Ich beginne mit einem längeren Zitat:
„Du hast ihnen himmlisches Brot versprochen, aber ich frage Dich non einmal: Kann dieses Brot on den Augen des ewig lasterhaften, ewig undankbaren Menschengeschlechts mit dem irdischen Brot messen? Und auch wenn es tauende, vielleicht zehntausende gibt, die Dir folgen um des himmlischen Brotes willen, was wird aus den Millionen, den Milliarden an Wesen, die sich nicht von dem Brot der Erde zu dem des Himmels wenden können?“
Die Worte sind von Dostojewski. Er stellte die Frage vor 150 Jahren. Ich wiederhole sie hier in kurzer Form: Können wir uns von dem irdischen Brot abwenden, um das himmlische zu empfangen? Das ist eine bestechende und wesentliche Frage. Man könnte es auch so formulieren: Können wir unser Leben in die Hände Gotts legen statt es selbst alles zu verwalten, Leben wie auch den Tod? Man k¨nnte auch so fragen: Ist das Wort Gottes wichtiger als all der menschliche Reichtum, mit dem wir unser Leben füllen? Oder umgekehrt gesagt: Hat die Jagd nach dem Materiellen größere Bedeutung als erbauliche Worte und Lieder?
Wie man auch die F rage dreht und wendet, so wird in dem Zitat von Dostojewski die irdische Wirklichkeit mit der himmlischen konfrontiert. Oder kurz formuliert: Es geht um Gott kontra Mensch. Wer hat die Macht? Wer ist der Schöpfer? Der Mensch oder Gott? Das Reich Gottes oder die Welt der Menschen?
Wir lassen die Frage stehen. Statt auf sie zu antworten will ich eine Erinnerung aus meiner Kindheit erzählen. Ich näherte mich der Konfirmation, und Großmuter war sehr krank:
- Großmutter, nun stirbst du bald, nicht wahr?
- Ja, es dauert nicht mehr lange, und dann sollst du meinen Damenhut erben.
- Wenn du tot bist, kommst du dann in den Himmel?
- Bis du verrückt, Junge, glaubst du, dass Gott mich da haben will!
- Ja, aber glaubst du nicht, dass Gott existiert? Frage ich.
- Sie fügt prompt hinzu: Kannst du dein Vaterunser?
- Ich glaube ja, antwortete ich etwas zögernd.
- Wirst du morgen konfirmiert?
- Ja, aber wir werden nicht danach gefragt. Die Konfirmation soll kein ERxamen sein, sagt der Pastor.
- Na, sagt er das. Erinnerst du dich an Kaj und Gerda in Hans Christian Andersens Märchen Die Schneekönigin? Fragte Großmutter. Als Kaj von der Schneekönigin entführt wurde, wollte er sein Vaterunser beten. Aber er konnte sich nicht erinnern. Er konnte nur die kleine Tabelle.
- Das ist ja nur ein M¨rchen, dagte ich.
- Nur! Da ist mehr Wahrheit im Märchen als in deinem Taschenrechner.
- Großmutter, glaubst du eigentlich, dass es Gott gibt? Frage e ich wieder.
- Nein, ich kann dir versichern, das tue ich nicht. Von Hühnern kann man sag en, dass es sie gibt, und vom Geißfuß und der Milchstraße, und so Sachen wie du und ich. Aber Gott gibt es nicht. Gott ist größer als das, was es gibt.
- Das verstehe ich also nicht, antworte ich.
- Nein, natürlich tust du das nicht. Das tue ich auch nicht. Je älter ich werde, umso weniger verstehe ich es, umso mehr geht mir auf, dass das, was etwas bedeutet, das kann ich überhaupt nicht verstehen. Ich kann nicht verstehen, dass es die Liebe gibt, dass das Leben existiert, dass die Freude von selbst kommt, dass das Universum undurchdringlich ist, dass Kinder geboren werden, die man liebt, dass die Sprache die Welt begreifen kann, ohne dass man sie grundlegend erfasst. Aber dass alles verstehen inklusive Gott, das kann ich nicht.
Mit diesem Gespräch sind wir wieder bei den Fragen, mit denen ich begann: das Verhältnis zwischen dem Himmlischen und dem irdischen, zwischen Gott und dem Menschen. Großmutter lebte ein menschliches Leben auf der dazu geschaffenen Erde mit allen Sorgen und Freuden, die das mit sich bringt. Sie brauchte Gott nicht, denn sie wusste, Gott war weit größer als all das, was sie begreifen konnte. Das durchbrach die Grenze zwischen Himmel und Erde.
Der dänische Dichter Simon Grotrian schreibt folgendes Gedicht über das Abendmahl in einer Sprache, die das Verhältnis zwischen Himmel und Erde kurzschließt:
Kalken med Ordet
sættes på bordet
brødstumper dryppes så let deri
havet forstummer
midt mellem gummer
der trængte til en Kristussti
Kalken vil tvætte
indenbordstrætte
hér har vi dannet et alterhegn
alle de svage
sorger må plage
går hjem igennem fosforregn
Døde, der hviler
træer og biler
rødmer i blæsten som pælerod
natten vil skue
op i en bue
vi løfter himlens søjleblod
Vinen og brødet
sejler i kødet
hjertet slår fastere nu end før
cirklen alene
gjorde os rene
da står vi ved din palmedør
(Das Gedicht ist unübersetzbar in der lyrischen Form, hier eine „wörtliche“ Übersetzung:
Der Kelch mit dem Wort
steht auf dem Tisch
Brotstumpfen tropfen so leicht darin‘
das Meer verstummt
mitten zwischen Krumen
die einen Kristussteg brauchten
Der Kelch will trocknen
zu Tische´die Müden
ier haben wir einen Altar errichtet
alle die schwachen
Sorgen müssen plagen
gehen nach Hause durch Phosphorregen
Tode, die ruhen
Bäume und Autos
erröten im Wind wie Pfahlwurzeln
die Nacht will schauen
hinauf in einem Bogen
erheben wir das Säulenblut des Himmels
Der Wein und das Brot
segeln im Fleisch
das Herz schlägt fester jetzt als vorher
der Zirkel allein
machte uns rein
da stehen wir an deiner Palmentür)
Amen