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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Palmarum, 09.04.2017

Predigt zu Matthäus 21:1-9 (dänische Perikopenordnung), verfasst von Marianne Frank Larsen

Auf den griechischen Ikonen ist das Bild vom Einzug in Jerusalem voller Leben und Bewegung. Hinter Jesus gestikulieren die Jünger, während sie diskutieren, ob es nun richtig ist, dass er in Jerusalem hineinreitet; einige sehen mit Spannung, andere mit Sorge auf die Stadt. Vor ihm kommen ihm die Bürger der Stadt entgegen, in der Mitte ein alter Priester, der die Arme ausbreitet und ihm eine Lilie entgegenstreckt, daneben eine Mutter, die ihr kleines Kind emporhebt, damit er es segnet, und ein Mann, der sich gerade dem Zug anschließt, während er mit einem anderen darüber spricht, wer da kommt. Und hinter ihnen wieder Männer in jedem Alter, die Jesus voller Erwartung entgegengehen. Und dann, wie ein rührender Ausdruck der evangelischen Phantasie des Ikonenmalers, ein Haufen kleiner Jungen, von denen das Neue Testament nichts erzählt: auf dem Wege unter den Erwachsenen und in den Baumkronen über ihnen – Jungen, die Palmenzweige mit ihren kleinen Äxten abschlagen und mit kleinen Palmenzweigen winken, und sogar auch Jungen, die sich zanken, und einer, der einen Dorn in den Fuß bekommen hat. - Die kleinen Jungen nehmen etwas von der Schwere der Erzählung und verleihen ihr ein Leben, das mich berührt. Es ist kurz bevor alle zu singen beginnen: Hosianna, Davids Sohn.

Mitten in aller Unruhe, zwischen all den verschiedenen Ausdrücken und Bewegungen auf dem Bild ist einer, der vollkommen ruhig bleibt. Zwischen all denen, die reden und diskutieren und sich streiten und um Hilfe bitten und willkommen heißen und Zweige abschneiden und zu singen beginnen, ist da einer, der vollkommen still ist. Das ist natürlich Jesus selbst. Er sitzt ganz ruhig und still auf dem grauen Esel, der ihn in die Stadt trägt, während er mit gebeugtem Kopf auf die anderen Menschen blickt, die ihm entgegenkommen und ihn empfangen. Kein Wort sagt er, und keine Bewegung macht er. Bis heute war er es, der geredet und gehandelt und in das Leben von Menschen eingegriffen hat. Bis jetzt war er der aktive gewesen. Von nun an sind es andere, die mit ihm reden und handeln, mit dem Körper, der so tief auf dem Esel sitzt, dass jeder an ihn herankommen kann. Von nun an wird die Geschichte im Passiv erzählt. Er geht nicht hinein nach Jerusalem. Er wird getragen. Und wir wissen, was mit ihm geschieht, wenn er erst hineingetragen ist.

Das bringt seine Ruhe zum Ausdruck, wie er da auf dem Esel sitzt. Nun sind andere am Zuge. Und deshalb denke ich, dass die Ruhe der sichtbare Ausdruck für die Sanftmut ist, von der wir hören, dass er sie bringt. Siehe, dein König kommt zu dir, aber wenn man es nicht weiß, kann man es nicht sehen. Dann kann man nur einen ganz gewöhnlichen Mann auf etwas so bescheidenes wie einem hellgrauen Esel sehen. Wir müssen die Worte aus der alten Prophetie hören, damit wir sehen können, was da für ein König kommt. Siehe, dein König kommt zu dir, prophezeit Sacharja, sanftmütig, auf einem Esel reitend, auf dem Füllen eines Lasttiers. Das ist genau die alte Verheißung, die Fleisch wird und Wirklichkeit in der Weise, in der Jesus nach Jerusalem kommt. Er ist die Erfüllung der Verheißung, das liegt in den Worten. Der sanftmütige König, auf den sie und wir gewartet haben – er kommt nun.

Wenn wir von einem Manne sagen, dass er sanftmütig ist, dann meinen wird, dass er niemandem wehtun will, zurückhaltend bis zur Selbstverleugnung. Es ist etwas anderes, das in dem Wort liegt, wenn sich Matthäus des Wortes vom alten Propheten bedient und es heute auf Jesus bezieht. Denn der sitzt zwar ganz ruhig auf seinem Esel, aber er verleugnet weder sich selbst noch hat er Angst, jemandem wehzutun. Das ist in der Tat der ganze Sinn des Wortes sanftmütig: dass er keine Angst hat, dass er den sachten Mut hat, der ihn dazu führt, in die Stadt zu reiten, wohl wissend, was ihn dort erwartet. Er hätte mit Missmut reagieren können, den Mut verlieren können und ganz aufgeben können. So wie es uns ergeht, wenn wir einer schrecklichen oder traurigen Zukunft entgegengehen und das Ende vor uns sehen. Wir verlieren den Mut, unsere Tatendrang ist gelähmt, und wir sind nicht imstande, Freude oder Möglichkeiten zu erblicken, der Missmut erstickt alle Lebensfreude und verschließt selbst die innigste Liebe zu anderen Menschen. Aber der sachte Mut, der Jesus kennzeichnet, ist etwas anderes als Missmut. Er macht ihn vollkommen sensibel, gegenwärtig, aufmerksam bei anderen Menschen, die er liebt, bis zuletzt interessiert an ihrem Wohlergehen, und er öffnet ihm die Augen für die Freude, die ihn umgibt. So sehen wir ihn nach Jerusalem reiten.

Natürlich ist der sachte Mut auch etwas anderes als Übermut oder Hochmut. Dieser König winkt nicht siegessicher, streckt nicht sich selbst promovierend die Hände aus nach anderen Händen, redet nicht triumphierend zu seinen Zuhörern. Er tut nicht so, als habe er sein Schäfchen im trockenen oder als würde er die Sache schon schaukeln. Siehe, dein König kommt zu dir, gerecht, siegreich, sanftmütig. So sagt es eigentlich Sacharja: gerecht und siegreich. Aber Matthäus lässt gerecht und siegreich aus, wenn er zitiert, und das ganz absichtlich. Denn dieser König ist nicht gerecht und siegreich, nicht sichtbar jedenfalls, noch nicht. Er ist auf dem Wege zum Grauen und zur Niederlage. An Palmarum ist er nur sanftmütig. Die Sanftmut macht es ihm möglich, zu seiner Verletzbarkeit zu stehen, der Wirklichkeit ins Auge zu blicken, so schrecklich und schmerzlich sie auch ist. Das vermag die Sanftmut. Die Fallgruben vermeiden, die im Missmut und in der Übermut liegen. Der sachte Mut bewirkt, dass er völlig realistisch zu der Verletzlichkeit steht, die er mit uns gemeinsam hat, und dass er dem schmerzlichen Ende in die Augen sieht. Und dass er aufmerksam, gegenwärtig und hilfreich bei uns anderen Menschen ist, offen für die Freude, die das Leben noch immer schenkt.

Der sachte Mut, der Jesus nach Jerusalem trägt, trägt ihn durch Gründonnerstag und Karfreitag ganz bis zum bitteren Ende. Er hält ihn davon ab, andere zu beschimpfen oder in Panik zu verfallen oder einfach wegzulaufen. Um ich selbst zu schützen, wie wir es instinktiv getan hätten. Der sachte Mut erlaubt ihm, auf sein Leben mit offenen Augen zu verzichten. Vielleicht verstehen es die Jünger erst m Ostermorgen wirklich, worin die Sanftmut begründet ist. Dass sie aus seinem grenzenlosen Vertrauen zum himmlischen Vater erwächst. Ein Vertrauen darauf, dass der himmlische Vater zugleich Geber aller guten gaben ist, der sein Leben bis zuletzt segnet, und der Retter, der seinen Menschen festhält und ihn durch die Schrecken hindurchträgt. Dass dies das Vertrauen ist, das bewirkt, dass er zugleich den Realitäten ins Auge sehen kann, zu einer eigene Verletzlichkeit sehen kann und das tragen kann, was zu tragen ist – und den Blick bewahren kann für die Menschen und die Freuden, die ihnen noch immer zuteilwerden. Das Vertrauen – oder der Glaube – ist der Grund der Sanftmut.

Am Ostermorgen zeigt sich Gott diesem Vertrauen würdig. Er segnet sein totes Kind mit dem strahlenden neuen leben und trägt ihn durch den Schrecken hinein in den Sonnenaufgang am Ostermorgen. Erst da sehen sie, die ihn lieben, dass dieser sanftmütige König auch gerecht und siegreich ist. Er liegt nicht mehr tot und begraben; er ist lebendig, und er kommt auch zu uns. Davon singen unsere Lieder von Kingo und Grundtvig. Die Lieder reden ja nicht von der Vergangenheit, sondern vom Heute. Sie, wie nun Jesus tritt ... , sagt Kingo. Hier reitet der König der Ehren, heißt bei Grundtvig. Das ist Gegenwart, es geschieht unter uns im April 2017, dass der sanftmütige König einreitet. Die Worte, die wir hören und singen, sind die Esel, die ihn in unser Dasein tragen. Die Lieder sind die Palmenzweige, mit denen wir ihn empfangen. Mit sich bringt er den sachten Mut, der er möglich macht, der Wirklichkeit ins Auge zu blicken, auch wenn sie schrecklich ist, und den Blick zu bewahren für die Freuden, die uns noch immer begegnen. Vielleicht trägt er auch den sachten Mut in unsere Herzen und Sinne. Amen.

 



Pfarrerin Marianne Frank Larsen
DK 8000 Aarhus C
E-Mail: mfl(at)km.dk

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