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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Palmarum, 09.04.2017

Die verschwenderisch große Liebe – Jesus und die Frau aus Bethanien
Predigt zu Markus 14:3-9, verfasst von Mira Stare

Liebe Schwestern und Brüder,

 

die letzte Woche im Leben des irdischen Jesus spielt sich in Jerusalem ab. In dieser Woche wirkt und lehrt Jesus zuerst in der Öffentlichkeit. Dann widmet er sich dem Kreis seiner Jünger. Es folgen die bereits von ihm angekündigten Passionsereignisse – sein Leiden und sein gewaltsamer Tod am Kreuz – wie auch seine Auferstehung, die ein junger Mann den Frauen im leeren Grab Jesu am Ostermorgen mitteilt.

Die letzte Woche Jesu beginnt mit seinem Einzug in Jerusalem. Dabei reitet er auf einem Esel und zeigt damit sein messianisches Selbstverständnis. Denn mit dem Ritt auf dem Esel (auch auf dem Hintergrund von Sach 9,9-10) bekundet er symbolisch, in welcher Funktion und Intention er nach Jerusalem kommt. Er versteht sich als messianischer Friedenskönig. Und wie reagieren die Menschen darauf? Viele von ihnen breiten ihre Kleider auf der Straße aus und begrüßen ihn mit grünen Zweigen und dem Ruf: „Hosanna! Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn! Gesegnet sei das Reich unseres Vaters David, das nun kommt. Hosanna in der Höhe“ (Mk 11,9-10). Das Volk begrüßt Jesus mit dem Hosanna-Ruf in der Erwartung, dass er die Rettung / das Heil als der von Gott Gesegnete und im Namen Gottes Kommende bringt. Mit dem Hinweis auf das Reich Davids projiziert das Volk aber auch eigene politische Erwartungen auf Jesus. So bleiben die Reaktionen und das Rufen des Volkes ambivalent.

Dass dasselbe Volk nicht fest und dauerhaft zu Jesus steht, zeigt sich noch in derselben Woche im Zusammenhang mit dem Verhör Jesu vor Pilatus. Das Volk lässt sich von den Hohepriestern beeinflussen und setzt sich für die Freilassung Barabbas ein. Dagegen verlangt es für Jesus die Kreuzigung. Es schreit wiederholt und immer lauter: „Kreuzige ihn!“ (Mk 15,13.14).

 

Anders als die Jesus gegenüber ambivalente Volksmenge verhält sich eine Frau in Bethanien, von welcher wir im heutigen Evangelium gehört haben. Von ihr wird im Zusammenhang mit dem Gastmahl für Jesus in Bethanien zwei Tage vor dem Paschafest und dem Tod Jesu berichtet, nämlich dass sie Jesus mit Nardenöl salbt. Das Mahlgeschehen in Bethanien hat einen dunklen Rahmen. Gegen Jesus läuft eine zweifache Suche: Erstens suchen die Autoritäten des Volkes, nämlich die Hohenpriester und die Schriftgelehrten, wie sie ihn ergreifen und töten können (vgl. Mk 14,1-2). Zweitens sucht Judas, wie er Jesus überliefern kann (vgl. Mk 14,11).

Im starken Kontrast dazu bringt die bereits erwähnte namenlose Frau durch die Salbung des Hauptes Jesu eine unbegrenzt hohe Wertschätzung gegenüber seiner Person zum Ausdruck. Sie salbt Jesus mit kostbarem Nardenöl. Zur Salbung kommt es nicht vor dem Mahl, sondern außergewöhnlich während des Mahles. Die Kostbarkeit des Öles wird mit zwei seiner Eigenschaften unterstrichen: Es ist „echt“ und „sehr kostbar“. Die Salbung des Hauptes ist ein Zeichen der Gastfreundschaft und Gemeinschaft, wie dies bereits Ps 23 zum Ausdruck bringt: „Du salbst mein Haupt mit Öl, du füllst mir reichlich den Becher“ (Ps 23,5).

Es ist auffällig, wie die salbende Frau souverän und eigenständig auftritt. Sie führt ihre Tat ohne Fragen und Worte aus. Sie ist ganz auf Jesus ausgerichtet und wendet sich unter allen Mahlteilnehmern nur ihm zu. Ungewöhnlich ist auch die Art und Weise, mit welcher die Frau Jesus salbt: Sie zerbricht zuerst das kostbare Alabastergefäß. Demzufolge verwendet sie bei der Salbung eine viel zu große Menge des wertvollen Nardenöls. Mit dieser ungewöhnlichen Handlung – und nicht durch Worte – bekennt sie sich zu Jesus und bringt ihre grenzenlose Hochschätzung seiner Person und ein Zeichen der Gemeinschaft und Freundschaft mit ihm zum Ausdruck.

Die Handlung der Frau löst jedoch den Unwillen und die kritische Reaktion einiger Anwesender aus. Die Tat der Frau wird als sinnlose Verschwendung und Vergeudung verurteilt. Das gebrauchte Nardenöl ist nach ihrer Meinung mehr als dreihundert Denare wert. Damit entspricht es fast dem Jahreseinkommen eines Arbeiters. Für die Kritiker der Frau wäre es besser, das Öl zu verkaufen und dadurch den Armen zu helfen. Sie machen sich zu Richtern über die Frau und zerstören die Harmonie des Mahles. Die Atmosphäre wird angespannt und verschärft sich. Die Argumente der Gegner der Frau scheinen plausibel zu sein.

Umso überraschender sind die „not-wendenden“ Worte und Argumente Jesu. Er nimmt zuerst die Frau in Schutz und fordert von denjenigen, die sie anfahren, dass sie sie in Ruhe lassen und ihr nicht mehr Mühen und Schwierigkeiten bereiten. Dann wertet er ihre Tat dreifach auf: Erstens ist ihre Handlung ein „gutes“ / „schönes“ Werk, das sie an ihm gewirkt hat. Zweitens hat die Tat der Frau eine prophetische Dimension: Diese Salbung ist nämlich eine Vorwegnahme der Totensalbung Jesu. Tatsächlich kommt nach dem Tod Jesu die Salbung seines Leichnams wegen des Zeitdrucks vor dem Sabbat nicht zustande. Drittens hat die Tat der Frau eine bleibende Bedeutung und eine grenzenlose Wertschätzung. Denn Jesus sagt:

Amen, ich sage euch aber:

Wo immer verkündet wird das Evangelium in der ganzen Welt,

wird auch, was diese tat, gesagt werden zur Erinnerung an sie.“ (Mk 14,9)

Die Erinnerung an die Frau, die ihn in Bethanien salbt, hebt Jesus deutlich hervor und verbindet sie mit der weltweiten Verkündigung des Evangeliums. Jesus unterstreicht die Erinnerung an keine andere Person so stark und verbindet die Verkündigung des Evangeliums mit niemandem sonst so deutlich, wie dies bei der Frau in Bethanien der Fall ist. Die Erinnerung an sie löst eine Hochachtung vor dieser namenlosen Frau aus wie auch die Motivation, ihrem Vorbild der Liebe zu Jesus und der Wertschätzung seiner Person zu folgen.

Weiter ist es beachtenswert, dass in der Situation der zunehmenden Ablehnung und Verfolgung mit der Tötungsabsicht gegenüber der Person Jesu jene Frau sich mehr als mutig erweist. Denn es hält sie nichts zurück, sich ganz und gar zu Jesus zu bekennen und ihm ein gutes und schönes Werk zu tun. Während die Autoritäten des Volkes mit der Tötungsabsicht gegenüber Jesus beschäftigt sind und Judas Iskariot, einer der Zwölf, mit der Überlieferung Jesu seine Nachfolge Jesu preis gibt, ist die Frau in Bethanien ganz auf Jesus ausgerichtet und damit bemüht, für ihn das Kostbarste zu investieren.

 

Liebe Glaubende, wenn wir heute Jesus mit dem Hosanna-Ruf begrüßen, dann soll unser Ruf ein authentischer Ausdruck unseres Glaubens an Jesus und unserer Wertschätzung seiner Person und seiner Botschaft sein. Wir sind aufgefordert, nicht der ambivalenten und leicht manipulierbaren Volksmenge zu folgen, die einmal begeistert über Jesus ist, aber gleich danach sich von Jesus abwendet und seinen Tod mit dem Ruf „Kreuzige ihn!“ verlangt. Vielmehr bringt uns das Evangelium das leuchtende und bleibende Beispiel der Frau aus Bethanien vor Augen, die sich ganz Jesus widmet, sich zu ihm bekennt, das Kostbarste für ihn und seine Botschaft investiert und bereit ist, auch die Unannehmlichkeiten und Kritik wegen Jesus auf sich zu nehmen.

Wo immer verkündet wird das Evangelium in der ganzen Welt,

wird auch, was diese tat, gesagt werden zur Erinnerung an sie.“ (Mk 14,9)

Wie weit und tief reicht unsere Begeisterung für Jesus? Ist unsere Freundschaft mit Jesus eine kurze oder eine dauerhafte Wirklichkeit? Seien auch wir in der Liebe zu Jesus großzügig und verschwenderisch, seien auch wir die Zeuginnen und Zeugen Jesu und ein Teil seines Evangeliums, wie dies die mutige Frau aus Bethanien ist.



Dr. Mira Stare
Innsbruck
E-Mail: mira.stare@uibk.ac.at

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