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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Kantate, 14.05.2017

Predigt zu Matthäus 21:14-17, verfasst von Eberhard Busch

Unmittelbar vor unserem Predigttext zitiert Jesus ein altes Prophetenwort: „Mein Haus – also das Haus Gottes – soll ein Bethaus sein.“ Und mit diesem Satz begründet er sein drastisches Vorgehen gegen allerlei Händler und Krämer, die sich in dem Tempel tummeln, bedacht auf ihren eigenen Vorteil und Gewinn. In manchen unserer heutiger Kirchen stehen die drei Buchstaben: SDG geschrieben, eine Abkürzung der lateinischen Worte: Soli Deo Gloria, das heißt: allein Gott die Ehre! Gut so! Aber inwiefern wird dieses „allein“ von uns ernst genommen? Allein Gott die Ehre! Hat sich bei uns nicht vieles eingeschlichen und ist dann normal geworden, was nicht dort hingehört? Dinge, Bilder, Gedanken, Vorstellungen, mit denen Menschen sich selbst verehren, die davon abhalten, Gott allein die Ehre zu geben. Prüfen wir ehrlich, ob sich nicht auch bei uns, in unseren Gottesdiensten Unfug breit gemacht hat! Wer weiß, wie viel Jesus aus unseren heutigen Gotteshäusern vertreiben müsste, wenn er den Kram sieht, der da ausgebreitet ist! Wie sehr er da auf den Tisch des Hauses klopfen würde: „Gottes Haus soll ein Bethaus sein“!

„Das Haus Gottes – soll ein Bethaus sein“. Aber was gehört denn dann in dieses Bethaus, wenn nicht jener Kram? Wenn es denn darin um ein Beten geht, mit was ist denn das Beten beschäftigt? Überraschend heißt es jetzt: „Es gingen zu (Jesus) Blinde und Lahme im Tempel und er heilte sie.“ Beachten wir, dass das im Tempel geschieht! Es geht geradezu um eine gottesdienstliche Handlung. Eben auf die Vertreibung des Unfugs hin vollzieht Jesus eine rechte gottesdienstliche Handlung. Sie geschieht damit, dass er sich mit all den Behinderten befasst, die zu ihm in den Tempel gelangen. Aber passt das hierhin? Ich entsinne mich an einen Gottesdienst, den eine Mutter mit ihrem geistig behinderten Kind besuchte. Als es auf einmal in seiner Weise laut zu jubeln begann mitten in die Stille hinein, wollte die Mutter schnell das Gotteshaus verlassen. Passt das nicht in unseren Gottesdienst? Ist der Aufmarsch der Kranken in unserer Geschichte nicht eine Störung der Andacht an diesem heiligen Ort? Liebe Gemeinde, das wäre ein schlimmes Missverständnis. Dieser Ort ist geheiligt durch die Gegenwart Jesu und ist geheiligt durch das, was er hier tut. Er und die Hilfsbedürftigen gehören zusammen. Und was er hier vollbringt, das ist kein gekünsteltes Gerede, sind nicht vertröstende Hinhalteparolen. Was er vollbringt, das ist Heilung. Das ist Aufrichtung, Öffnung der Augen, Gesundung von Händen und Beinen und Köpfen.

Und nun ist unsere Geschichte interessiert an der Reaktion, die diese Heilung unter den Menschen in ihrer Umgebung auslöst. Sie löst eine unterschiedliche Reaktion bei ihnen aus. Auf der einen Seite die „Hohenpriester und Schriftgelehrten“ – oder sagen wir: die Verantwortlichen für den Gottesdienst und die kundigen Theologen. Oder sagen wir: die, die an diesem Ort Stille suchen, Abstand von dem, was draußen im Alltag der Welt ihnen in den Ohren dröhnt. Kann man ihre Entrüstung nicht verstehen? Da findet doch ein Lärm im Gotteshaus statt – wie es genau heißt: ein Geschrei im Tempel (V. 15), und das am Ort der Stille! Und durch das Einströmen von Kranken scheint sich geradezu eine Zweckentfremdung dieser Stätte anzubahnen. Mögen sie anderwärts Hilfe erfahren. Aber nicht hier und nicht jetzt. Und – Jesus? Er gibt denen nicht recht, die in ihrer Stille nicht gestört werden wollen. Das ist doch ziemlich aufregend. Denn er nimmt mit seiner Stellungnahme eine Haltung ein, die an so viele Christen und Christinnen seither eine ernste Frage stellt: Gehört das für euch unbedingt zusammen: der Heiland und die Hilfsbedürftigen? Euer Glaube und der Beistand für die Behinderten? Die Liebe zu Gott und zu denen, die keine Liebe erfahren in der Nähe und in der Ferne?

Auf der anderen Seite die Kinder: Sie „schreien“ im Tempel. So als gehörte das genau dorthin. Die allzu Ruhigen haben kein Verständnis dafür. Aber so jung und klein diese Kinder auch sind, sie haben in ungewöhnlicher Lautstärke Gesang auf ihren Lippen. Sie lassen ihn ja im Tempel erklingen – das Lob auf den „Sohn Davids“. Wahrscheinlich verstehen sie noch kaum, was da über ihre Lippen kommt, jedenfalls nicht so gut, wie es jene Hohenpriester und Schriftgelehrten eigentlich können sollten. Doch praktisch sprechen sie es aus, was die an sich Kundigen nicht auf ihre Lippen bringen. Hat nicht auch dies sich viele Male in der Kirchengeschichte wiederholt? Gottlob, aber zur Beschämung der Vertreter des Christentums! Wenn die ihren Mund nicht aufbrachten für die rechte, nötige Botschaft, wenn sie nicht eintraten für das jetzt und jetzt Gebotene, dann blieb das Wort Gottes deshalb nicht stumm. Dann traten auf einmal sonderbare Gestalten auf, die sozusagen von den „Landstraßen und Zäunen“ kamen (Lukas 14,23), ja, Menschen außerhalb der Kirchen – solche, die sich vielleicht sogar als Ungläubige bekannten und um die die Gläubigen einen Bogen machten. Aber rein praktisch brachten sie das zur Geltung, was das Christenvolk schuldig blieb. Jesus hat das zum Ausdruck gebracht mit seinem erstaunlichen Satz: „Die Kinder der Welt sind klüger als die Kinder des Lichts“ (Lukas 16,8). Und ein anderes Mal sagt er (Matthäus 3,9): Auch wenn die Glieder des Gottesvolks versagen, aber „Gott vermag sich aus Steinen Kinder erwecken“.

„Hosianna, dem Sohn Davids“ – so singen die Kinder im Tempel. Das ist eine Abkürzung dessen, was im jenem Psalm 118 steht, nach dem nur Gerechte im Tempel einziehen dürfen. Eben die singen dabei das Lied: „Dies ist der Tag, den Gott macht. Lasst uns freuen und fröhlich darin sein. Hosianna, das heißt: O Herr hilf! Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn!“ Das ist ein jubelnder Lobgesang auf den Gott des Volkes Israel. Gewiss, längst nicht immer können wir fröhlich singen und jubeln. Ach Gott, „o Herr hilf“, es gibt so viele Gründe zum Weinen, zum Protestieren, zum Klagen, auch zum Sich-Ärgern. Aber das alles ist nicht das Einzige und das Letzte. Das darf jetzt für einmal drunten bleiben, weil trotz allem und in allem das gepriesen werden darf: „Hosianna, dem Sohn Davids“. Er darf diesen Titel tragen, weil er eben kommt „im Namen des Herrn“. Und weil die Kinder das ausrufen, sind sie jene Gerechten, die im Tempel einziehen dürfen. Gott öffne uns das Herz und den Verstand und den Mund, bei diesen Kindern in die Schule zu gehen!

Gefragt, was Jesus davon hält, antwortet er mit einem Zitat wiederum aus den Psalmen (8,3): „Aus dem Mund der Unmündigen und Säuglinge hast du dir Lob zubereitet.“ Es kommt darauf an, dass wir diese Aussage recht verstehen und nicht in den falschen Hals bekommen. Die ist nicht als ein Prinzip aufzufassen, das sagt: die Wahrheit wird immer außerhalb des Kreises der Gläubigen vertreten, nämlich bei den Ungläubigen. Auch kein Pakt von Glauben und Unmündigkeit ist hier mitgeteilt; und nicht wird die „Unschuld“ der Kinder gepriesen. Oft genug wird man im Namen Gottes zu verbreiteten Parolen der Weltkinder Nein sagen müssen und wird ihnen nicht folgen dürfen. Und gerade der rechte Glaube wird Menschen aus der Unmündigkeit herausführen und sie mündig machen. Aber Jesus will hier seine Nachfolger darauf aufmerksam machen, dass sie immer wieder gerade von Anderen lernen dürfen und lernen müssen. Sie werden dann einsehen, dass Gott auch außerhalb des Kreises seiner gläubigen Anhänger am Werk ist und zu Wort kommt. Und dann werden sie erst recht tapfer und frohgemut ihrerseits reden und handeln.

Die Kritik, die Jesus mit seinem Lob des Kindergeschreis an den Hohenpriestern und Schriftgelehrten, an den Klugen und Frommen übt, diese Kritik will sie nicht lahm legen; sondern er will sie dadurch dazu einladen, dass sie es tüchtig tun: „Gott loben, das ist unser Amt.“ Und wie es im Buch der Sprüche heißt (31,8): „Tue deinen Mund auf für die Stummen“. Rede für die, die nicht zu Wort kommen! Jesu Kritik will nicht zerstören, sondern will erbauen. Und damit treibt Jesus überhaupt alle Glieder der Gemeinde Gottes zu einer schönen Freiheit des Glaubens, dass der Ruhm Gottes so oder so nicht verstummen, sondern in jedem Fall in der Welt laut werden wird. Aber das doch, bitte, unter unserer Beteiligung und Mithilfe. Gott mache uns willig, dass wir laut mit einstimmen! Das ist die Absicht des heutigen Sonntags, der den Namen trägt „Kantate“, das heißt: Singt!



Prof. Dr. Dr. Eberhard Busch
Göttingen
E-Mail: ebusch@gwdg.de

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