Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Karfreitag, 14.04.2017

Lebensworte wie Leuchtzeichen am dunklen Himmel
Predigt zu Lukas 23:33-49, verfasst von Claudia Krüger

Liebe Gemeinde,

Karfreitag ist ein stiller, ein heiliger Tag. Ein dunkler Tag, selbst wenn die Sonne scheint.

Nicht nur die Discomusik verstummt, sondern es ist, als ob die Natur schweige, die Vögel weniger laut sängen und die Alltagsgeräusche gedämpfter an Ohr drängen. Ich erinnere mich noch an meinen Großvater, der am Karfreitag im schwarzen Anzug und mit Zylinder zum Gottesdienst ging und uns Kindern einschärfte, dass man weder lachen noch Klavier spielen dürfe am Todestag Christi.

Was bedeutet dieser Tag in heutiger Zeit? Ist er mehr als ein dunkler Auftakt zu Osterferien und Eiersuchen?

Den Schülerinnen und Schülern unterschiedlichster Religionen in einer Berufsfachschule für Altenpflege wurde die Frage gestellt, welche Bedeutung das Kreuz für sie persönlich und für alte Menschen in den Pflegeheimen haben könnte.

Es gab viele, für die das Kreuz völlig bedeutungslos war. Und doch ahnten die meisten, dass sich für ältere Menschen, und nicht nur für sie, mit dem Kreuz eine tiefe Sehnsucht, aber auch wahrer Trost verbindet. Es wirkt wie ein Leuchtzeichen in der Nacht, das Weisung und Hoffnung schenkt.

Hier ein paar Gedanken der Schülerinnen und Schüler:

Jeder, der ein Kreuz um den Hals trägt oder bei sich hat, kann Kraft und Sicherheit und Glaube fühlen, weil Gott immer mit ihm ist.“ „Das Kreuz erinnert Menschen daran, dass sie nie allein sind in ihrer schweren Zeit und dass sie auf einen besseren schöneren Ort hoffen dürfen.“ „Für Menschen, die gläubig sind, ist das Kreuz die Tür zu Gott.“ „Es ist eine „starke Schulter“ für Menschen und zeigt ihnen, dass Jesus niemals tot sein wird.“

In einfachen, aber eindrücklichen Worten, werden hier theologische Hauptaussagen zur Bedeutung des Kreuzes geäußert.

 

Hören wir den Predigttext aus Lukas 23, 33-49:

(Anmerkung: der Predigttext könnte auch als Schriftlesung gelesen werden).

Und als sie kamen an die Stätte, die da heißt Schädelstätte, kreuzigten sie ihn dort und die Übeltäter mit ihm, einen zur Rechten und einen zur Linken.

[Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun!] Und sie verteilten seine Kleider und warfen das Los darum.

Und das Volk stand da und sah zu. Aber die Oberen spotteten und sprachen: Er hat andern geholfen; er helfe sich selber, ist er der Christus, der Auserwählte Gottes.

Es verspotteten ihn auch die Soldaten, traten herzu und brachten ihm Essig

und sprachen: Bist du der Juden König, so hilf dir selber!

Es war aber über ihm auch eine Aufschrift: Dies ist der Juden König.

Aber einer der Übeltäter, die am Kreuz hingen, lästerte ihn und sprach: Bist du nicht der Christus? Hilf dir selbst und uns!

Da antwortete der andere, wies ihn zurecht und sprach: Fürchtest du nicht einmal Gott, der du doch in gleicher Verdammnis bist?

Wir sind es zwar mit Recht, denn wir empfangen, was unsre Taten verdienen; dieser aber hat nichts Unrechtes getan.

Und er sprach: Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst!

Und Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.

Und es war schon um die sechste Stunde, und es kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde, und die Sonne verlor ihren Schein, und der Vorhang des Tempels riss mitten entzwei.

 Und Jesus rief laut: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände! Und als er das gesagt hatte, verschied er.

Als aber der Hauptmann sah, was da geschah, pries er Gott und sprach: Fürwahr, dieser Mensch ist ein Gerechter gewesen!

Und als alles Volk, das dabei war und zuschaute, sah, was da geschah, schlugen sie sich an ihre Brust und kehrten wieder um.

Es standen aber alle seine Bekannten von ferne, auch die Frauen, die ihm aus Galiläa nachgefolgt waren, und sahen das alles.

 

In einer Textzeile des Gedichtes „Glauben“ von Rose Ausländer heißt es:

Ich glaube an die Wunder

der Worte

die in der Welt wirken

und die Welten erschaffen

Ich glaube

an dich

Lebensbruder

(aus: Rose Ausländer, „Glauben“ in „Literarische Auslese“, S. 16, Radius Verlag 2000)

 

Wunder wirken die Worte Jesu am Kreuz. Worte des Lebensbruders. Worte des Gottessohnes. Sie sind wie Leuchtzeichen an den Himmel geschrieben, über dieser äußerst grauenhaften Szene. Sie wirken voll göttlicher Macht, wirken allem zum Trotz hinein auch in das Dunkel heutiger Tage.

 

Wir bekommen zwar in dieser Karfreitagsszene keine Antwort auf die bittere Frage nach dem Warum des Leids in unserer Welt. Und doch erkennen wir: Einer hält es aus. Bis zum bitteren Ende. Jesus, der Gottessohn, leidet wie Menschen leiden. Und wird gerade dadurch glaub-würdig. Er entzieht sich nicht in allmächtiger Weise dem Elend und dem bösartigen Spott der Welt. Sondern er bleibt. Und er verbündet sich in diesem Bleiben und in dieser einsamen Gottverlassenheit mit dem Leid und Elend aller Menschen, aller Zeiten, aller Orte.

Hier leidet der Mensch gewordene Gott, geht in den tiefsten menschlichen Abgrund hinein – und führt uns doch zuletzt an seiner Hand, aus dem Abgrund heraus.

Nichts, auch nicht der bittere Tod, kann uns von Gott trennen. Das unterstreichen die letzten Worte, die Jesus am Kreuz gesprochen hat. In einer Situation, wo es uns Menschen die Sprache verschlägt, hören wir einen göttlichen Klang, der uns glauben hilft, dass uns im letzten Moment nicht das abgrundtiefe Nichts erwartet, sondern die grenzenlose Liebe Gottes und ein Zuhause, in welchem wir für immer geborgen sind.

Und als sie kamen an die Stätte, die da heißt Schädelstätte, kreuzigten sie ihn dort und die Übeltäter mit ihm, einen zur Rechten und einen zur Linken.

 [Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun!]

Wer von uns könnte so gequält noch ein Wort der Vergebung finden.

Inmitten all derer, die feige schweigen. Inmitten derer, die zusehen, inmitten der Gaffer, die beim Unfall den Weg für die Rettungskräfte versperren und gnadenlos ihr Handy draufhalten. Inmitten der schamlosen Lästerer, die die Kleider verlosen und ihn nackt, ohnmächtig und schutzlos ausgeliefert da hängen lassen. Denen nichts mehr heilig ist. Wer könnte noch für die bitten, die Qual und Tod verschulden.

Sie wissen nicht, was sie tun. Vielleicht wussten sie, dass sie unmenschlich handelten und einen Unschuldigen zu Tode verurteilten. Aber sie wussten nicht, „dass dieses so entsetzlich entstellte Menschenantlitz das Ebenbild Gottes ist, dass uns aus diesem Haupt voll Blut und Wunden, voll Spott und voller Hohn Gottes eigenes Gesicht entgegenblickt – das wussten sie nicht. Und das konnten sie auch nicht wissen. Und eben deshalb wird die Passionsgeschichte Jesu Christi von Lukas zwar in ihrer ganzen Schrecklichkeit, aber – und das ist entscheidend – ohne jeden Vorwurf erzählt. Mehr noch…das werden Menschen in einem unvergleichlichen Sinn entschuldigt, Da wird ihre Schuld von ihnen genommen.“ (E.Jüngel, Schmecken und sehen, Predigten III, München, 1983, S. 76.f)

Da wird kein Vorwurf laut, sondern die Bitte Jesu: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ Durch ihn aber wird nicht nur ihre Schuld vergeben, sondern jede Schuld, um deren Vergebung auch wir ihn bitten.

 

Einer der Übeltäter, die am Kreuz hingen, sprach: Wir sind (es) zwar mit Recht (in Verdammnis), denn wir empfangen, was unsre Taten verdienen; dieser aber hat nichts Unrechtes getan.

Und er sprach: Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst!

Und Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.

In Jesu Nähe erkennt einer, was Recht und was Unrecht ist. Er sieht seine Schuld ein und sieht die Strafe als gerecht an. Bei vielen Menschen aber ist es anders. Sie sterben zu Unrecht. Und sie müssen das Gefühl von himmelschreiender Ungerechtigkeit mit in den Tod nehmen und auf die Gerechtigkeit Gottes, noch warten. Müssen warten auf den Tag, an dem endlich die Mörder nicht mehr über ihre Opfer triumphieren und Gottes Gerechtigkeit alles regiert.

 

In der lukanischen Kreuzigungsszene erkennt ausgerechnet ein Verbrecher, dass der neben ihm auf dem Weg ist in ein ewiges Zuhause: Jesus, gedenke an mich, vergiss mich nicht, wenn du in dein Reich kommst!

Und dann vernimmt der Mitgekreuzigte in den Worten des langsam Erstickenden die Verheißung, und darin eines der schönsten und zutiefst heilsamen Worte der Evangelien: „Heute wirst Du mit mir im Paradies sein.“ Welch´ ein Trost! Nicht irgendwann. Nein, heute noch wirst Du angelangen in der ewigen Heimat, wo deine Seele Heil findet und es kein Leid und keinen Tod und keine Tränen mehr gibt.

Könnten wir doch vertrauen, wie dieser Mensch neben Jesus am Kreuz!

 

Und Jesus rief laut: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände! Und als er das gesagt hatte, verschied er.“

Wer so ruft, noch beim letzten Atemzug, der ahnt, dass sein Wort nicht im leeren Raum verhallt, sondern dass da allem zum Trotz noch einer ist, der mich hört. Wohl dem Menschen, der das glauben kann in seiner, in ihrer letzten Stunde.

Dass da Zuflucht ist „noch hinter der Zuflucht.“ (R. Kunze)

 

Es gibt Momente, in denen in denen ich solche Zuflucht verzweifelt ersehne. Situationen, in denen auch mir als Pfarrerin die wütende Frage nach dem „Warum“ auf den Lippen brennt. Momente, in denen ich laut über den Friedhof oder aus dem Krankenzimmer schreien könnte – meine Klage, meine Fragen, meinen Protest am Grab eines jungen Menschen, meine Trauer angesichts des Leides, aber auch angesichts dessen, was wir Menschen einander antun.

Und ich bin froh, wenn ich dann noch sagen kann: „Vater“ und erfahren darf, dass sich nicht der Abgrund der Sinnlosigkeit auftut, sondern ein Gegenüber mich hält, und einmal auch durch ihn meine Fragen eine Antwort erhalten. Möge der, der da am Kreuz stirbt, auch mich hinein nehmen in sein „Heute“, in sein Paradies. Möge er einmal am Horizont, hinter den Gräbern eben doch die Ostersonne aufscheinen lassen. Mögen auch die, die schon gegangen sind, aufgehoben sein in seinem Licht und in den Armen unseres liebenden Gottes.

 

Manche Menschen sprechen in den letzten Stunden ihres Lebens in Bildern. Als sähen sie schon weiter als die, die sie zurücklassen. Sie sprechen davon, dass sie nun die Koffer packen. Dass sie durch ein Tor schreiten auf dem Weg in die andere Welt. Eine schwerstkranke Frau, schlimm entstellt durch eine Krankheit, und sie war übrigens keine, die wir im gewohnten Sinne als „fromme“ Frau bezeichnen würden, sie sagte einmal zu mir, sie fühle sich unendlich nahe dem einsamen Jesus im Garten Gethsemane und dem Leidenden dort am Kreuz, nur er wisse, wie sie sich fühle.

 

Er bleibt. Bleibt bei allen, die leiden und sterben. Und wir sollten ihn bitten, dass er uns die Kraft gebe, ebenfalls zu bleiben.

Dort an den Betten der Sterbenden. Dort, wo Menschen so entstellt sind, dass einen das Entsetzen packt und man sich am liebsten davon stehlen möchte.

Gebe uns Gott die Kraft zu bleiben, gerade dann.

Kurz bevor die schwerkranke Frau starb, meinte sie: „Ich mache mich jetzt auf den Weg und fahre mit der Straßenbahn in mein Paradies.“ Ich bin sicher, sie wird dort ankommen. Heute noch. Ihre Worte machen mir Mut, wenn das Leid mich sprachlos macht.

Auch über einer Todesanzeige dieser Tage standen die Worte: „Sie ist aus ihrem kleinen Paradies in das große Paradies gegangen.“ Zurück in die Ebenbildlichkeit Gottes, mit der wir einmal erschaffen wurden. Und doch – nicht eigentlich zurück, sondern in die ganz andere Welt, in der uns nichts mehr trennt vom liebenden Gott.

 

Und die Sonne verlor ihren Schein, Der ganze Kosmos wird ergriffen von diesem Geschehen und versinkt im Dunkel. Kein Laut ist mehr vernehmbar. Als hätte der Tod die Erde für immer verschluckt.

und der Vorhang des Tempels riss mitten entzwei.  Es ist alles getan. Der Vorhang zum Allerheiligsten ist zerrissen. Der Weg ist frei zu Gott.

Und Jesus rief laut: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände! Und als er das gesagt hatte, verschied er.

Jesus findet ein letztes Wort, wo alles verstummt ist. Er übergibt voll Vertrauen seinen Geist in die Hände seines und unseres Vaters, „ gibt seinen Geist auf“ –hinauf zum ewigen Vater, dorthin wo Gottes Geborgenheit alles umfasst.

Ja, wenn wir einst alles aus den Händen geben müssen, dann mögen wir es in seine Hände legen können, voll Gelassenheit, voll Glaube, voller Hoffnung.

Und für immer geborgen sein in ihm.

Der Tod bleibt hart. Aber in Jesu letzten Worten behält Gottes Liebe das letzte und das erste Wort:

Heute wirst du mit mir im Paradies sein.“ Amen.

 

 



Pfarrerin Claudia Krüger
Stuttgart
E-Mail: Claudia.Krueger@elkw.de

(zurück zum Seitenanfang)