Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Kantate, 14.05.2017

Und er heilte sie.“
Predigt zu Matthäus 21:14-17, verfasst von Matthias Wolfes

 

„Und es gingen zu ihm Blinde und Lahme im Tempel, und er heilte sie. Da aber die Hohenpriester und Schriftgelehrten sahen die Wunder, die er tat, und die Kinder, die im Tempel schrieen und sagten: Hosianna dem Sohn Davids! wurden sie entrüstet und sprachen zu ihm: Hörst du auch, was diese sagen? Jesus sprach zu ihnen: Ja! Habt ihr nie gelesen: ‚Aus dem Munde der Unmündigen und Säuglinge hast du Lob zugerichtet’? Und er ließ sie da und ging zur Stadt hinaus gen Bethanien und blieb daselbst.“

 

 

Liebe Gemeinde,

 

in dem kurzen Anschnitt geht es um Anerkennung. Zwei Gruppen stehen einander gegenüber: die „Blinden und Lahmen“ auf der einen Seite, die „Hohenpriester und Schriftgelehrten“ auf der anderen. Von den ersteren, den Unwissenden, Beladenen und Leidenden, geht Jesus begeisterte Lobpreisung zu, denn er hatte sie geheilt. Doch dieses Lob führt zu heftiger Kritik von seiten der Gegengruppe. Daß Jesus als „Sohn Davids“, als der erwartete Messias, ausgerufen wird, empört sie; sie sehen darin nichts als eine unerträgliche Anmaßung, der entgegenzutreten sie von Jesus verlangen. Doch dieser antwortet mit einem Zitat aus dem achten Psalm, das in der Version des Evangelisten lautet: „Aus dem Munde der Unmündigen und Säuglinge hast du Lob zugerichtet“ (vgl. Ps 8,3). Weitere Auseinandersetzungen finden nicht statt; vielmehr läßt Jesus die Entrüsteten stehen und „ging zur Stadt hinaus“.

Was uns beschäftigen soll, ist die Frage, wie es sich mit der Anerkennung hier verhält. Ich möchte sie in die Richtung lenken, was eigentlich uns bewegen kann, unsererseits im Sinne des christlichen Glaubens Stellung zu beziehen. Es liegt nahe, daß wir uns mit unserem Votum in den Konflikt zwischen Jesus und den Widersachern einmischen. Doch scheint es mir viel zu einfach zu sein und auch sehr schlicht gedacht, wenn wir das tun, indem wir uns kurzschlüssig mit jenen „Blinden und Lahmen“ identifizieren.

So wie es ja vielfach der Fall ist, wenn in derartigen Texten zwei Gruppen, zwei Typen einander entgegengestellt werden, so ist es auch hier: Beide Seiten stehen für Verhaltensweisen, für Motive des Denkens und Handelns, die wir in uns finden. Wir können sowohl die eine wie auch die andere Seite als Aspekt unserer selbst ansehen, und das gilt gerade beim Thema Anerkennung.

 

 

I.

 

Im Rahmen des Matthäusevangeliums geht es bei dem kurzen Textstück um die Spaltung, die Jesus in Israel bewirkt. Der negativen Reaktion der jüdischen Führer steht die positive Reaktion der Pilgerscharen, der Kranken und der „Kinder“ gegenüber. Diejenigen, die, aus welchen Gründen auch immer, am Rand der Gesellschaft stehen, denen Ausgrenzung widerfährt und die sich mißachtet sehen, jubeln Jesus zu, während die etablierten Kräfte, die Sachwalter von Recht und Ordnung, ihn als Gefahr betrachten und folglich gegen ihn in Stellung gehen.

Vorausgegangen ist unserer Szene die sogenannte „Tempelreinigung“, bei der Jesus die Geldwechsler und Händler aus dem Tempel treibt. Diese Handlung barg ein erhebliches Potential in sich, ob sie nun kultisch, generell tempelkritisch oder als Zurückweisung der wirtschaftlichen Macht der Tempelaristokratie begründet war. Wie vom Evangelisten schon früher geschildert (Mt 15, 31-32), treten auch jetzt „Blinde und Lahme“ an Jesus heran. „Und er heilte sie.“

Krankenheilungen waren auf Jesu Weg schon die ganze Zeit vorgekommen; nun heilt er wiederum, und zwar im Zentrum Israels, im Tempel. Kranken war das Betreten des Tempels nicht verwehrt. Es geht in der Erzählung also nicht darum, daß Jesus ihnen den Zugang erst gebahnt hätte. Es geht vielmehr darum, daß er sie heilt. Insofern ist die Lobpreisung Jesu durch diese Gruppe auch keineswegs bedingungslos. Der Jubelruf ist eine Reaktion auf die sichtbaren Heilungen. Deshalb, weil Jesus offensichtlich über die Kraft verfügt, Kranken die Gesundheit wiederzugeben, jubeln sie ihm als dem „Sohn Davids“ zu. Sie tun das auch vor dem Hintergrund der Überlieferung mit gutem Grund: Denn in der neuen messianischen Zeit wird es keine Krankheiten und Gebrechen in Israel mehr geben. Jesu Zeichenhandlungen lassen sich als Anfang dieser neuen Zeit verstehen.

 

 

II.

 

Wir dürfen das Motiv der Krankenheilung durchaus in einem weiteren Sinne verstehen. Die Kraft, um die es hier geht, ist die heilende Kraft an sich. Was die Evangelienberichte zuschreiben, ist die Fähigkeit der Wiedergutmachung. Jesus wird geschildert als einer, der nicht nur das Heil bringt, sondern es auch schafft. Er ist der „Heiland“.

Wer sich das Bild Jesu vor Augen stellt, der überlegt sich auch, in welchem Verhältnis er selbst zu ihm steht. Es gehört zum Leben eines Christen, sich über diese Frage Gedanken zu machen. Was sehe ich in ihm? Weshalb soll er mir etwas bedeuten?

Eine Antwort kann nur jeder für sich selbst geben. Niemand kann seine Stellungnahme hierzu anhand der Vorgaben anderer formulieren. Wohl sind wir eingebunden in einen Strom des Sprechens; auch uns ist vieles überliefert; und welchen Gewohnheiten wir beim Nachdenken über dieses Thema folgen, ist auch eine Folge der religiösen Erziehung und des Herkommens. Und doch geht es letztlich um die eigene Antwort. Zu ihr müssen wir um unserer selbst willen gelangen. Die bewußte Stellungnahme des Glaubens ist Resultat des Nachdenkens, und das gilt ebenso bestimmt, wie der Glaube selbst eine Sache des Fühlens und Erlebens ist.

Was aber wir uns zu dieser Frage denken, wie wir unser Verhältnis beschreiben, das fällt nicht einfach so aus irgendeinem Gedankenhimmel hernieder. Das Denken des Glaubens ist effektives Denken. Es ist eines, das aus den tatsächlichen Erfahrungen des Glaubens erwächst. Wer keine Kraft spürt, die sein Glaube ihm spendet, dessen Gedanken über den Glauben sind leer. Sie sind ohne Grund, denn der Grund allen Glaubens wie auch aller Gedanken über den Glauben ist die wirkliche Erfahrung.

 

 

III.

 

Die Erfahrung erst gibt dem Glauben den Grund. Der Glaube ist Gewißheit; als Gewißheit ist er aber immer der Spiegel wirklicher Erfahrung. Genau dies ist auch der Inhalt unserer kleinen Erzählung. Die Lobpreisung des Jesus durch die „Blinden und Lahmen“ erfolgt, nachdem er sie geheilt hatte. Die Krankenheilungen gehen aller Anerkennung voraus. Das Zeichen tatsächlicher Kraft zur Heilung, zur Wiedergutmachung ist es, das die Menschen zur Anerkennung Jesu bringt, nicht irgendeine Lehre oder Predigt von ihm.

Deshalb ist es auch nicht damit getan, daß wir nun diese Erzählung hören und sie schön finden und etwa sagen: Ja, Jesus war wirklich der Heiland. Denn dann sprechen wir ja selbst nur etwas aus, was einem anderen, nämlich dem Evangelisten, nachgesprochen ist. So aber soll es gerade nicht sein. Auch der neutestamentliche oder überhaupt der biblische Text kann das Eigene des Glaubens nicht ersetzen. Dieses Eigene aber ist die Erfahrung.

Die Erzählung von der Anerkennung Jesu durch die geheilten Kranken kann nicht der Grund dafür sein, daß wir nun unsererseits eine solche Anerkennung aussprechen. Sie kann aber der Grund dafür sein, daß wir von der Erfahrung sprechen, die wir selbst gemacht haben. Vom Glauben zu sprechen heißt: von den eigenen Erfahrungen zu sprechen. Nicht aber heißt es, nachzusprechen, was ein anderer von seinem Glauben spricht, und sei es ein Evangelist.

Jene Krankenheilungen sind nun gewiß ein sehr drastisches Moment. Wie schön wäre es, wenn auch wir Zeugnis davon geben könnten, in diesem Sinne geheilt worden zu sein. Doch dies zu können, ist nicht die Bedingung des Zeugnisses. Die Bedingung ist vielmehr, daß wir über eine wirkliche Erfahrung der Glaubenskraft überhaupt verfügen, das heißt: daß unser Glaube wirklicher Glaube ist, nicht nur Gerede und auch nicht nur Glaubenwollen.

Zu solchem Zeugnis soll uns die heutige Erzählung Mut machen. Wir haben auch etwas zu sagen. Auch unser Glaube beruht auf Gewißheit, und von ihr können wir sprechen. Das muß kein komplexes Unterfangen sein. Die Geheilten jener Erzählung machen es uns ja vor. Sie geben das christliche Zeugnis im allerausdrücklichsten Sinne. Sie bezeugen ihre eigene Erfahrung. Wer das tut, der spricht recht, und der kann auch jeder Zurückweisung widerstehen. Sein Lob ist das rechte Lob; ein anderes kann es nicht geben.

Amen.

 

Herangezogene Literatur:

Ulrich Luz: Das Evangelium nach Matthäus. Dritter Teilband: Mt 18 – 25 (Evangelisch-Katholischer Kommentar zum Neuen Testament. Band I/3), Zürich und Düsseldorf / Neukirchen-Vluyn 1997.



Pfarrer Dr. Dr. Matthias Wolfes
Berlin
E-Mail: wolfes@zedat.fu-berlin.de

(zurück zum Seitenanfang)