist, widersetzt sich dem narzisstischen Spiel von Erwartung und zeichenhafter Erfüllung. Stattdessen benennt er klar die Ursachen jener sehnsüchtigen Bedürfnisbefriedigung, die in der Zeichenforderung mündet: Bosheit, unverhohlene Aggression und Beziehungsunfähigkeit.

Trotzdem laufen Menschen Zeichen hinterher. Weil sie scheinbar Einheit herstellen, die Sehnsucht nach Beziehung erfüllen und Machtgebiete erkennbar absichern: ἐν τούτῳ νίκα In hoc signo vinces. Die Geschichte der römischen Staatskirche hatte mit einem Feldzeichen begonnen. Bischof Eusebius hatte davon berichtet: Dem Kaiser Konstantin soll 312 ein leuchtendes Kreuz mit dieser Inschrift erschienen sein, vor der entscheidenden Schlacht gegen seinen Rivalen Maxentius bei der Milvischen Brücke. Christus habe ihm erklärt, dass er dieses Zeichen gegen seine Feinde einsetzen muss. Eusebius berichtete weiter, dass Konstantin daraufhin befohlen habe, dieses Kreuz als Labarum, als Schlachtzeichen zu verwenden. Eine Fahne für Christus? Die Fahne ist ein Zeichen der Macht. Und für die, die sich dahinter zusammenschließen. Christus aber ist ohnmächtig. Hat keine Fahne, sondern nur ein Kreuz. Golgatha. Das ist der Ort, den es gibt. Den aber keiner kennt. Weil sich sein Kreuz jeder Verortung entziehen muss. Dieses Zeichen wird niemanden zuhanden.

Genau dieses lässt uns deshalb kritisch fragen, was man heute alles mit Händen greifen kann, was man meint, glauben zu können. Was man alles tun kann. Wenn die bunten Fahnen wehen, wussten wir als Kinder fröhlich zu singen. Was alles mit Händen gegriffen werden kann: Stars and stripes, Schwarz-Weiß- Rot, mit oder ohne Adler, mit oder ohne Christogramm, dann aber auch: weißer Halbmond und Stern auf rotem Grund, auch: schwarzes Schwert auf weißem. Fahnen in Stadien und auf Staatskarossen, an Masten und Ständern festlich flatternd, zwischen Händen hochgehalten, aggressiv auf Pick-Ups und Kriegsgerät montiert, belanglos als Graffiti geschmiert, neben den anderen unverständlichen Zeichen, aber gerade darin bedrohlich.

Nichts erzählt die Bibel von Fahnenmeeren, denn diese Zeichen zählen nichts. Sondern sie erzählt von Menschen. Jona zum Beispiel, dieser Prophet, der den Auftrag erhalten hatte, nach Ninive die Stadt der Heiden zu gehen, um dort den völlig an eigenen Interessen und eigener Selbstdeutung ausgerichteten, ja wenn man so will, völlig amoralischen Leuten: Menschen, bei denen es keinen Ansatzpunkt für einen Dialog oder für eine bekehrende Mission gab: diesen soll Jona sagen, dass das Gericht des Höchsten und damit seine Gerechtigkeit über sie kommen werde. Klar ist, dass Jona keine Möglichkeit, keine Chance sieht, keinen Sinn. Also ab durch die Mitte, d.h. über das Meer. Klar ist, dass nichts klar geht. Jona geht nach Meuterei über Bord, drei Tage und Nächte in absoluter Tiefe, im stinkenden Fischbauch. Klar ist auch, dass Jona sich dem würgenden Wal nicht widersetzen kann, erst recht nicht dem Willen des Herrn. Und so ist Jona hingegangen in die Stadt Ninive, mit nichts in der Hand, um im Namen des Herrn die Menschen zur Umkehr zu bewegen. Damit sie eine Zukunft haben, auch wenn sie selbst das nicht glauben. Ihre Zukunft soll am Ende als seine Gerechtigkeit gelten. Sie schließt niemanden aus.

Wie kann es dann aber sein, dass die Nation, ein religiös aufgeladener Begriff aus dem 19. Jahrhundert zum einem neuen Leitbegriff der Gegenwart werden kann, wie kann es sein, das militärisches Eingreifen als Option zwar ausgeschlossen, aber gleichwohl prinzipiell denkbar geworden ist? Es sind insgesamt Zeichen vergangen geglaubter Zeiten, die die Gegenwart bedrohen und bedrücken.

Entscheidend wird jedoch etwas ganz sein müssen: umzukehren, abzurücken von diesen Zeichen der nationalen Fixierung. Auch von den Zeichen jener Sprache zu lassen, die wieder ganz unbefangen von Krieg, von kaltem Krieg und notwendigen Restriktionen laut zu reden weiß. Es darf nicht um sicherndes Besetzen und strafendes Sanktionieren gehen, sondern alles ist danach zu fragen, welche Zukunft die Menschen haben sollen.

Da ist das Zeichen der Königin aus dem Süden. Von weit her, aus Saba, der geheimnisvollen Stadt Schwarzafrikas ist sie nach Jerusalem gekommen, weil sie von der Weisheit des Königs Salomo gehört hat. Sie ist stark genug, um sperrige Hindernisse auf dem Weg in fremde Welten zu überwinden; sie ist neugierig genug, in eine fremde Sprache hinzuhören und sich darin zu bewegen, um die Weisheit des anderen zu verstehen. Und sie ist offen genug, darüber den ihr unbekannten Gott anzusprechen und diesen, den sie nicht kennt, zu loben, mit ihren Worten und ihren eigenen Ausdrucksmöglichkeiten, um ihm, der der ganz Andere und Fremde bleibt, ganz nah zu sein und das Zeichen seiner Gegenwart aufzunehmen.

Und das habt zum Zeichen: „Ihr werdet finden…“. Ihr? Ja, wir. Denn wir können uns in unserer Zeit daran erinnern: Auch heute lässt sich der Gott finden, der mehr ist denn alle Zeichen der Welt. Es ist der, der sich niedrig gemacht hat und sein Kreuz auf sich nimmt. Damit wir von unserer selbst behaupteten Größe lassen, die Zeichen ausgrenzender Macht endlich ablegen.

Es gilt: Flagge zu zeigen. Und wenn es mit Luftballons ist, blau und mit Sternchen drauf. Denn so muss die Rede sein: Nein, nein: Zu allen Zeichen der Ausgrenzung. Ja, ja: Zu dem, der in allen Zeiten der Menschensohn genannt wird. Damit wir lernen können, in dem anderen, in dem Fremden unseren Nächsten und damit ihn selbst zu erkennen. Denn hier ist mehr. Bei Gott. Amen.

 

 



Pastor i.R. Wolfgang Petrak
Göttingen
E-Mail: w.petrak@gmx.de

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