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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Rogate, 21.05.2017

Wer suchet, der findet.
Predigt zu Lukas 11:5-13, verfasst von Thomas Bautz

Liebe Gemeinde!

Orientalische Gastfreundschaft ist – bis heute – nicht zu überbieten. Gastrecht und Hilfeleistungen gegenüber Bedürftigen, gegenüber Freunden allzumal, sind selbstverständlich. Deshalb kann Lukas die Leser seines Evangeliums mit Suggestivfragen konfrontieren: Könnt ihr euch (etwa) vorstellen, dass jemand seinen Freund abwiese, selbst wenn dieser um Mitternacht drei Brote leihen wollte? Unmöglich! Würde der mit seiner Familie im Schlaf Gestörte seinen bittenden Freund im Stich lassen? Undenkbar! Das umständliche, mühsame Öffnen des Türriegels ergibt tatsächlich ein lautes Geräusch.

Aber selbst wenn er ruft: „Ich kann nicht!“, im Sinne von „Ich will nicht!“ Er wird doch aufstehen und die Bitte nicht ausschlagen, wenn schon nicht aus Freundschaft, so doch wegen der Hartnäckigkeit oder Unverschämtheit (!) des Bittenden. Von der Muttersprache Jesu her kommt als Motiv auch die eigene „Schamlosigkeit“ infrage: der nachts aus seinem Schlaf Gerissene möchte vor den Nachbarn nicht als „schamlos“ erscheinen, weil er einen Freund in Not abgewiesen hat.

Der im Schlaf gestörte Freund ist Mittelpunkt des Gleichnisses (Jeremias: Gleichnisse, 158) und steht für die Gewissheit, dass der Bitte entsprochen wird. Das Selbstverständliche wird unterstrichen durch das Bild vom Vater-Sohn-Verhältnis und den drei Gegensatzpaaren: Brot – Stein, Fisch – Schlange, Ei – Skorpion. Undenkbar, dass ein Vater seinem Sohn etwas Ungenießbares oder gar Gefährliches gäbe!

Auch bei uns pflegt man mancherorts noch gute Nachbarschaft, wo man sich gegenseitig etwas leiht, sich einander kleine Gefälligkeiten erweist. Aber wir alle wissen, das ist in unserer Gesellschaft nicht selbstverständlich. Eher weiß man von hässlichen Verhaltensweisen und häufigen Streitsituationen zu berichten. Schauen wir uns die Familienverhältnisse an, dann sehen wir glückliche Kleinkinder und angestrengte, aber liebevolle Eltern. Die Erziehung wird durch mehrere Faktoren erschwert: durch drastisch erhöhte und ständig steigende Mieten sind oft beide Elternteile berufstätig. Dazu kommt steigender Erfolgs- und Konkurrenzdruck am Arbeitsplatz. Alleinerziehende haben es am schwersten.

Im Allgemeinen haben Mütter und Väter heute dennoch ein ungezwungeneres, freieres, offeneres Vertrauensverhältnis zu ihren Söhnen und Töchtern. Sofern die Bitte eines Kindes nicht unvernünftig ist, wird ihr gern entsprochen. Man kann einem Kind auch erklären, warum man eine Bitte unter Umständen nicht erfüllt; das Kind weiß sich auch so geliebt und vertraut Mama und Papa. Viele, wenn nicht die meisten Kinder lassen eine außergewöhnliche Erhörungsgewissheit ihren Eltern, besonders ihrem Vater gegenüber, zu Tage treten: „Mein Papa kann und weiß alles, deshalb kann er mir auch alles schenken!“ Mit zunehmendem Alter des Kindes werden solche Allmachtsphantasien freilich relativiert oder gesprengt.

Leider gibt es auch viel zu viele Kinder, denen Gewalt angetan wird oder die missbraucht werden; für sie verkörpern Worte wie „Vater“ oder „Mutter“ keine Leitbilder oder Vorbilder, sondern entarten zu Zerrbildern oder gespenstischen Traumata, die sie oftmals lebenslang belasten. Können diese Kinder noch in Einfalt und im Vertrauen um etwas bitten – ohne den schalen Geschmack von Enttäuschung und Gewalt? Es erfordert große Anstrengung, viel Geduld und noch mehr ungeheuchelte Liebe, um ihnen wenigstens wieder eine menschliche Grundlage für gegenseitiges Vertrauen zu vermitteln. Vermutlich ist eine solche Liebesarbeit am angemessensten von ehemaligen Opfern zu leisten.

Lukas weiß, wie schwer es fallen kann, vertrauensvoll zu bitten, und fügt ein erweitertes Sprichwort in sein Gleichnis ein:

„So sage auch ich euch: Bittet, so wird euch gegeben werden; suchet, so werdet ihr finden; klopft an, so wird man euch auftun! Denn wer da bittet, empfängt, und wer da sucht, findet, und wer anklopft, dem wird man auftun.“

Durch diesen Einschub wird das Bitten nochmals angesprochen und die Gewissheit einer Erhörung oder Erfüllung betont, was am Ende des Gleichnisses in überhöhter Form spiritualisiert und auf den himmlischen Vater übertragen wird, der wiederum den Heiligen Geist denen gibt, die ihn darum bitten. Wo diese geistliche Dimension anklingt, wird vom Bitten zum Beten übergeleitet. Der Leser wird ermutigt, sich dem „Vater im Himmel“ bittend, betend zu nähern. Die Bildworte laden dazu ein:

Bitten, suchen, anklopfen werden als Einheit gesehen, wie empfangen, finden, öffnen scheinbar zusammengehören. Suchen wird dann so interpretiert, als gehöre es in einem Bildfeld mit Bitten zusammen (Brox: Suchen und Finden, 18).

Zu dieser Deutung innerhalb der Evangelientradition entwickelt sich aber eine Auffassung, die einen neuen Weg beschreitet und in der Auslegungsgeschichte für Furore sorgt. Hierbei wird das Suchen sehr viel ernster genommen; das Motiv des Fragens und Forschens gerät in den Mittelpunkt. Eine Gewissheit des Findens ist nicht sogleich mitgegeben oder impliziert. Was bedeutet dann dort das Sprichwort vom Suchen und Finden? Die Verwendbarkeit dieser Redewendung ist denkbar offen.

Eine geistige, religiöse Strömung des 2. / 3. Jh., die Gnosis, verbindet Erkennen mit Glauben, Fragen mit Suchen. In einer ihrer Hauptschriften (Pistis Sophia) verbindet sich Wissen-wollen und Fragen-stellen mit Ehrfurcht und Bescheidenheit, wenn Maria spricht: „Mein Herr, zürne mir nicht, wenn ich Dich frage, weil wir nach allem mit Bestimmtheit und Zuverlässigkeit fragen. Denn Du hast uns einst gesagt: Suchet, damit ihr findet … Jetzt nun, mein Herr, wer ist, den ich finden werde …, oder wer vielmehr ist imstande, uns die Antwort auf die Worte zu sagen, nach denen wir Dich fragen werden?“

Gnostiker (Pistis Sophia) fragen „in der Erkenntnis der Höhe“, „die Du uns gegeben hast“, und Jesus antwortet: „Frage, wonach Du zu fragen wünschest, so will ich es Dir (…) offenbaren; wenn ihr nach allem mit Bestimmtheit fragt, so werdet ihr gar sehr jubeln, weil ihr … in der Art fragt, wie es sich zu fragen geziemt. Jetzt nun, frage nach dem, wonach Du fragst, wo werde ich es Dir mit Freuden offenbaren“ (zit. n. Brox: Suchen und Finden, 20–21).

Das Suchen des Gnostikers ist schon etwas Anderes als das Bitten; es ist vielmehr eine Lebenshaltung, eine Daseinsweise in heilsamer Sehnsucht und suchender Unruhe. Die Bedeutungsbreite des Suchens umfasst in diesem Sinne ein „Wetteifern“ und „Kämpfen“. „Ringet danach (kämpfet darum), durch die enge Pforte einzugehen“, sagt Jesus bei Lukas (13,24a).

In der überaus reichen Symbolik des Gnostizismus (der gnostischen Lehren) sind Suchen und Finden Ausdruck und Folge für Entbehrung und Mangel an religiöser Erfüllung. Das Suchen verweist auf das Verloren- und Verborgensein des Wesentlichen; es signalisiert die menschliche Unwissenheit im Hinblick auf die religiöse Sinnfrage. Suchen bedeutet Auf-der-Suche-Sein, man streckt sich aus nach der Wahrheit, die (noch) verborgen, aber nicht unzugänglich ist. Finden ist gnostisch der Sache nach gleichbedeutend mit Erkennen oder mit Gnosis empfangen. Die Suche ist dauerhaft und engagiert; der Gnostiker ist konsequenterweise unzufrieden mit den Zuständen seiner Zeit, und er weigert sich, diese zu akzeptieren. Religiöse Erkenntnis und Wissen sollen zu einem Ausweg führen (Brox, 22–25).

Hingegen ist die kirchliche Theologie vieler Kirchenväter geprägt von Vereinfachungen, bei denen kein Platz ist für Suche und Frage, „denn alles an heilsrelevanter Wahrheit ist geschenkt und liegt offen zutage“ und muss nur angenommen werden. Fragen und Forschen gibt es lediglich „innerhalb der bekannten, eindeutigen Heilsordnung“. Man braucht nicht mehr zu suchen! Man unterstellt dem Gnostiker: „Er sucht zwar immer, findet aber niemals Gott“. Losgelöst, unabhängig von den sicheren Fixierungen kirchlicher Wahrheiten „wird der Mensch immer suchen, niemals aber finden“. Kirche „verwaltet“ das Gefundene, damit wird jedes Suchen obsolet (Brox, 26–27).

Suche ist nicht gleich Suche. Im Alltag suchen wir nach Gegenständen, die wir verlegt oder sogar verloren haben, bis sie plötzlich oder erst nach geraumer Zeit wieder auftauchen. Wir teilen alle die Erfahrung, dass sich verbissenes, verkrampftes Suchen meist nicht lohnt, sondern unnötigen Stress verursacht. Abwarten in Gelassenheit und etwas später in Ruhe nochmals suchen ist hilfreicher.

Menschen, besonders Kinder, Künstler und geistig Interessierte (Denker) sind noch in einem tieferen Sinne auf der Suche – manche ihr Leben lang. Sie suchen nach Antworten auf Fragen, die im Laufe der Menschheitsgeschichte noch nie zufriedenstellend beantwortet worden sind. Sie suchen in der Tat, ohne vorher schon zu wissen, was sie finden. Sie haben nicht den Hauch einer Ahnung, oder sie kennen nur Fragmente – aber nicht wie Teile eines Puzzles oder Steinchen eines Mosaiks, bei denen man Stück für Stück einem allmählich erkennbaren Ganzen näherkommt.

Das Suchen ist eine enorme Anstrengung, ist Denkarbeit und das Bemühen, im alltäglichen Leben die bislang erlangten Überzeugungen zu praktizieren: Erkennen und Tun zugleich. Religiosität bedeutet auf keinen Fall, dass der Suchende (der Glaubende) bezüglich der Wahrheit unbeweglich ist und sich rein passiv verhält. „Was man sucht, ist erreichbar“, weil die Haltung des Suchens und Fragens auch die Motivation fördert, auch die kleinste Erkenntnis auf dem Weg zum noch unbekannten Ziel so früh wie möglich wenigstens teilweise phantasievoll umzusetzen, kreativ zu verwirklichen (Brox, 31).

Kreative Menschen sind oft umgetrieben von ihren Ideen und Phantasien; sie sind überaus neugierig und begeisterungsfähig. Sie sind deshalb häufig auch sehr humorvoll und für jeden Spaß zu haben. Ich denke dabei wiederum an Kinder, an Erwachsene wie Albert Einstein und an besonders begabte Musiker und Schauspieler. Es gibt Kunstmaler, die ihr Leben lang danach suchen, eines ihrer Motive so vollkommen darzustellen, dass sie befriedigt sagen können: Ich bin am Ziel!

Warum vermitteln Theologie und Kirche durch ihren Sprachgebrauch und durch ihr Verhalten den Eindruck, dass sie in „Glaubensdingen“ so gut Bescheid wissen? Warum ist es so gut wie unmöglich, mit ihnen ein vertiefendes, kritisches Gespräch zu führen? Wenn man aufgehört hat zu suchen, heißt das noch lange nicht, dass man auch schon am Ziel ist!

Eine andere Seite des Suchens zeigt sich darin, dass mir das Gesuchte quasi in die Augen springt, wie wir es im Alltag nach einer oft vergeblichen Suche erfahren. Ähnlich verhält es sich auch bei geistigen oder religiösen Dingen. In der hebräischen Bibel wird treffend vom Gott Israels ausgedrückt (Jes 65,1):

„Ich ließ mich suchen von denen, die nicht nach mir fragten, ich ließ mich finden von denen, die mich nicht suchten.“

So mühsam und notwendig die engagierte Suche nach Antworten oder Lösungen auch sein mag, so befreiend und überaus ermutigend ist jede Hilfe, die gleichsam „von außen“ kommt, wesentlich ohne unser Zutun. Viele Forscher, Entdecker und Erfinder haben die zündende Idee für ihre Forschung, mitunter sogar für ihr Lebenswerk im Traum erfahren und mussten sie hernach „nur“ noch umsetzen. Manchmal suchen wir zwar, aber an der falschen Stelle; oder wir stellen die falschen Fragen, suchen eher nach Bestätigung unserer eigenen Ansicht oder Theorie. Wir verrennen uns in Gedanken, die unserer Meinung nach in die richtige Richtung und langfristig ans Ziel führen.

Unsere Suche muss offen bleiben für das Unberechenbare, Unvorhergesehene, für das, was nicht im Rahmen unseres begrenzten Horizonts voraussagbar ist; sonst laufen wir Gefahr, nur Erwartungen und Projektionen nachzujagen und zu pflegen, wobei das Gefundene bereits durch unsere Art der Suche vorprogrammiert ist. Ein solcher Typus von Religion ist eine Illusion.

Im Makro- wie im Mikrokosmos ist die Wirklichkeit für uns derart komplex, dass Wissenschaftler selbstkritisch zugeben, dass die jeweiligen Ergebnisse ihrer Forschung stets auch beeinflusst sind von eigenen Fragestellungen, Beobachtungen, Experimenten und Methoden. Die Neugier und die Suche nach Antworten oder wenigstens Teilantworten treiben die Wissenschaft voran. Die Bereitschaft, immer wieder einen Kurswechsel vorzunehmen, ein ganzes Theoriegebäude ins Wanken geraten zu lassen und unter zwingenden Bedingungen sogar zum Einsturz zu bringen, ist für wissenschaftliches Denken und Arbeiten unerlässlich. Die Zeit unerschütterlicher Theorien ist im Grunde Geschichte.

Es befremdet mich daher zutiefst, wenn Theologie und Kirche de facto – abseits ihrer gegenteiligen Beteuerungen – an felsenfesten Überzeugungen festhalten, die nicht nur sprachlich, sondern auch inhaltlich in vielerlei Hinsicht anachronistisch sind. Freilich: Wer schon gefunden hat (aber was?), muss nicht mehr suchen! Man hat einen „Gott“ gefunden: dogmatisch fassbar und bekenntnishaft begreifbar – auf verschiedene Formeln gebracht.

Andererseits beteuern diese amtlichen Instanzen, die sich obendrein als Berufene ansehen, dass „Gott“ und Glaubensdinge natürlich über der Vernunft stünden. Warum aber versuchen sie seit der Zeit des Frühchristentums, ihren Glauben argumentativ zu vermitteln und durchzusetzen? Warum mögen es die meisten Kirchenleute nicht leiden, wenn ihr gesamtes Glaubenssystem von Grund auf hinterfragt wird? – Wer suchet, der findet; wer schon gefunden hat, braucht nicht mehr zu suchen!

Schon Platon begreift das Religiöse nicht mit begrifflichem Denken; „er verzichtet auf den Versuch, den religiösen Gegenstand mit der Ratio in ein System des Erkennens zu bringen. Dadurch kommt das Irrationale des Gegenstandes gerade so bei ihm höchst lebhaft zu Gefühl. Und nicht nur zu Gefühl, auch zum Ausdruck. Daß Gott über aller Vernunft sei, hat keiner bestimmter ausgesprochen, als dieser Meister des Denkens: „Schwer ist es, den Schöpfer … zu finden, und unmöglich ist, daß, wer ihn fand, ihn allen kündete“ (Otto: Das Heilige, 117 – auch im Folgenden).

„Ich habe nicht darüber geschrieben und werde niemals darüber schreiben. Denn es lässt sich nicht wie die Objekte wissenschaftlicher Untersuchung behandeln. Der Wissenschaft ist es unaussprechlich. Nach langer Arbeit, wenn man sich hinein gelebt hat, geht plötzlich in der Seele, wie wenn ein Funke herein schlüge, ein Feuer auf. Das nährt sich dann selbst. Verständlich würde ein Versuch schriftlicher Mitteilung nur ganz wenigen sein. Denen aber hilft ein leiser Wink dazu, es selbst zu finden.“

Augustinus (354–430) hat zwar den Glauben dem Erkennen vorgeordnet („crede, ut intelligas“), aber andererseits unterstreicht er in den autobiographischen Schriften (Confessiones) die Tatsache, dass jeder Suchende von seinem „unruhigen Herzen“ (cor inquietum) angetrieben wird: Bei Augustinus setzt die Erkenntnis der Ohnmacht (Begrenztheit) des Menschen eine ständige Suche in Bewegung, die sich im unruhigen Herzen äußert, das in immerwährender Erwartung Gottes ist (Bovon, 161).

Suchende Menschen werden oft als labil und unsicher angesehen, weil sie sich nicht festlegen und nicht festgenagelt werden wollen, weil sie keinen eindeutigen Standpunkt vertreten, weil sie sich nicht dem herrschenden Glaubenssystem anschließen, weil sie gängige Überzeugungen ablehnen. Geistige Flexibilität und offene Religiosität werden als unbegründete, unnötige Zweifel abgetan.

Geistig bewegliche Menschen sind nicht weniger stabil als Menschen, die eine solide Grundlage für ihr Leben, Denken und Glauben benötigen. Es kommt auf die jeweilige Haltung an: Wer immer nur sucht, mag Gefahr laufen, sich hoffnungslos im Dschungel religiöser und philosophischer Vielfalt zu verirren. Wer sich schon früh in einem festen Gebäude eingerichtet hat, dem droht auf Dauer die Gefahr, dass ihm diese Behausung zum Gefängnis wird.

Wer auf Richtigkeit vorgegebener Begriffe baut und diese für Abbilder einer göttlichen Glaubenswelt hält, dessen Glaube kann erstarren, weil er sich mit einem Fertigbau zufrieden gibt und nicht vertraut auf „himmlische“ Unterkünfte, wie sie Rabbi Jesus verheißt (Joh 14,2a): „In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen“, und der Prophet Jesaja verheißt bereits für irdische Verhältnisse (Jes 32,18):

„Mein Volk wird dann an einer Stätte des Friedens wohnen, in sicheren Behausungen und an sorgenfreien Ruheplätzen“ (Übersetzung nach Menge). „Trautes Heim bringt Glück allein“, dieses Sprichwort – so profan es anmutet – spiegelt ein tiefes menschliches Bedürfnis wieder. Wenn wir danach suchen, werden wir finden; im Wesentlichen werden wir mitunter gefunden (Joh 14,23):

 

„Wer mich liebt, wird sich nach meinem Wort richten; dann wird ihn mein Vater lieben, und wir werden zu ihm kommen und bei ihm wohnen.“

Sein Wort aber ist lebendig und schärfer als ein zweischneidiges Schwert und damit gewaltig von unseren Begriffen unterschieden! Das lebendige Wort oder die Dynamis (Kraft) des Evangeliums müssen allerdings immer wieder neu gesucht werden, liegt sie doch versteckt unter kirchlichen, theologischen Sprachgebäuden und warten auf Freilegung. Suchen bedeutet hier harte Arbeit – gegen Widerstände seitens derer, die weiterhin glauben, dass ihre Gebäude behagliche, sichere Behausungen sind, aber ignorieren, dass sie längst vom Einsturz bedroht sind.

Also lasst uns lieber gemeinsam und jeder für sich auf die Suche nach den dauerhaften Häusern oder Wohnstätten gehen, die „nicht von Menschenhand gemacht“ sind!

Amen.

Bemerkungen: Literatur

 

François Bovon: Das Evangelium nach Lukas, EKK III/2 (1996), 143–162 (leider inhaltlich einseitig: „Das Gebet und die Erhörung“); Joachim Jeremias: Die Gleichnisse Jesu (7. Aufl. 1965), 157–159 (hilfreich zum Verstehen des sozialen Hintergrunds); Orientierung an Jesus. Theologie der Synoptiker, hg.v. Paul Hoffmann (1973): Suchen und Finden. Zur Nachgeschichte von Mt 7,7b/ Lk,11,9b (Norbert Brox), 17–36 (exegetisch verlässlich; gute Gegenüberstellung von Gnosis und Kirchenvätern); Rudolf Otto: Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen (1979/ 1987), (Quellenangaben dort; grundlegend für die Suche nach dem Wesentlichen).



Pfarrer Thomas Bautz
Bonn
E-Mail: thomas.bautz@ekir.de

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