Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Okuli, 19.03.2017

Predigt zu Lukas 11:14-28, verfasst von Margrethe Dahlerup Koch

 Vor einigen Jahren schrieb der dänische Dichter Søren Ulrik Thomsen ein Essay, in dem es darum ging, dass es den Teufel gibt. Nicht nur das Böse, sondern der Böse ist eine Macht und Wirklichkeit auch in unserer modernen aufgeklärten Welt. Der Hintergrund für das Essay von Thomsen war, dass er bei einer Beerdigung eines Freundes war. Ein Freund, der an einer Sucht gestorben war. Alle hatten ihm helfen wollen. Die Freunde, die Familie, das Krankenhaus. Aber niemand konnte etwas tun. Der Mann hatte seine Bücher verkauft, seine Möbel, seine früher so geliebte Gitarre, um für eine Sucht Geld zu bekommen. Sein Leben endete jämmerlich. Selbstzerstörung, würden es viele vielleicht nennen. Nein, sagt Søren Ulrik Thomsen, es war etwas anderes. Nicht der Freund hatte sich selbst zerstört. Denn der Mann hatte gerade keine Macht über sich selbst. Es war etwas anderes als er selbst, was am Werke war und sein Leben zerstörte. Und Thomsen kann diesem „anderen“ keinen anderen Namen geben als „Teufel, Satan“, der Böse selbst. Es war nicht seine eigene Schuld oder sein eigener Wille, dass sein Leben so tragisch endete. Thomsen will daran festhalten, dass es eine fremde, bösartige Macht außerhalb seines Freundes war, die Schuld an der Tragödie hat. Der Freund wurde das Opfer einer destruktiven Kraft, die stärker als er selbst und alle guten Kräfte um ihn waren, die versuchten, ihn davon loszureißen.

Aber als der Freund beerdigt wurde, hielt der Pfarrer eine muntere Predigt, in der er sagte, der Verstorbene habe das Leben intensiv gelebt. Dass sein Leben kurz war, macht es nicht sinnlos, denn er hat ja intensiv gelebt. Es ist die Lüge, mit der der Verstorbene in seiner Verzweiflung selbst sein Leben und seine Sucht umdeutet, wird an seinem Grabe wiederholt. Und Thomsen wundert sich im Innersten darüber, dass die Sprache der Kirche so arm geworden ist, „dass man“, wie er schreibt, „vor allem hier Worte vermisst für den Weg des Unterganges, den dieser liebenswerte, lustige und hochbegabte Mann bis zum bitteren Ende vor den Augen seiner verzweifelten Freunde“ ging. Kurz gesagt: Warum wagen wir es nicht einmal mehr in der Kirche, den Bösen beim Namen zu nennen, wenn wir ihm begegnen?

Denn die Konsequenz des fehlenden Mutes ist ja, dass wir dann den Menschen dämonisieren. Wenn die Sucht wirklich die eigene Wahl des Freundes gewesen wäre, dann käme ja das Böse, das sein Leben und das seiner Angehörigen zerstörte, von ihm selbst. Dann wäre er selbst der Böse. Und wenn die Sucht wirklich das Ergebnis einer freien Wahl wäre, so dass sich der Freund hätte zusammenreißen und damit aufhören können. Er bestimmte ja selbst. Und die Freunde und die Familie, die unter seiner Sucht gelitten haben, brauchen nicht traurig zu sein. Es war ja sein leben. Das Leben, das er selbst gewählt hatte.

Der Sprachforscher Jørn Lund hat darauf aufmerksam gemacht, wie oft wir das Wort „wählen“ gebrauchen. „Ich wähle, an dich zu glauben“. „Ich wähle, zu dem Treffen heute Abend zu gehen“. „Wir haben gewählt, die besten Zutaten zu wählen“, und dann wir alle, die wir „das gute Leben gewählt haben“. Er sieht das als Ausdruck unseres großen Dranges zu bestätigen, dass wir als Individuen in uns selbst ruhen, alles unter Kontrolle haben und die Lage beherrschen. Unsere Selbstbestimmung. Selbst in Bezug auf unseren Tod ist es zurzeit wichtig, dass wir das selbst in die Hand nehmen und die Wahl haben, wie wir sterben. Merkwürdigerweise gibt es da nicht so viele Wahlmöglichkeiten, was gerade den Tod angeht: Er soll nur würdig sein. Und im Leben wie im Sterben soll ich bis zuletzt ich selbst sein.

Genau dieses Denken verwirft Jesus im Evangelium dieses Tages. Ein Mensch ist nicht nur er selbst. Wir gehören immer auch einem anderen. Das ist der Grundpfeiler der christlichen Auffassung vom Menschen. Deshalb heißt es, dass wir das Leben bekommen haben. Nehmen wir es selbst, bedeutet dies tatsächlich genau das Gegenteil, nämlich dass wir das Leben verlieren. Und es ist nicht wahr, dass wir alles selber wählen. Das Wichtigste geschieht für uns und mit uns. Wir haben weder unsere Geburt, unsere Eltern, Krankheiten und gebrechen, Stärken, Begabungen oder unsere Sprache gewählt. Und ja, vielleicht haben wir uns selbst dafür entschieden, Kinder zu haben, aber wir haben nicht die Personen gewählt, die die Kinder dann wurden. Und als sie kamen, sagten wir übrigens, dass wir sie bekommen haben.

Jesus verwendet im Evangelium dieses Sonntags das Bild des Menschen als einem Haus. Wenn es leer steht, steht es offen für all das Schlimme, das sich einfinden kann. Die Neutralität, das gekehrte und geschmückte Haus, das durch nichts geprägt ist, da schlägt der Teufel zu und lässt sich nieder. Deshalb ist es das erste, was geschieht, wenn wir christlich getauft werden, dass wir gezeichnet werden. Das Zeichen des Kreuzes im Gesicht und an der Brust. Wir sind gekennzeichnet – diebstahlgesichert – und nie mehr neutral. Und deshalb lassen wir es uns anmerken, wenn jemand uns etwas anderes weismachen will. Uns einbilden will, dass wir uns selbst gehören z.B. Uns einbilden, dass der Wert des Menschen daran gemessen werden kann, wieviel Nutzen wir bringen – oder wie sehr wir die Gesellschaft belasten.

Im Neuen Testament ist öfter davon die Rede, dass Christus in uns wohnt. Oder dass Christus in uns lebt. Das ist das Bild des Menschen als einer leeren Schale oder einem leeren Behälter, der erst Inhalt und Sinn erhält, wenn etwas in ihn gefüllt wird und etwas geschieht. Und die gute Nachricht des Neuen Testaments ist also, dass das, was mit uns geschieht, dies ist, dass wir durch Christus oder den Heiligen Geist aufgetankt werden. Das Beste, was buchstäblich gut tut. Es begegnet uns – kommt zu uns – als die Freundlichkeit, die Fürsorge, die Hilfe anderer. Oder der Ruf der anderen an uns – der Ruf, der die Liebe, die Kräfte oder die Energie in uns weckt.

Die Erfahrung zeigt uns, dass dies nur nicht verhindert, dass der Teufel noch immer einziehen kann. Nicht nur Søren Ulrik Thomsen hat persönliche Erfahrungen mit der zerstörenden Kraft gemacht, die einen Menschen nicht in Ruhe lässt, bevor alles zerstört ist. Das kann eine Sucht sein, aber der Teufel kann sich auch mehr elegant aufführen: Wir können besessen sein von der Arbeit, dem Gedanken, unersetzlich zu sein. Der Mensch, der sich nie frei nimmt, nie zur Ruhe kommt – die Familie geht dran kaputt – und er macht dennoch weiter. Der Streit um die Scheidung, wo die erwachsenen Partner sehr wohl sehen können, dass die Kinder leiden – und dennoch kann keiner von beiden den Hass und die Rachsucht überwinden. Weil das alles bestimmt. Da wo die Liebe, die Nachsicht, die Zärtlichkeit vorher war und gut tat, hat etwas anderes die Macht ergriffen. Oder wenn überhaupt ein Teufel in uns fährt, wie wir sagen, und wir etwas tun, was wir uns sonst geschworen haben, dass wir so etwas niemals tun würden.

Wir sind weder Herren über uns selbst noch Frauen im eigenen Haus. Es kann im Leben miteinander teuflisch zugehen. Wir können ohnmächtig dastehen, wenn es geschieht.

Aber. Es gibt ein Aber, ein großes Aber. Der Teufel kann die Macht zwar übernehmen, aber er kann sie niemals behalten. Darauf richtet die Fastenzeit unseren Blick, dass wir es hören und glauben. Der Teufel kann zwar einziehen. Aber er ist und bleibt ein unwillkommener Gast im Hause eines anderen, und früher oder später wird er vom rechten Besitzer des Hauses hinausgeworfen.

Das kleine Gleichnis, das Jesus über den Kampf zwischen dem Starken und dem noch Stärkeren erzählt, spricht das an. Gegen unsere Erfahrungen von der Macht der Dämonie über uns selbst und die anderen steht die Verkündigung des Evangeliums, dass er, der stärker ist als der Starke, Jesus, der Sohn Marias, gekommen ist und nicht nur den Kampf gewann. Nein, er verteilte auch die Beute: das gute, von Gott geschaffene Leben. Der Glaube, die Hoffnung und die Liebe, die das Böse stets zerstören und einfrieren will. Das ist die Beute, die Jesus an sich riss und mit sich nahm am Ostermorgen aus der Hölle. Und er gab sie weiter. Er behielt sie nicht für sich selbst. Er gab sie uns, so dass wir wieder erfüllt und gefüllt werden mit dem Besten. Das gut tut.

Wir sind nie wir selbst. Wir gehören Gott. Wir werden nun singen: „Gott! Du bist uns nahe … für uns alle Engel singen im Rat des Himmels zur Freude statt Tränen“.

Wir wählen nicht. Wir sind erwählt. Amen.



Pastorin Margrethe Dahlerup Koch
DK-6950 Ringkøbing
E-Mail: mdkoch@mail.dk

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