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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Sonntag nach dem Christfest, 30.12.2007

Predigt zu Matthäus 2:13-23, verfasst von Ulla Morre Bistrup

Erst seit der Einführung der neuen Agende in 1992 predigen wir am heutigen Sonntag über den Kindermord in Bethlehem. Bis 1992 begnügten wir uns mit dem alten Simeon im Tempel (Lukas 2, 25-32), und das war eine andere, wenn ich so sagen darf: zahnlose Affäre. Nicht zuletzt war es eine gemütlichere Affäre.

             Denn in dem Bericht, den wir soeben gehört haben, herrscht wahrhaftig nicht viel Weihnachtsfreude und Friede. Ganz im Gegenteil, es geht um Leichen. Kinderleichen, um die Wahrheit zu sagen. Und es gibt wohl kaum etwas, was schrecklicher wäre!

             Matthäus, der den Bericht geschrieben hat, hat allerdings nicht das Ziel verfolgt, Grauen zu wecken. Er hatte nicht einmal die Absicht, uns aus unserer gewohnten Weihnachtsträgheit und -übersättigung zu wecken. Davon konnte er ja noch nichts wissen.

             Nein, seine Absicht ist dieselbe wie in vielen anderen seiner Berichte: er will seine Leser davon überzeugen, dass dieser Jesus, von dem er erzählt, wirklich auch der Messias war. Dass er also genau derjenige ist, dessen Kommen die Propheten des Alten Testaments vorausgesagt haben. Matthäus möchte zeigen, dass Jesus und das Christentum kein Bruch mit dem alten Judentum sind, sondern im Gegenteil seine Erfüllung. Deshalb gibt Matthäus sich immer große Mühe, uns zu erzählen, dass die Ereignisse um Jesus sich genau so abspielen, wie es in den alten jüdischen Schriften vorausgesagt ist. Wir nennen die zahlreichen Stellen in seinem Evangelium "Erfüllungszitate", und sie werden fast immer mit den formelhaften Worten eingeleitet: "es geschah, damit erfüllt würde..."

             Im heutigen Text haben wir sogar zwei solche Erfüllungszitate. Das erste Zitat stammt von dem Propheten Hosea und lautet: Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen" - wir müssen also Jesus nach Ägypten befördern, damit alles nach Plan verläuft. Und so geschieht es denn auch glücklicherweise, als Josef in einem Traum vor dem abscheulichen Plänen des Königs Herodes gewarnt wird und mit seiner kleinen Familie flieht - und zwar eben nach Ägypten.

             Aber auch der furchtbare Mord an den Kindern geschieht in der Form einer Erfüllung einer Prophetie. Oder jedenfalls wird damit eine Verbindung zur Geschichte des jüdischen Volkes hergestellt. Denn bei einem andern der alten Propheten, Jeremia, haben wir in der Lesung aus dem Alten Testament gehört, wie Rahel in Rama untröstlich über den Tod ihrer Kinder weinte, und in der Klage der Mütter in Bethlehem über ihre Kinder sieht Matthäus nun eine Wiederholung der alten Ereignisse. Und wichtig ist hier, dass Jeremia mit den tröstenden Worten aus dem Mund des Herrn schließt: "Weine nicht mehr! Es gibt Hoffnung!"  - und genau dies ist letzten Endes auch die wichtigste Absicht des Matthäus mit seinem Bericht, der nun der Text am ersten Sonntag nach dem Christfest ist: "Es gibt Hoffnung!" will er sagen.

             Matthäus hat ja nicht  in erster Linie über die vielen getöteten Kinder schreiben wollen, sondern über das eine Kind, das nicht getötet werden konnte - jedenfalls jetzt noch nicht.

             Und eben diese Pointe in der Erzählung ist festzuhalten. Das tat ich selbst natürlich auch, als ich mich letztes Jahr entschloss, den Pfadfindern als eine Variation der Erzählungen von Weihnachten davon zu erzählen, was dieser Herodes noch so getan hat, der Herodes, der in seiner Hinterhältigkeit die heiligen drei Könige bat, bei ihm vorbeizukommen und ihm zu erzählen, wo sie das neue Königskind gefunden hätten, jetzt wo sie es im königlichen Palast des Herodes nicht, wie sie zuerst geglaubt hatten, hatten finden können.

             Ich habe natürlich großen Wert auf das Glückliche in der Tatsache gelegt, dass Jesus dem Kindesmördern entkam, die Herodes dann am Ende nach Bethlehem schickte. Und dennoch kam es prompt: "Das ist o.k. Was aber denken wir über all die andern Kinder?!"

             Ja, dieselbe Frage verfolgt beharrlich uns Erwachsene, und sie kann unsere weihnachtliche Stimmung schnell zerstören: Was denken wir über die andern Kinder in Bethlehem? Und überhaupt was denken wir über alle die Kinder, die im Laufe der Weltgeschichte an den verschiedensten Orten und zu den verschiedensten Zeiten leiden und gelitten haben? Was ist mit den Kindern, deren Leichen in den irakischen Massengräbern gefunden worden sind? Was ist mit den Kindern, die in den südamerikanischen Großstätten als Straßenkinder leben, die mißbraucht werden, die von abgestumpften Polizisten erschossen werden wie Hunde? Was ist mit den Kindern und ihren Familien, die taktlos auf der ersten Seite von Zeitungen als Blickfang benutzt werden, nachdem sie zu Todes- und Sexopfern irgendeines Wahnsinnigen geworden sind?

             Anlässlich des Jahres des Kindes schrieb Benny Andersen vor einigen Jahren ein Lied, das wie so vieles aus seiner Feder volkstümlich geworden ist, mit dem Titel: "Land der Kindheit". Darin schreibt er an das Kind von all den wundervollen Dingen, die ein Kind in seinem Zustand paradiesischer Unschuld erlebt:

Die Fliege ist blau,

kitzelt deinen Zeh.

Und ein paar Ameisen, die du kennst,

Machen es sich auf deinen Händen bequem.

Aber plötzlich wird über diesen paradiesischen Garten hinausgezeigt, über den Garten, von dem wir doch im übrigen meinen, dass jedes Kind ein Anrecht hat, sich ihm weihen:

 

Es gibt Kinder, die müssen fliehen,

aber du hast nichts zu fürchten.

Niemand soll dich misshandeln,

hoffe ich.

 

In diesen letzten Linien sind alle die andern Kinder mitgemeint. Alle diejenigen, die nicht unangetastet im Land der Kindheit und im Garten des Paradieses leben dürfen. Sondern fliehen, fürchten, hungern und sterben müssen. Und in der abschließenden so grell verwundbaren Linie "hoffe ich" ist auch das Grauen enthalten, das wohl für uns alle das schlimmste ist: dass man ein Kind oder vielleicht sogar sein eigenes Kind vor Unbill nicht schützen und bewahren kann. Und dieses Grauen schwindet nicht, je älter ein Kind wird. Man kann nur eines tun - nämlich die Ohnmacht und Verwundbarkeit erkennen, die daraus folgt, dass man ein Kind liebt oder dass man Kinder liebt - und wer tut das nicht? Und glücklicherweise haben wir eine Stelle, an die wir uns wenden können mit unsrer Ohnmacht und Verwundbarkeit. Nämlich an das Taufbecken, an dem wir zu wissen bekommen, dass wir nicht allein sind in unserer Liebe und Sorge für das Kind, denn das Kind ist zugleich Gottes Kind.

             Das bedeutet, wie der Kindermord in Bethlehem und Benny Andersens kleines Lied es zeigen, nicht, dass es keine Bosheit gibt - sogar Kindern gegenüber - sondern es bedeutet, dass es Hoffnung gibt. Und dass es die Güte in der Welt gibt und dass die Macht der Liebe größer ist als die Macht des Bösen.

             Das ist das allerwichtigste, das uns Matthäus mit seinem Bericht erzählt: dass die Bosheit die Güte und Liebe nicht besiegt hat. Sie ließen sich nicht erschlagen, sondern lebten weiter, wie sie es immer tun werden.

             Sie werden lebendig sein trotz der schonungslosesten Massaker. Sie werden entkommen und wiederkommen, wie Jesus und seine Familie es taten. Sie werden uns zeigen: wenn bald alles erschlagen und vernichtet werden kann, so kann die Liebe in der Welt doch nicht ausgelöscht werden. Wie ohnmächtig sie auch bei uns scheinen mag, wenn wir lieben - z.B. ein Kind - und in der Gestalt des Säuglings, der im Text von heute in die Flucht geschlagen worden ist, so ist sie doch die größte Macht, die es in unserem Leben gibt.

             Denn Herodes vermochte den kleinen Jesus nicht zu treffen. Stattdessen wuchs Jesus heran und sprach - auch mit den Worten des Evangelisten Matthäus - so zu seinen Jüngern: "Mir ist gegeben alle Macht im Himmel und auf Erden. Geht deshalb hin und macht alle Völker zu meinen Jüngern, indem ihr sie tauft im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heilgen Geistes."

             Ja, ihm ist gegeben alle Macht - der Verwundbarkeit und Liebe ist eine Macht gegeben, die sich nicht knechten lässt. Das haben auch andere Tyrannen als Herodes erfahren müssen.

             Und das müssen wir erkennen, wenn wir Gottes Sohn scheinbar ohnmächtig sehen - auf der Flucht nach Ägypten oder in Todesangst am Kreuz. Denn er kam machtvoll wieder - von der Flucht und vom Tod. Und gab uns damit ein Leben, in dem wir hoffen dürfen und Grund zur Hoffnung haben, selbst in unserer größten Trauer und Verwundbarkeit.

Amen



Lektor Ulla Morre Bistrup
Molsvej 8B
DK-8410 Rønde
tel..: ++ 45 – 86 37 02 50

E-Mail: umb@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier
Matthäus 2,13-23 (dänische Perikopenordnung)


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