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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Ostersonntag , 16.04.2017

Aufbruch
Predigt zu Matthäus 28:1-10, verfasst von Eberhard Busch

In diesen Tagen brechen wieder die Ostermarschierer in vielen Orten zu Demonstrationen auf. An Ostern spüren auch die, denen dieses Fest sonst wenig sagt, es sei an der Zeit, ein Zeichen für Frieden in der Welt zu setzen. Wir wollen diesen Marschierern wünschen, dass ihre Plakate mit der Friedenstaube ernst genommen werden. Ihr Ruf gegen Rüstungsexporte und für zivile Lösungen von Konflikten, statt kriegerischen, muss gehört werden. Auch Papst Franziskus hat die Parole ausgegeben: „Wir wollen Männer und Frauen des Friedens sein, wir wollen, dass in dieser unserer Gesellschaft, die von Spaltungen und Konflikten durchzogen wird, der Friede ausbreche! Nie wieder Krieg!“ Denn „der Einsatz von Gewalt führt niemals zum Frieden. Gewalt bringt Gewalt hervor!“ Nützen denn alle diese Rufe gar nichts? Man kann wohl daran verzweifeln, wie Menschen in unserer Zeiten immer raffiniertere Tötungsmaschinen konstruieren und unter Einsatz von immer mehr Geld bauen und dann auch einsetzen – mit dem Ergebnis eines Meers von Blut und Tränen. Ist denn aller Widerspruch dagegen vergebens?

Unser Predigttext beim Evangelisten Matthäus zum heutigen Ostersonntag redet auch von einem Ostermarsch, von einem Ostermarsch sondergleichen. Hören wir uns die Verse der Reihe nach näher an! Da wollen zwei Frauen tun, was man nach einem Begräbnis zu tun pflegt. Sie, die Maria Magdalena und eine andere Maria, wollen das Grab aufsuchen, in dem man Jesus bestattet hat. Sie wären froh, er wäre nicht gestorben. Sie haben ihn ja geliebt. Nun müssen sie sich damit abfinden, dass er ihnen genommen ist. Sie wollen ihn in Ehren halten. Aber sie müssen jetzt lernen, ohne ihn auszukommen, meinen sie.

Und da sind noch andere Leute dort, Grabwächter, die sich alle Mühe geben, sein Grab zu bewachen. Sie wollen aller Welt beweisen, dass auch er, gerade er, Jesus, in unserem Leben, ja, in der Weltgeschichte nichts mehr zu sagen hat. Daher haben sie ein Auge darauf, dass es mit ihm nach seinem Tod jetzt aus und vorbei ist. Aber anscheinend sind sie nicht so ganz sicher, dass er jetzt tatsächlich weg ist. Sie passen darum auf, dass er sich ja nicht noch einmal zu Wort meldet.

Doch beide, jene Frauen und diese Grabwächter, sind darin vereint, ob man es bedauert oder begrüßt: Wer weg vom Fenster ist, der ist eben weg. Wer abgetreten ist, der kommt nicht wieder. So manche haben ihn seither behandelt als eine vergangene Gestalt einer vergangenen Zeit und Welt. Sie haben gemeint, dass er überhaupt vergessen wäre, wenn sie nicht da wären und einige Brocken aus seinen Worten und Taten herauspicken würden, die ihnen zusagen. Sie hüten das Gedenken an ihn, aber so wie jene zwei Frauen oder so wie jene Grabhüter einst auf den Friedhof in Jerusalem. So oder so, sie suchen ihn bei den Toten. Sie halten ihn für einen, der einmal seine Zeit hatte, aber sie dann gehabt hat. Da ist eine große Hoffnung begraben oder ein nicht ungefährlicher Gernegroß, wie man’s nimmt. Leider oder hoffentlich ist er keiner mehr unter den Lebenden.

Jetzt verstehen wir das Erschrecken der Frauen wie das der Grabeshüter, ja, das Erdbeben, das den Erdboden wackeln lässt und das den Friedhof-Besuchern in die Knochen fährt. Denn an dieser Stätte des Todes, über den Gräbern des Gewesenen wird verkündigt: Der, den ihr sucht, er ist nicht hier. Wer ihn hier sucht, wird ihn nicht finden. Die Gestorbenen und Ehemaligen mögen hier ruhen. Aber wer Jesus unter den Toten sucht, wer ihn den bloß Einstigen zuordnet, dem sei es gesagt, du bist auf einer falschen Fährte. Wer ihn als einen Ewig-Gestrigen versteht, wird ihn niemals verstehen. Er ist eben nicht einer, der allenfalls in unserer Erinnerung lebt, während er sonst längst begraben ist. Nein, „Er ist nicht hier“, sagt der Gottesbote auf jenem Friedhof. Ja, aber wo ist er denn? „Was sucht ihr den Lebendigen bei den Toten?“, wie es bei Lukas heißt. Er ist von dem Nullpunkt, an dem wir alle einmal enden, aufgebrochen – nicht zurück in das alte Leben, auch nicht zu einer Fortsetzung des Früheren. Er ist aufgebrochen in ein neues Leben, aufgebrochen zu einem neuen Anfang, zu einem Ostermarsch sondergleichen.

Und verstehen wir es nur recht: Es geht hier nicht um die Vertröstung auf ein Jenseits. Es geht um einen neuen Anfang im Diesseits, um ein neues Leben jetzt und hier. Jüngst ist der Berner Dichterpfarrer Kurt Marti verstorben. Es ist angebracht, gerade an Ostern seiner zu gedenken, und zwar anhand des von ihm verfassten Osterlieds, das im Evangelischen Gesangbuch der Schweiz steht. Mit diesen Worten redet er zu uns, obschon er gestorben ist:

Das könnte den Herren der Welt ja so passen,

wenn erst nach dem Tode Gerechtigkeit käme,

erst dann die Herrschaft der Herren,

erst dann die Knechtschaft der Knechte

vergessen wäre für immer,

vergessen wäre für immer.“

Das Lied sagt uns, was mit dem österlichen Aufbruch Jesu los ist. Jene Grabwächter im Dienst solcher Herren sind auf einmal ihrerseits wie tot, liegen da wie zu Grabe getragen. Die Herrschaft der Herren, ihre Herrschaft über die Unterdrückten, die Herrschaft der Ungerechtigkeit ist gleichsam über den Füßen abgesägt. Es geht um den Anbruch einer neuen Ordnung, in der geschieht, was schon die Mutter Jesu im Ausblick auf die Geburt ihres Sohnes tapfer gesungen hat: „Er stößt die Gewaltigen vom Stuhl und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und die Reichen lässt er leer ausgehen“ (Lk. 1,52f.). Dafür ist Jesus mit seinem Leben eingestanden, bis zu seinem Tod am Kreuz.

Um in den Gesang auf diese Melodie mit einzustimmen, dazu ist er am Ostertag auferstanden. Seither ist er unterwegs, unterwegs, um das neue Leben nach dieser Melodie in Umlauf zu bringen. „Friede sei mit euch“, ist dabei sein Gruß, an dem er zu erkennen ist. Und er ist nicht allein unterwegs. Er beruft sich Männer und Frauen, Junge und Alte, die mit ihm gehen. Er zieht auch uns heran, um mit ihm aufzubrechen.

Zuerst sind es die beiden Frauen, die den Lebendigen bei den Toten suchten und die es nun besser wissen, Frauen, die allzu oft hierzulande und in der ganzen Weltgeschichte zurückstehen mussten und müssen, sie sind zuerst aufgestanden. Und ihnen wird es zuerst gesagt von dem himmlischen Gesandten: „Er ist auferstanden.“ Und was machen sie mit der Frohbotschaft? Begraben sie die im Safe ihres Herzens? Nein, kaum ist ihnen das gesagt, schon heißt es für sie, sich auf den Weg zu machen. „Geht eilend hin und sagt es seinen Jüngern, dass er auferstanden sei.“ (V7) Sie sind nun selber auch Gesandte, in den Fußstapfen jenes himmlischen Gesandten, die ersten Verkündigerinnen des Auferstandenen. Johannes Calvin bemerkt dazu: „Haben wir es nicht auch heute vor Augen, wie Gott täglich wirkt durch das Zeugnis von Frauen?!“

Die Männer sind ihnen nachgeordnet. Aber sie kommen auch noch dran, diese Brüder, sie, die eher jenen unsicheren Grabhütern ähneln. Eben zu ihnen sind diese Frauen gesandt. Was sollen sie ihnen mitteilen? Dasselbe, was auch ihnen gesagt worden ist: „Es ist erstanden Jesus Christ, der an dem Kreuz gestorben ist.“ Und das mögen sie nicht nur zur Kenntnis nehmen, sondern das soll auch sie auf Trapp bringen. Auch sie sind gerufen, aufzubrechen – dem österlichen Jesus nach, in seiner Nachfolge. Wenn wir bei dem Bericht des Matthäus weiterlesen, stoßen wir auf die weltbewegenden Worte Jesu zu jenen Frauen und Männern: „Geht hin in alle Welt und lehret alle Völker, und lehret sie halten alles, was ich euch gelehrt habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ (V19f) Er ist mit dabei und geht uns voraus und führt uns über unsern begrenzten Horizont hinaus.

Den Dichter Novalis hat dies ergriffen, so dass er schrieb, dass das gleichsam so etwas wie einen Stafettenlauf auslöst, quer durch alle Zeiten und alle Länder, von Nachbar zu Nachbar, vom Bekannten zum Fremden, von Freund zum Feind : „Ich sag es jedem, dass er lebt ... Ich sag es jedem, jeder sagt es seinen Freunden gleich, dass bald an allen Orten tagt, das neue Himmelreich ...“ Es geht dabei auch um Worte, aber nicht bloß um Worte. Es gibt einen Punkt, an dem genug geredet ist. Es geht auch um Taten, getan von uns Menschen, die in der Nachfolge Jesu Traurige trösten, Niedergeschlagenen auf die Beine helfen, Menschen, die Verzagten Mut einflößen, Menschen, die dem Unfug widerstehen und die in Opposition stehen gegen das, was ihre Mitmenschen erniedrigt und beleidigt.

Davon redet Kurt Marti im letzten Vers seines Liedes, aus dem vorhin zitiert wurde:

Doch ist der Befreier vom Tod auferstanden,

ist schon auferstanden und ruft uns jetzt alle

zur Auferstehung auf Erden,

zum Aufstand gegen die Herren,

die mit dem Tod uns regieren,

die mit dem Tod uns regieren.

Aber widerspricht sich das nicht: solcher Aufstand gegen diese Herren und der Satz vom Frieden, den wir zu Anfang hörten, denn Gewalt bringe immer nur Gewalt hervor? Ach, wir müssen hier um Himmels willen keinen Gegensatz vermuten. Wenn Jesus am Ostertag aufbricht und jene Frauen und dann auch diese Männer ebenfalls aufbrechen, hinter ihrem Meister her, dann geht es ja nicht um eine Rückkehr in das alte Leben und nicht um einen Frieden mit dem Unrecht. Es geht um einen Aufstand gegen das Unerträgliche in dem alten Leben. Es geht um einen Aufbruch zu einem Neuanfang, zu einer neuen Ordnung nach der Devise des Apostels Paulus: „Überwinde das Böse mit Gutem“ (Röm 12,21)! Ja, das Böse, Ungerechte und Falsche muss verschwinden, es kann nicht gutgeheißen, der Herrschaft mit dem Tod muss widerstanden werden, aber nicht mit gleichen Mitteln, sondern mit Gutem, mit Güte, mit Erbarmen, mit lustigen Einfällen.

Wir haben von Fall zu Fall, im Kleinen wie im Großen zu überlegen, wie wir dabei vorzugehen haben. Warum nicht so wie der Freiheitskämpfer Nelson Mandela in Südafrika, der zur Überwindung des Rassenhasses die Parole ausgab: „Auch mit einer Umarmung kann man einen Gegner bewegungsunfähig machen“? Oder so wie Martin Luther King in den USA, der gegen die widerwärtige Unterdrückung der Farbigen Anleitung gab zu einem mutigen „Kampf ohne Hass“? Man kann damit Politik machen. Man kann damit etwas hoffnungsvoll in Bewegung setzen. Beten wir zu Gott, dass er uns Einfälle gebe zu einem gesegneten Ostermarsch, Einfälle zu einem Aufstand gegen das scheinbar Unabänderliche, Einfälle für einen österlichen Aufbruch zu einer Überwindung des Bösen mit Gutem!



Prof.Dr. Eberhard Busch
Friedland
E-Mail: ebusch@gwdg.de

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