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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Osternacht, 15.04.2017

Beziehung macht lebendig
Predigt zu Jesaja 26:13-14.19, verfasst von Christine Hubka

HERR, unser Gott, es herrschen wohl andere Herren über uns als du, aber wir gedenken doch allein deiner und deines Namens.

14 Tote werden nicht lebendig, Schatten stehen nicht auf; denn du hast sie heimgesucht und vertilgt und jedes Gedenken an sie zunichtegemacht.

19 Aber deine Toten werden leben, deine Leichname werden auferstehen. Wachet auf und rühmet, die ihr liegt unter der Erde! Denn ein Tau der Lichter ist dein Tau, und die Erde wird die Schatten herausgeben. Jesaja 26, 13–14.19

 

„Das Kreuz ist nicht auffällig hier zu Lande“,

sprach der Herr Minister für Justiz während der Passionszeit.

Da hat er wohl Recht.

Wir haben uns daran gewöhnt, dass in Schulzimmern, Krankenhäusern, am Wegesrand,

wo auch immer wir vorbei kommen, ein Mensch hängt.

Gefoltert, gequält, durchbohrt.

Wir haben uns auch daran gewöhnt,

dass täglich Menschen das Dach über ihrem Kopf verlieren.

Bomben, Erdbeben, Wirbelstürme.

Wir haben uns daran gewöhnt, dass zu Ostern im Straßenverkehr Menschen sterben.

Das alles – ich zitieren den Herrn Minister – ist nicht auffällig hier zu Lande.

 

Auffällig werden diese Dinge erst, wenn sie mich betreffen oder jemanden, den ich kenne.

Die Wertigkeiten verschieben sich da zuweilen.

Der Tod eines Menschen und der Tod eines Hundes:

 

Vor vielen Jahren, als es noch den eisernen Vorhang gab zwischen West und Ost,

war ich Pfarrerin in Traiskirchen.

Damals verstarb Jiri Kratochwil.

Er war ein obdachloser Asylwerber.

Täglich trug er seine Habseligkeiten in zwei Plastiksäcken durch die Straßen der kleinen Stadt.

Er saß mal hier und ruht mal dort.

Immer wieder schaute er beim Pfarramt vorbei, bekam ein paar Münzen oder etwas zu essen.

Sprechen konnte ich nicht mit ihm. Er verstand nur Tschechisch.

Eines Morgens lag er tot auf einer Parkbank.

 

In derselben Woche hat ein wütender Nachbar meinen Hund erschlagen,

der regelmäßig und unerwünscht seine Zuchthündin besucht hat.

Moritz, der Hundemischling, war ein Streuner

und schaffte es immer wieder aus dem Garten des Pfarrhauses zu entkommen.

 

Die Stadt war in Aufruhr.

Wie konnte dieser Unmensch es wagen, einen Hund zu töten.

Irgendwer hat tatsächlich in roter Farbe „Mörder“ an die Hauswand des Hundezüchters geschrieben.

Eine Frau vom Tierschutzverein rief mich an.

Sie verlangte, dass ich diesen wie sie sagte „Tiermörder“ anzeigen solle.

 

Ich aber hatte anderes zu tun.

Ich bereitete die Beerdigung für den obdachlosen Asylwerber vor.

Niemand aus dem Ort nahm an dem Begräbnis teil.

Am Friedhof war ich mit dem Toten und den Leuten von der Bestattung allein.

 

Die Lokalzeitung schrieb nicht über den Tod des Jiri Kratochwil,

dem man den Zugang unter das schützende Dach des Flüchtlingslagers

und zur medizinische Versorgung verweigert hatte.

Sie schrieb über den Tod meines Hundes …

Zu diesem Hund, hatten die Leute im Ort eine Beziehung.

Immer wieder hat ihn jemand zu Fuß oder mit dem Auto zu uns zurück gebracht,

wenn er wieder einmal wie eine Katze über den hohen Lattenzaun geklettert

und davon gelaufen ist.

 

Den einarmigen Jiri Kratochvil hatten die Leute schon auch gesehen.

Beziehung hatten sie nicht zu ihm.

 

Beziehungslosigkeit aber tötet!

Und: Tote werden nicht lebendig, Schatten stehen nicht auf.

Wie Recht hat dieser Beter.

Wie unverblümt sagt er das, was sich kaum jemand zu sagen traut.

Schatten stehen nicht auf.

Menschen im Schatten stehen nicht auf.

Denn Schatten – Menschen im Schatten –

haben längst ihre Kraft und ihren Kampfgeist und ihren Lebensmut verloren.

Ob sie noch auf einer Parkbank liegen oder schon im Grab.

 

Der Kranz, den das Innenministerium damals geschickt hat,

hat nichts daran geändert.

„Letzte Grüße“ stand auf der Schleife.

Sie kamen zu spät.

 

Gegen den Tod ist kein Kraut gewachsen.

Der Tod ist unumgänglich.

Das ist auch so eine Einsicht, die sich kaum jemand zu sagen traut.

Wenn, wenn da nicht Beziehung ist.

Aber deine Toten werden leben, deine Leichname werden auferstehen.

 

Beziehung macht lebendig.

Beziehung holt die Schatten aus dem Schattendasein.

Die auf der Parkbank.

Und die im Grab.

 

Dass wir uns recht verstehen:

Es genügt, wenn wir denen im Schatten und auf der Parkbank unsere Beziehung zuwenden.

Wenn sie erst einmal im Grab sind, hilft unsere Beziehung nichts.

Gut ist es dann zu wissen, dass am Ende eine Beziehung trägt und weiter besteht:

Deine Toten, Gott werden leben, deine Leichname werden auferstehen.

Ich glaube fest, dass das allen Menschen gilt.

Wir Getauften haben das Privileg, dass es uns direkt zugesagt worden ist.

Dafür sei Gott Lob und Preis in Ewigkeit.

 



Pfrn.i.R., aktuell Gefängnisseelsorgerin Dr. Christine Hubka
Wien
E-Mail: . christine.hubka@gmx.at

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