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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Pfingstsonntag, 04.06.2017

Der Tröster
Predigt zu Johannes 16:5-15, verfasst von Rainer Oechslen

Christus spricht:

Jetzt aber gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat; und niemand von euch fragt mich: Wo gehst du hin? Doch weil ich das zu euch geredet habe, ist euer Herz voll Trauer. Aber ich sage euch die Wahrheit: Es ist gut für euch, dass ich weggehe. Denn wenn ich nicht weggehe, kommt der Tröster nicht zu euch. Wenn ich aber gehe, will ich ihn zu euch senden. Und wenn er kommt, wird er der Welt die Augen auftun über die Sünde und über die Gerechtigkeit und über das Gericht; über die Sünde: dass sie nicht an mich glauben; über die Gerechtigkeit: dass ich zum Vater gehe und ihr mich hinfort nicht seht; über das Gericht: dass der Fürst dieser Welt gerichtet ist. Ich habe euch noch viel zu sagen; aber ihr könnt es jetzt nicht ertragen. Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, kommen wird, wird er euch in alle Wahrheit leiten. Denn er wird nicht aus sich selber reden; sondern was er hören wird, das wird er reden, und was zukünftig ist, wird er euch verkünden. Er wird mich verherrlichen; denn von dem Meinen wird er’s nehmen und euch verkündigen. Alles, was der Vater hat, das ist mein. Darum habe ich gesagt: Er wird’s von dem Meinen nehmen und euch verkündigen.

 

Johannes 16, 5-15

 

Meine Schwestern und Brüder!

 

Jesus verspricht seiner Gemeinde einen Tröster.

Nein, ich muss anders sagen: Jesus verspricht seiner Gemeinde den Tröster, den wahren Tröster, die wahre Trösterin, den Heiligen Geist – oder die Heilige Geistin. Denn im Alten Testament, das bekanntlich den größeren Teil der Bibel ausmacht, ist das Wort für „Geist“ weiblich.

 

Am Abend vor seinem Tod sagt Jesus zu seinen Freunden: „Es ist gut für euch, dass ich weggehe. Denn wenn ich nicht weggehe, kommt der Tröster nicht zu euch. Wenn ich aber gehe, will ich ihn zu euch senden.

 

Das Wort „Tröster“ könnte man auch übersetzen mit „Beistand“. Jesus verspricht seiner Gemeinde den Beistand, der von oben kommt, von Gott. Wir nennen diesen Beistand den Heiligen Geist.

„Christ fuhr gen Himmel.

Was sandt er uns hernieder?

Den Tröster, den Heiligen Geist,

zu Trost der armen Christenheit.“ (EG 120)

 

Im jetzigen Gesangbuch ist die Christenheit nicht mehr „arm“. Da wird die „ganze“ Christenheit getröstet. Aber die Christenheit bleibt arm und geistbedürftig. Daran ändert auch das Gesangbuch nichts.

 

Jesus verspricht seiner Gemeinde einen Tröster.

Die Nachfolger und Nachfolgerinnen werden diesen Tröster, diesen Beistand brauchen. Wir werden den Heiligen Geist brauchen, meine Schwestern und Brüder, wenn wir bestehen wollen als Christen.

 

Zum Zustand der Kirche ist mir eine Szene eingefallen aus „Don Camillo und Peppone“. Vielleicht erinnert ihr euch an diesen Film. Da streiten in Italien der kommunistische Mechaniker und Bürgermeister Peppone und der Pfarrer mit den großen Händen Don Camillo. Einmal schreit Peppone wütend: „Der Kapitalismus, Herr Pfarrer, der Kapitalismus steht seit Jahrzehnten kurz vor dem Abgrund.“

 

Was sind schon ein paar Jahrzehnte? Die christliche Gemeinde steht seit zweihundert Jahren kurz vor dem Abgrund.

 

Vor 220 Jahren, im Sommer 1799, veröffentlichte Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Prediger am Krankenhaus Charité in Berlin, anonym ein kleines Buch: „Reden über die Religion – an die Gebildeten unter den Verächtern.“ Das Buch machte Schleiermacher mit einem Schlag berühmt. Verächter der Religion gab es schon damals sehr viele. Wie viele davon „gebildet“ waren, weiß ich nicht.

 

Neun Jahre später, 1808, schreibt Schleiermacher die folgenden Sätze:

Dass unser Kirchenwesen in einem tiefen Verfall ist, kann niemand leugnen. Der lebendige Anteil an den öffentlichen Gottesverehrungen (den Gottesdiensten) und den heiligen Gebräuchen ist fast ganz verschwunden, der Einfluss religiöser Gesinnung auf die Sitten und deren Beurteilung kaum wahrzunehmen, … die Kirchenzucht und Disziplin völlig untergegangen, der gesamte geistliche Stand im Hinblick auf seine Würde in einem fortwährenden Sinken begriffen, im Hinblick auf seine eigentliche Aufgabe von einer gefährlichen Lethargie befallen.“ (zitiert bei Christoph Dinkel, Ev. Theol. 1998, 271)

 

Der geistliche Stand, sagt Schleiermacher, die Pfarrerschaft, ist im Hinblick auf die eigentliche Aufgabe von einer gefährlichen Lethargie befallen. „Lethargie“ bedeutet: Schläfrigkeit. Die Pfarrer schlafen also, wenn es um die Hauptsache geht. Ein hartes Urteil. Wer aber wollte behaupten – damals oder heute – dieses Urteil wäre falsch?

 

Jesus verspricht seiner Gemeinde den Tröster.

Seit wenigstens 200 Jahren steht die Gemeinde Jesu Christi kurz vor dem Abgrund, wahrscheinlich schon seit 2000 Jahren.

Da steht sie und da wird sie stehen bleiben bis zum Jüngsten Tag.

Weder der Kommunismus noch der Kapitalismus haben der Kirche den Garaus gemacht, obwohl sie sich redlich bemüht haben, alle beide, wenn auch mit sehr verschiedenen Methoden.

 

Woran liegt das, meine Schwestern und Brüder?

Woran liegt es, dass es noch immer eine christliche Gemeinde gibt?

Woran liegt es, dass wir nachher miteinander das Abendmahl halten dürfen, die Mahlzeit, die Jesus Christus uns geschenkt hat als Zeichen seiner Gegenwart?

Woran liegt es, dass heute Millionen Menschen überall auf der Welt zusammenkommen, um das Pfingstfest zu feiern?

 

Es liegt bestimmt nicht an uns.

Es liegt nicht daran, dass die Christen alle so tapfere, starke Persönlichkeiten wären, die an ihrem Glauben festhalten, koste es, was es wolle.

Es liegt nicht an uns Pfarrern, daran, dass wir auf einmal alle aufgewacht wären aus unserer Schläfrigkeit.

Es liegt nicht an unseren Kirchenleitungen, an den Synoden oder Bischöfen, als ob die heute nicht mehr irren würden und unfehlbar wären.

Dass es heute eine Kirche gibt, dass diese Gemeinde sich versammelt, das alles liegt allein an dem Beistand, den unser Herr seiner Gemeinde versprochen hat, das liegt an dem Heiligen Geist, der uns gegeben ist. Er hält die Kirche am Leben – Gott sei Dank.

 

Jesus verspricht seiner Gemeinde den Tröster.

Und wenn er kommt, wird er der Welt die Augen auftun über die Sünde und über die Gerechtigkeit und über das Gericht. Über die Sünde: dass sie nicht an mich glauben; über die Gerechtigkeit: dass ich zum Vater gehe und ihr mich hinfort nicht seht, über das Gericht: dass der Fürst dieser Welt gerichtet ist.“

Wenn der Heilige Geist kommt, dann wird sogar die Erkenntnis der Sünde zum Trost.

 

Was wir Menschen von uns aus für Sünde halten, das ist nur kleinkariertes Urteilen über andere und über uns selbst. Die Kleinkariertheit ist vielleicht die größte Gefährdung der christlichen Gemeinde heute. Wenn wir Menschen von der Sünde reden, dann kommt bestenfalls Moralismus heraus.

 

Wenn uns aber der Heilige Geist die Augen auftut, dann erkennen wir, dass unsere Sünde schon vergeben ist. Ja, dann erkennen wir, dass es in der ganzen Welt keine Sünde mehr gibt als allein am Kreuz unseres Herrn Jesus Christus. Denn „die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.“ (Jes 53,5)

 

Wenn uns der Heilige Geist die Augen auftut über die Sünde, dann gibt es nur eine Schuld für uns, dass wir an die Vergebung in Christus nicht genug glauben. Dann können wir nur noch beten:

„Christus, du Lamm Gottes,

der du trägst die Sünd’ der Welt,

gib uns deinen Frieden.“

 

Wenn uns der Heilige Geist die Augen auftut, dann suchen wir unsere Gerechtigkeit nicht mehr in uns selber oder im urteil unserer Mitmenschen. Dann kommt unsere Gerechtigkeit von Christus, der hingegangen ist zum Vater. Noch ist unsere Gerechtigkeit verborgen. Wir Christen haben keine Ehre in dieser Welt. Es ist ganz sinnlos, wenn wir Christen etwas gelten wollen. Staatliche oder städtische Ehrungen sind für uns eher gefährlich. „Wenn aber Christus, unser Leben, sich offenbaren wird, dann werden wir auch offenbar werden mit ihm in Herrlichkeit.“ (Kol 3,4)

 

Die dritte Erkenntnis: Wenn der Heilige Geist uns die Augen auftut, dann sehen wir, „dass der Fürst dieser Welt schon gerichtet ist“.

 

Noch scheint es, als sei der Teufel los in Syrien und anderswo, wo es nicht in den Zeitungen steht. Noch scheint es, als habe „Gott in seinem Werk auf Erden – das heißt in der uns umgebenden Wirklichkeit – den Kampf verloren … Durch diesen Schmerz muss jeder Jünger, jede Jüngerin Jesu hindurch. Denn nur, wer durch die Schwachheit Gottes betroffen ist, kann durch den Sieg Gottes getröstet werden.“ (Hans-Joachim Iwand)

 

Dann aber, wenn der Geist kommt, werden wir verstehen, dass „Der Tod und die Sünde und die Macht und die Gewalt und das Böse und die Grausamkeit und der Schmerz nicht das Letzte sind, sondern dass das letzte sein wird: das große Lob Gottes auf unseren Lippen“. (Iwand)

 

Jetzt schon singen wir, wie Martin Luther es uns gelehrt hat:

 

„Und wenn die Welt voll Teufel wär

und wollt uns gar verschlingen,

so fürchten wir uns nicht so sehr,

es soll uns doch gelingen.

Der Fürst dieser Welt,

wie saur er sich stellt,

tut er uns doch nicht;

das macht, er ist gericht’.

Ein Wörtlein kann ihn fällen.“

 

Jesus verspricht seiner Gemeinde den Tröster. Gott sei Lob und Dank dafür. In „alle Wahrheit“ wird er uns leiten.

Die Pforten der Hölle sollen die Gemeinde nicht überwältigen.“ (Mt 16,18)

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus unserem Herrn.

 



Pfarrer Dr. Rainer Oechslen

E-Mail: rainer.oechslen@elkb.de

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