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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Sonntag nach Trinitatis, 18.06.2017

Predigt zu Lukas 16:19-31(dänische Perikopenordnung), verfasst von Anders Kjærsig

Die meisten haben Witze gehört über die Perlenpforte. Die beginnen in der Regel damit, dass eine Personen oder mehrere vor der Pforte stehen – und hier werden sie von Petrus empfangen. Solche Erzählungen waren auch zur Zeit Jesu im Umlauf. Vielleicht hat er eine oder mehrere davon gekannt.

Die Erzählung dieses Sonntags hat etwa denselben Charakter - hier wird auch an der Pforte der Ewigkeit angeklopft. Es ist ein Gleichnis, aber die Erzählung hat nicht die gleiche Struktur wie ein Gleichnis. Das Genre ist schwer zu bestimmen, die Forscher sind sich nicht einig. Wir sind auf Vermutungen angewiesen. Es könnte eine Wandergeschichte sein.

Lukas ist der einzige unter den Evangelisten, der die Geschichte erzählt. Sein eigenes Interesse für das Verhältnis zwischen arm und reich hat natürlich eine Rolle gespielt. Das ganze Lukasevangelium ist ja eine lange Verteidigung der Armen, Kranken und Marginalisierten und damit eine Kritik an den Reichen und Gesunden, der Elite in der Gesellschaft.

Worum geht es in der Erzählung? Da sind die beiden Hauptfiguren: der reiche Mann und der arme Lazarus. Sie begegnen sich nur durch den Erzähler – der Erzähler verbindet die beiden Menschen miteinander. Physisch sind sie immer getrennt und haben nichts miteinander zu tun.

Sie begegnen sich zwei Mal. Das erste Mal auf Erden, das zweite Mal im Himmel. An beiden Orten ist zwischen ihnen eine Grenze. Im Irdischen wird Lazarus durch eine hohe Mauer draußen gehalten – und eine große schwere Pforte. Im Himmlischen ist der Abstand eine tiefe Kluft.

Trennung und scharfe Gräben, das ist also die Hauptpointe der Erzählung. Und die Grenze wird zunächst von dem Reichen gezogen. Er will Lazarus und seinesgleichen von seiner Wohnung fernhalten. Nicht notwendigerweise wie er reich ist, sondern weil er und Lazarus verschieden sind – die Verschiedenheit schafft die Spannung.

Im irdischen Leben ist die Grenze durch die Pforte gesetzt. Die Pforte ist die Erfindung des reichen Mannes, um die Augen vor dem Teil der Wirklichkeit zu verschließen, die er nicht sehen will. Im Himmel ist die Mauer zu einer Kluft geworden, du die ist weder vom Reichen noch von dem Armen gegraben. Sie ist einfach da – aber wer hat sie geschaffen? Sie kann geschaffen sein vom Verhältnis zwischen Himmel und Hölle; aber sie kann auch eine Kluft zwischen zwei getrennten Räumen sein, ganz gleich woraus die Räume bestehen. Sie kann auch als zwei verschiedene Weisen gedeutet werden, dieselbe Wirklichkeit zu sehen. Und schließlich kann man die Kluft als eine Verlängerung der Pforte und der Mauer verstehen – d.h. die Gräben, die wir hier in der Zeit graben, erhalten ein Echo in der Ewigkeit.

Man spürt nämlich die Arroganz des reichen Mannes – nicht zuletzt im Jenseits. Er leidet im Hades oder der Hölle und wünscht nur, dass Lazarus seine Zunge kühlt. Aber er wendet sich nicht an Lazarus, sondern stattdessen richtet er seinen Wunsch an Abraham. Mit Lazarus will er nicht reden. Weder im Zeitlichen noch im ewigen Reich. Warum?

Weil der Graben, den er zwischen Lazarus und sich selbst in der zeitlichen Welt gräbt, auch in der ewigen Welt gilt. Der reiche Mann kann einfach Lazarus nicht als einen Menschen sehen, mit er reden kann und an der er sich wenden kann. Dazu ist die Mauer zu hoch und die Pforte zu schwer und schließlich die Kluft zu tief. In dieser Weise ist das Ewige schon im Zeitlichen gegenwärtig. Lazarus war immer aus dem Horizont des Reichen ausgeschlossen. Nicht einmal eine Sprache haben sie gemeinsam. Sie reden nie miteinander. Das gilt sowohl hier und jetzt als auch im Jenseits.

Gräben schaffen und Grenzen setzen, nur um das auf Distanz zu halten, was einem nicht gefällt, das gibt es noch immer. Die reiche Welt schottet sich ab von der armen Welt, die Wohlhabenden grenzen sich ab von denen, die nichts haben, die mit den großen Fähigkeiten grenzen sich ab von den wenig er Begabten; die Hellhäutigen grenzen sich ab von den Dunkelhäutigen; die Dünnen verachten die Dicken, und die Raucher sollen aus der Öffentlichkeit verschwinden – so könnte man weiter aufzählen. Unsere Parallelgesellschaften sind in sich ein gutes Bild für eine Kultur, die darauf beruht, dass man Gräben gräbt. Je mehr desto besser. Hauptsache, man steht auf der richtigen Seite.

In einem Gedicht von Johannes Møllehave heißt es:

Wir setzten Grenzen und graben Gräben

zwischen anderen Leuten und uns.

Wir reden von Kindern, die wir echt nennen,

und anderen, deren Echtheit wir leugnen.

Im Evangelium wird uns gesagt:

Er hat sich an die Seite der Unechten gestellt.

Und all denen, die aus dem Rahmen fielen,

folgte er auf dem ganzen Wege.

Darum soll kein Geschöpf Gottes

verloren und ausgeschlossen sein.

 

Der Graben ist die Verlängerung der Mauern, mit der wir andere weghalten – nicht als eine Strafe, sondern als eine Möglichkeit der Selbsterkenntnis. Wir entdecken etwas von uns selbst, wenn wir die Gräben sehen, die wir selbst graben, im Lichte der Gräben, die für uns gegraben werden und uns ausschließen. Die Erzählung ist somit eine Begegnung, die Grenzen setzt – aber eben indem sie Grenzen durchbricht und auflöst – und das gilt sowohl für reich und arm. Die Gräben die wir auf Erden graben, graben wir auch im Himmel.

Deshalb sollen wir nicht über das Reich Gottes verfügen – wer da nun hineingehört und wer draußen bleibt. Es ist gut, dass es nicht in der Hand der Menschenliegt zu entscheiden, wer erlöst wird und wer verdammt wird. Sonst würden wir alle zugrunde gehen. Ich will das mit einem Witz illustrieren. Der hat die Überschrift: Vertretung an der Perlenpforte.

Nach längerer Krankheit stirbt eine Frau und kommt zur Himmelstür. Petrus empfängt sie, und die Frau sagt: „Das ist wirklich ein schöner Ort! Wie komme ich da hinein?“

Du musst ein Wort buchstabieren“, antwortet Petrus.

Was für ein Wort?“, fragt die Frau und Petrus antwortet: „Liebe“.

Die Frau buchstabiert das Wort Liebe korrekt, Petrus heißt sie willkommen im Himmel.

Etwa sechs Monate später bittet Petrus die Frau an einem Tag, für ihn die Himmelspforte zu hüten.

Während sie wache hielt, taucht ihr Ehemann auf.

Ich bin überrascht, dich zu sehen“, sagt die Frau. „Wie ist es dir ergangen?“

Ach, mir ist es richtig gutgegangen, seit du gestorben bist“, erzählt ihr der Mann. „Ich habe die schöne Krankenschwester geheiratet, die dich gepflegt hat, als du krank warst. Und dann gewann ich in einer Lotterie. Ich habe das kleine Haus verkauft, in dem du und ich wohnten, und habe einen Gutshof gekauft. Und meine Frau und ich reisten um die ganze Welt. Wir machte Ferien, fuhren Wasserski heute. Ich merkte, dass mich der Ski am Kopf trifft, und hier bin ich. Wie komme ich hinein?“

Du musst ein Wort buchstabieren“, antwortet die Frau.

Was für ein Wort?, fragt der Mann.

Tschecheslowakisches Herrenausstattungsgeschäft“.

 

Kingos Lied Far verden far vel (O Welt fahr dahin) könnte wie ein Abschied vom irdischen Leben klingen. Das ist es aber nicht, es ist ein Abschied von der Eingemächtigkeit, der Einbildung und der Eitelkeit, von all dem was dazu beiträgt, dass wir Gräben graben und Grenzen setzen. Unser Leben hängt grundlegend nicht von dem ab, was wir besitzen, sondern von der Barmherzigkeit und der Gnade Gottes. Alles ist uns gegeben, wenn wir gesund sind – aber auch wenn wir unseren letzten Atemzug machen. Amen.



Pfarrer Anders Kjærsig
DK-5000 Odense C
E-Mail: anderskjærsig(at)hotmail.com

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