Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Ostersonntag , 16.04.2017

Sie dürfen nicht alles glauben, was sie denken.
Predigt zu Matthäus 28:1-10, verfasst von Gert-Axel Reuss

Liebe Gemeinde,

 

zwei Frauen sitzen in der Synagoge. Sagt die eine: „Ich denke, du glaubst nicht an Gott.“ Sagt die andere: „Weiß ich denn, ob ich recht habe?“

 

Ob das Osterlachen seine Wurzeln im jüdischen Humor hat, so wie unser Glaube seine Wurzeln im Judentum?

 

Zu Ostern werden wir auf vielfache Weise daran erinnert, dass das Leben keine todernste Sache ist. Ja, in einer Welt ohne Gott, da hätten wir wenig zu lachen. Wir wären gefangen in der Unabänderlichkeit des Weltlaufs. Aber das sind wir nicht! Dagegen stehen die Ostergeschichten! „Halleluja! – Gelobt sei Gott!“

 

Allerdings kommen sie nicht triumphierend daher, nicht auftrumpfend nach der Melodie: „Oh, ihr Kleingläubigen!“ Nein, die Ostergeschichten sind voller Zweifel und Furcht. Und das ist gut so!

 

Denn sie erzählen vom Zweifel am Zweifeln, von der Überwindung der Angst. Da, wo die Sinne Tod und Verwesung wahrnehmen, da sehen die Frauen einen Engel mit dieser Botschaft: "Fürchtet euch nicht! Ich weiß, ihr sucht Jesus, den Gekreuzigten. Er ist nicht hier. Er ist auferstanden, wie er gesagt hat. Kommt her und seht die Stätte, wo er gelegen hat.“ (Mt 28, 5+6)

Gelegentlich überfallen uns Ängste. Ob das nicht doch alles völlig sinnlos ist? Wir zweifeln, ob am Ende nicht doch der Stärkere das letzte Wort behält. Aber sollen wir deswegen darauf verzichten, Ostern zu feiern?

Sollen die Frauen unverrichteter Dinge umkehren und nicht nach dem Grab schauen? – Den schweren Stein werden sie keinen Millimeter bewegen.

Sollen die Jünger niedergeschlagen nach Hause zurückkehren, zurückkehren in ihr altes Leben? Aus der Traum!?? Alles umsonst?!!

 

Verunsicherung und Erstaunen, Erschrecken und Erleichterung – das alles liegt Ostern ganz nah beieinander. Und muss immer wieder in Erinnerung gerufen werden gegen alle Einseitigkeit, wenn der Alltag mit seinen Regeln uns so stark beansprucht, dass wir darüber das Träumen verlernen. Gerade dann, wenn uns das Lachen im Halse stecken bleibt, weil koptische Christinnen und Christen überfallen werden, während sie Gottesdienst feiern. Weil Lastwagen in Menschenmengen rasen und syrische Kinder im Giftgas sterben.

 

Es gibt Gründe genug, zu verzweifeln. Gerade deshalb brauchen wir Geschichten der Hoffnung, die die Realitäten dieser Welt nicht ausblenden sondern überwinden: "Fürchtet euch nicht! Ich weiß, ihr sucht Jesus, den Gekreuzigten. Er ist nicht hier. Er ist auferstanden, wie er gesagt hat. Kommt her und seht die Stätte, wo er gelegen hat.“ (Mt 28, 5+6)

Ostern – das bedeutet: Mitten in der Trauer um den grausamen Tod Jesu und der Verzweiflung der Frauen und Männer, die Jesus nachfolgten, keimt neue Hoffnung.

 

Der Evangelist kann sich das gar nicht anders vorstellen als wie durch ein großes Erdbeben.

Anders kann die festgefügte Überzeugung „Tot ist tot!“ nicht erschüttert werden. Ja, er sieht sogar Wachen vor dem Grab stehen, schwer bewaffnet. Da ist nach menschlichem Ermessen kein Durchkommen.

 

Jetzt liegen die Wachen da, als wären sie tot. Deutlicher kann man die österliche Wachablösung nicht beschreiben. Schlagartig – wie durch einen Blitz, der plötzlich nicht nur einen kleinen Ausschnitt sondern die ganze Szenerie erhellt – wird klar: „Es ist nicht so, wie wir immer gedacht hat haben. Gott ist größer. Er hält die ganze Welt in seiner Hand.“ Was muss das für ein Schock für die Frauen gewesen sein. „Das Grab leer, nicht einmal in unser Trauer lassen sie uns in Ruhe.“

Und so halten sich Furcht und Freude die Waage – das berichten alle Evangelisten. Können Sie ihren Augen trauen? Können wir ihren Augen trauen?

Es muss eine gewaltige Erschütterung gewesen sein, die die Jünger aus ihrer Resignation reißt und ihre Scham überwinden lässt. Waren sie nicht alle davongelaufen, als es ernst wurde? Hatten sie Jesus nicht im Stich gelassen? Wer war denn bei ihm geblieben in der Stunde der Not? „Ich kenne den Menschen nicht.“ (Mt 26, 74) hatte Petrus, der Standhafte, der Fels, sich herausgeredet.

 

Ostern – das ist ein Stimmungsumschwung, wie wir ihn uns größer nicht vorstellen können. Verbunden mit einem Zuspruch, der es den von Jesus Begeisterten möglich macht, die Vergangenheit – also all das, was sie mit Jesus erlebt hatten – in ihr Leben zu integrieren. Sogar Jesu Tod.

 

Dabei war alles, woran sie geglaubt hatten, zerplatzt wie ein Traum: Jesus, hingerichtet wie ein Verbrecher: „Willkommen in der Realität dieser Welt, in der oben oben und unten unten ist. Was habt ihr denn gedacht? Dass die Mächtigen freiwillig das Feld räumen? Dass Jesus sie überwindet, besiegt?“

 

Irgendetwas reißt die Freunde Jesu aus ihrer Schockstarre, führt sie heraus aus ihrer Depression. Auch aus Gefühlen der Schuld und des Versagens. Irgendjemand, der ihnen sagt: „Gottes Liebe ist größer als eure Schuld. Werft euer Vertrauen nicht weg. Schöpft neue Kraft aus dem, was Jesus euch gelehrt hat. Ihr sollt sein Werk fortsetzen!“

 

Wie konnte das geschehen?

Wir wissen es nicht. Können es uns auch nicht wirklich vorstellen. Auch die biblischen Berichte sind ja alles andere als einheitlich und klar.

Aber klar ist: „Jesus ist auferstanden von den Toten.“ So sagen es die Frauen. Maria Magdalena[i] und eine andere mit Namen Maria. Da sind sich alle Evangelisten einig.

 

Diese beiden Frauen sind es, die den entscheidenden Anstoß gaben, die die Kehrtwende einleiteten. Sie sind es, die den Jüngern den Weg weisen. Nach Galiläa!

 

Nicht in Jerusalem, wo sie (die Jünger) die entscheidende Wende, das Eingreifen Gottes erwarteten und stattdessen den Zusammenbruch all ihrer hochgesteckten Erwartungen erlebten. Sondern in der Provinz. Dort, wo sie herkamen. Dort soll es weitergehen. „Dort werdet ihr Jesus begegnen!“ so sagen die Frauen, Maria Magdalena und die anderen.

 

 

Liebe Gemeinde,

 

die Ostergeschichte vom leeren Grab, die Matthäus erzählt, hat spektakuläre Züge. Und doch verweist sie uns zurück in unser eigenes Leben. Im Naheliegenden will Gott uns nahe sein. Nicht in irgendwelchen rosigen Zukunftsträumen, sondern in der Gegenwart.

 

Sie dürfen nicht alles glauben, was sie denken.“ bemerkte der Komiker Heinz Erhardt.

 

Manchmal spielen uns unsere Gedanken einen Streich. Manchmal fallen wir unserem Größenwahn zum Opfer. Und den daraus resultierenden Enttäuschungen. Nein, wir müssen nicht alles glauben, was wir denken.

 

Ostern – das ist die Gegenwart Gottes. Nicht die Hoffnung auf die ferne Lösung all unserer Probleme. Nicht der Traum vom machtvollen Eingreifen irgendwann, indem Gott der Gewalt Einhalt gebietet und unsere Gedankenlosigkeit im Umgang mit den Ressourcen dieser Erde bestraft.

 

Ostern – das ist die Gegenwart Gottes in unserem Leben. Im Tun dessen, was Jesus die Seinen gelehrt hat: „Ihr seid das Salz der Erde! Ihr seid das Licht der Welt!“ (Mt 5, 13-16)

 

Wo wir das glauben, verwandelt sich die Welt. Wo wir das glauben, hat der Tod seine Macht verloren. Menschen stehen zusammen wie in Stockholm im Erschrecken und in der Trauer über die Opfer eines feigen Anschlags, aber entschlossen, sich durch solche Angriffe nicht abbringen zu lassen vom Weg des Menschlichen. Menschen gedenken im Gebet der Christinnen und Christen in Ägypten in der Hoffnung, dass diese sich nicht einschüchtern lassen, sondern dass sie weiter der Botschaft der Liebe Gottes vertrauen und danach leben.

 

Wir wissen nicht, wann die blutigen Konflikte dieser Welt an ein Ende kommen. Aber wir hören nicht auf daran zu glauben, dass die Assads dieser Welt am Ende überwunden werden und sich bekehren. Wie wir selbst. Wie unsere Zweifel.

 

Maria Magdalena und die andere Maria haben es uns vorgemacht, haben auf die Stimme Gottes gehört. Die Jünger sind ihnen gefolgt. Und wir können es auch. Heute. Immer. „Halleluja! – Gelobt sei Gott.“

Amen.

 

[i] Mt 28,1 – Textfassung nach der Lutherbibel 2017

 

 

[1] Das Zitat stammt von Heinz Erhardt.

Ich habe in meinen Osterpredigten im Ratzeburger Dom bisher immer an die Tradition des Osterlachens angeknüpft und meine Predigt mit einer amüsanten Anekdote oder einem Witz begonnen.

Möglicherweise füge ich am 16. April noch ein oder zwei weitere Witze ein, z. B. die kleine Geschichte vom Krankenbesuch eines Pastors:

Um einen Patienten ein wenig aufzuheitern, schenkte ein junger Pastor ihm anlässlich eines Krankenbesuchs einen Bildband mit Zeichnungen von Wilhelm Busch. Die kleinen Geschichten um Max und Moritz und um Hans Huckebein, den Unglücksraben, die sollten doch geeignet sein, trübe Gedanken zu vertreiben.

Als er den älteren Mann nach einigen Tagen erneut besucht, fragt er, wie ihm das Buch gefallen habe. „Jo,“ sagt der Mann, „dat schon. Wenn ich nicht wust haar, dat düss dat Word Gottes ist, dann haar ick jo meist lachen künn.“ („Ja, das schon. Wenn ich nicht gewusst hätte, dass dies das Wort Gottes ist, dann hätte ich darüber lachen können.“)

Oder – Stichwort „Lutherbibel 2017“:

Ein junger Mann mit einem Sprachfehler hatte sich in den Kopf gesetzt, Bibeln an der Haustür zu verkaufen. Die Deutsche Bibelgesellschaft hat große Zweifel. Aber auf Kommissionsbasis kann man ihm ja einige Bibeln überlassen, denkt sich der Oberkirchenrat. Schon bald ist dieser Mann der beste Verkäufer. Wie macht er das bloß? Man beschließt, ihm einen Begleiter zur Seite zu stellen.

Der junge Mann klingelt, die Haustür wird geöffnet, da beginnt er sein Sprüchlein auf zu sagen: "Wwwoll'n ssse' 'ne Bbbibel kkkaufen oder sssoll ich ssse vvvorlesen?"

 



Dompropst Gert-Axel Reuss
Ratzeburg
E-Mail: gertaxel.reuss@ratzeburgerdom.de

Bemerkung:
Predigttext: Mt 28, 1-10 – Ich schlage vor, den Text als Evangelium des Gottesdienstes zu lesen.


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