Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Karfreitag, 14.04.2017

Außerdem Wege weg“
Predigt zu Lukas 23:33-49, verfasst von Dörte Gebhard

Gnade sei mit euch von dem, der der Erste und der Letzte und der Lebendige ist. Amen.

 

Liebe Gemeinde am Karfreitag

 

Drei Worte überliefert Lukas von Jesus am Kreuz.

Gehen Sie uns etwas an?

Kommen sie uns nahe?

 

Heute morgen sind wir losgegangen.

Wir sind gekommen,

Jesus am Kreuz zu begegnen.

 

Aber:

Wir sind weit weg von jenem Kreuz, an dem Jesus hing.

Etwas mehr als 2000 Jahre weit weg.

Der Anschlag auf die koptischen Christen von letzten Palmsonntag ist uns näher.

Wir sind weit weg von jenem Kreuz, an dem Jesus hing.

Etwas mehr als 4000 km sind es von Schöftland nach Jerusalem.

Der Vierfachmord von Rupperswil dagegen war hier bei uns im Aargau.

 

Wir sind weit weg von jenem Kreuz, an dem Jesus hing.

Außerdem sind wir fast täglich mit Terror und Gewalt in der Welt konfrontiert.

Außerdem sind wir nicht so unschuldig wie Jesus.

Außerdem sind Kreuze aller Art doch auf jedem Berg, in jeder Burg, an jedem Bahnübergang ...

Außerdem ...

 

Außer dem ‚außerdem’ gehen uns Jesu Worte am Kreuz genau deshalb etwas an.

Denn Jesu Worte am Kreuz sind Wege weg vom Kreuz.

Jesu Worte führen fort, weit weg vom Kreuz – genau zu uns.

 

Wir haben bei der Lesung den ganzen Bericht gehört, wie ihn Lukas aufgezeichnet hat.

Nun wiederhole ich noch einmal die drei Worte, die Jesus selbst spricht:

 

Und Jesus sprach: Vater, vergib ihnen! Denn sie wissen nicht, was sie tun (V. 34)

 

Und er sagte zu ihm: Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein (V. 43)

 

Und Jesus rief mit lauter Stimme: Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist (V. 46).

 

Man muss diese Worte richtig heraushören:

 

Und Jesus sprach: Vater, vergib ihnen! Denn sie wissen nicht, was sie tun (V. 34)

 

Und er sagte zu ihm: Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein (V. 43)

 

Und Jesus rief mit lauter Stimme: Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist (V. 46).

 

Kein Wort vom Kreuz, an dem Jesus hängt.

Außerdem verliert Jesus kein Wort über sein Leiden.

Außerdem stellt sich Jesus selbst nicht als Opfer[1] vor, ganz im Gegenteil.

Außerdem geht er weit weg vom Kreuz, in Gedanken schon in’s Paradies.

Außerdem ...

 

Folgen wir Jesus am Kreuz nach.

Folgen wir seinen Wegen weg vom Kreuz.

 

I             Der erste Weg: Vergebung

 

Der erste Weg ist ein irdischer Weg. Er ist zu beschreiten auf dem Boden der Tatsachen, in den sie das Kreuz gerammt haben. Er beginnt vor unseren Füssen.

 

Und Jesus sprach: Vater, vergib ihnen! Denn sie wissen nicht, was sie tun.

 

Jesus bittet um Vergebung, nicht für irgendwen, gerade für seine Peiniger.

Zu erwarten war das nicht.

Üblich, man kann dieses Wort mit seiner ganzen Grausamkeit nicht weglassen,

üblich war etwas anderes. Hingerichtete haben gejammert und wehklagt, haben ihre Feinde verwünscht, ihre Folterer verflucht, Gott um Rache angeschrien, bis ihnen die Stimme versagte und der Atem verging.

Man kann es in den Apokryphen zum Alten Testament, in den Makkabäerbüchern, nachlesen (2. Makk 7, 19; 4. Makk 9, 15). Man findet dort viele Beispiele, aber man muss sie nicht suchen.

 

Heilsamer ist es, dem Weg Jesu weg vom Kreuz nachzugehen und auf diesem Weg die Menschen zu treffen, die es mit Gottes Hilfe schafften, für ihre Peiniger zu hoffen und zu beten.

 

Dietrich Bonhoeffer, schon gefangen und gefoltert, den Tod bereits vor Augen, schafft er es, für alle zu bitten:

 

„Gott, zu dir rufe ich am frühen Morgen ...

Vor dir denke ich an all die Meinen,

an die Mitgefangenen und an alle,

die in diesem Haus ihren schweren Dienst tun.

Herr, erbarme dich.

Schenk mir die Freiheit wieder

und lass mich derzeit so leben, wie ich es vor dir und vor den Menschen verantworten kann ...“ (RG 576).

Immer wieder geschah und geschieht es, dass Menschen für ihre Peiniger beten können. Aus dem Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück stammt ein solches Gebet, wahrscheinlich von Frau Dr. Hildegard Schäder. Sie war Häftling Nr. 31 795 und überlebte das KZ.[2]

 

Ich lese ihr Gebet als Entfaltung von Jesu Satz: Vater, vergib ihnen!

 

„Friede den Menschen, die bösen Willens sind,


und ein Ende aller Rache
und aller Reden über Strafe und Züchtigung.


Die Grausamkeiten spotten allem je Dagewesenen,


sie überschreiten die Grenzen menschlichen Begreifens,


und zahlreich sind die Märtyrer.


Daher, o Gott,
wäge nicht ihre Leiden auf den Schalen
Deiner Gerechtigkeit,


fordre nicht grausame Abrechnung,


sondern schlage sie anders zu Buche:


Laß sie zugute kommen allen Henkern,
Verrätern und Spionen.


Und allen schlechten Menschen,


und vergib ihnen
um des Mutes und der Seelenkraft der andern willen.


All das Gute sollte zählen, nicht das Böse.


Und in der Erinnerung unserer Feinde


sollten wir nicht als ihre Opfer weiterleben,


nicht als ihr Alptraum und grässliche Gespenster,


vielmehr ihnen zu Hilfe kommen,


damit sie abstehen mögen von ihrem Wahn.

Nur dies allein wird ihnen abgefordert,


und daß wir, wenn alles vorbei sein wird,


leben dürfen als Menschen unter Menschen,


und daß wieder Friede sein möge auf dieser armen Erde


den Menschen, die guten Willens sind,


und daß dieser Friede auch zu den andern komme. Amen.“

 

Jesus sprach: ... denn sie wissen nicht, was sie tun!

Wussten denn die Soldaten nicht, was sie taten?

Nein, sie wussten nicht, was sie zum Guten hätten tun können.

Außerdem wussten sie vor allem, welche Strafen sie bei Befehlsverweigerung zu erwarten hatten.

Außerdem waren die grosse Mehrheit und die wenigen Mächtigen auf ihrer Seite.

Außerdem waren Kreuzigungen üblich.

Außerdem ...

 

Außerdem sind auch wir Unwissende.

Wir wissen nicht, wo der nächste Terroranschlag sein wird. In dieser Passionszeit, seit 1. März waren Anschläge in Afghanistan, den USA, Grossbritannien, Tschetschenien, Bangladesh, Russland, Schweden und Ägypten. Das ist keine Zahlenreihe, die man logisch fortsetzen könnte.

Wir wissen nicht, wie das Kriegsgewirr in Syrien zu beenden wäre, es kämpfen ja nicht die einen gegen die anderen, sondern Zahllose gegen alle – jeweils – anderen.

 

Vergib, denn sie wissen nicht, was sie tun!

 

Wir sind dem Kreuz näher als wir denken, aber nun auf dem Wege weg vom Kreuz, hin zur Vergebung.

 

II           Der zweite Weg: ins Paradies

 

Und er sagte zu ihm: Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein (V. 43)

 

Bei Gott gelten andere Zeitrechnungen.

Wir Irdischen müssen Tod und Leben der Reihe nach bedenken.

Karfreitag und Ostern können wir nicht auf einmal fassen.

Aber bei Gott hat der Tod nicht einmal Recht auf einen ganzen Tag!

 

Und wieder sagt Jesus nichts vom Kreuz.

Darüber ist alles gesagt.

Darüber wird noch vieles gesagt werden.

Am Kreuz – nur Worte, die weg- und weiterweisen.

Der Verbrecher bittet: Jesus, denk an mich, wenn du in dein Reich kommst.

Und ohne weitere Bedingungen, wie schon bei den Peinigern, sagt ihm Jesus:

Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.

 

Jesu Worte sind Wege weg vom Kreuz,

außerdem so schnell wie möglich.

So schnell, wie ein Mensch Reue zeigen kann, wenn er Reue zeigen will.

Sehr schnell also.

 

III          Der dritte Weg: Weg von mir selbst

 

Weil der zweite Weg so schnell zu begehen ist, sind wir schon beim dritten Weg weg vom Kreuz.

 

Und Jesus rief mit lauter Stimme: Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist.

 

Jesus geht diesen Weg für sich.

Wir haben je unseren eigenen Weg vor uns.

 

Der Weg weg vom Kreuz ist auch der Weg weg von uns selbst.

Weg von unseren Sorgen und Qualen, weg von unseren Nöten und Ängsten.

Außerdem ist es der Weg weg von unserem Stolz.

Außerdem auch weg von unserer nur individuellen Befindlichkeit.

Außerdem führt er weg aus dieser Welt, aber erst zuletzt.

Außerdem ...

 

Außerdem ist dieser Weg vor allem anderen weit.

Es ist noch weit, bis keine Kreuze mehr errichtet werden,

bis Menschen den Krieg nicht mehr lernen,

bis das Böse weicht,

bis auch die Abgründe des Hasses in mir vergehen.

Es ist noch weit.

 

Aber Jesus gehört selbst am Kreuz nicht seinen Folterern.

Er ist nicht Besitz seiner Peiniger.

Er ist nicht das Opfer böser Täter.

Er ist nicht gefangen von seiner Todesangst.

Er gehört sich nicht selbst, nicht im Leben und nicht im Sterben.

Sein Geist gehört – im Zweifelsfall – Gott.

 

Unser Geist gehört – besonders im Zweifelsfall – in Gottes Hände.

Und jeder wird es gehört haben, wem Jesus gehört, denn:

Jesus rief mit lauter Stimme: Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist.

 

Dieser dritte Weg ist weit, an einem Karfreitag nicht zu schaffen.

Dieser Weg weg von mir ist weit,

für mich einzusehen, dass ich mir nicht selbst gehöre,

dass ich mich nicht selbst behalte, ganz gleich wie ich einst sterben werde:

Hoffentlich nicht durch Gewalt,

wohlmöglich schwerst dement,

vielleicht aber auch putzmunter und drum entsetzlich plötzlich:

Mein Geist sei dann in Gottes Hand.

 

Liebe Gemeinde

Schauen Sie noch einmal das diesjährige Hungertuch in unserer Kirche an.

Es hängt jetzt seit sieben Wochen dort. Chidi Kwubiri, ein afrikanischer Künstler, hat es geschaffen.

 

Die drei Worte weg vom Kreuz könnte ich am Kreuz nicht sagen.

Aber wir haben diese Worte von der Vergebung, vom Paradies und von unserem Geist in Gottes Hand nicht nur heute nötig.

Oft sollten wir sie uns sagen, weit weg vom Kreuz.

Außerdem können wir einander dann die Hände auf die Schultern legen,

außerdem werden wir einander ruhig in die Augen schauen wie die beiden in grün und gold,

außerdem werden wir erkennen, dass das Leben nicht ohne Wüste zu durchleben ist,

Außerdem ...

 

Außerdem komme Gottes Friede auf uns, sein Friede, der der höher ist als alle Vernunft stärke und bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, Amen.

 

[1] Vgl. zum Verständnis des Opfertodes Jesu Jüngel, Eberhard: Das Evangelium von der Rechtfertigung des Gottlosen als Zentrum des christlichen Glaubens. Eine theologische Studie in ökumenischer Absicht, Tübingen 1998, S. 131-146, besonders S. 139: „... nicht mit dem Hinzurichtenden, sondern mit dem Hingerichteten identifiziert sich Gott.“

[2] Das Gebet wird Dr. Hildegard Schäder (1902-1984) zugeschrieben, Häftling 31.795 in Ravensbrück. Sie überlebte das KZ und arbeitete später im Außenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland für die Orthodoxen Kirchen des Ostens. Quelle: www.widerstand-christlicher-frauen.de.

 



Pfarrerin PD Dr. Dörte Gebhard
Schöftland
E-Mail:

(zurück zum Seitenanfang)