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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Jubilate, 07.05.2017

Freude im Leiden
Predigt zu Johannes 16:16-23a, verfasst von Rainer Kopisch

Liebe Gemeinde,

 

der Evangelist Johannes schildert von Kapitel 13, Vers 31 an, wie Jesus nach dem Weggang des Judas, der ihn verraten wird, seinen Jüngern in eindringlichen Worten all das sagt, was sie wissen müssen. Die Abschiedsreden, die Johannes hier bis zum Ende des sechzehnten Kapitels aufgeschrieben hat, können auch zum Vermächtnis an uns Nachfahren der letzten Jünger Jesu werden, wenn wir sie achtsam lesen oder hören.

 

Hört heute, am Sonntag Jubilate die Verse 16 bis 23a aus dem sechzehnten Kapitel:

Da spricht Jesus zu seinen Jüngern:
16. Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen;

und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen.

17. da sprachen einige seiner Jünger untereinander: was bedeutet das, was er zu uns sagt: noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen; und: ich gehe zum Vater?

18. da sprachen sie: was bedeutet das, was er sagt: noch eine kleine Weile? Wir wissen nicht, was er redet.

19. da merkte Jesus, dass sie ihn fragen wollten, und sprach zu ihnen: danach fragt ihr euch untereinander, dass ich gesagt habe: noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen?

20. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet weinen und klagen, aber die Welt wird sich freuen; hier werde traurig sein, doch eure Traurigkeit soll in Freude verwandelt werden.

21. Eine Frau, wenn sie gebiert, so hat sie Schmerzen, denn ihre Stunde ist gekommen. Wenn Sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst um der Freude willen, dass ein Mensch zur Welt gekommen ist.

22. Und auch ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wieder sehen,

und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen.

23a. An dem Tag werdet ihr mich nichts fragen.


Liebe Gemeinde, es geht hier um mehr als die Frage von Abschiednehmen und Trauern.

Es geht um den Glauben an Jesus als den Gesandten Gottes, an den Gottessohn
und letztlich um den Glauben an Gott, als den Vater,
so wie ihn Jesus seinen Jüngern vermitteln wollte.

Es geht um die Wahrheit Gottes, der über allem Leiden und aller Trauer in der Welt steht.

Die Wahrheit ist, dass Gott uns über all unser Verstehen hinaus liebt.
Das Christus-Geschehen, das mit Jesus in dieser Welt für seine Jünger sichtbar geworden ist,
fordert zum Erkennen heraus. Johannes nennt es Sehen.
Dieses Sehen ist eine Schicht des Glaubens, die den göttlichen Kern bildet,
der tief in unserem Herzen sein Zuhause hat.

In der Geschichte vom kleinen Prinzen, die mit dem Tod und der Erlösung zu tun hat, heißt es:
man sieht nur mit dem Herzen gut.

Wenn es plötzlich um Tod und Leben geht, um Trauer und Freude,
dann wird uns Menschen das Leben zur Herausforderung.
Dann werden wir unsere Kräfte bündeln und notwendige Schritte gehen müssen.

In unserer Geschichte mit Jesus und seinen Jüngern geht es um mehr als das Zurechtkommen mit dem unvermeidlichen Abschied von einem geliebten Menschen.
Es geht letztlich um das Herstellen einer Bindung, die von keinem Abschied in Frage gestellt
wird. Es geht um die Erfüllung des Glaubens an den ewigen liebenden Gott.

Jesus bringt als Gleichnis das Beispiel einer Gebärenden.
Sie lässt von der Angst und den Schmerzen los, um sich an dem neuen Leben zu freuen, das sie hervorgebracht hat.
Jesus weist damit auf das neue Leben bei Gott hin, ein Leben voller Freude und ewiger Gewissheit, bei und mit Gott sein zu können.

Selbst wir Christen heute nach über zweitausend Jahren christlichen Glaubens und Nachdenkens haben da Fragen nach der Bedeutung der Aussagen Jesu:
Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen;

und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen.

Uns fallen dogmatische Formulierungen aus unserem Glaubensbekenntnis ein:
der Weg Jesu von seinem Tod am Kreuz bis zu seinem Erscheinen in Herrlichkeit und zu seinem Kommen zum Gericht.
Aber diese Einfälle klären unsere Fragen nach der Bedeutung der Worte an seine Jünger nicht.
So finden wir uns beinahe unter den verständnislos fragenden Jüngern wieder.

Wie die Antwort Jesu die Jünger trifft, können wir nur ahnen.
Uns treffen die Worte Jesu wie eine gegenwärtig erlebbare Erfüllung seiner Worte.

Wir sehen im Fernsehen Bilder von Schmerz und Leiden der Menschen,
die nur ihren Glauben an Gott leben wollten und Opfer werden.

Der Weg Jesu führte ihn durch Leiden und Schmerzen zurück zu Gott.

Niemals hat Jesu seinen Jüngern versprochen, dass ihre Wege in seiner Nachfolge
ohne Leiden und Schmerzen sein werden.
Er sagt seinen Jüngern aber, dass Schmerzen, Angst und Leiden
zu einem Geburtsprozess gehören, an dessen Ende die Freude über das neue Leben alles in den Schatten stellt, was vorher war.

Wenn Jesus des Ergehen einer gebärenden Frau als Gleichnis nimmt,
um die Freude deutlich zu machen, um die es geht,
werden wir als achtsame Leser der neutestamentlichen Überlieferung seiner Reden mit Recht vermuten dürfen, dass auch dieses Gleichnis vom Reich Gottes handelt.

Für Jesus ist das Reich Gottes ein gegenwärtiges, weil Gott in ihm gegenwärtig ist.

Das können allerdings nur die Menschen erfassen, die an Jesus glauben und damit sehend werden. Für das Verständnis des Johannes bedeutet sehen mehr als der Gebrauch des Sehsinnes. Bei Johannes ist das Sehen Teil des Offenbarungsgeschehens.

Jesus zu sehen bedeutet also, an der Offenbarung Gottes gegenwärtig teil zu haben.

 

Die Jünger werden das erst nach Ostern verstehen lernen.
Welche Bedeutung bei diesem Glaubensprozess des inneren Sehens und Erkennens
dem Heilige Geist zukommt, wird zu Pfingsten aller Welt deutlich.
Jesu Zusage „ich lasse euch nicht allein, ich sende euch meinen Geist“ findet ihre Erfüllung in der Zeit, in der Christinnen und Christen in diesem Leben zwischen Schmerz und Freude, zwischen Zweifeln und Gewissheit unterwegs sind. Gottes Geist hilft uns, den Weg in sein Reich zu finden.
Jesus Christus hat Qualen und Schmerzen in dieser Welt auf sich genommen,
damit wir im Glauben sehen können, welche Liebe Gott zu uns hat,
dass er uns durch irdisches Leiden zur himmlischen Freude führt.

Am Ende seiner Abschiedsreden sagt Jesus zu seinen Jüngern:
In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.

Amen



Pfarrer i.R. Rainer Kopisch
Braunschweig
E-Mail: rainer.kopisch@gmx.de

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