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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Jubilate, 07.05.2017

Mehr als ein Wechselbad der Gefühle.
Predigt zu Johannes 16:16-23a, verfasst von Stefan Knobloch

Das Evangelium des Sonntags Jubilate stellt so etwas wie einen Wechsel von warmer zu kalter Dusche, richtiger gesagt, von kalter zu warmer Dusche dar. Um den Text zuerst einzuordnen: Er begegnet im Johannesevangelium zwischen Jesu Abschiedsmahl und seiner Hinrichtung am Kreuz, die im Johannesevangelium Züge einer Erhöhung Jesu, seiner Erhöhung zum Vater angenommen hat. Deshalb lautet ein Satz aus dem Munde Jesu: Ich gehe zum Vater (Joh 16,17).

 

Das Rätsel einer kurzen Zeitspanne

Ich gehe zum Vater. Diesen Satz hören seine Jünger offenbar gar nicht mehr. Sie hören aus dem Munde Jesu etwas von einer knappen Zeitspanne, die noch verbleibe, und dann würden sie Jesus nicht mehr sehen. Und wieder eine knappe Zeitspanne, und sie würden ihn wieder sehen. Diese merkwürdigen Andeutungen fallen den Jüngern ins Herz. Was meint ihr Meister damit? Warum spricht er in solchen Rätseln? Sie würden ihn nicht mehr sehen, und dann würden sie ihn wiedersehen? Was meint das? Was will der Meister damit sagen? Sie konnten sich keinen Reim darauf machen.

 

Jesus nimmt ihre Irritation wahr, wie sie hin und her rätseln. Er ergreift mit seiner ganzen Autorität das Wort: Amen, amen, ich sage euch. Das bedeutet, jetzt kommt etwas, das Gewicht hat: Euch wird das heulende Elend überkommen, ihr werdet nicht mehr wissen, wo euch der Kopf steht, ihr werdet am liebsten Klagelieder anstimmen. Und zugleich wird die Welt, in der ihr lebt, innerlich voller Freude sein, am liebsten wird sie tanzen wollen. Ihr werdet eurer Trübsal anhangen, ihr werdet euch in ihr wie gefangen fühlen, und dabei besteht aller Anlass zur Freude. Eure Situation ist die einer Gebärenden, deren Stunde gekommen ist. Sie quält sich in ihrer Not, in ihren abgrundtiefen Wehen und Schmerzen ab. Und ist das Kind da, ist alles nur noch Freude. Das Johannesevangelium bietet das als Bild an, das besagen will, dass die Geburtswehen durchwirkt sind und in Besitz genommen sind von der Freude über das neue Leben, das auf die Welt gebracht wird.

 

Ihr Jünger seid jetzt bekümmert, ihr fühlt euch schlecht, desorientiert. Allein deshalb, weil ich davon gesprochen habe, dass ihr mich bald nicht mehr sehen werdet. Ja, das trifft zu, aber es wird bald von der Tatsache überstrahlt sein, dass ich euch wiedersehen werde. In diesem Wiedersehen werdet ihr mich neu erfahren. Anders als bisher. Anders als ihr bisher mit mir verkehrt seid. Ihr werdet erkennen, so drückt das das Johannesevangelium aus, dass ich im Vater bin, und ihr in mir seid und ich in euch bin (Joh 14,20). Dann wird euer Herz voller Freude sein, und die wird bleiben. Die wird euch keiner mehr nehmen können. An jenem Tag werdet ihr mich auch nicht mehr fragen, wie das mit dem nicht-mehr-Sehen und dem Wiedersehen zu verstehen ist. Ihr habt dann mein Wiedersehen erfahren und werdet voller Freude sein.

 

Wann kommt es zu diesem Wiedersehen?

Von welchem Wiedersehen spricht da das Johannesevangelium? Von einem Wiedersehen, das noch über unermessliche Zeiträume hinweg aussteht? Das erst am Ende der Tage kommt? Nein, es spricht vom Wiedersehen des Auferstandenen. Es spricht von der österlichen Erfahrung, dass er lebt: Ich in euch und ihr in mir.

 

Eine „gebrochene“, aber wahre Antwort

Das hört sich für uns so geschönt an, so als könne das ja eigentlich gar nicht sein. Das ist ja auch nicht schon die ganze Antwort, es ist eine irgendwie „gebrochene Antwort“. In ihr schwingt nämlich nicht nur bei den Jüngern, sondern offensichtlich auch bei uns beides mit: die Trübsal des Lebens, die bitteren Sorgen, die wir uns heute um unser Leben, um den Frieden, um die Zukunft und vieles andere mehr machen und unsere hintergründig tastende Hoffnung, unser hintergründig tastender Glaube, dass unser Leben, wie damals das Leben der Jünger, von der hintergründigen Gegenwart des Auferstandenen durchwirkt ist. Auch wenn wir sie nie mit den Händen zu greifen bekommen (wie sie damals auch die Jünger nie wirklich zu greifen bekamen), auch wenn wir sie verstandesmäßig, bewusstseinsmäßig nie zu erfassen vermögen: Wir beziehen uns entweder glaubend oder unbewusst auf sie, indem wir in unser Leben ein grundständiges Vertrauen setzen, indem wir ihm vertrauen, ohne das letztlich begründen zu können. Wir vertrauen dem Leben, bei allem, was im Leben daneben geht, was misslingt und misslungen ist, was nie mehr wiedergutzumachen ist, wessen wir uns aus dem Abstand der Jahre vielleicht schämen. Indem wir so reagieren, berühren wir – glaubend oder ahnend oder unbewusst – die Wirklichkeit des Auferstandenen. Solange wir unserem Leben vertrauen, greifen wir darin faktisch zurück und stützen wir uns darin auf die Wirklichkeit des Auferstandenen, auf den, der unser Leben mitträgt und der zu Punkten unseres Leben Ja sagt, derer wir uns schämen, die wir am liebsten ungeschehen machen würden.

 

Nicht eine Frage des Bewusstseins, sondern des Seins

Ihr seid betrübt, sagt das Johannesevangelium, und dabei ist die Welt doch voller Freude. Diesen Satz dürfen wir nicht missverstehen. Er meint nicht, gläubige Menschen quälten sich mühsam um Rechtschaffenheit ab, sie ließen die Köpfe hängen, die „böse Welt“ aber lasse es sich gutgehen. Nein, aus dieser Deutung spräche nicht der Glaube an den Auferstandenen. Denn der Auferstandene ist in der Welt, so nah, dass das Johannesevangelium, wie gehört, sagen kann: Ihr seid in mir und ich bin in euch. Und das ist weniger eine Frage unseres Bewusstseins, es ist eine Frage unseres Seins. Nicht wir erzeugen aufgrund unseres Glaubens die Gegenwart des Auferstandenen, sondern es ist seine uns geschenkte Gegenwart. Wir holen an diesem Punkt, wie oft in unserem Leben auch sonst, unser Sein und die Wirklichkeit unseres Lebens bewusstseinsmäßig und auch gefühlsmäßig nicht ein. Wir machen bewusstseinsmäßig und gefühlsmäßig unser Leben oft an falschen Ankern fest.

 

Dabei greifen unsere Wünsche, unsere Bedürfnisse, unsere Sehnsüchte nach mehr aus, nämlich nach der Wirklichkeit, die uns im Auferstandenen unerkannt entgegenkommt.

 

Das Bild der Gebärenden, das das Evangelium gebraucht, will sagen, dass sich in unserem Leben mehr abspielt, dass es mit ihm mehr auf sich hat, als wir vordergründig im Auf und Ab des Alltags wahrnehmen. Was sich wie schmerzhafte Wehen ohne Ende ausnimmt, trägt schon das Leben aus, es trägt den höchsten Wert aus, den es gibt: das Leben.

 

Jubilate, jubelt! Unter diesem Motto steht der heutige Sonntag. Wir jubeln nicht und blenden dabei die Härte, die Herausforderungen des Lebens aus. Wir lügen uns aber auch nicht in die Tasche, wir verbreiten keine Fake-News, keine falschen und inhaltslosen Botschaften über das Leben. Wir tasten auf dem Boden der christlichen Botschaft von der Auferstehung nach dem letzten Grund unseres Lebens, der uns Halt, Zuversicht, Angenommen sein gewährt: der Auferstandene. Der mitten in unser Leben hinein auferstanden ist. Der von sich sagt, was uns irritieren kann, worüber es sich nachzudenken lohnt, ja, wo hinein wir uns einfühlen können: Ich bin in euch, ihr seid in mir.



Pro.em. Stefan Knobloch
Passau
E-Mail: dr.stefan.knobloch@t-online.de

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