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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Ostermontag, 17.04.2017

Die Dauer des Glaubens
Predigt zu Lukas 24:36-45, verfasst von Matthias Wolfes

„Da sie aber davon redeten, trat er selbst, Jesus, mitten unter sie und sprach: Friede sei mit euch! Sie erschraken aber und fürchteten sich, meinten, sie sähen einen Geist. Und er sprach zu ihnen: Was seid ihr so erschrocken, und warum kommen solche Gedanken in euer Herz? Sehet meine Hände und meine Füße: ich bin’s selber. Fühlet mich an und sehet; denn ein Geist hat nicht Fleisch und Bein, wie ihr sehet, daß ich habe. Und da er das sagte, zeigte er ihnen Hände und Füße. Da sie aber noch nicht glaubten, vor Freuden und sich verwunderten, sprach er zu ihnen: Habt ihr etwas zu essen? Und sie legten ihm vor ein Stück von gebratenem Fisch. Und er nahm’s und aß vor ihnen. Er sprach aber zu ihnen: Das sind die Reden, die ich zu euch sagte, da ich noch bei euch war; denn es muß alles erfüllet werden, was von mir geschrieben ist im Gesetz Mose’s, in den Propheten und in den Psalmen. Da öffnete er ihnen das Verständnis, daß sie die Schrift verstanden, [...].“

 

Liebe Gemeinde,

hat der Glaube es nötig, „bewiesen“ zu werden? Sind wir darauf angewiesen, daß sich handgreifliche Bestätigungen für das beibringen lassen, was wir für wahr halten?

Die Erzählung aus der Schlußpassage des Lukasevangeliums scheint das vorauszusetzen. In ihr geht es um die Erscheinung des Auferstandenen vor der am Osterabend in Jerusalem versammelten Jüngergemeinde. Was nützen, heißt es, alle „Reden, die ich zu euch sagte“, wenn nicht am Ende dann doch in „Fleisch und Bein“ erwiesen ist, daß wirklich gilt, was dort nur in Worten behauptet worden ist. „Sehet meine Hände und meine Füße: ich bin’s selber.“ Es muß eben doch der Beweis auf den Tisch, sonst geht alles Glauben fehl und ist nicht mehr als eine Schimäre. Unbezweifelbarkeit scheint hier das Ideal. Wahr ist nur das, woran ein Zweifel vernünftigerweise nicht möglich ist. „Kein Zweifel“ heißt: Kein Zwiespalt zwischen Wirklich und Wahr.

Doch was sind das für untaugliche Kriterien? Ist die Wahrheit des Glaubens so beschaffen? Nein – sie ist es nicht, und zwar ganz und gar nicht. Mir scheint, daß wir es hier mit einer sehr schwerwiegenden Verirrung zu tun haben. Der Evangelist gibt mit seiner Erzählung einem Bedürfnis nach, das zwar vielleicht verständlich ist, das aber dem Wesen des Glaubens vollkommen widerspricht. Die Sehnsucht nach dem Beweis, nach dem Erweis der Unbezweifelbarkeit ist überhaupt die übelste Verirrung, derer sich der Glaube schuldig machen kann. Ein Glaube, der dieser Bestätigung bedarf, verdient den Namen nicht. Ein Glaube, der ihrer bedarf, ist Aberglaube.

 

I.

Denn der Aberglaube ist ein Führwahrhalten, das sich auf äußere Sachverhalte stützt. Wie alles Magische ist er davon abhängig, daß diese Sachverhalte bestehen. Fallen sie hin, dann fällt auch das Führwahrhalten. Der Glaube aber, so wie wir ihn verstehen, ist völlig anders. Er hat seine Gewißheit in sich. Er bedarf keiner anderen Wirklichkeiten als der Wirklichkeit Gottes.

Die leibliche Erscheinung des Herrn, in „Fleisch und Bein“, ist nicht die Säule, auf der er ruht. Ebenso wenig ist es die Leerheit des Grabes. Hierbei handelt es sich um Aspekte, die in der Erzählung vom Leben und Wirken Jesu hinzugekommen sind. Nur aufgrund der Unzulänglichkeit des menschlichen Auffassens haben sie das Gewicht erhalten, das ihnen nun in der Tradition der Evangelienerzählung zukommt. Mit der Wahrheit und dem Gewicht des christlichen Glaubens aber haben sie nichts zu tun.

Was also sollen wir mit dem Geschehen anfangen, das uns Lukas berichtet? Es einfach beiseite zu stellen, als Ausdruck einer überlieferungsbedingten Peinlichkeit, geht meines Erachtens nicht an. Denn es ist nun einmal Teil unserer Überlieferung, und dieser Überlieferung gegenüber verhalten wir uns anders. Wir stehen in einer Verantwortung für sie, und mit allem, was wir selbst vorzubringen haben, müssen wir uns vor ihr verantworten.

 

II.

Sehen wir die Erzählung von der Erscheinung des Auferstandenen noch einmal genauer an. Zunächst einmal wird ja nur gesagt, daß die versammelten Jünger die Person, die da vor sie hintritt, nicht als Jesus erkennen. Von ihm müssen sie ja annehmen, daß er tot sei, und in der Tat ist das Auftreten eines Verstorbenen, zumal mit der Fähigkeit zu essen, ungewöhnlich genug. Daß sie erschrecken, kann man gut verstehen.

Es geht also gar nicht um die richtige Auffassung dessen, was Jesus seinen Anhängern in den vorangegangenen Reden mitgeteilt hat. Es geht nicht um eine abschließende, nunmehr erst vollständige Einsicht in deren Sinn. Es geht vielmehr darum, zu erkennen, daß mit dem Tod sein Werk nicht untergegangen, sein Wirken nicht vergeblich gewesen ist. Es geht um die Dauer; darum, daß der Glaube sich von Zeit und Vergehen gelöst hat.

Der Glaube ist nicht an die Zeit gebunden. Wohl unterliegt auch er dem Werden, denn auch er wird, er entsteht und entwickelt sich. Der Glaube ist Teil des Lebens. Das Leben aber entwickelt sich, es ist ein Prozeß, und ebenso entwickelt sich auch der Glaube. Die erfahrene Einsicht kann die gleiche bleiben, aber, wie sie sich ausspricht, kann es nicht.

 

III.

Erst in der Dauer erfüllt sich der Glaube. Auch darin ist er der schiere Gegensatz zum Aberglauben. Glaube bedeutet Festhalten. Er ist das Festhalten in der Gewißheit. Das kommt in der Erzählung mit den Worten zum Ausdruck, daß „alles erfüllet werden“ müsse, „was von mir geschrieben ist im Gesetz Mose’s, in den Propheten und in den Psalmen“.

Ebenso hatte es schon in der unmittelbar vorangehenden Erzählung, der Begegnung zweier Jünger mit dem Auferstandenen auf dem Weg nach Emmaus, geheißen: „Begreift ihr denn nicht? Wie schwer fällt es euch, alles zu glauben, was die Propheten geredet haben! Mußte nicht der Messias solches leiden und zu seiner Herrlichkeit eingehen? Und er fing an von Mose und allen Propheten und legte ihnen alle Schriften aus, die von ihm gesagt waren“ (Lk 24, 25-27 mit Bezug auf 5. Mose 18, 15; Psalm 22, 1 und Jesaja 53, 1). Die „Erfüllung“ ist hier Erfüllung in sich. So wie der Glaube Festhalten bedeutet, bedeutet Erfüllung Bestätigung.

Dies ist es, was wir aus der skurrilen Erzählung des Lukas mitnehmen können: Auch das heutige Osterfest ist wieder ein Moment der Bestätigung. Wir wissen uns auf dem Weg. Wir wissen nicht, wohin er uns im einzelnen führen wird. Nicht einmal, was im nächsten Augenblick geschehen wird, ist in letzter Konsequenz in unsere Hand gegeben. Aber wir kennen die Richtung. Wir fühlen uns geleitet, das ist das Wesen und der Inhalt des Glaubens. Daran halten wir fest. Dieses Festhalten ist die Dauer des Glaubens. Und darin ist auch uns das Verständnis eröffnet, daß wir die Schrift verstehen.

Amen.

 

 

Herangezogene Literatur:

Gerhard Schneider: Das Evangelium nach Lukas. Kapitel 11 – 24 (Ökumenischer Taschenbuch-Kommentar zum Neuen Testament. Band 3/2), Gütersloh und Würzburg 1977.

 



Pfarrer Dr. Dr. Matthias Wolfes
Berlin
E-Mail: wolfes@zedat.fu-berlin.de

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