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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Gründonnerstag, 13.04.2017

Die einfließende Heilkraft wandelt sich zur Tatkraft
Predigt zu Markus 14:17-26, verfasst von Manfred Mielke

Liebe Gemeinde,

etwas kommt Dir ganz nah. Ein Wort, ein Blick. Aus einer gewissen Distanz kommt es Dir ganz nah, kommt in Dir an. Ein Wort, eine Geste, ein Blick - und sogleich wärmen sich in Dir Gefühle und Gedanken. Für mich sage ich mal dazu zwei Beispiele: Eine Liebeserklärung oder aber eine gegenseitige Entschuldigung. Doch in einem anderen Fall bin ich völlig fasziniert davon, was gerade passiert und ich bin mit meinen Gefühlen und Gedanken dort. Als unser Sohn die Abiturs-Rede hielt, als ich Taufpate wurde, beispielsweise. Das, was da außerhalb von mir so faszinierend geschieht, kommt dann doch wieder an in meinem Empfinden. - Diesen Dreischritt empfinde ich auch bei der Einsetzung des Abendmahls durch Jesus. Mein erster Eindruck ist sehr innig, dann zelebriert Jesus die Wandlung, was ich bestaune, und allmählich kann ich das Erlebte integrieren. Doch in der Mitte steht die aufrüttelnde Passions-Situation, in der Jesus am Vorabend des Passahfests Brot und Wein neu deutet. Ich lese aus dem Markus-Evangelium:

 

Am ersten Tage der Ungesäuerten Brote, als man das Passalamm opferte, sprachen seine Jünger zu ihm: Wo willst du, dass wir hingehen und das Passalamm bereiten, damit du es essen kannst? Und er sandte zwei seiner Jünger und sprach zu ihnen: Geht hin in die Stadt, und es wird euch ein Mensch begegnen, der trägt einen Krug mit Wasser; folgt ihm und wo er hineingeht, da sprecht zu dem Hausherrn: Der Meister lässt dir sagen: Wo ist der Raum, in dem ich das Passalamm essen kann mit meinen Jüngern? Und er wird euch einen großen Saal zeigen, der mit Polstern versehen und vorbereitet ist; dort richtet für uns zu.

Und die Jünger gingen hin und kamen in die Stadt und fanden's, wie er ihnen gesagt hatte, und bereiteten das Passalamm.

Und am Abend kam er mit den Zwölfen. Und als sie bei Tisch waren und aßen, sprach Jesus: Wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch, der mit mir isst, wird mich verraten. Und sie wurden traurig und fragten ihn, einer nach dem andern: Bin ich's? Er aber sprach zu ihnen: Einer von den Zwölfen, der mit mir seinen Bissen in die Schüssel taucht. Der Menschensohn geht zwar hin, wie von ihm geschrieben steht; weh aber dem Menschen, durch den der Menschensohn verraten wird! Es wäre für diesen Menschen besser, wenn er nie geboren wäre.

Und als sie aßen, nahm Jesus das Brot, dankte und brach's und gab's ihnen und sprach: Nehmet; das ist mein Leib. Und er nahm den Kelch, dankte und gab ihnen den; und sie tranken alle daraus. Und er sprach zu ihnen: Das ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird. Wahrlich, ich sage euch, dass ich nicht mehr trinken werde vom Gewächs des Weinstocks bis an den Tag, an dem ich aufs Neue davon trinke im Reich Gottes.

Und als sie den Lobgesang gesungen hatten, gingen sie hinaus an den Ölberg. (Markus 14, 17-26)

 

Liebe Gemeinde,

Jesus beauftragt Jünger, einen Saal anzumieten, was normal ist, wie wenn heute eine Großsippe zum Osterfest als Touristen anreist. Gesagt, getan, der Raum hat Polster, die Tische sind gedeckt mit Lammbraten, Bitterkräutern, Weinbechern und Fladenbrot, mit Fruchtmus und gekochten Eiern. Jede Zutat hat einen Bezug zur Rettung aus der Unterdrückung, was eine festliche, beschwingte Fröhlichkeit bewirkt. Also eine Stimmung wie beim Mittagessen einer Konfirmationsfeier, bei der die Männer ihre Krawatten ablegen und die Frauen unterm Tisch ihre engen Schuhe abstreifen. Doch in diese entspannte Feier platzt es aus Jesus heraus: „Einer wird mich verraten!“ Und alle werden traurig und jeder fragt in die Runde: „Bin ichs?“

Genau diese Situation berührt mich, macht mich verlegen, zu meinem eigenen Erstaunen. „Bin ichs, was ist mein Anteil, wo habe ich mich in einen fatalen Fehler hineingewagt?“ Diese Frage treibt mich oft um. Aber ich wage in vielen Gruppen nicht, diese Fragen in die Runde zu stellen. Aber hier spüre ich eine offene Traurigkeit, die mich anlockt. Ich habe das selten erlebt, dass ich in einer fröhlich-traurigen Runde über meine Mitverantwortung eine Frage stellen konnte. Mir ist klar, dass die biblische Situation schon auf die Mordhilfe des Judas hinausläuft, aber die kann ich wieder distanziert betrachten. Ich bin kein Judas, nie und nimmer, und wenn, dann nur ein bisschen, ganz selten, meistens. - Christen sind also in der Lage, in fröhlich-trauriger Runde die „Bin-Ichs-Frage“ zu stellen. Und dazu spüre ich eine Wärmewelle, der ich innerlich gerne Platz mache.

Doch schon betreibt Jesus den nächsten Stimmungswechsel. Alle erwarten nach der Judas-Stigmatisierung, dass Jesus die Feier abbricht und vertagt, so machen wir es in allen Gremien, kirchlich und weltpolitisch. Doch Jesus hält ein Fladenbrot hoch, und jeder erwartet jetzt den Deutespruch: „Das ist das Manna, dass unsere Vorfahren in der Wüste vor dem Verhungern bewahrte!“ Doch Jesus verblüfft, wenn er sagt: „Nehmet; das ist mein Leib!“ Und den ersten Becher widmet er nicht dem Propheten Elia, der schon im Himmel auf das Große Becherheben wartet, sondern er sagt zum Entsetzen Einiger: „Das ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird!“

 

Liebe Gemeinde,

Ich kann fast gar nicht glauben, dass ich in dieser Situation dabei sein darf. Es geschieht vor meinen Augen und überwältigt mich, mit welcher Leichtigkeit Jesus ein so heiliges Ritual umdeutet. Es überwältigt mich, mit welcher Ernsthaftigkeit er seine Folter und seine Kreuzigung durchschaut und im Sakrament weitergibt. Es überwältigt mich, mit wie einfachen Gegenständen er das Unfassbare uns und mir anvertraut. Er verknüpft seinen Tod mit unserer Glaubensfütterung - so sehe ich das. In meiner Faszination empfinde ich eine so unfassbare Stimmigkeit, wie Jesus das zusammenführt.

Zwar weiß ich, dass Jesus nach seiner Auferweckung in den Himmel aufgefahren ist, aber mir gefällt eine zweite Sicht noch besser: Jesus ist ins Sakrament auferstanden, in Brot und Wein hinein, was er uns beide im Abendmahl anvertraut. Ja, Jesus ist leiblich auferstanden, aber nicht nur in einen himmlischen Leib hinein, sondern auch in uns, die wir der Leib Christi sind. Zu unserem heiligen und verlegenen Erstaunen.

Und so merke ich diesen dritten Schritt. Schon die seelsorgerische Einladung, dass ich meine tiefste Frage stellen darf, tat mit gut. Und die Gesten, Worte und Blicke Jesu bei der Einsetzung des Abendmahls gehören und bleiben ganz bei ihm, da bleibe ich in einem scheuen, aufgewühlten Abstand. Aber im dritten Schritt ist es wieder ganz nah und ganz da. Und dieses neue Gefühl ist Hunger und Durst. Es ist ein tiefes Verlangen nach einfachen Lösungen für schlimmste Probleme. Es ist eine Bedürftigkeit, dass die Lösung kniffliger Katastrophen durchträgt, wenn sie aus der gemütlichen Polsterecke sich aufmacht in die Bombentrichter und Ruinen, in die Folterkeller und Flüchtlingslager rundum um den Globus.

Was mich ermutigt, ist, dass Jesus selbst von diesem Durst spricht, wenn er sagt: „Wahrlich, ich sage euch, dass ich nicht mehr trinken werde vom Gewächs des Weinstocks bis an den Tag, an dem ich aufs Neue davon trinke im Reich Gottes.“ Mir gefällt daran, dass es nicht beim Nippen an einer Heiligen Schale bleibt. Nein, Jesus lässt uns nach Kreuzigung und Auferweckung zurück in der Gewissheit, dass sein Durst noch nicht gestillt ist. Dass er erst gestillt sein wird, wenn sich das alles zusammenfindet. Die versöhnten Einzelmenschen und die verkrampften Strukturen, die befreiten Privatseelen und die Pflugscharen, die früher einmal Schwerter, also Tötungswaffen, waren. Und ich bin dankbar, dass dabei die Gemütlichkeit nicht auf der Strecke bleibt. Sie wird uns ja nur für eine kurze Zeit vorenthalten, in der wir für das Reich Gottes mit anderen ihre Bitterkräuter essen und schon mal im Himmel die Sofakissen aufschütteln. Das sind doch tragfähige Zumutungen.

Diesen Dreischritt nehme ich mit. Ich darf die Bin-Ichs?-Frage stellen. Jesus weiß, wie das Abendmahl geht und löst damit Hunger und Durst aus. Dabei dringt eine heilende Kraft in mich ein und eine nach draußen strebende Tatkraft öffnet mich. Ganz im Sinne der Seligpreisung: „Selig sind die mit großem Durst und Hunger nach der Gerechtigkeit, die sollen satt werden!“ Amen

 

 



Pfarrer Manfred Mielke
51580 Reichshof
E-Mail: Manfred.Mielke@ekir.de

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