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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Rogate, 21.05.2017

Warum Gott unser Gebet erhört
Predigt zu Lukas 11:5-13, verfasst von Christine Hubka

Und er sprach zu ihnen: Wer unter euch hat einen Freund und ginge zu ihm um Mitternacht und spräche zu ihm: Lieber Freund, leih mir drei Brote; denn mein Freund ist zu mir gekommen auf der Reise, und ich habe nichts, was ich ihm vorsetzen kann, und der drinnen würde antworten und sprechen: Mach mir keine Unruhe! Die Tür ist schon zugeschlossen und meine Kinder und ich liegen schon zu Bett; ich kann nicht aufstehen und dir etwas geben. Ich sage euch: Und wenn er schon nicht aufsteht und ihm etwas gibt, weil er sein Freund ist, so wird er doch wegen seines unverschämten Drängens aufstehen und ihm geben, so viel er bedarf.

Und ich sage euch auch: Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan.

Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan.

Wo bittet unter euch ein Sohn den Vater um einen Fisch, und der gibt ihm statt des Fisches eine Schlange? Oder gibt ihm, wenn er um ein Ei bittet, einen Skorpion?

Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben zu geben wisst, wie viel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist geben denen, die ihn bitten!

 

So böse werden sie schon nicht sein,

die Leute, die Jesus bitten: „Lehre uns beten, so wie du betest.“

Diese Bitte geht unserer Episode voran.

Und Jesus legt ihnen, er legt uns, daraufhin das Vaterunser in den Mund und ans Herz.

Danach bekräftigt er mit diesem Beispiel vom Vater und dem Kind,

dass Gott ihr Gebet,

dass Gott unser Gebet erhören wird und begründet das folgendermaßen:

                            

Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben zu geben wisst,

wie viel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist geben denen, die ihn bitten!

 

Böse seid ihr – poneros steht da auf Griechisch.

Ich schlage das Wörterbuch auf und lese, was in den Ohren dieser Leute alles mitklingt, wenn Jesus zu ihnen sagt: Böse seid ihr:

 

unbrauchbar, untauglich, gefährlich,

mühselig, schlimm, Not machend,

übel, schlecht, boshaft. Also einfach böse.

 

Na hallo!

Ich befasse mich mit der Frage, wie man richtig betet und Jesus nennt mich böse mit allem,

was da noch so mitschwingt.

 

Ich erlaube mir jetzt, euch und mir selber ein paar Worte von dieser Liste zuzumuten.

Traun wir uns, da einmal näher hinzusehen.

Überprüfen wir, ob Jesus Recht hat, wenn er sagt: Böse seid ihr.

 

Fangen wir mit zwei einfacheren Worten von dieser Liste an:

Unbrauchbar und untauglich steht da.

Ich bin ich also unbrauchbar und untauglich in den Augen von Jesus.

Oder mehr noch: In Gottes Augen.

 

Das erinnert mich daran, dass Martin Luther einen Tag vor seinem Tod auf einen Zettel geschrieben hat:

„Wir sind Bettler, das ist wahr.“

 

Nach einem reichen Leben, nach unzähligen Predigten und Schriften,

nach tausenden Gesprächen und einem theologischen Lebenswerk,

das die Welt langfristig und nachhaltig verändert,

bleibt dem Reformator als Lebensbilanz nur dieser eine Satz:

„Wir sind Bettler, das ist wahr.“

 

Bettler, also unbrauchbar, untauglich gemessen an Gottes Ansprüchen.

Vor Gott kann sich niemand rühmen – auch nicht der,

der jede Menge gute Taten tut,

schreibt der Apostel Paulus an die Gemeinde in Rom.

 

Untauglich auch gemessen an der Menge und der Größe der Aufgaben.

Unsere kleine Kraft taugt nicht dazu, dass wir die Welt verändern.

Mit unserer kleinen Kraft können wir ja nicht einmal in unserem nächsten Kreis verhindern,

dass Menschen sich zerstreiten und nicht mehr zusammen finden, wenn es einmal ordentlich gekracht hat.

 

Die Kraft und die Zeit reichen vorne und hinten nicht, um all das zu tun,

was danach schreit, getan zu werden.

Das kenne ich. Ich fürchte, das kennt auch ihr.

 

Unbrauchbar seid ihr, sagt Jesus.

Ich höre keinen Vorwurf, wenn er das sagt.

Ich höre aber, dass Gott das Gebet dieser Bettler,

dass Gott unser Gebet erhören wird.

Gott wird, wenn wir beten, uns den Heiligen Geist geben.

Den Geist der Bescheidenheit und der Einsicht,

wie wir unsere kleine Kraft sorgsam einsetzen können,

ohne sie in sinnlosen Aktionismus zu verpuffen.

Gott wird uns seinen Heiligen Geist geben, der uns lehrt,

wie wir uns vor Verausgabung, vor dem Ausbrennen schützen können,

weil wir mit seiner Hilfe dem Urteil von Jesus zustimmen:

Unbrauchbar für das große Ganze sind wir.

Weil dieser Geist Gottes uns davor bewahrt,

mehr von uns selbst zu fordern, als wir bringen können.

 

Schauen wir uns noch eines dieser Worte auf der Liste an.

Das ist jetzt schon heftiger.

Wenn Jesus sagt, „böse seid ihr“, schwingt auch das mit:

Gefährlich seid ihr.

 

Ich schaue mich hier in der Kirche um und sehe lauter nette Menschen.

Lauter Menschen, die niemandem ein Haar krümmen.

Menschen, die voll guten Willens sind.

Menschen, die gerne Gutes tun.

Menschen, die wissen, wie wichtig es ist, für andere da zu sein.

Menschen, die freundlich grüßen und anderen die Hand reichen.

 

Bei meinen Besuchen im Gefängnis sehe ich dann die anderen.

Diejenigen, die tatsächlich als gefährlich eingestuft werden.

Sicherheitsvermerk heißt das in der Sprache der Justiz.

Menschen, von denen manche meinen,

dass man sie einsperren und den Schlüssel wegwerfen soll.

 

Seit ich mit Menschen in Haft spreche,

habe ich etwas über mich gelernt, was mir vorher nicht so klar war.

Oder konnte ich es vorher einfach leichter zur Seite schieben und ignorieren?

 

Ich bin zu allem fähig. Wirklich zu allem.

Es müssen nur die folgenden Dinge auf einem Haufen zusammen kommen:

Eine lange Zeit, wo in meinem Leben viel schief geht

und ich keinen Fuß auf den Boden kriege.

Eine akute kritische Situation.

Die entsprechende Tagesverfassung.

Die richtigen oder falschen Leute in der Nähe.

Das entsprechende Gerät in Reichweite.

 

Seit ich Menschen im Gefängnis besuche,

ihre Lebensgeschichte erfahre,

weiß ich, dass ich sehr viel Glück gehabt habe.

Viele Episoden in meinem Leben hätten auch ganz anders ausgehen können.

Sie hätten auch so ausgehen können,

dass auch ich diese öffentliche Punzierung „gefährlich“ bekommen hätte.

So bleibt es bis heute gnädiger weise nur bei dem Urteil, das Jesus über mich hat.

Gefährlich bist du.

 

Gefährlich seid ihr, sagt Jesus zu den Gutmeinenden und Frommen.

Jede und jeder von euch ist grundsätzlich zu allem fähig.

Aber – und das ist schon sehr entscheidend für mich:

Ich höre dabei kein moralisches Urteil mitschwingen.

Ich höre auch, dass Jesus keinen Unterschied macht zwischen denen,

die als wohlanständig gelten, und denen,

die von manchen als Abschaum bezeichnet werden.

Denn dass einer zu allem fähig ist, gehört zum Mensch Sein.

                                                                                                                                    

Und allen gemeinsam sagt Jesus zu:

Gott hört euer Gebet.

Gott gibt euch seinen Geist, damit ihr aufatmen könnt und frei werdet.

Frei von dem, was euch am Leben hindert.

Frei, endlich als Kinder Gottes froh und dankbar in seiner Welt zu leben.

 

Und wenn ich das jetzt recht verstanden habe,

was Jesus hier seinen Freundinnen und Freunden erzählt,

dann tut Gott das nicht obwohl wir unbrauchbar, untauglich, gefährlich, mühselig, schlimm, Not machend, übel, schlecht, böse, boshaft sind.

Sondern genau weil das alles in jedem Menschen drinnen steckt als Möglichkeit.



Gefängnisseelsorgerin, Pfarrerin Christine Hubka
Wien
E-Mail: christine.hubka@gmx.at

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