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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Palmarum, 09.04.2017

Duftstoff
Predigt zu Markus 14:3-9, verfasst von Wolfgang Vögele

Friedensgruß

Der Predigttext für den Palmsonntag steht Mk 14,3-9:

„Und als [Jesus] in Betanien war im Hause Simons des Aussätzigen und saß zu Tisch, da kam eine Frau, die hatte ein Alabastergefäß mit unverfälschtem, kostbarem Nardenöl, und sie zerbrach das Gefäß und goss das Öl auf sein Haupt. Da wurden einige unwillig und sprachen untereinander: Was soll diese Vergeudung des Salböls? Man hätte dieses Öl für mehr als dreihundert Silbergroschen verkaufen können und das Geld den Armen geben. Und sie fuhren sie an. Jesus aber sprach: Lasst sie! Was bekümmert ihr sie? Sie hat ein gutes Werk an mir getan. Denn ihr habt allezeit Arme bei euch, und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes tun; mich aber habt ihr nicht allezeit. Sie hat getan, was sie konnte; sie hat meinen Leib im Voraus gesalbt zu meinem Begräbnis. Wahrlich, ich sage euch: Wo das Evangelium gepredigt wird in der ganzen Welt, da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie getan hat.“



Liebe Schwestern und Brüder,

leider ist die Geruchspredigt noch nicht erfunden, denn in den folgenden fünfzehn Minuten gibt es mindestens so viel zu riechen wie zu hören und zu verstehen. Dabei ist das Verhältnis von Glauben und Riechen im Protestantismus bisher eher stiefmütterlich behandelt worden. Schlimmer noch: Die Duftkultur des Protestantismus erweist sich als vollständig geruchsneutral. Zu riechen ist höchstens der Staub in den Regalen alter Pfarramtsbibliotheken. Manchmal traut sich die ergraute Leiterin des Frauenkreises, zwei Duftkerzen in die mit Stoffblumen und Seidentuch gestaltete Mitte eines Gemeinderaums zu stellen. In Kirchen, die für den Besuch geöffnet sind, riecht es nach Kerzen- und Bohnerwachs, nach altem Holz, kaltem Rauch und schlechter Belüftung. Abgestandene, unbewegte Luft trägt keine angenehmen Düfte in die Nasen der Glaubenden, höchstens das Schale, Verbrauchte und Abgestandene. Katholische Kirchen erkennt der eintretende Besucher am kaum wahrnehmbaren Aroma von längst verbranntem Weihrauch.

Wirklicher Duft aber braucht frische Luft. Und dann riecht es nach frisch gemähten Wiesen, nach Rosenblüten oder abgeriebenen Zitronenschalen, im Wald nach frisch geschlagenem Holz. Jetzt im Frühjahr nehmen die Spaziergänger den strengen Geruch von Bärlauch wahr und in ein paar Wochen auch den Flieder, dessen Duft sich jedem Liebhaber von Gärten und Parks unverwechselbar in Erinnerung bringt. Und so übertrumpfen solche zarteren Düfte jedes künstlich hergestellte Zitronenaroma, das den Duft von Veilchen und Hyazinthen niemals ersetzen kann. Im übrigen: Nicht alle Düfte überzeugen die Nase. Niemand geht gerne dorthin, wo es düftelt, und schon gar nicht dorthin, wo es stinkt. Martin Luther konnte sich den Teufel nur als ein ganz und gar stinkendes Unwesen vorstellen.

Der geruchlose, intellektuelle Protestantismus hat alle diese Düfte leider vergessen, obwohl in der alten und mittelalterlichen Kirche der Rauch lange Zeit als Sinnbild des Heiligen Geistes galt. Mönche und Priester zündeten dafür Weihrauch in einer Schale an. Im Englischen heißt Weihrauch heute noch „incense“, was sich vom lateinischen „in censum“ ableitet. Und das bedeutet „verbrannt“ oder „verglüht“. Das französische Lehnwort „Parfüm“ kommt vom lateinischen „per fumus“ und bedeutet: durch den Rauch.1 Durch die Düfte des Weihrauchs sollten die zweifelnden Menschen riechend (per fumus) zum Glauben kommen. So geschieht es auch in der Predigtgeschichte von der Salbung in Bethanien. Aber im Alabastergefäß der namenlosen Frau befindet sich nicht Weihrauch, sondern kostbare Narde.

Die anwesenden Besucher im Haus Simons des Aussätzigen tun so, als seien sie davon sehr überrascht. Dabei könnten sie Narde aus dem liebevollsten und erotischsten Buch der Bibel schon kennen. Im Hohelied (Hld 4,12-14) heißt es: „Ein verschlossener Garten bist du, meine Schwester, liebe Braut, ein verschlossener Garten, ein versiegelter Born. Du bist wie ein Lustgarten von Granatäpfeln mit edlen Früchten, Zyperblumen mit Narden, Narde und Safran, Kalmus und Zimt, mit allerlei Weihrauchsträuchern, Myrrhe und Aloe, mit allen feinen Gewürzen.“ Die angebetete schöne Frau sieht nicht nur gut aus, sie riecht auch gut, und einige der genannten Duftstoffe kennen Sie, liebe Schwestern und Brüder, von Ihrem Duschgel, dem Shampoo oder der Tagescreme. Man könnte meinen, die unbekannte Frau im Haus des Simon sei in Jesus verliebt gewesen.

Narde duftet. Sie riecht gut. Und sie war damals schon sehr teuer. Denn sie wuchs nur in Indien und China, auf großen Höhen. Es war aufwendig, sie zu ernten und zu verarbeiten. Am Mittelmeer wurde sie zu hohen Preisen verkauft. Deswegen kümmern sich die anderen Gäste im Haus des Simon nicht um den Duft, sondern erst einmal ums Geld. Sie kommen mir mit dieser moralinsauren Kritik wie eine Karikatur unsinnlicher, grobschlächtiger Rechthaber vor. Statt Jesus zu salben hätte man das teure Produkt samt der ebenso teuren Alabaster-Verpackung doch verkaufen und vom Erlös den Armen helfen können. Und nun geraten Duftkultur, Geldwirtschaft und Hilfsbedürfnis in einen ganz unerquicklichen, moralinsauren Gegensatz, den ich so noch heute wiederentdecke.

Mir steht ein ganz verbiesterter, auf wenige politische Themen fixierter Protestantismus vor Augen, der sich mit Hilfe eifernder klerikaler Funktionäre zu einer Unterstützungstruppe für politische Armutsbekämpfung zurechtschleift und darin vor allem eigene Gesinnung zum Ausdruck bringen will. Bibelauslegung und Theologie werden vergessen, sie sind dafür nicht so gut zu gebrauchen, nur als Begründung im Hintergrund. Ebenso in den Hintergrund tritt die Wahrnehmung der Vielfalt von Gottes Schöpfung, einschließlich ihrer Farben, Formen, Beschaffenheiten und eben auch ihrer unendlich vielen Düfte. Die Vertreter eines solchen politisierenden Protestantismus haben es sich vielmehr zur Aufgabe gemacht, die Schöpfung zu ‚bewahren‘. Mit dieser ‚Bewahrung‘ aber überfordern sie sich. Um es politisch ganz unkorrekt zu sagen: Wer das Evangelium nur als Armutsbekämpfung versteht, der benutzt statt Narde nur künstliche Aromastoffe. Wenn das ganze Christentum nur noch politische oder öffentliche Theologie ist, dann verschwindet das Evangelium in den Hintergrund; es dient nur noch zur Begründung moralischer und politischer Forderungen. Und damit wird das Evangelium klein gemacht.

Doch niemand will (politisches) Handeln gegen Duft ausspielen. Die kostbare Nardensalbe verweist auf die drei Symbolhandlungen, die im Haus Simons durchgeführt werden. Die namenlose Frau nämlich salbt einen König, sie setzt ein prophetisches Zeichen, und zuletzt verweist sie auf den Tod Jesu am Kreuz. Die ersten Leser des Markusevangeliums mußten daran gar nicht erst erinnert werden, sie waren aus der Bibel damit vertraut.

Wenn in Israel ein Prophet in Gottes Auftrag einen der Bürger des Landes zum König macht, dann setzt er ihm keine Krone auf, wie man das europäisch erwarten würde. Statt dessen salbt der Prophet diesen Menschen mit kostbarem, duftendem Öl zum König. In der armen Hütte des aussätzigen Simon wird Jesus von Nazareth als König inthronisiert. Dieser König nimmt aber nicht in Herrlichkeit die Parade seiner Untertanen ab. Dieser König wird verraten. Dieser König wird verhaftet. Dieser König wird gefoltert und er wird einen elenden Tod am Kreuz sterben.

Nicht zufällig steht die Geschichte der Salbung eingebettet in die Geschichte des Jüngers Judas Ischarioth, der den Plan faßt, seinen Meister bei den Behörden anzuschwärzen und zu verraten. In der Hütte salbt die unbekannte Frau Jesus zum König, außerhalb zieht Judas die Fäden, die ihn endlich zu Fall bringen sollen.

Und plötzlich schwebt in der freundlichen Palmsonntagsgeschichte eine Atmosphäre von Passion und Karfreitag. Jesus zieht in Jerusalem ein. Das Volk jubelt ihm mit Palmzweigen zu. Er wird zum König gekrönt. Und dennoch wird der gekrönte und bejubelte König leiden müssen. Zwischen Jubel und Folter, zwischen Salböl und Dornenkrone baut sich eine dunkle und bedrohliche Spannung auf. Und die Hörer, die um die Zusammenhänge wissen, blicken mit Sorge und Furcht auf die kleine Hütte des aussätzigen Simon.

Man kann in der Handlung der Frau mit dem Nardenöl noch mehr erkennen. Was sie tut, das erinnert an eine Zeichenhandlung. Die Propheten des Alten Testaments setzten Zeichenhandlungen ein, wenn Reden und Argumentieren nicht mehr half. Hosea heiratete eine Prostituierte, um in der „Hochzeit der Hure“ (H.W.Wolff) Israels Untreue anzuklagen. Hesekiel mußte sich die Haare schneiden und diese zum Teil verbrennen. An der Handlung der unbekannten Frau fällt auf, daß sie das Alabastergefäß zerbricht. Sie schraubt keinen Verschluß ab und sie löst keinen Korken. Sie zerstört das Gefäß aus Alabaster, eine Art Gips, obwohl es wertvoll gewesen sein könnte. Das Zerbrechen des Gefäßes könnte ebenfalls auf die kommende Leidensgeschichte Jesu vorausdeuten. Ein weiteres Mal zeigt sich die Doppeldeutigkeit der Geschichte: zerbrochenes Gefäß und königliche Salbe.

Die Anwesenden im Haus des leprakranken Simon scheinen das alles nicht zu begreifen. Sie fragen nach den Armen, aber ihr vermeintlich pragmatisches Denken führt in diesem Fall in die Irre. Und deshalb ergreift Jesus selbst das Wort. Man weiß nicht, ob er von der Tat der Frau überrascht oder erstaunt war. Jedenfalls ist er um eine Erklärung nicht verlegen. Drei Teile hat diese Rede. Er sagt etwas über die Armen. Davon war schon die Rede. Zweitens sagt er: Königtum und Prophetie geben mir keine Macht. Beides wird nur bewirken, daß ich verhaftet, gefoltert, getötet werde. Und seine Worte zeichnen sich– drittens – durch Drastik und Klarheit aus: Diese Frau hat einen Leichnam gesalbt.

Markus setzt diese Geschichte nicht fort. Mich hätte die Reaktion der Zuhörer interessiert, ihr erschrockenes Nachfragen: Was willst du uns damit sagen? Der Schriftsteller und Evangelist Markus interessiert sich mehr für die Leser und Zuhörer seines Evangeliums als für die Anwesenden im Haus des Simon. Die Leser wissen, daß das gesamte Evangelium auf Kreuzigung und Tod Jesu zusteuert. Und das gilt auch, liebe Schwestern und Brüder, für Sie als Predigthörer. Wer den Palmsonntag feiert, weiß, daß der Karfreitag kommt. Markus erzählt seinen Lesern eine erschütternde Geschichte, die geprägt ist von lauter Doppeldeutigem: König und Kreuz, Prophet und Protest, Salbe und Verrat, Leben und Tod. Vor Karfreitag und vor Ostern ist all das nicht eindeutig aufzulösen.

Und damit zeigt die Geschichte auch die Doppeldeutigkeit unseres Lebens: unübersichtlich, manchmal aufregender, manchmal langweiliger, gelegentlich zäh, dann wieder viel zu schnell, hoffentlich mit Leben, Freude und Enthusiasmus angefüllt, dann wieder mit Trauer, Verzweiflung, sogar Todessehnsucht belastet. Wenn man es so sieht, ist jeden Tag Palmsonntag: bestimmt von der Sehnsucht nach demjenigen, der Heil und Gottes Reich bringt.

Liebe Gemeinde, die Passionsgeschichte endet nicht mit dem Kreuz, sondern mit der Auferstehung und Ostern. Das wichtigste kommt zum Schluß, so auch in dieser Geschichte des Evangelisten Markus. Am Ende lenkt Jesus die Aufmerksamkeit auf die salbende Frau zurück.

Wahrlich, ich sage euch, so heißt die Einleitungsformel, die stets besonders Wichtiges markiert. Jesus erinnert an die unbekannte Frau, die ihn gerade gesalbt hat. Sie wird aller Welt im Gedächtnis bleiben, jedenfalls dort, wo das Evangelium verkündigt wird. Diese Frau hat ein duftendes Werk des Glaubens getan. Das Evangelium duftet, nach Leben, nach Freude, nach der Gegenwart des Geistes. Und es besiegt den Gestank des Teufels und des Todes.

Und der Friede Gottes, welcher schöner duftet als alles, was wir uns denken und vorstellen können, bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

1 Dazu sehr aufschlußreich Quynh Tran, Alter Duft, neu entdeckt, FAZ 29.2.2016, http://www.faz.net/aktuell/stil/mode-design/parfums-mit-weihrauch-duft-werden-zum-trend-14081840.html.



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